Blog-Archiv
-
▼
2011
(95)
-
▼
September
(54)
- Zwischenkommentar Sept 2011
- Kapitel 31.3
- Kapitel 31.2
- Kapitel 31.1
- Kapitel 30.3
- Kapitel 30.2
- Kapitel 30.1
- Kapitel 29.3
- Kapitel 29.2
- Kapitel 29.1
- Kapitel 28.3
- Kapitel 28.2
- Kapitel 28.1
- Kapitel 27.4
- Kapitel 27.3
- Kapitel 27.2
- Kapitel 27.1
- Kapitel 26.3
- Kapitel 26.2
- Kapitel 26.1
- Kapitel 25.4
- Kapitel 25.3
- Kapitel 25.2
- Kapitel 25.1
- Kapitel 24.3
- Kapitel 24.2
- Kapitel 24.1
- Kapitel 23.3
- Kapitel 23.2
- Kapitel 23.1
- Kapitel 22.2
- Kapitel 22.1
- Kapitel 21.3
- Kapitel 21.2
- Kapitel 21.1
- Kapitel 20.3
- Kapitel 20.2
- Kapitel 20.1
- Kapitel 19.4
- Kapitel 19.3
- Kapitel 19.2
- Kapitel 19.1
- Kapitel 18.3
- Kapitel 18.2
- Kapitel 18.1
- Kapitel 17.3
- Kapitel 17.2
- Kapitel 17.1
- Kapitel 16.3
- Kapitel 16.2
- Kapitel 16.1
- Kapitel 15.3
- Kapitel 15.2
- Kapitel 15.1
-
▼
September
(54)
Donnerstag, 15. September 2011
Zwischenkommentar Sept 2011
Die Schlusskapitel werden dann leider noch etwas brauchen, da dort größere Überarbeitungen notwendig sind.
Kapitel 31.3
„Lord Asrain sagte, Ihr wolltet mit mir über meinen Aufbruch von hier sprechen?“
„Das wollte ich in der Tat. Seit wir wissen, dass die beiden anderen Ritter des Königs auf Corimac sind, ergibt sich die Notwendigkeit, Euch mit ihnen in Kontakt zu bringen.“
„Das wollt Ihr wirklich?“ Robin konnte das Erstaunen in seiner Stimme nicht verbergen.
„Aber natürlich“, versicherte der Fürst. „Wir hoffen immer noch, irgendwie zu einer friedlichen Lösung kommen zu können. Auf mich oder meine Lords werden Herr Béarisean und Herr Ciaran wahrscheinlich nicht hören wollen. Euch werden sie eher Glauben schenken.“
„Nun, ich kenne Eure Standpunkte und Ansichten“, sagte Robin zögernd. „Vielleicht, dass sie sich zum Einlenken bewegen lassen, wenn die Lage in jener Provinz Eannas wirklich so übel ist, wie die letzten Nachrichten es erscheinen lassen.“
„Inzwischen bahnen sich auch schon Probleme in einer der Nordprovinzen an“, warf der Fürst ein. „Das dürfte problematischer sein, da die Hauptstadt von dort aus schneller bedroht werden kann.“
„Ich werde tun, was ich kann“, versprach Robin. „Sobald wir alle Fakten gründlich durchsprechen konnten, sollte sich eine Lösung finden lassen.“ Sogar ein Lächeln wollte sich auf seine Lippen stehlen. Er wusste genau, wie seine ersten Fragen an Béarisean lauten würden, und sie würden das Ende aller Zweifel bedeuten. „Seid versichert, fünfzehn Minuten mit Lord Béarisean sollten ausreichend sein, um das Wichtigste zu klären.“
„Ich kann da nicht ganz so zuversichtlich sein wie ihr“, meinte der Fürst. „Herrn Béariseans Bedenken uns gegenüber sind nicht vollkommen rational. Soweit ich weiß verdächtigt er meine Männer, an der Ermordung seiner Schwester beteiligt gewesen zu sein.“
„Und wie verhält es sich damit?“ wollte Robin wissen.
Der Fürst stand auf und ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab. „Das ist kein angenehmes Thema“, gab er schließlich zu. „Es waren Winianer an der Angelegenheit beteiligt. Das alles liegt jetzt an die vierzig Jahre zurück, und Ihr könnt Euch ja selbst ausrechnen, was das heißt. Lord Fíanael hatte damals seine ersten Aufgaben in der Gegend zu erledigen. Wenn Ihr sein Alter schätzt und nachrechnet, werdet Ihr verstehen, dass er nicht allein agierte. Er hatte einen Kooperationspartner unter den Lords in der Gegend. Der Mann hat später noch ein unrühmliches Ende gefunden. Solltet Ihr Gelegenheit dazu finden, erkundigt Euch einmal in Croinathír nach der Affäre Darivan. Um eine längere Geschichte kurz zu machen, es waren einer von Darivans und einer von Fíanaels Männern, die das Verbrechen begingen. Lord Fíanael war damals weiter im Norden unterwegs.“
„Es heißt, die Mörder wurden nie gefunden!“ sagte Robin mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Wir hatten kein Interesse, dass man von den winianischen Unternehmungen erfuhr“, erklärte der Fürst. „Doch seid versichert, wir haben das auf unsere Weise geregelt. – Der Schaden selbst war ja ohnehin nicht mehr gut zu machen.“
„Béarisean wird detailliertere Auskünfte hierüber verlangen!“
„Das dürfte sich arrangieren lassen. Am besten spricht er mit Lord Fíanael selbst“, schlug der Fürst vor.
Robin nickte. „Wann ist mit seiner Rückkehr zu rechnen?“
„Wir sollten alle in etwa einer Woche auf Corimac versammelt sein. Noch pünktlich vor Mittsommer.“ Der Fürst seufzte. „Damit kommen wir auf ein etwas schwierigeres Thema.“
Robin sah ihn abwartend an. Für den Augenblick war sogar der Disput mit Isabell ganz in den Hintergrund seiner Gedanken getreten. Er freute sich darüber, dass Béarisean endlich Klarheit über die Vorgänge bekommen würde, die ihn noch immer so belasteten und verfolgten. Aber mehr noch ersehnte er mit jeder Faser seines Herzens die Antworten, die er selbst von Béarisean brauchte. So war seine Aufmerksamkeit für alles, was Barraid noch mitteilen wollte nicht mehr vollständig. Schwieriges Thema? Nichts würde mehr schwierig sein!
„Es mag sich merkwürdig, sogar abergläubisch anhören“, sagte der Fürst gerade. „Doch es wäre von größtem Vorteil, wenn die Entscheidung gerade an Mittsommer fallen würde, in etwa zur Mittagszeit. Lord Asrain erzählte einmal, ihr habet erwähnt, Euch mit der Bedeutung des Standes der Sterne schon einmal auseinandergesetzt zu haben?“
Mit einem kleinen Seufzer riss sich Robin von seinen Gedankengängen los. „Nicht viel“, sagte er. „Ich lehne es ab, meine Zukunft in Sternen lesen zu wollen oder meine Handlungen danach auszurichten. Aber ich weiß, dass es zumindest im Nachhinein möglich ist, alles, was geschieht, dort auch in groben Zügen geschrieben zu sehen.“
„Es ist eine komplizierte Wissenschaft“, bestätigte Barraid. „Die meisten überfordert es. Und sicherlich ist es wenig sinnvoll, sich dabei in Details zu verlieren. Doch es gibt eine Sache, die sich sehr klar abzeichnet: Die Entscheidung, die an diesem Mittsommertag getroffen wird, wird lang anhaltende und weitreichende Auswirkungen haben. Und es wird unweigerlich zu einer Entscheidung kommen.“
„Worin liegt also das Problem? Falls diese Angabe wirklich so exakt ist?“ Robin fragte mehr aus Höflichkeit. Es interessierte ihn nicht besonders.
„Das Problem, Herr Anno, liegt darin, dass in nichts festgelegt ist, welche Entscheidung an diesem Zeitpunkt fallen wird. Genauso gut könnte es das völlige und endgültige Scheitern unserer Pläne bedeuten.“
Robin war eher amüsiert. „Und was, wenn mehrere Dinge gerade dann zur Entscheidung heranreifen sollten?“
„Es wird eindeutig sein“, erklärte der Fürst fest. „Und es gibt keine Bedingungen, was es sein wird. Daher beabsichtige ich etwas herbeizuführen, das eindeutiger nicht sein kann.“ Er sah Robin direkt an. „Mit Eurer Hilfe.“
„Ich würde mich lieber aus solchen Dingen heraushalten“, sagte der Ritter. „Vielleicht haltet Ihr das jetzt auch für eine Art Aberglauben. Doch ich denke, es wäre nicht richtig, wenn ein Ritter des Königs, etwas tut, nur um eine astrologische Vorhersage zu erfüllen. Ihr findet besser eine andere Lösung.“
„Ich möchte Euch das etwas näher erläutern“, führte Barraid aus. „Das Entscheidende zu dem es kommen wird, wird mit großer Wahrscheinlichkeit etwas sein, was einer der drei Ritter des Königs tut. Nehmen wir einmal an, ich unternähme nichts und Herr Ciaran beschlösse zum ungünstigsten aller Zeitpunkte, dass Carraig um jeden Preis vernichtet werden muss oder Herr Béarisean käme zu der Ansicht, dass der Tod seiner Schwester noch Rache verlangt. Ein feindseliger Akt würde alles auf Jahre und Jahrzehnte hin festlegen.“
„Vielleicht aber stimmen sie einem Vertrag zu“, schlug Robin vor.
