XIII Katz und Maus
´Neiiiin´, schweißgebadet wachte Dorban auf. Seit sie in die Wälder oberhalb des Uibhnefenns gekommen waren, suchte ihn Nacht für Nacht der gleiche Alptraum heim: Er glaubte, zu erwachen. Der Regen trommelte noch auf das Zelt. Plötzlich hörte er durch das monotone Lied der Tropfen ein seltsames Geräusch, einen klagenden Schrei. Er beschloß, ihm nachzugehen und schlug das Tuch am Eingang des Zeltes zurück. Zu seiner Verwunderung waren die Zelte seiner Leute verschwunden. Sie hatten ihn allein zurückgelassen. Wieder gellte der Schrei durch die Nacht. Er glaubte seinen Namen daraus herauszuhören. Wie unter einem Zwang stehend, folgte er der Stimme. Sie führte ihn in die Auenlandschaft am Fluß.
Er mußte endlose Dickichte von Schilf und Binsen durchqueren. Schließlich befand er sich auf einer Insel mitten zwischen den Seitenarmen des Flußes. Plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen stand ein Reiter vor ihm. Es war der Schwarze Fürst, wie er ihn zuerst auf der Carrus getroffen hatte. Er rief ihm höhnisch entgegen: ´Dachtest du, du könntest mir entkommen? Verräter, du wirst deiner Strafe nicht entgehen.´ Dann preschten viele schwarze Reiter aus dem Röhricht hervor, und Dorban versuchte verzweifelt zu fliehen. Doch bald erreichte ihn der erste der Verfolger und griff nach ihm. Dorban drehte sich um, um sich zu verteidigen. Er griff nach seinem Schwert, aber er hatte es wohl auf der wilden Flucht verloren. Der Reiter lachte höhnisch, und als er ihn ansah, blickte er in das Gesicht eines Toten. An dieser Stelle wachte er immer auf.
In den ersten wachen Augenblicken, in denen er seine Fassung noch nicht zurückgewonnen hatte, bereute er es dann, daß er es riskierte, sich mit Barraid anzulegen. Doch dann, wenn die ruhige Überlegung zurückkam, sagte er sich, daß er das einzig Vernünftige getan hatte. Barraid spielte falsch mit ihm und glaubte, ihn fest in der Hand zu haben. Es war höchste Zeit gewesen, selbst die Initiative zu ergreifen.
Dann war da noch ein anderer Aspekt dieser Sache. In der Nacht nach dem Entkommen der beiden Ritter hatte der Lord von Tairg gründlich seine und die allgemeine politische Lage überdacht. Wenn es den Schwarzen Fürsten wirklich gab, sprach die Wahrscheinlichkeit dafür, daß auch ein Fürst von Alandas existierte. Nicht daß er damit an die ganzen Märchen glaubte. Aber wenn ein Mensch wie Barraid (´Barraid ist trotz allem auch nur ein Mensch!´ rief er sich verbissen in Erinnerung und verbannte alle anderen Gedanken) ungeheuer gefährlich werden konnte, dann mochte es sein, daß dieser einen ebenso mächtigen Gegenspieler hatte, dessen Vorfahren sich in seinem versteckten Land in den Nordbergen genauso aus der Politik Abhaileons herausgehalten hatten, wie die Barraids es in ihrem kleinen Fürstentum Winian wohl getan hatten.
Falls dieser potentiell existierende Fürst von Alandas bisher noch nichts von Barraids Machenschaften erfahren hatte, würde das spätestens jetzt geschehen. Durch die beiden Ritter, die Barraid selbst zu einem bekannten Zugang nach Alandas hatte bringen lassen. Das hieße, daß es sicherlich bald Schwierigkeiten geben würde. Der Ausgang der Auseinandersetzungen würde bei zwei so mächtigen Gegnern ungewiß sein.
Nun, Dorban fürchtete das Risiko eines Krieges nicht. Eine Auseinandersetzung mit dem Obersten Rat wäre ohnehin nicht mehr lange zu vermeiden gewesen, und er hatte es riskieren wollen, angesichts dessen, was er selbst dabei gewinnen konnte. Aber jetzt schien das alles in Frage gestellt. Was war von Gearaids Anwesenheit auf Carraig zu halten? War der eine weitere Spielfigur in Barraids Händen? Und sollten - einmal ganz hypothetisch – auch nur ein paar der alten Geschichten über den Schwarzen Fürsten stimmen, dann war es besser, nichts mehr mit ihm zu tun zu haben.
