Donnerstag, 30. Dezember 2010

Schwarzes Pferd I - Kapitel 1.3


Für das, was jetzt kommt, dann doch ein weiterer Kommentar. Sowohl Béarisean als auch Robin haben 
je eine bedeutende Schwachstelle, durch die später alles gefährdet werden wird. Beide sind sich vollkommen klar, was es ist´, und sie denken, sie haben es im Griff. Leider ist es umgekehrt. Das stellt sich, wie kann es anders sein, gerade dann heraus, wenn sich auch noch andere Umstände gegen sie verschworen zu haben scheinen. 
 Das folgende Gespräch war eine der schwierigsten Stellen am ganzen Text und brauchte heftige Überarbeitung. Jetzt erscheint es mir erstmals flüssig und nicht gestellt. Die Sprachlosigkeit zu überwinden in Glaubensangelegenheiten, ohne zu offensichtlich zu werden oder zu moralisieren, ist eine echte Herausforderung.
 

Es waren nur wenig mehr als zehn Minuten, um seine Unterkunft zu erreichen. Doch zehn Minuten mit einem schweigenden Fremden trugen nicht unbedingt zu Robins Ausgeglichenheit bei. Er fragte sich besorgt, auf was er sich hier tatsächlich einließ. Was wenn es umWaffengeschäfte ging? Ein Bekannter hatte einmal von seltsamen Dingen erzählt, die ihm widerfahren waren. Wusste er dann jetzt schon zuviel? Andererseits wäre es schon ein sehr merkwürdiges Zusammentreffen, wenn er zufällig die richtigen Antworten in einem ihm unbekannten Code gegeben hätte. Er schickte ein kurzes Stoßgebet zum Himmel, dass alles gut ausgehen würde.

Der Fremde, Kurt, blickte sich scheinbar flüchtig im Wohnzimmer um., bevor er sich einen Sessel anbieten ließ. Ein Getränk lehnte er höflich ab.Auf einer kleinen Ikone blieb sein Blick etwas länger haften als auf anderen Dingen.
„Herr – Kurt?“ erkundigte sich Robin.
„Lassen wir es dabei“, meinte der andere. „Mein Name ist hier unwesentlich. Es geht darum, wer Sie sind.“
„Mein Name ist Ihnen bekannt“, entgegnete Robin. „Doch Sie wollten möglicherweise etwas von mir. Ich kann Ihnen aber nur antworten, wenn Sie auch Fragen stellen. Oder darf ich die Fragen stellen?“
„Eine Pattsituation“, bemerkte der Ältere. „Jede Mitteilung meinerseits könnte eine Information sein, die ich nicht preisgeben darf, wenn Sie nicht der richtige Adressat sind. Und Sie, haben Sie etwas zu befürchten?“
„Nicht dass ich wüsste“, antwortete Robin. „Gut. Stellen Sie die Fragen!“

Der andere beugte sich vor und fasste ihn fest in den Blick. „Meine Frage ist kurz. Wen oder was lieben Sie? Mehr als alles.“
Robin stand auf. „Eine etwas ungewöhnliche Frage für vollkommen Fremde!“
Kurt zuckte mit den Schultern. „Ich stelle sie keinem Fremden. Ich stelle sie Ritter Anno.“
„Ritter Anno“, sagte Robin flach. „Ritter Anno hat darauf eine simple Antwort: Es gibt keinen, den er mehr liebt als seinen Herrn und König.“
„Simpel. In der Tat. Vielleicht zu simpel. – So ein Ritter, woraus definiert er sich? Seine Abstammung? Sein Besitz? Seine Bündnisverpflichtung? Sein Können? Das, für das er verantwortlich ist? Notfalls auch gegen einen König?“
Robin setzte sich wieder und betrachtete stirnrunzelnd seinen Gast. „Der Ritter, von dem ich spreche, ist, was er ist, durch das Wort, das er gegeben hat und das Wort, das ihn zu dem gemacht hat, was er ist.“
Kurt bewegte den Kopf abwägend. „Treue ist essentiell für einen Ritter, sonst wäre er nur ein Söldner.  Aber Bündnisse können aufgelöst und neu geschlossen werden. So wird die Treue nicht gebrochen.“