„Vielleicht“, gab der Fürst zu. „Doch ich muss sicherstellen, dass etwas geschieht, das eindeutig ist. Und falls es bei den beiden ungünstig für die Sache aussieht, zähle ich fest auf Eure Unterstützung.“
„Was ist es denn, was Ihr möchtet, dass ich tue?“
„In aller Öffentlichkeit Euer Schwert vor mich hin legen.“
Robin schob seinen Stuhl zurück. „Das werde ich nicht“, sagte er. „Ich gebe dieses Schwert nicht in die Hände eines anderen.“
Der Fürst sah ihn nur ruhig an. „Ich werde es nicht anrühren. Ihr könnt es danach wieder an Euch nehmen.“
„Es erkennt Euch als Herrscher an.“
„In den Augen aller, die es sehen: als befehlsberechtigt über Abhaileon.“
„Ich diene Euch nicht!“ sagte Robin und stand auf. In seiner Stimme lag keine Leidenschaft sondern nur die Müdigkeit, die seit so vielen Wochen immer schwerer auf seiner Seele lastete. Er wandte sich ab und ging die wenigen Schritte zu dem kleinen Sims, auf das er die Scherben der Schale gelegt hatte. Behutsam strich er mit den Fingern über eine der Kanten.
„In der Tat.“ Der Stimme des Fürsten, dem er den Rücken zuwandte, wirkte fast amüsiert. „Sonst könnte ich das einfach befehlen.“
Robin blickte über die Schulter zurück: „Und ich werde Euch nicht dienen“, sagte er ruhig aber ernst.
„Ich erwarte keinen Kniefall“, sagte Barraid. „Nur eine symbolische Geste. Nur den Anschein von etwas, das nie umgesetzt wird.“
Der Ritter blickte wieder auf die Scherben vor sich. „Nur eine Lüge also“, sagte er leise, „oder einen Verrat. Je nach dem, wie es aufgefasst wird.“
„Gewaltige Worte für kleine Dinge. Bedenkt was auf dem Spiel steht.“
„Ich bedenke es“, sagte Robin.
„Das Schicksal eines ganzen Landes? Leben oder Tod für Hunderttausende? Not und Leid für viele mehr über Jahre oder Jahrzehnte hinweg? Was legt Ihr auf die andere Waagschale? Benennt es.“
Der Ritter drehte sich zu ihm um. „Treue“, sagte er nach einer Weile. „Das Einzige, das mir geblieben ist. Wenn ich tue, was Ihr wollt, breche ich sie. Vielleicht nicht eklatant. Da nur zum Schein und aus gewichtigen Gründen. Aber es wird ein Treubruch sein. Daran geht kein Weg vorbei.“
Zu seiner Verwunderung stritt der Fürst es nicht ab. „Es ist, wie Ihr sagt“, stimmte er zu. „Es wird in irgendeiner Form ein Treubruch sein, gleich wie man es wendet. Andererseits. Wenn Ihr es unterlasst, die Hilfe zu leisten, die Ihr Abhaileon geben könnt, wäre nicht auch dies eine Art Treubruch? Wenn Ihr an dem festhaltet, was Ihr jetzt sagt, kann niemand bestreiten, dass Euer Verhalten dem Buchstaben nach korrekt war. Doch um welchen Preis! Und ist es das, um dessentwillen Ihr hierher gesandt wurdet?“
„Das um dessentwillen ich gesandt bin!“ Der Satz entrang sich dem Ritter fast wie ein Ächzen. „Es ist das Schwert, von dem wir hier sprechen, das ich gegen die Dunkelheit führen soll!“
„Und tut Ihr es etwa nicht, wenn Ihr es einsetzt, wie ich Euch vorschlage? Es steht in Eurem Lassen oder Unterlassen, ob Dunkelheit über Abhaileon fällt oder nicht.“ Er hob eine Hand leicht, wie beschwörend. „Seht, was Ihr sehen sollt!“
Und Robin sah. Die Vision dessen, was der Fürst und seine Lords ihm schon des öfteren vorgestellt hatten, war vor seinen Augen wie der Ablauf eines Films. Mit erschreckendem Realismus. „Wenn es etwas gäbe, das ich Euch bieten könnte“, sagte Barraid. „Ich würde es Euch nennen. Doch Besitz, Ehren und Einfluss bedeuten Euch wenig, wie ich weiß.“
„Ich habe immer nur für eines gelebt“, bestätigte Robin. „Ihr würdet nie begreifen.“
„Entscheidet Euch. Jetzt!“ verlangte Barraid.
Robin holte gequält Atem. „Wenn alles andere scheitern sollte“, zwang er sich zu sagen. „Wenn ich nach dem Gespräch mit Béarisean keine andere Möglichkeit mehr sehen sollte, wenn auch Herr Ciaran keine Lösung bieten kann und der Mittsommertag erreicht ist, werde ich tun, worum Ihr mich bittet. Nur dann. Ich werde vor Euch treten, vor wessen Augen Ihr auch wollt und mein Schwert niederlegen. Dieses Schwert, das mich zu einem Ritter des Königs macht. Ich fordere Euer Wort, dass Ihr es nicht anrühren werdet und auch keinem der Euren den Befehl dazu erteilt.“
„Ich gebe mein Wort“, sagte der Fürst. „Ihr könnt es danach wieder an Euch nehmen.“
Robin schüttelte den Kopf. „Wenn ich tun sollte, was Ihr verlangt, und ich hoffe von Herzen, dass es nicht dazu kommt, dann werde ich es nicht mehr tragen können. Jemand soll es verwahren, dessen Treue zum König über alle Zweifel erhaben ist. Es mag sich jemand finden dort auf Corimac.“
„Wen auch immer Ihr bestimmt“, erklärte sich Barraid einverstanden. „Ich danke Euch.“
Der Blick des Ritters war mit unendlicher Trauer erfüllt. „Ich wünschte, ich wäre Euch nie begegnet“, sagte er. „Lasst mich jetzt allein!“
Der Fürst nickte und verließ ihn. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging Robin zurück zum Fenster und blickte lange hinaus, ohne auch nur das Geringste zu sehen. Und er berührte nie das Heft des Schwertes an seiner Seite.
Barraid forderte Asrain, der vor der Tür gewartet hatte, mit einer kurzen Kopfbewegung auf ihm zu folgen. Sie hatten es nicht weit zu dem kleinen Raum, in den der Fürst die Harfe hatte bringen lassen. Auf seinen Wink hin ergriff der Lord sie und schlug sie an. „Perfekt, Gebieter“, kommentierte er devot. „Er ist verloren.“
Barraid sah mit Befriedigung, dass der Lord seine jüngste Lektion nicht so schnell wieder vergessen hatte wie andere vorhergegangene. Es hatte sich gelohnt, eine von Akans Vorgehensweisen zu erproben. Grob betrachtet erschienen sie zunächst zu subtil und von geringerer Durchschlagkraft; doch der erreichte Effekt war beachtlich. Jetzt schüttelte er unzufrieden den Kopf, wobei der Lord zu seiner Genugtuung leicht erzitterte. „Selbst jetzt liegt noch zuviel Harmonie darin. Wir werden auch weiterhin äußerst sorgsam verfahren müssen.“
„Ihr wollt ihn wirklich mit den anderen Rittern sprechen lassen?“ Der Lord hatte eine sehr unterwürfige Haltung eingenommen, um zu unterstreichen, dass dies in keiner Weise eine Kritik darstellen solle. „Wie kann dabei vermieden werden, dass sie einander wirklich unterstützen?“
„Du denkst immer noch nicht kühn genug“, tadelte der Fürst. „Es wird dazu beitragen, dass unsere Pläne sicherer gelingen. Dimail hat diesbezüglich Instruktionen erhalten.“
Er lachte oder lächelte nie. So auch jetzt nicht, als er hinzufügte: „Ihm und Akan allein sollte es gelingen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Du kannst dich also ganz auf die Feinheiten hier konzentrieren. Ich selbst wünsche nicht, mit Belanglosigkeiten behelligt zu werden.“
Er warf einen missmutigen Blick auf die dichte Wolkendecke, die fast bis auf Carraig hinabreichte. Es war äußerst ungelegen in diesem Stadium. Akan hatte ihm berichtet, dass dafür eine kleine Intervention aus Richtung Alandas verantwortlich war. Leider keiner der Alander. Den Namen seines intimsten Feindes hatte der Lord erst zu Schluss erwähnt. Es war keine große Überraschung gewesen. Rodil, wie er sich jetzt nannte, und Ríochan arbeiteten nicht zum ersten Mal zusammen. Lùg und Asrain hatten damals bei Eliannas Flucht schmählich gegen ihn versagt. Doch mit Akan und Dimail sollten die beiden Ritter auf Corimac zu kontrollieren sein und seinen eigenen Gast würde er selbst nicht mehr viel aus den Augen lassen. „Sag Lùg, er soll die Sternkarten für heute Abend herauslegen“, entließ er Asrain.