Zudem brauchte er Barraid eigentlich gar nicht. Er, Dorban, war jetzt anerkanntermaßen der erste Mann in Dalinie. Mit dem einflußreichen Orla hatte er während der letzten Monate und Jahre hart daran gearbeitet, sein Ansehen auszubauen. Selbst Livins so früher Tod hatte nichts an den guten Beziehungen zwischen ihnen geändert. Fuacht würde einmal an einen Neffen Orlas gehen, aber in allen anderen Belangen war ihm der Schwiegersohn fast zu einem Sohn geworden.
Livin. Er hatte kaum Zeit gehabt, sich an seine Ehe zu gewöhnen. So wenige Monate, in denen er auch noch viel unterwegs war. Dennoch, damals hatten seine Gedanken begonnen, zunehmend um sie zu kreisen. Vor der Heirat hatte er sie kaum beachtet, nahm sie nur, weil Orla schon seit Jahren davon sprach. Und dann. Gestört hatte sie nie. Aber auf einmal begann sie ihm zu fehlen, wenn sie nicht da war. Man sagte ihm, sie sei schwanger gewesen, als sie so plötzlich erkrankte. Er war mit Barraid auf einem mehrtägigen Jagdausflug gewesen. Aber Fíanael war zurück geblieben. Er verstand sich auf Medizin, und sie war schon gleich, nachdem der Besuch aus Carraig kam, leicht erkrankt.
Livin ...
Er schüttelte die nutzlosen Erinnerungen ab. Sogar Brian, der Sprecher der Bürger der Stadt Daliní, dieser gerissene, alte Kerl, schien bereit, Dorban als neuen Fürsten zu akzeptieren. Vorausgesetzt der Stadt wurden ein paar neue Privilegien eingeräumt, natürlich. Gab es nicht Gerüchte, selbst im Obersten Rat denke man offen darüber nach, ihm den Fürstentitel anzutragen? Vielleicht ging er später einmal in die Geschichte Abhaileons ein! Warum nicht als jemand, der Abhaileon gegen einen neuen Schwarzen Fürsten verteidigte? Wer weiß, vielleicht gab es doch einmal wieder einen neuen Regenten. Warum dann nicht einen aus Dalinie? Das würde einige politische Schwierigkeiten zwischen der großen Ostprovinz und dem Rest Abhaileons lösen.
Wenn es ihm jetzt nur gelingen könnte, sich Barraid ganz zu entziehen. Es hatte so gut angefangen. Bis ihm dieser Lord Akan in den Weg kommen mußte. Seit dieser Begegnung hatte Dorban sich keinen Moment mehr sicher gefühlt. Und nachts hatten ihn seitdem diese Alpträume heimgesucht. Er ertappte sich schon dabei, daß er tagsüber zusammenschrak, wenn er eine plötzliche Bewegung am Rande des Lagers wahrnahm.
Dorban schüttelte sich. Wahrscheinlich war es am besten die Nachricht von Orla gar nicht erst abzuwarten. Morgen würde er Befehl geben, das Lager abzubrechen und dann den geradesten Weg nach Fuacht einschlagen. Und vielleicht gelang es ihm endlich einmal wieder durchzuschlafen. Er hatte noch nichts hören können, aber er argwöhnte, dass die Männer wussten, dass er nachts oft mit einem Schrei wach wurde. So weit entfernt von den andern konnte er sein Zelt gar nicht aufstellen. Sie würden reden. O verflucht das alles!
******
Es waren noch etwa zwei Stunden bis Mitternacht. Vor sich sahen Robin und Béarisean zwischen den Bäumen in nicht mehr allzu großer Entfernung Feuerschein aufschimmern. Das bedeutete, daß sie die Richtung nicht verfehlt hatten, als sie noch lange über den Einbruch der Dunkelheit hinaus Cristavers Spur durch den Wald folgten. Die Spur selbst war schon seit Stunden nicht mehr erkennbar gewesen, also hatten sie auf gut Glück die Richtung beibehalten, in die sie während der vorhergehenden Zeit geführt hatte. Mit dem Gewitter hatte der Regen endlich aufgehört.
