Dienstag, 2. November 2010

Die Begegnung


DIE BEGEGNUNG

Es war in der Mitte des Tages.
Ich kam an das Ufer eines Flusses.
Das Blau des Wassers und das Grün des Ufers wirkten matt im gleißenden Licht.
Der Sommer war nicht mehr jung und noch nicht alt.

Es war in der Mitte des Tages.
Das Licht war hell.
Ich kam an das Ufer eines Flusses.
Ich weiß nicht mehr, wohin ich ging.
Vielleicht wußte ich es auch damals nicht.
Ich erinnere mich, auf das Wasser zu blicken.
Ich erinnere mich, zu denken, daß der Strom zu breit ist, ihn zu überqueren.
Ich erinnere mich, daß die Burg des Königs im Land zu meiner Linken lag.
Weit weg und das war gut.

Es war in der Mitte des Tages.
Ich kam an das Ufer des Flusses.
                                                               - Und als ich aufblickte, stand dort der Sohn des Großen Königs.

Ich kam an das Ufer des Flusses.
Ein Rebell hat nicht viel zu verlieren.
Ohne Heimat, ohne Hoffnung - nur meine Freiheit.
Doch hatte ich sie wirklich?

Ich kam an das Ufer des Flusses.
Ich hatte dem König nie gedient.
Es war nicht, daß ich ihn haßte.
Es war nicht, daß ich gegen ihn stehen wollte - falls ich überhaupt könnte.
Es hatte sich eben so ergeben:
In einer Welt ohne Liebe
muß jeder selbst sein Recht finden.
Und Könige wollen, daß ihr Recht gilt.

Ich kam an das Ufer des Flusses.
Ich wußte, daß ein Rebell den Tod verdient.
- in einem Land, in dem es kein Exil gibt.
Ich hatte versucht, dem König aus dem Weg zu gehen.
Ich wollte nicht gegen ihn stehen.
Ich wollte nicht unter ihm stehen.
Ich wollte nur dies eine behalten, das er mir einst gegeben hatte:
meine Freiheit.

Es war in der Mitte des Tages.
                                                               - Und als ich aufblickte, stand vor mir der Sohn des Großen Königs.

                                                               Er kam nicht in Waffen.
Darum konnte ich nicht nach meinem Schwert greifen.
Wie sich wehren, wo kein Angreifer ist.
                                                               Er stand nur da, als habe er mich gesucht.
                                                               Er sah mich an.
Ich wußte nicht wirklich, was tun,
darum verbeugte ich mich höflich.
Ich wußte ja: Er war mein Herr,
ob ich es anerkannte oder nicht.

In der Mitte des Tages...
am Ufer des Flußes ...
Ich hatte ihn nicht vermutet auf meinem Weg.
Ich wußte nicht was tun ...

                                                                                              Er sagte:
                                                                                              "Ich habe nach dir gesucht.
                                                                                                Ich habe einen Auftrag für dich."

Es war in der Mitte des Tages.
Ich kam an das Ufer des Flusses.
Ich dachte, das kann nicht sein.
Er muß wissen, wer ich bin!
Wieso weiß er nicht, wer ich bin?
Ich werde ihm sagen, wer ich bin.
Ich muß ...
Was geschieht hier nur?

Ich sagte: Herr, ich war nie einer deiner Diener.
                                                                                              Er sagte: Ich weiß, aber ich möchte, daß du mir jetzt dienst.
Ich sagte: Aber ich bin ein Rebell!!
                                                                                              Er lächelte nur, als sei ich sein Freund.
                                                                                              Er sagte freundlich,
                                                                                              Er sagte so ganz leichthin:
                                                              Vielleicht ist es ein Rebell, was ich suche.

Es war in der Mitte des Tages.
Ich kam an das Ufer des Flusses.
                                                                              Als ich aufblickte, stand dort der Sohn des Großen Königs.
                Ein Rebell hat nicht viel zu verlieren.
                Ich hatte dem König nie gedient.
                Ich dachte, der König will sein Gesetz.
- Aber der König wollte mich.

Es war in der Mitte des Tages.
Die Wellen auf dem Fluß waren nur kleine Kräusel.
Doch die Welle, die mich überflutete, war höher als die Wipfel der Bäume.
Er hätte mich töten können - hier sofort.
Er hätte mich gefangennehmen können.
Was hätte ich schon tun können.
                                                                              Aber er sprach nicht davon.
Kein Vorwurf.
Keine Ermahnung.
                                                                              Er sprach, als sei ich sein Gefolgsmann.
                                                                                              Er sprach, als sei ich ein Freund.
                                                                                                              Er sprach, als könne ich ihm einen Gefallen tun.

Es war in der Mitte des Tages.
Der Tag war hell von Licht.
Vor mir stand der Sohn des Großen Königs.
Ich begriff nicht viel.
                Aber ich begriff, daß ich vor dem einen stand, dem zu dienen sich lohnte.
Vielleicht begriff ich auch nichts.
                Aber die Härte in meinem Herzen schmolz schneller als der Flügelschlag eines Vogels dauert.
Ich begriff wirklich nichts.
                Aber da war diese Liebe in mir.
                Da war diese Freundschaft zu mir.
                               Und ich wollte geben, was ich hatte, um hinter dieser Größe nicht zurückzustehen.

Er hatte keine Geste der Unterwerfung verlangt.
Er hatte nichts verlangt.
                Warum habe ich dann den Boden vor ihm geküßt?
                 Warum habe ich ihm dann mein Schwert zu Füßen gelegt?
                  Warum habe ich ihm dann ewige Treue geschworen?
                   Warum habe ich dann gesagt, ich wolle sein Sklave sein, auf ewig,
                               - wenn er mich nur nimmt?
                     Warum habe ich gesagt, er könne alles mit mir tun, mir alles befehlen?
                      Warum habe ich alles andere vergessen außer ihm?
                       Warum habe ich nichts mehr gesehen außer Ihm?

                                                                           Er war so sehr der Herr.
                                                                            Er war so sehr König.
                                                                            Er war so sehr Größe.
                                                                            Er war wie ein Freund.
                                               Wie paßt die Sanftheit des Lammes zur Macht des Löwen?

Vielleicht gibt es auf manche Warums keine Antwort.
Und Liebe ist einfach anders.
Und wenn du an einem heißen Sommertag an einem Flußufer
dem Sohn des Großen Königs begegnest,
vielleicht ist dann einfach alles anders,
weil er so anders ist.
So anders als wir.
Weil unsere Freiheit nur gemacht wurde,
daß wir etwas haben, das wir ihm geben können.

                                                                                                                                             In der Mitte des Tages.
                                                                                                                                             Am Ufer des Flußes.

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