Noch am vorigen Tag hätte der Lord wahrscheinlich einen Protest gemurrt, dass sie mittlerweile jedes Detail schon mehrfach durchgegangen waren. Jetzt war ihm kaum anzusehen, dass er innerlich aufstöhnte, als er sich bestätigend verbeugte. Die Fahrlässigkeit mit Dingen, die er als zu kleinlich betrachtete, war einer seiner größten Fehler. Doch Barraid erinnerte sich nur zu gut an die Eroberung Croinathírs, die sich dann in den Großen Kriegen als Anfang ihres Scheiterns herausgestellt hatte, weil sie sich ihres Sieges bereits zu gewiss gewesen waren.
*******
„Erzählt mir noch ein wenig mehr von Eurer Heimat!“ bat Ingro höflich. „Ich möchte mehr über die Verhältnisse wissen, die ich dort vorfinden werde.“
„Was werdet Ihr dort überhaupt tun?“ wollte Isabell wissen. „Je nachdem könnte ich Euch gezieltere Mitteilungen machen.“ Sie stellte sich kurz ein wenig in den Steigbügeln auf, um einen Blick auf die Reihen weiter vorn erhaschen zu können. Irgendwo dort musste Akan sein. Da! Er unterhielt sich mit einem anderen seiner Adjutanten, einem Asrik, der aussah, als sei er magenkrank. Er hielt sich etwas unsicher im Sattel, schien es ihr sogar. Ein anderer flüchtiger Bekannter, Terek, hielt sich abwartend hinter ihnen. Ihr eigener ständiger neuer Begleiter sah auch aus, als hätte er harte Zeiten hinter sich. Aber sein Sitz im Sattel und sein Griff an den Zügeln waren sicher. Ein hagerer weißblonder Bursche, vielleicht an die dreißig Jahre alt, nicht unsympathisch.
„Ich weiß nur, dass ich Lord Akan dorthin begleiten werde“, sagte Ingro. „Und ich lege höchsten Wert darauf, zu seiner Zufriedenheit zu arbeiten. Da er mir gestattete, Euch Gesellschaft zu leisten, würde ich die Gelegenheit gerne gut nutzen. Natürlich nur, insofern es Euren eigenen Wünschen nicht zuwider läuft.“ Manchmal war er etwas zu besorgt, sich korrekt zu verhalten, dachte Isabell.
„Es würde helfen, wenn Ihr konkretere Fragen hättet. – Wo habt Ihr bisher gedient?“
„Zuletzt auf Cardolan.“
Isabells Ton wurde kühler. „In diesem Winter?“
Ingro warf ihr einen vorsichtig abschätzenden Seitenblick zu. „Ja, Lady. Als einer der Stellvertreter des Kommandanten Urkha.“ Er seufzte. „Ich habe alles Verständnis für Eure missbilligenden Blicke. Doch ich habe mich mehrfach für Euren Cousin verwandt. Urkha setzte sich über alle Befehle hinweg, die uns in Bezug auf den Gefangenen erteilt worden waren. Seine Hoheit befand meine Interventionen als unzureichend. Ihr könnt gewiss sein, dass ich seitdem aus meinen Fehlern gelernt habe.“
„Seid Ihr darum zu Lord Akan versetzt worden?“
„Lord Akan ist schon seit ein paar Jahren offiziell Kommandant über Cardolan.“ Ingro versuchte, sie richtig anzublicken und sie wandte ihm den Kopf zu. „Ich hatte auch ihm gegenüber Rechenschaft zu abzulegen. Ich bin ihm sehr verpflichtet, ihm weiter dienen zu dürfen.“
„Er ist ein strenger Befehlshaber, nicht wahr?“ erkundigte sich Isabell interessiert.
„Er ist, wer er ist“, antwortete Ingro einfach.
„Ihr weicht aus. Wie jeder, wenn es um ihn geht. Wie er selbst, wenn man ihn eingehender befragt.“
„Vielleicht wünscht er nicht, dass über ihn gesprochen wird“, schlug Ingro vor. „In diesem Fall hätte er sicherlich gute Gründe. – Wie war das nun mit Arda? Es gibt dort also sehr viele einzelne völlig eigenständige Reiche?“
Sie begann, die Verhältnisse zu erklären. Das war ganz gut so. Es hielt sie davon ab, ständig an die letzte Szene mit Robin zu denken. Er hatte sich vollkommen unmöglich betragen. Zugegeben, sie hatte auch ein paar ziemlich spitze Bemerkungen eingeflochten. Aber sie war in keiner Weise beleidigend gewesen. Jedenfalls nicht so beleidigend wie er! - Besser, Belanglosigkeiten über Arda zu erzählen.
Patris ließ seinem Pferd größtenteils die Zügel und achtete nicht weiter auf den Weg. Wozu auch. Diese Truppen konnte man nicht verlieren. Selbst wenn Dimail mit dem Großteil schon vor ihnen, bei Tagesgrauen, aufgebrochen war. Und dass er zwischen den losen Verbänden nicht verloren ging, dafür sorgten die Begleiter, die Akan ihm geschickt hatte. Sie hielten jedoch ihre Distanz, also konnte er sich schlecht darüber beschweren.
Da war etwas, das ihn sehr beschäftigte. Woher hatte der Alander wissen können, dass der Ritter zu ihm kommen würde? Betrieben sie eine eigene Art der Vorhersage, effektiver noch als alles, das er kannte? Für den Ardaner, den sie Anno nannten, war ihr Zusammentreffen zweifellos unerwartet gewesen. Doch hatte er sich unerwartet schnell gefasst. Und dann diese Offenheit. Wenn er es bedachte, da war eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Dalinianer, mit Hauptmann Ciaran, wie er ihm damals begegnet war. Dieser aufrichtige Blick in Kombination mit dem entschlossenen Vorgehen. Das Gefühl von Kameradschaft. Patris schüttelte den Kopf über sich selbst. Er hatte keine Kameraden. Nur, da war dieser Ciaran gewesen, erfüllt von einer Zuversicht, die nicht zu erschüttern war. Da war dieser Anno, voll von einem Vertrauen, einer Hoffnung, die lange schon keine Basis mehr haben konnte. Sie berührten etwas, von dem er selbst nicht wusste, was es war. Das, was ihn bewogen hatte, dort auf dem Friedensrücken Dinge zu tun und zu sagen, die er nie vorgehabt hatte. - Sehnsucht. Sehnsucht nach etwas wie weißem Licht. Etwas Exotischem, Esoterischen, Ungewöhnlichen – nach einer Art von Freundschaft.
Die Erkenntnis war schockierend. Was war mit ihm nur geschehen da oben auf dem Bergrücken? Dieser Alander hatte ihm Worte zugeflüstert und danach hatte er die Welt anders wahrgenommen. Wenn es ein Zauber war, dann keiner, den er kannte. Er hatte versucht, es herauszufinden. Zu einer gründlicheren Prüfung würde er die Nacht und Feuer brauchen. Doch alle einfacheren Methoden hatten schlicht versagt. Schon allein, herauszufinden, was da geschehen war, wäre einen Kontakt mit den Alandern wert.
Verdammnis aber auch! Er hätte fragen sollen. Dieser Ritter hatte lange gewartet, und er hatte sich erst aufraffen können, als es zu spät war. Hatte gegrübelt, ob es den verdammten Vertrag verletzen würde, hatte sich geärgert, dass so ein unmöglich geglaubtes Ereignis plötzlich eintrat, hatte sich nicht da hineinziehen lassen wollen. Wie hatten die Alander es nur zustande gebracht? Wie nur? Soviel Einfluss und das in Carraig? Warum dann sonst nicht? Konnte das wirklich stimmen, was der Alander gesagt hatte, dass ... der König ... alles in der Hand hatte. Einen merkwürdigen Humor musste er haben, der König! Jetzt ginge es um ihn, hatte der fast unsichtbare Fremde gesagt. Für ihn also eine Art Wunder auf Carraig? Das war mehr als unwahrscheinlich. Warum dann aber?
„Lord Akan wünscht Euch zu sprechen!“ Das war Terek.
„Ich wünsche ihn nicht zu sprechen“, fertigte Patris ihn ab, ohne ihn weiter zu beachten. Sollte seine Lordschaft sich doch selbst bemühen. Der Adjutant belästigte ihn nicht weiter, sondern trieb nur stumm sein Pferd wieder an.