“Was nun?” fragte Robin leise. “Wir haben es hiermit gerade noch vor Ende des sechsten Tages geschafft. Warnen wir sie?”
“Das Dumme ist, dass wir nicht alle Verräter kennen”, sagte Béarisean. “Und Dorban war nicht gerade kooperativ letzthin. – Ich bin zu dem Schluß gekommen, dass es das beste ist, ihn zu entführen. Besorg du uns drei gute Pferde. Ich kümmere mich um ihn.”
“Er ist um einiges stärker als du”, bemerkte Robin vorsichtig.
“Wir werden sehen”, sagte Béarisean grimmig. “Sein Zelt steht dort etwas abseits und wird nicht gesondert bewacht. Mach, so schnell du kannst. Es wäre gut, wenn wir um Mitternacht schon ein gutes Stück weiter sind. Wir treffen uns hier im Osten des Lagers.” Er duckte sich ins Dunkel.
Robin blickte ihm zweifelnd nach. Aber Dorban war Béariseans Aufgabe. Wäre er nur so zuversichtlich in Bezug auf die seine gewesen! Er näherte sich den Pferden, die auf einer kleinen provisorischen Koppel standen. Die meisten kannte er, aber einige der alten waren fort und neue hinzu gekommen. Jetzt im Dunkeln war es nicht möglich, diese zu begutachten. Er brauchte Dorbans Grauschimmel, aber dann wurde es schwierig. Keines der anderen Tiere zeichnete sich besonders aus. Am besten waren vielleicht noch Jacks Brauner und Dermots Fuchs. Wenigstens trugen alle Tiere ihre Halfter. Lederriemen für die Zügel waren kein Problem. Aber die Sättel lagen sicherlich in den Zelten. Wie einfach sich das doch anhörte, drei schnelle Pferde besorgen! Und natürlich stand ein Wachtposten an der Koppel. Den mußte er wohl außer Gefecht setzen. Hätte er nur mehr Übung in so etwas! Über den Brustpanzer hatte er eine leichte Weste gezogen, der konnte ihn nicht verraten. Aber das Schwert würde hinderlich sein, beim Versuch zu schleichen. Zögernd ließ er es zurück.
Er fand einen handlichen Stein, der geeignet sein mochte, um den Wächter zu betäuben. Es schien nicht ganz aussichtslos. Der Mann war nicht gerade mit Eifer bei der Sache. Er lehnte an einem der Koppelpfosten und beobachtete etwas im Lager. Aber Robin war noch nicht einmal in Reichweite seines potentiellen Opfers gelangt, als ihm ein Zufall zu Hilfe kam.
Zuerst sah es nicht sehr vielversprechend aus. Schritte näherten sich, so dass er sich schnell noch tiefer in den Schatten duckte. Der andere kam aber gar nicht heran. Er blieb ein paar Meter entfernt stehen und rief gedämpft: ´He, Seamus, komm rüber zu uns. Wir brauchen einen dritten Mann zum Würfeln.´
´Mann, du hast Nerven. Dorban reißt mir den Kopf ab, wenn er mich erwischt.´
´Dorban ist vor einer halben Stunde in seinem Zelt verschwunden, das heißt, daß er frühestens gegen Mitternacht seinen Kontrollgang macht. So lange dauert es immer, bis er wieder aufwacht. Nun, komm schon. Nur auf eine halbe Stunde. Bis zum Wachwechsel bist du längst zurück, und hier ist sowieso von Anfang an nichts los.´
´Aber wenn was passiert.´ Seamus klang bestenfalls halbherzig in seinen Einwänden.
