Sonntag, 2. Januar 2011

Schwarzes Pferd I - Kapitel 1.4


Robin ließ sich Zeit, um die Fassung wieder zu gewinnen. Aus Erfahrung wusst er, dass ein solcher  Schock dem nach einer Verletzung nicht unähnlich war. Wer zu früh aufstand, riskierte es, dass der Kreislauf zusammenbrach. Er spürte den Schmerz noch nicht, der später kommen würde. Er konnte auch nicht einordnen, was die Tragweite dieser seltsamen Begegnung sein würde. Aber er wusste, dass das taube Gefühl in ihm nur wie eine Deckplatte über den aufgewühlten Emotionen war. Jemand hatte ihm die Erfüllung seiner Träume angeboten. Das, auf das er im Grunde sein Leben aufgebaut hatte, und er hatte es ausgeschlagen. Weil sein Leben noch auf einem anderen Grund aufbaute. Er hatte geglaubt, beide vereinbaren zu können, und nun war das Erdbeben gekommen und hatte sein Gebäude in Trümmer gelegt.
Lange saß er da und versuchte, seine Gedanken zu ordnen, ohne zu einem Ergebnis kommen zu können. Es war schon lange dunkel geworden, als ihn die Türklingel aufschreckte.

Er erwartete, den Fremden, der sich Kurt nannte, wiederzusehen, doch vor der Tür stand der andere, Béarisean.
„Ich werde meine Entscheidung nicht ändern“, sagte Robin ruhig.
Der andere blickte ihn leicht verwundert an. „Das ist erfreulich. So wie ich Kurt kenne, würde ich ihn nämlich nicht mehr finden können.“
Robin stutzte mit einem Blick auf die Satteltaschen, die der andere auf dem Boden abgestellt hatte. „Du hast ihn nicht mehr getroffen? Du bist gar nicht fort geritten?“
„Doch. Natürlich. Ich musste das Pferd wegbringen. - Er sagte, du seist es. Darum bin ich hier.“ Jetzt zögerte auch er. „Du wusstest nicht, dass ich kommen würde?“
Robin schüttelte den Kopf.
„Darf ich trotzdem eintreten?“
Robin zögerte. „Nur unter einer Bedingung: Versuche nicht, mich zu etwas zu bewegen, das ich als Verrat betrachte.“
Béarisean betrachtete ihn nun sichtlich verwirrt. „Ich weiß kein Wort von dem, über das ihr gesprochen habt. Kurt bestätigte nur, dass du der Gesuchte bist.“
„Und warum bist du dann hier, wenn nicht, um mir zuzureden?“ Es war kalt draußen, Robin gab den Weg in seine Wohnung frei.
„Ich bin hier, weil wir den Weg nach Abhaileon  finden müssen. Zusammen. Kurts Auftrag war erfüllt, sobald du gefunden warst. – Wieviel hat er dir gesagt über alles Weitere?“
„Nichts“, sagte Robin. „Er wollte, dass ich nach Abhaileon gehe. Aber ich habe andere Verpflichtungen.“

„Was auch immer es ist“, sagte Béarisean. „Ich werde mich mit dir um diese Verpflichtungen kümmern. Du musst nach Abhaileon gehen. Du bist ein Ritter des Königs.“
Robin fasste ihn an der Schulter und drehte ihn in Richtung des Bildes, das schon Kurt früher am Tag eingehender betrachtet hatte. „Das ist mein König.“
Béarisean nickte. „Ich weiß. Arda ist eine seltsame Welt. Ihr habt sein Bild, und doch kennen ihn weniger Menschen als bei uns in Abhaileon. “ Er verbeugte sich vor der Darstellung. „Ehre seinem Namen“, sagte er ernst.