Akan schien mit seiner Reaktion schon halb gerechnet zu haben, denn kaum eine Minute später lenkte er sein Reittier an die Seite des Imreachers. Patris fühlte den kalten studierenden Blick auf sich. Dieser Blick machte ihn nervös. Nur zu gut erinnerte er sich, was der Lord damals auf Carraig damit plötzlich herausgefunden hatte. Besser das jetzige Zusammensein schnell zu beenden. Er fluchte leise, bevor er sich ihm zuwandte: „Was willst du also, gefallener Fürst?“ Es war eine Dreistigkeit, die er sich bisher nicht geleistet hatte. Angeblich eine sichere Methode, einen baldigen Tod zu finden. Nun ja, was hatte er schon noch zu verlieren. Er achtete jedoch darauf, so leise zu sprechen, dass es keiner der anderen Reiter, die alle einen gebührenden Abstand hielten, vernehmen konnte. Er musste fast auflachen, als er sich vorstellte, wie bei dieser Anrede plötzlich jeder ringsum dringende andere Beschäftigungen finden würde. Selbst die, die nicht wussten, um was es wirklich ging.
Der Lord ließ keine Reaktion erkennen. Seinen dunkelgrauen Augen gelang es, fast so unergründlich zu sein, wie die des Fürsten selbst. „Ich frage mich, wem du heute morgen begegnet bist“, sagte er, ohne auf die Anrede einzugehen.
„Du sahst es selbst“, sagte Patris mit einem Achselzucken. „Ein absolut zufälliges Zusammentreffen.“
„Wie lange spracht ihr miteinander?“
„Du hörtest auch, wie ich jede seiner Fragen vor seiner Hoheit wiederholte“, sagte Patris mürrisch. „Der Rest war Schweigen.“
Diese Augen versuchten etwas aus ihm herauszuholen, wie es schien. „Etwas ist an dir, das zuvor nicht da war.“
Patris lief ein kaltes Frösteln über den Rücken. Seine eigene Wahrnehmung stimmte also in dieser Beziehung.
„Sagt dir der Name Rodil etwas?“ forschte der Lord weiter.
Patris schüttelte den Kopf. „Das hört sich nicht nach einem von euch an. Wer ist das?“
Akan studierte ihn wieder eine Weile eingehend, ohne zu antworten. „Keine Lüge“, konstatierte er schließlich. „Ich sehe auch keine Möglichkeit. Mag sein, dass es durch den Kontakt mit dem Ardaner kam. Nicht unmöglich. Er muss einiges mit ihm zu tun gehabt haben. Zeit, dass das ein Ende nimmt.“ In dem letzten Satz lag eine überraschende Spur von Ingrimm. Er warf Patris einen letzten offensichtlich misstrauischen Blick zu, bevor er sein Pferd antrieb und ihn verließ.
Patris stand plötzlich kalter Schweiß auf der Stirn und ihn fröstelte leicht. Rodil. Wer auch immer das war. Ganz sicher niemand Unbedeutendes. Jemand, der sogar in Akans Stimme eine Emotion trieb. Auf was hatte er sich da heute morgen nur eingelassen!
******
Ludovik lachte unbekümmert. „Und warum nicht? Wir sitzen hier doch ein paar Tage lang fest. Weiter nach Osten gibt es keinen Ort, an dem wir mit unseren Truppen lange lagern könnten. Erst wieder, wenn der Fraoch erreicht ist.“
„Wir brechen in drei Tagen auf“, sagte Ciaran. „Soviel Vorsprung müssen wir Lord Estohar geben. Und ich hoffe, dass bis dahin alle soweit sind.“ Er schüttelte den Kopf, ohne mehr zu sagen.
Halis lachte jetzt ebenfalls. „Sie sind keine Disziplin mehr gewöhnt, unsere Fürsten. Mit ein paar Ausnahmen natürlich.“ Sie lächelte Donal von Tireolas zu.
„Leider ist das nur zu richtig“, sagte dieser. Er saß müde auf einer der Truhen. „Die Hälfte träumt von Heldentaten und nimmt es nicht ernst genug. Die anderen sind beunruhigt, tun sich aber trotzdem schwer, Befehle anzunehmen. Doch allmählich arbeiten sie zusammen.“ Er hatte an diesem Tag die Aufsicht über einige der Manöverübungen geführt.
„Wir können alles Frischfleisch gebrauchen, das wir erjagen können“, führte Dorban zum vorangegangenen Thema zurück. Warum also nicht einen größeren Trupp losschicken? Ich würde mich auch beteiligen. Einige meiner Leute sind mit der Gegend hier ganz gut vertraut. Es gibt da ein kleines Tal einen knappen Tagesritt von hier, das sich lohnen würde. Orla benötigt mich im Grunde sowieso nicht.“ Auch er lachte.
„Ich weiß nicht“, sagte Ciaran. Ihn beunruhigte diese Sorglosigkeit aus irgendeinem Grund, genauso wie deren Gegenteil, das er bei Béarisean beobachtete. Er wandte sich direkt an diesen. „Was meinst du?“
Der Ritter sah aus, als müsse er sich erst einen Moment besinnen, von was überhaupt die Rede war. „Es scheint durchaus sinnvolle und gute Gründe zu geben für eine Jagd. Aber brecht am besten noch heute Nacht auf. Vor Carraig sollten wir mit ausgeruhten Pferden ankommen. Und ich möchte lieber schon in zwei Tagen aufbrechen.“
„Wir könnten ab dann schon einmal anfangen, die Vortruppen in Bewegung zu setzen“, schlug Donal vor. Sie diskutierten es noch eine Weile, bevor sich die Heerführer verabschiedeten. Es war ein eher informelles Treffen gewesen, das nicht im großen Beratungszelt sondern in dem des Regenten stattgefunden hatte.
Als alle anderen mehr oder weniger gut gelaunt gegangen waren, wandte sich Ciaran dem anderen Ritter zu. Béarisean seufzte und kam jeder Frage zuvor: „Ich begreife mich selbst nicht“, sagte er. „Es fällt mir schwer, mich auf unsere Aufgaben zu konzentrieren. – Ciaran, es ist so übel, dass ich überlege, dieses Schwert abzulegen.“
„Vielleicht wirst du krank“, schlug der Regent vor.
Béarisean schüttelte den Kopf. „Es ist – nur in meinen Gedanken“, sagte er bedrückt. „Ich verstehe es selbst nicht. Ich konnte die alte Geschichte nie vergessen. Aber jetzt scheint sie mich zu beherrschen.“
Ciaran sah ihn ratlos an. „Wenn ich nicht mehr weiter wusste“, sagte er schließlich, „auf dem Weg durch die Provinzen, dann nahm ich mein Schwert und hielt mich daran fest. Das Licht darin fand immer auch einen Weg in meine Gedanken, scheint es. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Alles Finstere weicht davor zurück.“
„Die Schwierigkeit besteht darin“, sagte Béarisean mit gesenktem Kopf, „dass in diesem Fall die Finsternis in mir ist. Ich bin nicht imstande das zu tun, was du tatest.“ Er brauchte Ciaran nicht anzusehen, um zu wissen, dass dieser nicht begriff, was er da sagte. „Der Wunsch, einmal Vergeltung üben zu können für jenen Mord war wie ein kleiner armlanger Drache, den ich in einem Zwinger hielt. Ich gab ihm nicht viel Nahrung, damit er nicht zu groß wurde, ließ ihn aber auch nicht verhungern. In den letzten Wochen hatte ich ihn fast vergessen, und plötzlich hat er seinen Zwinger verlassen und ist stärker als ich. – Ciaran, ich kann kaum noch klar denken.“ Seine Stimme verriet nichts von seinen inneren Kämpfen. Sie war vollkommen ruhig.
„Du wirst diesen Kampf gewinnen“, sagte der Regent nachdrücklich. „Du liebst den König!“
„Das tue ich“, sagte Béarisean. „Ich glaube von ganzem Herzen an das, wofür ich stehe. Und dennoch ändert es nichts.“
„Mitternacht wird vorüber gehen“, sagte Ciaran fest. „Es muss wohl alles so sein, wie es jetzt ist. Denn zur Zeit sehe auch ich den Weg nicht mehr vor mir. Unsere Pläne sind gemacht. Und doch scheint es mir, als würden sie nie umgesetzt, so unwirklich wirken sie auf mich. Ich könnte deinen Rat jetzt brauchen, wenn du ihn geben könntest.“
Béarisean schüttelte nur den Kopf. „Ich sehe weniger als du. Viel weniger. Wenn es möglich ist, würde ich gerne in deiner Nähe bleiben. Bis das jetzt vorbei ist. Ich würde mich sicherer fühlen.“
„Dann bleib“, sagte Ciaran ernst. „Deine Gegenwart ist willkommen, Ritter des Königs.“
Béarisean lächelte ihn dankbar aber schwach an, bevor er den Kopf wieder auf die Arme stützte.
