Teil I: Die Ritter des Königs
Prolog des Sehers Breanainn (Anm.: Aussprache: Brennin)
(entnommen aus den Archiven in Croinathír (Anmerkung, wird Kri-na-hir gesprochen); die Echtheit jener Schriftrolle ist in Abhaileon umstritten)
[Breanainn, engl. Brendan, war ein irischer Mönch, der im 6. Jahrhundert lebte und von dem berichtet wird, er sei auf einer Segelreise nach Tir Tairngire, einer anderen Welt gesegelt, einer von Nebel umgebenen Insel. Von dort sei er zurückgesandt worden, um in England zu missionieren.
Auch in den Annalen Abhaileons findet sich sein Name. Es heißt, er sei aus Arda gekommen und später dorthin zurückgekehrt. In Abhaileon blieb er unvergessen wegen seiner Visionen über die künftige Geschichte jener Welt und aller Welten]
Es war einmal ...
Ja, es war einmal.
Noch gar nicht solange her, auch wenn die Erinnerung daran schon fast verschwunden ist.
Die Nebel der Erinnerung legen sich bereits über die einzelnen Bilder und werden sie bald wieder verdecken. Wie so oft.
Der Wind treibt alte Wolkenschleier auseinander und öffnet neue Pfade, die auch bald wieder vergangen sein werden.
Manchmal treiben die Worte eines Liedes mit den grauen Wolken und Schwaden vorbei. Eine Weile hallen sie wider in der kalten Luft, als würden sie für alle Ewigkeiten bleiben. Aber das Ende der Zeiten ist noch weit.
Manchmal streift jemand gleich mir durch den Nebel. Doch tauschen wir nur einen Blick, ein Lächeln, bevor wir uns je wieder unserem eigenen Ziel zuwenden. Dem einen Ziel am Ende aller Pfade durch die Nebel. Ich höre sie noch die Worte eines dieser Lieder, kaum hörbar und doch in das Gedächtnis gegraben.
In dem Land aller Geschichten bei dem Ursprung allen Seins
liegt die Quelle aller Lieder – und einst floss daraus auch meins.
Nebel liegen auf den Wegen, Gegenwart nur ist im Licht
Zukunft ist uns noch verborgen, das Vergangne schon verlischt. So weit, so weit
Reiter jagen durch den Nebel, Lieder klingen an mein Ohr,
kaum gehört sind sie verklungen, tanzen Schatten wie zuvor
Fabeltiere ziehn durch Wälder, Kämpfe toben durch das Land
Große Taten, leise Worte, nie gehört und doch gekannt So weit, so weit
Und ich ruf zum Herrn der Zeiten, der die Welten schuf und lenkt
dankend für die Welt der Lieder und all das, was mir geschenkt:
Du bist da in Deinem Wort und hältst mein Leben in der Hand
gibst den Geist, der alles neu macht, Wunder schafft in jedem Land So nah, so nah
So träum ich durch alle Zeiten, sehe Licht und Dunkelheit
singe meinem Herrn die Lieder aller Zeit und Ewigkeit
Durch die Nebel aller Zeiten seh ich Wege unbekannt
wandere durch Traum und Wahrheit bis in jenes ferne Land. So weit, so weit
Schau hin, hör hin. Da legt der Wind gerade wieder einen Weg frei. Ich sehe Reiter, weite Wälder, Dunkelheit.
Nein, noch weiter reißt der Wind den Pfad auf, vorbei an Drachenfeuer und hohen Bergen bis, ja bis zum Anfang einer Geschichte in einer weit entfernten Welt. Nicht hier in Abhaileon. Eine Welt mit Häusern hoch wie Steinschluchten, eine Welt aus der schon viele Wälder verschwunden sind. Eine Welt - nein, lasst uns den Anfang nicht verpassen, er zieht vorbei schnell wie ein jagender Raubvogel. Seht!