„Es mag Bündnisse geben, bei denen dies möglich ist“, räumte Robin vorsichtig ein.
Der andere studierte ihn wieder eingehend. „Ich habe Sie vorhin sehr genau beobachtet. Sie haben wirklich auf so eine Begegnung gewartet. Sie würden es wahrscheinlich nicht als reinen Unsinn abtun, wenn ich sagte, es gebe da eine andere Welt, Abhaileon, und es gebe beschreitbare Wege dorthin.“
„Ich würde es nicht völllig ausschließen“, gab Robin zu.
„Nehmen wir an, es wäre, wie ich sagte, und dass dort eine wichtige Aufgabe wartet und dass es schon immer Ihre Berufung war, dorthin zu gehen.“
„Nehmen wir es einmal an“, sagte Robin.
„Nehmen wir weiter an“, fuhr der andere fort, „die Aufgabe dort verlangte, eine Verpflichtung einzugehen, die mit Verpflichtungen nicht zu vereinbaren wäre, die Sie hier eingegangen sind.“
„Und das wäre?“
Der Mann, der sich Kurt nannte, lächelte unverbindlich. „Es gibt nicht nur einen König“, sagte er dann. „Aber niemand kann zweien davon dienen. Sie haben da, denke ich, eine solche Verpflichtung, die aufgekündigt werden müsste.“
Robin benötigte nicht viel Zeit, um alle Möglichkeiten durchzudenken. „Immer vorausgesetzt, wir sprächen von der gleichen Sache“, begann er.
„Vorausgesetzt dem wäre so“, stimmte der andere zu.
„Dann wäre da in der Tat eine Verpflichtung, die ich nicht auflösen würde.“

„Es gibt in Abhaileon eine Prophezeiung“, sagte Kurt. „Sie stammt von Brennain. Aber das meiste ist nur in Sagen überliefert. Drei Dinge warten auf diesen Ritter Anno: große Macht, ein rubinbesetztes Schwert und ein Pferd schwarz wie die Nacht.“

„Ein schwarzes Pferd“, wiederholte Robin und schloss die Augen. Der Fremde konnte das nicht wissen. Darauf hatte er sein ganzes Leben lang gewartet. Davon hatte er in vielen Nächten geträumt und an langen Tagen hatte er darauf gehofft. Selbst das Rubinschwert war ihm nicht ganz unbekannt. Aber es hatte ihm nie viel bedeutet. Noch weniger bedeuteten ihm Versprechen über Macht. Aber das Pferd. Die Freiheit. Die Hoffnung, die sich damit verband. Es war nicht leicht, das alles aufzugeben. Er konnte schon jetzt die Leere füllen, die das hinterlassen würde. – Er schüttelte den Kopf und versuchte das Aufflammen des Gefühles von Verlust zu ignorieren. „Ich werde mein Wort nicht zurücknehmen“, erklärte er.

„Ehrenhaft gesprochen“, sagte der Fremde. „Doch dürfen Stolz und Ehre wichtiger sein, als das, was bestimmt ist? Darf die Ehre gepflegt werden, wenn andere damit mit großer Not bezahlen müssen? Ohne dich, Ritter Anno, wird Abhaileon an den Feind fallen.“
Robin sah ihn halb betäubt an. „Es geht hier nicht um Stolz“, sagte er schließlich. „Sie verstehen einfach nicht.“
„Ich verstehe ganz ausgezeichnet“, entgegnete Kurt. „Von deiner Entscheidung hängt das Schicksal einer Welt ab und aller, die dort leben.“

Robin kämpfte, um noch klare Gedanken fassen zu können. Es war nicht einmal die ihm unbekannte Welt, die ihm so plötzlich aufgelastet worden war. Von ihr hatte er bis vor kurzem nicht einmal den Namen gehört gehabt. Und was das nun über ihn aussagte, dass ihm das Schicksal dieser Welt so wenig bedeutete, darüber dachte er jetzt lieber auch nicht nach. Später mochte die Verantwortung schwerer auf ihm lasten, aber was ihn jetzt fast zerbrach, war das Scheitern der alten Träume. „Sie müssen gehen!“ sagte er entschlossen. „Wie Sie sagten, es wird meine Verantwortung sein.“

Der Fremde stand auf. „Ich kann später wieder kommen“, bot er an.
„Kommen Sie nicht wieder!“ antwortete Robin. „Ich werde Sie nicht anhören. Es ist nicht möglich.“
Sein Besucher ging ohne weitere Einwände zur Tür. Dort wandte er sich nochmals um. „Béarisean hatte recht“, sagte er und verbeugte sich leicht. „Ritter Anno.“

Robin nahm kaum noch wahr, was der Fremde sagte oder tat. Er wartete nur mit aller Beherrschung ab, dass sich die Tür hinter diesem schloss, bevor er sich, wo er stand, zu Boden sinken ließ und das Gesicht in den Händen vergrub.