Ciaran schloss die Finger fest um das Heft seines Schwertes, um die eigene Hilflosigkeit zu vertreiben. „Wo bist du, Anno von Arda?“ dachte er. „Wir brauchen dich hier. Wir brauchen diese Leichtigkeit, mit der du selbst den Schwarzen Fürsten täuschen konntest. Die Lieder, die den Morgen nicht vergessen haben. Wo bist du, furchtloser Kämpfer?“
Kapitel 31.2
Wieder standen sie auf der Anhöhe nahe der Wälder, auf der Ciaran ein letztes Mal versucht hatte, der Konfrontation auf Corimac zu entgehen. Die Pferde hatten sie jedoch zurückgelassen. Flaith und Doitean vertrugen sich noch weniger als je zuvor.
Wie sehr sich alles in so kurzer Zeit geändert hatte, dachte Ciaran. Er und Béarisean hatten die Gruppe, die mit der offiziellen Kriegserklärung nach Carraig reiten würde, bis hierher begleitet. Estohar war ihm immer so gewaltig erschienen. Viele Jahre lang hatte er seine Welt dominiert. Jetzt war er nur noch einer der vielen Führer in Abhaileon.
Selbstverständlich waren sie nicht alleine. Am Fuße des Hügels wartete Rafe mit seiner von ihm streng ausgewählten Truppe, die sich inzwischen auf zwanzig Mann vergrößert hatte und mit ein paar der Männer aus Tireolas. Fürst Donal hatte darauf bestanden, dass Tireolas das Vorrecht haben solle, für Béariseans Sicherheit zu sorgen.
„Dein Schwert hat alles geändert“, sagte Ciaran immer noch nachdenklich zu Béarisean. „Estohar begegnet mir seitdem als jemand anderem. – Seltsam. Ein wenig wünsche ich mir dennoch, er würde immer noch den Hauptmann seiner Garde sehen und diesen akzeptieren.“
Béarisean antwortete lange Zeit nicht. „Ich fürchte, es war ein Fehler“, murmelte er schließlich und blickte unverwandt an den leeren Horizont im Osten.
Ciaran bemühte sich den Gedanken des anderen zu folgen. Es musste um Estohar gehen. „Jemand musste nach Carraig“, versuchte er es schließlich. „Wir müssen uns an die Regeln halten.“
„Die Regeln!“ sagte Béarisean heftig und ballte die Fäuste.
Ciaran sah ihn verwundert an. „Was meinst du mit diesen Worten?“ fragte er vorsichtig.
Béariseans Gesicht nahm einen leicht gequälten Ausdruck an. „Nichts“, sagte er dann fest. „Es sind nur ein paar längst vergangene Dinge, die manchmal für Sekunden aufbrodeln.“ Er seufzte. „Ich fürchte, Estohar nie wiederzusehen, und das reißt ein paar alte Wunden auf.“ Er vermutete, dass es das war. Die vergangene Nacht war voller Alpträume über längst Vergangenes gewesen. „Wir werden gewinnen und alle Rechnungen werden beglichen werden!“
„Vielleicht“, entgegnete Ciaran. Ihn schauderte. Wieder sah er die Vision von Dunkelheit vor sich, die ihn zuerst auf Carrnarosc überfallen hatte.
„Was ist mit dir?“ Béariseans Stimme drang nur undeutlich zu ihm durch.
„Die Dunkelheit“, brachte Ciaran hervor. „Sie legt sich auf alles. Sie ist jetzt ganz nahe.“ Er merkte erst, dass er taumelte, als der andere Ritter ihn am Arm packte.
„Ist dir nicht gut?“ fragte Béarisean besorgt.
„Es ist scheinbar so übermächtig“, murmelte Ciaran. Aber dann lächelte er den anderen beruhigend an. „Nein, das ist keine Krankheit. Es ist etwas wie das Licht, das wir manchmal aus unseren Schwertern brechen sehen. Die Vision der Wirklichkeit jenseits dessen, was wir gewöhnlich wahrnehmen können. Von dem hier sprach Fürst Ríochan. Er sagte, wir müssten durch das Herz der Dunkelheit gehen, bevor Abhaileon wieder zum Licht gelangen kann. In Roscrea sah ich das plötzlich vor mir. Und jetzt wieder, nur dass es schon sehr nahe ist. Es ist wie schwarze Wirbel in dunkelster Nacht, Finsternis in Finsternis und nirgends ein Lichtstrahl.“
„Und der Weg?“ fragte Béarisean angespannt.
Ciaran schüttelte den Kopf. „Da ist nichts zu erkennen.“
Béarisean seufzte. „Wir sollen wir da nur durchfinden.“
„Hiermit“, sagte Ciaran und berührte das Heft seines Schwertes. „Du hast es doch schon oft gesehen bis jetzt. Kein Dunkel kann dieses Licht auslöschen. Der Spiegel dessen, was uns im Innersten leitet und bewegt. Es sei denn, wir ließen das Dunkel in uns wohnen.“
Béariseans Hand legte sich fest um das Heft seines eigenen Schwertes. Es beunruhigte ihn etwas, sich vorzustellen, was dieser Spiegel derzeit zeigen könne. Seine Gedanken wollten ständig abirren zu der noch ausstehenden Rache an den Mördern Rilans. Ob damit das Licht noch so hell leuchten konnte, wenn Flammen des Hasses dazwischen loderten? „Kannst du das Dunkel eigentlich auch in anderen sehen?“, fragte er.
Ciaran runzelte die Stirn. „Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich glaube nicht. Sonst hätte man Gearaid etwas ansehen müssen, vermute ich. Ich wusste, dass er meinen Tod will. Aber es war einfach, das zu wissen.“
Béarisean war sich nicht sicher, ob er darüber Erleichterung verspüren sollte. „Lass uns zurückkehren“, schlug er vor.
******
Der Tag hatte genauso schlecht begonnen, wie der vorige Abend geendet hatte. Genau gesehen, war die Begegnung in der Nacht sogar an diesem Tag gewesen, auch wenn Robin in der Zwischenzeit ein paar Stunden Schlaf gefunden hatte. Die Dämmerung war die trübeste gewesen, die er bisher auf Carraig erlebt hatte; der lichtstrahlende Frühsommer schien endgültig vorüber. „Wie damals“, murmelte er, „als wir Alandas verließen. Die Regenwolken sammelten sich, kaum dass wir den Pass überschritten hatten. Heißt das, dass ich jetzt auch wieder aufbrechen werde?“
Vielleicht hätte er Akans nächtliches Angebot annehmen sollen, Isabell auf einem ihrer Ritte mit ihm zu begleiten. Nein, von Akan wollte er nichts annehmen, auch wenn er keinen einzigen Grund hätte nennen können, warum er so gegen den Lord eingenommen war. Eigentlich war ihm vieles zugute zu halten. Kaum angekommen, hatte er den Ritter zu sich eingeladen und seine Instrumente zur Verfügung gestellt. Er schien wirklich ungeheuer beschäftigt zu sein, und dennoch kümmerte er sich um Isabell. Ohne dabei irgendwelche ernsteren Interessen zu haben. Bisher zumindest. Darüber schien Isabell sogar eher erbost, wenn sie das auch nicht zugeben wollte. Vielleicht war es gerade diese Kälte, die aus allem herausstrahlte, was dieser Lord tat. Diese Oberfläche so glatt wie poliertes Eis. Es gab überhaupt zuviel Kälte hier!
Er warf seinen langen Mantel über, bevor er hinausging. Etwas zog ihn hinaus auf die Höfe. Er näherte sich dem äußeren davon, aber noch bevor er diesen erreichte, sah er Akan durch das Tor reiten und änderte entschlossen die Richtung. Das Ausweichmanöver führte ihn schließlich zu einem der abgelegeneren Türme. Er sah nach oben und stellte fest, dass es sich um den mit der Kuppel für die astronomischen Beobachtungen handelte. Nun, er konnte schließlich innerhalb der Mauern tun und lassen, was er wollte und dort war er noch nie gewesen. Vielleicht in instinktiver Reaktion auf Béariseans Abneigung gegen alles, was in Astrologie münden konnte. Vielleicht weil er hier auf Carraig tatsächlich finstere Dinge in Zusammenhang damit erwartete. Doch jetzt gerade war ihm das gleichgültig.
Mit raschen Schritten stieg er die gewundenen Treppen hinauf und stellte dabei zufrieden fest, dass seine Kondition allmählich wieder auf die alte Höhe kam. Mit einem leisen Lachen begann er sogar zu laufen, so dass er außer Atem und leicht schwitzend die oberste Plattform erreichte. Er ließ die Falltür offen stehen und betrachtete die blitzenden Lichtpunkte auf der Kuppel. Ja, das war wohl der Himmel Abhaileons. Er hatte ihn nie eingehender betrachtet, doch ein paar markante Konstellationen erkannte er wieder. Flüchtig suchte er nach der Mechanik, die das steuern sollte, konnte aber nichts entdecken.