´Was soll denn passieren? Rick paßt doch dort drüben auf. Das reicht absolut.´
Nach einigem Hin und Her verließ der Mann tatsächlich seinen Posten! Robin konnte darüber nur den Kopf schütteln. Aber ihm sollte es recht sein. Zuerst wurden die Tiere etwas unruhig, als sie ihn bemerkten, aber dann erkannten sie ihn wieder. Jacks Braunen holte er als erstes, aber der Fuchs schnaubte unruhig und schlug leicht aus, daraufhin ließ er ihn wieder in Ruhe. Statt dessen nahm er sein eigenes ehemaliges Reittier, das ihn bereits entdeckt hatte und ihm freundschaftlich folgte. So schlecht war der Braune auch nicht gewesen. Den Grauschimmel holte er zuletzt. Das war der kritischste Teil, das Tier war im Dunkeln ziemlich gut zu sehen. Aber er gelangte in den dichteren Wald, ohne dass jemand aufmerksam wurde. Der eine Wachtposten, der tatsächlich patroullierte, hielt sich hauptsächlich am andern Ende des Lagers auf. Das hintere Ende des Proviantzeltes lag im Dunkeln, die Plane ließ sich leicht lockern. Da drinnen fand er Decken, Verpflegung, Packtaschen und ein paar leichte Sättel. Das war besser als nichts. Er konnte nicht alles auf einmal schleppen, aber jedesmal, wenn er mit angehaltenem Atem das Zelt verließ, hörte er noch die Stimmen der würfelnden Wächter, die in einem Zelt in der Nähe saßen und beim Schein einer Lampe spielten.
Béariseans Teil der Aufgabe verlief genauso erfolgreich. Er ging sehr langsam und vorsichtig vor. Aber es gelang ihm relativ mühelos, den Posten, der an diesem Ende des Lagers patroullierte, zu umgehen und Dorbans Zelt zu erreichen. Dort lauschte er längere Zeit an der Leinwand und hörte Dorban zwischen schweren Atemzügen im Schlaf leise aufstöhnen. Am anderen Ende des Lagers, wo die Pferde standen, blieb alles ruhig. Er mußte Robin etwas Zeit lassen, sonst saß er später zu lange allein mit Dorban da. Er beobachtete eine Weile das Lager. Von irgendwoher klangen Stimmen, aber niemand näherte sich, bis auf den Wachtposten. Doch selbst der kam nicht dicht an Dorbans Zelt heran. Schließlich löste Béarisean vorsichtig zwei Häringe aus der rückwärtigen Zeltseite und schob sich in das Innere. Das Tuch, das den Eingang versperrte, war zurückgeschlagen, ließ Licht herein und gab den Blick auf das Lager frei.
Béariseans Augen hatten sich kaum an das schwache Licht gewöhnt, als Dorban mit einem Aufschrei aus seinem Alptraum aufschreckte. Der Ritter reagierte blitzschnell und setzte dem noch Schlaftrunkenen von hinten das Messer an die Kehle ´Keinen Laut,´ zischte er. ´Ich will dir nichts Böses, Dorban, kann es aber nicht riskieren, daß du jetzt Lärm machst. Hör mir einfach zu: Ein Trupp von Barraids Leuten wird in kurzem dein Lager hier überfallen. Einige deiner Leute, unter ihnen Cristaver, stehen mit ihnen in Verbindung und haben dich an sie verraten. Wer alles dazu gehört, weiß ich nicht. Noch maximal eine Stunde, dann ist das Lager umstellt. Wenn du auf mich hörst, schlägst du jetzt nicht Alarm. Dir bleibt nämlich nicht mehr genug Zeit, alle Verräter zu finden und rechtzeitig zu fliehen.´ Mit diesen Worten ließ er Dorban los.
´Wer sagt mir, daß du keiner von Barraids Leuten bist, der mich in eine Falle locken will?´ fragte Dorban flüsternd. Er rang dabei nach Atem. Das Herz hatte ihm fast stillgestanden, als sein Traum noch nach dem Erwachen eine so bedrohliche Fortsetzung gefunden hatte.
´Hätte ich dann jetzt soviel Federlesens gemacht, wo ich dich schon in der Gewalt hatte?´ sagte Béarisean.
´Ich kenne diese Stimme, wer bist du?´ fragte Dorban plötzlich fast wieder mit voller Geistesgegenwart.
´Das tut fürs erste nichts zur Sache. Ich bin hier, um dir zu helfen.´ Einer plötzlichen Eingebung folgend fügte Béarisean hinzu. ´Ich komme im Auftrag des Fürsten von Alandas.´
Dorbans Reaktion überraschte ihn ´Dachte ich´s mir doch, daß Barraid einen Gegenspieler hat,´, murmelte der. ´Was also jetzt, Fremder?´
´Pack das Allernötigste. Wir müssen sofort weg. Die Zeit drängt´, raunte Béarisean zurück
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