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Béarisean empfing den Zurückkehrenden voller Ungeduld. „Er ist es!“ sagte er, ohne einen Bericht abzuwarten.
„Daran können nicht viele Zweifel bestehen“, gab sein Gastgeber zu. „Und möglicherweise ist er sogar der Aufgabe gewachsen, die ihm bevorsteht.“
„Darüber weißt du, wie es scheint, mehr als ich“, bemerkte Béarisean. „Darf ich es nun auch erfahren?“
„Du weißt, was du wissen musst“, antwortete Kurt.
„Und was weiß er?“ drängte Béarisean. „Welchen Weg nach Abhaileon nehmen wir? In den letzten Stunden habe ich begriffen, wie leid ich es bin, auch nur eine weitere Stunde auf Arda zu bleiben. Ich will endlich wieder  nach Hause.“ Seine grauen Augen blitzten. „Es ist an der Zeit.“

Kurt betrachtete ihn nachdenklich. „An der Zeit wofür?“ fragte er dann.
„Ich habe eine Aufgabe“, sagte Béarisean geduldig. „Du weißt mehr davon als ich. Ich werde gebraucht in Abhaileon. Anno wird gebraucht. Wer weiß, was der Gegner dort schon erreicht hat?“
„Wer weiß“, bestätigte Kurt. „Auch ich habe schon längere Zeit keine Nachrichten mehr. Ihr werdet auf keinen Fall, den Weg benutzen können, auf dem du gekommen bist. Er steht schon lange unter Beobachtung.“
„Wie stand es, als die letzte Nachricht kam? Du hast mir nie etwas davon weiter gegeben.“
„Du wirst vieles verändert finden“, sagte Kurt, „Wenn ihr sofort gehen könntet, würde ich dir mehr sagen, aber so ist es besser, wir warten ab. Nur sei darauf gefasst, dass Abhaileon dir fremder geworden sein wird, als du dir vorstellen kannst.“
Béarisean runzelte die Stirn. „Es ist also immer noch nicht Zeit zurückzukehren“, sagte er ernüchtert. „Wie lange noch?“
„Wir müssen abwarten. Der König wird es zur rechten Zeit ermöglichen“, versicherte Kurt. „Du bist bereit?“
Béarisean nickte. „Ich habe alles in die Satteltaschen und ein großes Bündel verstaut. Ich hätte Scairt gleich dort lassen sollen.“
„Du musst das Pferd zurücklassen“, sagte Kurt. „Es ist eine Verbindung nach Abhaileon, über die du leichter gefunden werden kannst. Wir haben das schon diskutiert.“

Béarisean antwortete nicht. Er ging zum Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit. Doch er sah nicht den nächtlichen Garten, sondern eine lang vergangene Szene: Zwei Reiter kamen langsam eine gewundene Straße entlang geritten. Es war ein herrlicher Sommertag. Am Waldrand spielten zwei Kinder. Die Reiter zügelten ihre Pferde und riefen eines davon herbei ... - Béarisean riss sich los von diesen Erinnerungen. „Du hast recht“, sagte er dann. „Es ist besser, ihnen gar keinen Anhaltspunkt zu liefern. Vielleicht ist es nötig, zuerst alles zu verlieren, bevor ein neuer Anfang kommen kann.“
Er blickte Kurt direkt in die Augen und sagte ruhig: „Eines Tages wird jemand die volle Rechnung bekommen für alles, was ich in meinem Leben verlieren musste, und ich wünschte, der Tag wäre schon da.“
„Hass und Zorn sind schlechte Wegbegleiter“, bemerkte Kurt.
„Das mag sein.“ Béarisean zuckte die Schultern. „Ich bin nicht zornig. Aber ich vertraue auf eine ausgleichende Gerechtigkeit.“ Kurt wusste, dass jedes weitere Wort zwecklos war, wenn der junge Lord auf dieses Thema zu sprechen kam. Er würde allen vernünftigen Argumenten letztendlich zustimmen und sich kurz darauf doch wieder von seinen Gefühlen mitreißen lassen. Gefühle, die weitaus stärker waren als sein vernunftbetontes Äußeres.

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