Nach einer Weile beschloss er, dass es jetzt möglich sein solle, nach seiner Kusine zu sehen. Was auch immer in der Nacht gewesen war, er wollte mit ihr sprechen. So wie sich zur Zeit die Dinge entwickelten, würden sie sich sonst noch völlig entfremden, und wenn er zu lange zögerte, war sie vielleicht schon wieder unterwegs.
Er wusste, dass von einem der oberen Stockwerke ein Quergang in das Hauptgebäude verlief und machte sich auf die Suche danach. Vorsichtshalber klopfte er an den Türen, bevor er sie öffnete. Einige waren ohnehin verschlossen. Er stieß schließlich auf einen Gang, der wieder an zwei Türen endete. Da niemand auf das Klopfen reagierte, öffnete er die erste zügig, stellte aber sogleich fest, dass es die falsche sein musste. Dieses Zimmer war bewohnt; auf dem Tisch, den er als erstes erblickte, stand eine halb gepackte Satteltasche und der Mann, der sich daran zu schaffen machte, blickte zu ihm auf. Er hatte ihn ein paar Mal flüchtig in der Burg gesehen. Keiner von den Winianern. Das wusste er. Irgendein Verbündeter vermutete er. Die Winianer hatten einige Kontakte nach Abhaileon hinein, wie sie behaupteten. Ein harter Mann, das hatte er schon von weitem gesehen. Doch jetzt, als er ihn in der Tür stehen sah, malte sich Unglauben und etwas wie Bestürzung auf dem unvertrauten Gesicht.
Das veranlasste Robin, sich nicht einfach mit einer Entschuldigung zurückzuziehen. „Darf ich eintreten?“ fragte er. Da er auch darauf keine Antwort erhielt, tat er es einfach und zog die Tür hinter sich zu.
„Mein Name ist …“, begann er.
„Ich weiß, wer und was Ihr seid“, antwortete der andere mit einem rollend-schleppenden Akzent.
„Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich habe“, sagte Robin einfach. „Asrain folgt meinen Schritten meist mit großer Anhänglichkeit. Ich weiß auch nicht, wer oder was Ihr seid. Aber ich brauche ein paar Antworten. Die dringendste ist: Wo ist Béarisean von Sliabh Eoghaí?“
„Das ist vermutlich kein großes Geheimnis mehr“, sagte der andere zögernd. „Er ist auf Corimac mit dem Rest des abhaileonischen Heeres. – Ich bin Pat.“
Robin atmete erleichtert auf. „Er lebt also wirklich“, sagte er. „Preis und Dank dem König !- Und Ihr. Ihr arbeitet mit den Winianern zusammen. Haltet Ihr sie also für vertrauenswürdig?“
Pat lachte kurz auf. „Da könnt Ihr eher noch mir vertrauen. Was ich Euch, ehrlich gesagt, nicht empfehlen möchte. – Ich denke, jetzt hätte ich das Recht zu einer Gegenfrage.“
„Mehr als fair“, stimmte Robin zu. „Was ist es, das ich Euch sagen könnte?“
Pat wandte sich abrupt von ihm ab. „Wir sollten nicht miteinander sprechen“, sagte er dann. „Geht!“
„Ihr hattet eine Frage“, beharrte Robin. Er fühlte, dass in dem anderen ein Kampf tobte.
Pat sah ihn nicht wieder an, sondern fing an seine Tasche weiter zu packen. Doch schließlich war die letzte Schnalle angezogen und Robin wartete immer noch schweigend an der Tür.
„Alandas“, begann Patris und brach wieder ab. Eine weitere Minute verging. „Die dort.“ Wieder schwieg er, um sich dann schließlich doch noch durchzuringen. „Inwieweit ...“ Auf dem Flur klangen schnelle Schritte auf.
Robin und Pat wechselten einen Blick und beide sahen, dass der jeweils andere den Atem anzuhalten schien.
„Asrain“, vermutete Robin missmutig. Er hauchte den Namen nur.
Aber Pat schüttelte den Kopf. „Schlimmer“, flüsterte er zurück. Sein Blick wurde wieder hart und seine Stimme laut. „Geht! Ich wiederhole mich ungern.“
„Entschuldigt“, sagte Robin. „Ich war nur auf der Suche nach dem Übergang und dachte ...“ Er hatte die Hand auf der Klinke und wandte sich halb um, als die Tür von außen geöffnet wurde. „Wir begegnen uns letzthin oft“, begrüßte er Akan. „Ist dies hier also der Übergang zum Hauptgebäude?“ Er nickte in Richtung der zweiten Tür.
„Das ist er“, sagte Akan höflich. „Ihr kennt Herrn Erendar?“
Robin schüttelte den Kopf. „Nicht einmal diesen Namen“, sagte er. „Ich suchte den kürzesten Rückweg von der astronomischen Kuppel und wählte die falsche Tür.“
„Beeilt Euch besser“, meinte Akan. „Euch sucht Eure Kusine. Vermutlich wartet sie jetzt auf Euren Zimmern. Ich versprach, mich nach Euch umzusehen, während ich meinerseits versuchte, Herrn Erendar aufzustöbern, der schon länger erwartet wird.“
„Sie hätte bei Asrain nachfragen sollen“, meinte Robin trocken.
Akan lächelte flüchtig. „Das hat sie sogar. Aber Lord Asrain ist etwas indisponiert heute morgen und daher mit seinen Verpflichtungen ein wenig im Verzug.“
„Und wer erwartet mich so dringend?“ erkundigte Pat sich. „Unser Aufbruch ist erst für in einer halben Stunde anberaumt, soweit ich mich erinnere.“
Robin hörte die Antwort nicht mehr. Der Rest des Weges war leicht zu finden, und er hatte eigentlich jeden Grund, nun besserer Laune zu sein. Béarisean war in der Nähe, und Isabell wartete auf ihn. Nun sollte sich eigentlich alles richten. Doch irgendwie wollte keine Freude aufkommen. Es war, als wäre eine unwiederbringliche Chance vertan worden, dort oben bei Pat. Doch er wusste nicht welche. Vielleicht hätte er nach Hibhgawl fragen sollen. Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Alandas war es gewesen, über das Pat hatte reden wollen. Dieser Pat, der sagte, er solle ihm nicht vertrauen, und ihm dann in zwei kurzen Sätzen mehr Aufschluss gab als alle winianischen Lords in Wochen.
Schwungvoll öffnete er die Tür zu seinen Zimmern und sah seine Kusine am Fenster stehen. „Isabell“, begann er, „wie gut, dass wir uns endlich doch noch ...“ Sie hatte sich lächelnd zu ihm umgedreht. Sie trug Reitkleidung; das tannengrüne Kleid, mit dem sie schon in Carraig angekommen war und das so ausgezeichnet zu ihren dunkelroten Haaren passte. Aber was sie in den Händen hielt, ließ ihn erbleichen. „Der Bogen Colins“, sagte er flach.
Isabell lachte glücklich. „Ja, der Bogen Colins. Weißt du, dass Elianna ihn damals zu Colin von Donnacht brachte, bevor die große Schlacht geschlagen werden konnte? Ich werde kein Schwert aus Alandas brauchen.“
„Wie kommst du dazu?“ fragte Robin besorgt.
„Er war hier auf Carraig“, begann sie.
„Ich weiß“, sagte Robin hart. „Etwas ist damit nicht in Ordnung. Béarisean wollte ihn nicht anrühren.“
„Béarisean ist verschwunden“, wandte Isabell ein.