I Auftakt
bei einem Dorf in unserer Welt
1
"Kriiiiiieeek", ein Bussard verließ seinen Ausguck auf einem der in den verhangenen Himmel ragenden Äste eines kahlen Kirschbaumes und flügelte hinauf in das Grau. Auf manchen Äckern standen noch die Getreidestoppeln, die von der dünnen Schneeschicht kaum bedeckt worden waren. Der Wind hatte ein übriges getan und die spärlichen Erinnerungen an den kurzen Schneefall vom Morgen teils ganz aus den Ackerfurchen vertrieben, teils zu kleinen Häufchen zusammengeweht. Nur die Kälte war geblieben und die Luft roch frisch, nach Schnee.
Es war später Nachmittag. Die Tage waren nun schon recht kurz und in einer Stunde würde es bereits Nacht sein. Robin stand auf der Anhöhe jenseits der Ortschaft, in der er wohnte. Berg wurden solche Hügel dort genannt, aber es waren nur flache Erdwellen. Vielleicht war der "Berg" hier auch nur Teil einer alten Flussterrasse; der Strom und seine Nebenflüsse hatten in den letzten paar tausend Jahren viel Grabarbeit geleistet. Nun, Robin stand auf jenem Berg und schaute auf die Häuser des Dorfes zurück, die von einer Kirche überragt wurden, ließ den Blick weiterschweifen zur Flussebene weiter östlich, die sich Richtung Bergland in den Wolken verlor, und auf das Bachtal vor sich.
Bach war wieder eine Übertreibung. Seit langem schon war es nur noch ein gerader Graben mit dickichtüberwucherten Rändern.
Trotz allem - Flurbereinigung und Industrie in den Flußauen - er mochte diesen Weg durch die Äcker und Weinberge, besonders wenn ihn einmal wieder die Sehnsucht nach Ferne und Abenteuern überkam, die seine Welt so schmerzlich auszuschließen schien. Außer in der Erntezeit oder am Sonntagnachmittag traf man dort draußen selten Menschen. Beim Blick von der Anhöhe stellte er sich dann vor, dass er, wenn er nur wollte, einfach weitergehen könne, immer weiter, zu Abenteuern hinter fernen Bergen, wo es noch Ritter und Drachen gab.
Nicht, dass er daran wirklich geglaubt hätte. Da er den Weg schon so oft gegangen war und ihm auch die Umgebung im Umkreis von etlichen hundert Kilometern hinreichend bekannt war, wusste er natürlich, dass nichts Geheimnisvolles passieren würde, dass es nirgends Ritter und Drachen gab und dass es sich nicht lohnen würde, voller Tatendrang in die Ferne aufzubrechen. Und dennoch hatte er immer noch die Sehnsucht, dass eines Tages alles anders sein könnte. Eines Tages mochte ein schwarzes Pferd kommen; er wartete noch immer darauf.
Einmal hatte er geträumt, es sei so weit. Sechzehn war er damals gewesen. Es war noch wirklicher gewesen als die älteren Träume von dem Rappen. Mehr als neun Jahre war es nun her und die Erinnerung daran schmerzte noch immer. Und da war dieses Gefühl, damals, an jenem Morgen einen Fehler gemacht zu haben. Zu schnell hatte er dem ersten Eindruck geglaubt und aufgegeben. Darüber dachte er seit ein paar Monaten nach. Seitdem versuchte er vorsichtig sein Leben dahin zu ändern, wie es hätte sein können, wäre es damals nicht nur ein Traum gewesen.
Der Schrei des Bussards holte Robin in die frostige Realität zurück. Er sah sofort, was den Vogel aufgeschreckt hatte. Unten am Bach war ein Reiter unterwegs; Richtung der alten Mühle trabte er. Sicher, das war nicht gerade ein seltener Anblick. Reitvereine gab es in der Gegend genug. Aber etwas war anders. Denn dieser Reiter trug einen Mantel. Einen dunkelgrünen Reitmantel mit Kapuze, wie es ihn eigentlich nur noch in Sagen gab. Wie er ihn selbst einmal getragen hatte, in einem Traum, der unglaublich wahr gewirkt hatte. Einen kurzen Moment glaubte Robin, dass an diesem Tag doch etwas Ungewöhnliches geschehen werde. Aber dann entschwand der Reiter seinem Blick, und er schüttelte die seltsame Anspannung, die er fühlte, von sich ab. Wenn er solchen Träumen zu lange nachhing, würde die Wirklichkeit doch noch schmerzhafter, als er ertragen konnte.
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