Robin starrte ihn eine Weile ungläubig an und versuchte, diese Aussagen einzuordnen. „Wer ist dieser Kurt?“ verlangte er dann zu wissen.
Béarisean breitete ein wenig resigniert die Arme aus. „Ein Ardaner wie du, soweit ich weiß. Vielleicht auch nicht. Wer er tatsächlich ist, hat er mir nie verraten. Estohar vertraute ihm. Darum habe ich ihm vertraut, und ich glaube, er hat mich gut beraten. Und immerhin hat er mir geholfen, dich zu finden.“
„Estohar? Egal. Wir können das ein andermal klären. - Und dieser Kurt sagte, ich sei ein Ritter des Königs?“
„Höchstwahrscheinlich, meinte er, und dass du vermutlich sogar deiner Aufgabe gewachsen wärst.“

Robin ließ ging zu einem Sessel und ließ sich hineinfallen. „Dann war das, was er zu mir sagte, wohl eine Prüfung“,stellte er fest. „Was ist wirklich mit dem schwarzen Pferd?“
Béarisean folgte Robins  Beispiel und setzte sich, wenn auch zögernder. „Welches schwarze Pferd?“ erkundigte er sich.
„Das aus Breannains Prophezeiung. Die in der ein Rubinschwert vorkommt.“
Béarisean setzte sich sofort wieder gerader auf. „Du weißt mehr als ich. Was noch? Ich kenne nur den Teil, der sich auf mich bezieht und der sagt, dass ich nach Arda muss, um dich zu finden und dass der Feind durch dich fallen wird. Kennst du den Weg, den wir nehmen müssen?“
„Ich kenne gar nichts“, sagte Robin müde. „Dein Begleiter erwähnte nur das Pferd und das Schwert und wollte offensichtlich herausfinden, wie ernst ich es damit meine, dem König zu dienen. Nun, das dürfte er jetzt wissen. Und du?“
„Ich bin fürs erste ein heimat- und unterkunftsloser Flüchtling aus Abhaileon – und, auch wenn es bisher nicht danach aussieht, ebenfalls ein Ritter des Königs.“ Béarisean Stimme zeigte eine Spur von Erbitterung. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für Colin, Elianna und Mharig derart schwierig war. Sie taten einfach, was zu tun war, weil niemand damit rechnete, dass sie überhaupt kommen würden. –Breannain hat uns – bei allem Respekt – einen Bärendienst erwiesen mit seinen Prophezeiungen.“
Robin beschloss endgültig, an diesem Abend nicht mehr zu fragen, wer sich hinter all den fremden Namen verbarg. Er war einfach zu erschöpft. „Sieht so aus, als komme ich doch noch von hier weg, und Abhaileon - das ist doch eine andere Welt?“
„Das ist es“, bestätigte Béarisean mit Nachdruck.
„Gut. Das reicht mir für heute. Ich zeige dir das Gästezimmer. Dann reden wir morgen weiter.“ Er stand auf und lächelte zum ersten Mal. „Willkommen, Ritter. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange ich auf deine Ankunft gewartet habe. Ich wollte schon immer fort von hier.“
Er hielt Béarisean die Hand hin und dieser schlug ein. „Glaub mir, das kannst du dir gar nicht so wünschen wie ich. Auf gute Zusammenarbeit!“