„Béarisean ist auf Corimac“, entgegnete Robin. „Wenn jemand das Recht hätte, diesen Bogen zu benutzen, dann er. Bring ihn zurück, wo du ihn her hast.“
„Jetzt hör mal“, sagte Isabell ärgerlich. „Der Bogen ist schon seit Jahren im Besitz des Fürsten. Er hat ihn gesichert, weil er eine wichtige symbolische Bedeutung hat. Es geht jetzt darum, Abhaileon zu retten und man hat befunden, dass es passend sei, dass ich, die ich Elianna nicht unähnlich bin, ihn jetzt trage, bis die Entscheidung fällt. Es ist ja kein reiner Zufall, dass ich hierher gekommen bin.“
„Nein, es war eine geplante Entführung.“
„Ja. Gut. Das war es. Aber warum?“
„Sicher nicht, weil es außer dir keine rothaarigen Frauen hier gibt!“ sagte Robin aufgebracht. „Du hättest dich aus dieser ganzen Geschichte besser herausgehalten. Es war schlimm genug, dass ich hierin verwickelt wurde. Jetzt muss ich mir noch zusätzlich Sorgen um dich machen!“
„Ach? Herzlichen Dank! Aber spar dir die Sorgen. Ich kann bestens selbst für mich sorgen“, Isabell kam allmählich in Fahrt. „Du sitzt hier nur herum und bemitleidest dich selbst, weil deine Vorstellungen sich nicht verwirklicht haben. Du benimmst dich absolut unleidlich gegenüber allen hier, gleich wieviel man sich um dich bemüht. Du sperrst dich aus Gründen, die nicht einmal du selbst formulieren kannst dagegen, helfend einzugreifen. Du lässt lieber ein ganzes Land in den Krieg gleiten als etwas zu tun.“
„Und du“, rief Robin zornig, „bist irgendwann im Verlauf dieser Wochen größenwahnsinnig geworden und willst Elianna sein. „Du hast überhaupt keine Ahnung, was hier gespielt wird! – Und du bist kein Ritter des Königs! Dieser Bogen zählt gar nichts.“
„Du willst es mir nur nicht gönnen!“ schrie sie zurück. „Was wenn dir der Bogen angeboten würde?“
„Ich brauche keinen Bogen. Ich habe mein Schwert!“
„Eben. Aber du setzt es nicht ein! Darum komme ich als Ersatz!“
„Lass die Finger davon! Und außerdem, Elianna trug eines der drei Schwerter.“
„Vielleicht bekomme ich noch eines. Deine zwei Mitkämpfer scheinen ja genau so zu versagen wie du!“
„Nur der König hat das Recht, diese Schwerter zu vergeben!“
„Der König“, antwortete Isabell trocken. „Mag sein. Aber er tritt ja nicht selbst in Erscheinung. Er spricht nicht so, dass jemand es hören kann. Ríochan ist dir gegenüber als sein Dolmetscher aufgetreten, wenn man es genau betrachtet. Vielleicht hat Barraid ja dasselbe Recht.“
„Hat Akan dir das weisgemacht?“
„Unsinn. Ich brauche ja nur hinzuhören, um mir ein Bild machen zu können.“
„Ein vollkommen einseitiges Bild. Du hörst nur, was diese Winianer sagen.“
„Na und. Es sind schließlich gebildete und vernünftige Leute. – Und Akan ist der intelligenteste Mensch, dem ich je begegnet bin.“
„Aha!“
„Was soll das bitte sehr heißen?“
Robin verschränkte die Arme. „Er war gestern nach Mitternacht auf deinem Zimmer!“
„Ich weiß wirklich nicht, was das dich angeht!“
„Aha!“
Isabell war fast sprachlos vor Wut. „Deine Anspielungen sind das allerletzte!“
„Welche Anspielungen?“ wollte Robin kühl wissen. „Ich habe nur ‚aha’ gesagt.“
„Aber wie du es gesagt hast!“ fauchte Isabell. „Du bist nur neidisch oder eifersüchtig oder beides! Weil er besser ist als du! In ziemlich allem! Er kümmert sich wenigstens um mich.“
„Dann verschwinde doch zu ihm!“ Robin bedauerte diese Worte fast augenblicklich. Er wusste, dass es falsch war, sich hier weiter anzugiften und Vorwürfe zu machen. Er wusste, dass sie ruhig miteinander hätten reden sollen. Dennoch konnte er nicht mehr das einmal eingeschlagene Gleis verlassen. „Irgendwann wirst du schon merken, dass er nur deiner Geltungssucht schmeichelt. Spätestens wenn er dich fallen lässt, weil du deinen Zweck erfüllt hast. Aber wenn du die Erfahrung brauchst. Nur zu! Für mich machst du sowieso nur alles schwerer!“ Zum Teufel auch. Das stimmte alles. Es war die absolute Wahrheit. Vielleicht kapierte sie es ja nur, wenn man sie so frontal darauf stieß. Irgendeine innere Stimme meldete zwar Proteste gegen diese Argumentation an, aber inzwischen war er zu wütend, um darauf zu hören.
Statt etwas zu entgegnen, sah ihn Isabell eine Weile nur schweigend an. In ihren Augenwinkeln glitzerte es etwas. Kein Zorn, obwohl auch der auf ihrem Gesicht lag. Dann ging sie an ihm vorbei zur Tür. „Dann wäre ja alles klar“, sagte sie sehr ruhig. „Gut für dich, dass wir uns sowieso eine Weile nicht mehr sehen.“ Der Knall mit dem die Tür ins Schloss fiel, strafte den ruhigen Tonfall Lügen.
Robin blieb stehen, wo er war. Sie hatten sich noch nie gestritten. Noch nie. In ihrem ganzen Leben nicht. Sie hatten nicht einmal Geheimnisse voreinander gehabt. Ihre Freundschaft war so selbstverständlich gewesen, dass er nie auch nur viel darüber nachgedacht hatte.
Er ging an den Tisch, nahm eine einfache Tonschale, von der es hunderte in der Burg gab, hob sie hoch und ließ sie mit Wucht auf die Steinfliesen fallen. Sie zerbrach in ein paar große Teile und etliche kleinere Scherben. Eine Weile betrachtete er sie. Dann ließ er sich auf die Knie nieder, sammelte die Bruchstücke ein und setzte sie provisorisch aneinander. Es blieben Lücken. Feine Lücken, die als winzige Bruchstücke über den Großteil des Zimmers zerstreut lagen. Vorsichtig legte er die großen Scherben auf den Tisch, und begann die kleinen Trümmer einzusammeln. Nach einer Weile gab er es auf. Es würde einen Besen brauchen, und selbst dann mochten sich noch eine Weile lang immer wieder kleine Splitter finden lassen.
Er setzte sich auf das Bett und vergrub das Gesicht in den Händen. Noch nie war die Einsamkeit auf Carraig so bitter erschienen. Denn jetzt würde sie selbst dann andauern, wenn er zurück nach Arda kommen sollte. Es gab nicht viele gute Freundschaften. Vielleicht würden sich auch hier die großen Scherben noch einmal zusammenfügen lassen. Doch die kleinen Splitter niemals. Etwas war auf immer zerbrochen. Wohin Isabell jetzt wohl aufbrach? Er hatte sie nicht einmal danach gefragt. Sicher begleitete sie Akan und jenen Pat, in dessen Zimmer er so unerwartet geraten war. Es war unwahrscheinlich, dass die Winianer vorhatten, sie in Kampfhandlungen zu verstricken, eher irgendwelche politischen Manöver mit dem Bogen des Drachentöters. Béarisean würde sich sicherlich auf nichts davon einlassen.
Er wünschte, er selbst wäre jetzt im Lager auf Corimac. Ohne Zweifel im Herzen. Im Einsatz für Abhaileon, im Auftrag des Fürsten von Alandas, als Ritter des Königs. Mit Carraig und seinem Fürsten als dem finsteren Gegner und Béarisean und jenem tollkühnen Hauptmann aus Croinathír an seiner Seite. Ob Dorban auch dort war? Es wäre gut gewesen zu wissen, dass er Cardolan nicht für nichts und wider nichts hatte durchleben müssen.
Auf Corimac stand mittlerweile ein Heer. Das war ihm mitgeteilt worden. Und in Eannas weit im Süden tobte ein Bürgerkrieg. Das war schon länger bekannt. Der Fürst behauptete, dass das der erste Vorbote von weiteren Bürgerkriegen und Rebellionen war, die bald im ganzen Land aufflammen würden. Er hätte Pat auch dazu befragen sollen. Oder vielleicht gelang es ihm noch, mit einem der anderen Abhaileoner in Carraig zu sprechen. Es waren nicht viele, und die anderen hätte er nicht einmal vom Sehen her gekannt. Natürlich waren sie mit den Winianern verbündet, aber jede noch so geringe Information würde ihm wertvoll sein.
Dieser elende Streit gerade eben. Warum hatte er Dinge gesagt, von denen er wusste, dass er sie nicht aussprechen sollte? Warum hatte er sie in einem Tonfall gesagt, der ein Zerwürfnis geradezu heraufbeschwor? Es war wie ein Rausch gewesen. Auch wenn er mit vielem, vielleicht allem, Recht gehabt hatte, es war falsch gewesen, es auszusprechen. Das sah er jetzt ein. Es war, als dränge ein unheilvoller Einfluss ihn in den letzten Tagen ständig, das Falsche zu wählen. Während er eine Entscheidung traf, schien alles ganz klar und logisch zu sein. Doch sobald die Entscheidung gefällt war, blieb ein übler Nachgeschmack, ein Unbehagen, das er nie zuvor gekannt hatte.
So im Sitzen konnte er nicht nachdenken. Es half immer, dabei hin und her zu gehen. Und er musste herausfinden, was in den letzten Tagen so entscheidend anders gewesen war. Sorgfältig versuchte er die genauen Abläufe zu rekonstruieren. Es hatte zweifellos an jenem Nachmittag begonnen, als sie zu der ersten Besprechung mit dem Fürsten gerufen worden waren. Bis dahin war Isabells Anwesenheit trotz aller anderen Probleme eine Erleichterung gewesen, aber seitdem stand sie auf der Seite der Winianer, wie es schien. Welche Ironie. Er war es doch, der Barraid trotz seiner eigenen Vorbehalte mehr Vertrauen versprochen hatte.
Sein Blick fiel nach draußen und er blieb stehen. Die Wolken hatten sich verdichtet und doch drang direkt über Carraig, genauer gesagt über dem Höhenrücken, an den sich die Festung schmiegte, das Sonnenlicht wie Speere von Lichtbündeln durch. Ein Strahl verirrte sich sogar bis in sein Zimmer, brach sich an etwas und malte einen kleinen Regenbogen an eine Wand. Eine Erinnerung regte sich. Säulen von farbigem Licht in der Halle in Bailodia an einem Morgen in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben. Die Sehnsucht dorthin zurück war wie ein tiefer Schmerz, so übermächtig, dass er alles andere vergaß und sich dort an dem Fenster auf die Knie sinken ließ und wartete bis Worte aufstiegen, die dem, was in ihm brannte, Ausdruck geben konnten.
„Mein König“, sagte er schließlich. „ich kann dein Licht nicht sehen, ich kann deine Gegenwart nicht fühlen. Aber du bist da. Ich weiß es. Mein König, ich brauche deine Hilfe. Ich sehe nichts mehr klar. Ich weiß nicht mehr, was wirklich um mich herum geschieht. Bitte zeige mir die Richtung. Bitte! Ich fühle mich so einsam und verlassen.“ Müde stützte er die Stirn gegen den Fensterrahmen und wartete auf eine Antwort. Irgendeine Antwort. Selbst als seine Knie anfangen wollten zu schmerzen, beachtete er es nicht. Er hielt den Schmerz in seinem Herzen dagegen und die andere Wahrnehmung verblasste im Vergleich. Er brauchte eine Antwort. Er brauchte sie so notwendig wie die Luft zum Atmen! „Wenn es möglich wäre“, flüsterte er in die Stille hinein, „würde ich aufhören zu atmen, würde den Schmerz in den Lungen gegen den Schmerz in meinem Herzen halten, aber ich weiß, dass ich dann nur die Besinnung verlieren würde, und nichts würde sich ändern. Sprich, mein König, sprich, was immer du willst. Aber sprich!“
Langsam, sehr langsam fühlte er eine Änderung kommen. Wie Kühlung in der Hitze, wie Balsam auf einer Wunde, wie Wärme in der Kälte. Er überließ sich dem Eindruck, versuchte sich ihm ganz hinzugeben.
„Eine seltsame Art zu schlafen.“ Das war Asrains Stimme. Robin brauchte einen Moment, um sich wieder ganz über die Situation klar zu werden. Vielleicht war er wirklich dabei eingeschlafen gewesen nach der vorangegangenen kurzen Nacht. Er hob den Kopf und fühlte, dass die Mauerkante einen Abdruck auf seiner Stirn hinterlassen haben musste. Schmerz flammte in seinen Beinen auf, als er aufstand, doch er zwang sich, ihn zu ignorieren. Er erwartete ein spöttisches Lächeln auf Asrains Lippen zu sehen. Aber der Lord wirkte auch nicht gerade, als sei dies einer seiner besten Tage. Er schien fast bedrückt. Dennoch flammte Zorn in Robin auf. „Ihr könntet nächstens anklopfen! Ihr stört!“
Asrain machte eine beruhigende Bewegung. „Ich habe angeklopft. Ich wollte mich nur noch vergewissern, dass Ihr wirklich nicht da seid.“
„Worum geht es?“ fragte Robin müde und ohne sich für die Heftigkeit seiner vorigen Worte zu entschuldigen. „Ist es auch für mich an der Zeit aufzubrechen? Ich hatte heute morgen den Eindruck, es sei so weit.“
Asrains Blick wurde aufmerksamer. „Noch nicht ganz. In fünf Tagen vermutlich. Seine Hoheit wollte Euch deswegen sprechen.“
„Sagt ihm, ich sei indisponiert“, sagte Robin gleichgültig.
„Es wäre unklug ...“, begann Asrain.
„Wäre es das?“ unterbrach Robin ihn kühl und doch heftig. „Gibt es für mich noch kluge Entscheidungen? Soll er doch die Maske endlich fallen lassen. Es wäre mir recht. Was soll ich denn fürchten? Den Tod? Manchmal scheint mir, ich lebe nicht mehr seit Cardolan!“
Asrain schüttelte den Kopf. „Wir hatten gehofft, Ihr vertrautet uns inzwischen mehr. Ich habe ungeschickt formuliert. Bitte habt das Entgegenkommen, dem Wunsch des Fürsten zu entsprechen!“
„Nein“, sagte Robin. Seine Stimme war wieder farblos. „Nicht jetzt.“ Er setzte sich auf einen der zwei Stühle am Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand. „Es wäre für mich wenig sinnvoll, gerade jetzt ein Gespräch zu führen. Ihr werdet mich entschuldigen müssen.“
Auch der Lord schien jetzt verärgert. Er beherrschte sich jedoch. „Ganz wie Ihr wünscht!“ Mit einem letzten missmutigen Blick ging er.
Robin legte die Arme auf den Tisch und ließ den Kopf darauf fallen. „Alles zerbricht“, sagte er leise. Und nie berührte er auch nur das Schwert an seiner Seite.
Es dauerte nicht allzu lange, bevor er erneut gestört wurde. Er hörte das kurze Klopfen an der Tür, aber antwortete nicht. Erst als geöffnet wurde, sah er auf. Es war Barraid selbst, der zu ihm kam.
Barraid schloss die Tür hinter sich und blieb stehen. Er betrachtete den Ritter eine Weile schweigend. Seine Augen war dunkel und unergründlich wie stets. Robin begegnete dem Blick ohne jede Regung. Eigentlich sah er durch den anderen hindurch, als wäre er nicht da. Weder richtete er sich ganz auf, noch nahm er die Arme vom Tisch.
„Was ist der Grund für soviel Niedergeschlagenheit?“ erkundigte Barraid sich schließlich.
„Warum sollte Euch das interessieren?“ gab der Ritter zurück. „Ihr wolltet mir etwas mitteilen?“
„Das wollte ich. Darf ich Platz nehmen?“
Robin zuckte die Schultern. „Es ist Eure Burg.“
„Ihr seid mein Gast“, sagte Barraid, als er ihm gegenüber saß. „Nicht ganz freiwillig, dass will ich nicht abstreiten. Dennoch mein Gast und was die Verhältnisse in Abhaileon angeht, stehen wir an Rang annähernd auf einer Stufe.“
„Als nächstes sagt Ihr noch, wir seien fast Freunde“, entgegnete Robin bitter.
„Freunde.“ Der Fürst schien darüber nachzudenken. „Freundschaft kann auf vielerlei Art definiert werden. Manchmal ist es nur das Gegenteil von Feindschaft. In manchen Sprachen bezeichnet es eine Art von Verwandtschaft. Manchmal ergibt es sich auch einfach daraus, dass beide Parteien dem gleichen Ziel dienen.“
„Und trifft auch nur eines davon hier zu?“ gab Robin zurück.
„Ihr hattet mir ein Minimum an Vertrauen zugesagt.“
„Ich sagte, ich wolle auf sinnloses Misstrauen verzichten“, korrigierte Robin. „Béarisean ist auf Corimac! Warum wurde mir das nicht mitgeteilt, wenn wir doch angeblich so gute Verbündete sind?“
„Wenn es das ist, was Euch belastet“, Barraid schien erleichtert. „Lord Lùg brachte gestern die Nachricht, als er von einem Treffen mit einem der abhaileonischen Fürsten zurückkehrte. Sollte er es Euch direkt erzählt haben?“ Der Fürst runzelte die Stirn. „Ich hatte es Euch eigentlich selbst mitteilen wollen. Gestern Abend war es schon spät. Doch da ich wusste, wie sehr Euch daran liegt, von seinem Schicksal zu erfahren, ließ ich Euch bei erster Gelegenheit zu mir rufen. Und als Ihr ausrichten ließet, Ihr seid unpässlich, beschloss ich, Euch selbst aufzusuchen. Nun, war es Lùg?“
„Nein“, sagte Robin verwirrt. „Jemand anderes.“
„Es tut auch nichts zur Sache“, meinte der Fürst leichthin. „Wie kamt Ihr denn darauf, die Nachricht solle Euch verschwiegen werden?“
Robin spürte, dass ihm das Blut ins Gesicht stieg. „Genau genommen hatte ich darüber noch nicht viel nachgedacht. Ich war nur aufgebracht, weil es eine Art Allgemeinwissen zu sein schien und ich nichts davon wusste, und bevor ich genauer nachforschen konnte, wurde meine Aufmerksamkeit anderweitig abgelenkt.“
„Ah“, sagte Barraid. „Besteht da ein Zusammenhang, dass Lady Isabell aus der Fassung wirkte, als sie heute morgen aufbrach? Ich wechselte ein paar letzte Worte mit Lord Akan, da fiel es mir auf.“
„Es besteht ein Zusammenhang“, sagte Robin abweisend, „und es ist eine vollkommen private Angelegenheit.“
„Dann entschuldigt, dass ich es erwähnte.“
Abonnieren
Posts (Atom)