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Festung Carraig,weit  im Osten Abhaileons
“Es geschieht früher, als ich erwartet hatte”, dachte Barraid. Sein Blick drang ohne Mühe durch das Dunkel, das sich um die Festung Carraig breitete. Ein Dunkel, das von der sternenhellen Nacht, die auf die Nordberge Abhaileons herabstrahlte, nicht beeinträchtigt wurde.
Der Gegner musste schließlich doch zur Kenntnis genommen haben, dass die Macht aus Winian schon lange aktiv geworden war und schickte endlich auch seine Leute auf das Spielfeld. Der Fürst lächelte. Das halbe Spiel war dieses Mal schon gespielt und alle anderen Züge vorbereitet.
Jetzt waren sich also die beiden Ritter begegnet. Ein Treffen, das das bestehende Gefüge von Zeit und Geschichte erschüttert hatte. Aber sie waren noch nicht in Abhaileon. Und auch wenn er selbst sich jetzt nicht nach Arda begeben konnte, da die Festung weit im Osten Abhaileons lag im verlassenen Norden der Provinz Dalinie und die Tore nach Arda sich im Westen der Welt befanden, so war doch auch dort bereits alles vorbereitet.
Er wandte sich zur Tür. “Was willst du?” Er hatte Fíanaels Kommen schon lange gespürt, bevor die Schritte auf dem Gang zu hören gewesen waren.
Lord Fíanaels Augen sahen genauso gut im Finsteren wie die des Fürsten selbst. Er verbeugte sich tief: “Béarisean von Sliabh Eoghaí ist mit Anno von Arda zusammengetroffen”, meldete er. Er war nicht überrascht, dass es dem Fürsten keine Neuigkeit war. Dennoch war es sein Auftrag gewesen, diese Meldung zu machen,  sobald geschehen war, was sie zu verhindern gehofft hatten.
“Du weißt, was zu tun ist”, entgegnete der Fürst und winkte ihm zu gehen.  Es wäre besser gewesen, Akan bereits jetzt auf Arda zu haben. Aber daran war nun nichts zu ändern.

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bei der Festung Carraig
Dorban, Lord von Tairg, groß und breitschultrig starrte missmutig zurück auf die Festung Carraig, die sich schwarz und uneinnehmbar auf einem Ausläufer der Nordberge aus den Ebenen von Dalinie erhob. Der Missmut war zu seiner bevorzugten Stimmung geworden in den letzten Monaten.
Von hier unten und aus dieser Entfernung sah man nur den kleinsten Teil der Festungsanlagen. Wieder einmal fragte er sich, wie Barraid das alles in so kurzer Zeit und so unbemerkt von allen hatte errichten können. Nicht einmal Dorban war dessen gewahr geworden, bevor die Burg stand, und Tairg grenzte als einzige Lordschaft Dalinies unmittelbar an Carraig. Auch wenn die Gegend hier von den meisten Leuten gemieden wurde, es musste einiges an Materialtransporten erfordert haben. Die Regenschleier, die jetzt über die Ebene vor den Bergen stoben, passten gut zu Dorbans Stimmung.
“Du wolltest mir noch mitteilen, wohin wir reiten”, erinnerte Durlong, sein grauhaariger vierschrötiger Waffenmeister. “Sobald wir die Festung seiner Hoheit verlassen haben.” Er spuckte auf den Boden.
Dorban riss seinen Blick von Carraig los. “Nach Croinathír”, sagte er barsch. “Estohar plant angeblich etwas, um seine schwindende Machtposition zu stärken, und wir werden das durchkreuzen.”
“Mit vierzig Mann?” merkte Durlong skeptisch an. “Und das in der Hauptstadt?”
“Es ist ein eher diplomatisches Manöver.” Dorban blickte wieder zurück nach Carraig. Barraids Pläne waren manchmal kompliziert – soweit er überhaupt in sie eingeweiht wurde – aber bisher hatte sich die Zusammenarbeit gelohnt. „Und ich werde auf keinen Fall offiziell in Erscheinung treten.“
“Ein langer Ritt”, bemerkte Durlong. “Und man weiß nie, was er als nächstes vorhat.” Sein Tonfall war vollkommen neutral, aber Dorban musterte ihn argwöhnisch.
“Er ist sehr gefährlich”,  antwortete er schließlich. Durlong verstand die unausgesprochene Warnung und enthielt sich weiterer Bemerkungen.
Dorban riss mit einer heftigen Bewegung sein Pferd herum. Er war gereizt, und es war nicht Durlong, der die Ursache dafür war. Die andern folgten ihm in die dichten Wälder, ohne zu zögern. Nur Durlong warf noch einen letzten Blick auf die schwarze Festung, bevor auch er sein Pferd nach Westen gehen ließ. “Ich frage mich, Dorban, ob du dich ihm wirklich verkauft hast, wie einige meinen”, murmelte er. “Und ob du dabei wirklich ein gutes Geschäft machst.”

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