Sonntag, 26. Dezember 2010

Und es kann anfangen ... (Vorkapitel)

Zunächst das kurze Vorkapitel. Auch die eigentlichen Kapitel werden über den Monat verteilt in lesbaren Portionen kommen. Die Geschichte vom Schwarzen Pferd hat zwei Teile, die in sich auch schon Buchgröße haben. Zu Beginn des ersten Teiles steht dann ein kurzer Prolog, der direkt in die aktuelle Handlung übergeht. 

Und das Vorkapitel hat einige Relevanz für den Rest der Geschichte. Robin erfährt das erst ganz am Ende, der Leser schon einige Zeit vorher.

Und hier also das Vorkapitel:


Abhaileon
oder
Eine Geschichte über ein schwarzes Pferd

Traum vor Morgengrauen
Sieben Jahre zuvor

Es war das Schnauben eines Pferdes, das Robin geweckt hatte. Die Sommernacht war warm und das Fenster geöffnet. Einen Moment lang glaubte er, es müsse ein Traum sein wie die alten Träume, die er nun mit sechzehn Jahren hinter sich gelassen hatte. Aber etwas veranlasste ihn dennoch aufzustehen, eilig in Tageskleidung zu wechseln und nach draußen zu gehen. Zu lange schon wartete er darauf, dass der Rappe wieder kam. Er wählte feste Schuhe, griff im Hinausgehen eine robuste Lederjacke, aber verlor keine Zeit nach anderem zu suchen.

Draußen, unter seinem Fenster, stand ein dunkles Pferd, vielleicht schwarz. Nicht der Rappe, aber gesattelt, wie er es seit jenen Träumen erwartet hatte. Mehr brauchte er auch nicht. Als er nach dem Zügel des Tieres griff, regte sich etwas im Mondlicht hinter ihm. „Ich hätte doch schnell das Fahrtenmesser suchen sollen“, dachte er, als er sich umdrehte. Aber der Reiter, den er merkwürdigerweise vorher nicht wahrgenommen hatte, wirkte nicht feindselig. Auch wenn die Kapuze eines Umhanges sein Gesicht verbarg. Nur seltsam, der Umhang war weiß. Das Pferd des anderen war hellfarben. Er hätte ihn eigentlich nicht übersehen können.

„Schnell“, drängte der Reiter. Seine Stimme war stark und befehlssicher und auffallend melodisch. „Es ist keine Zeit zu verlieren. Zieh das an und folge mir!“

Robin griff nach dem Kleidungsstück, einer Art Mantelumhang, und warf ihn über. Es war warm, darum ließ er ihn offen. Der andere hatte sein Pferd schon weggelenkt. Robin warf einen Blick um sich. Die Straße war leer und das war gut so. Er wollte lange schon fort von hier und würde nichts vermissen. Er schwang sich auf den Rücken des Rappens und beeilte sich, zu dem Voranreitenden aufzuholen. Erst als sie ihre Pferde aufs offene Feld lenkten, rief er mit gedämpfter Stimme: „Wohin sind wir unterwegs?“

„Der König braucht deinen Dienst, Ritter Anno“, sagte der andere. Wieder rätselte Robin über die Stimme. Es war eine Schönheit darin, die faszinierte.

„Der König“, wiederholte er leise und atmete tief. Hoffnungen erfüllten sich hier gänzlich unerwartet. Er war Anno genannt worden. Er hatte niemandem davon erzählt. Seine Familie war, nicht in der direkten Linie sondern mit einigen Brüchen und über einige Jahrhunderte hinweg, mit dem Fürstbischof von Köln verwandt, dessen Gedenktag im Dezember gefeiert wurde. Der Name Anno war Robin passender erschienen als sein eigener, wenn er davon geträumt hatte, der ihn umgebenden Welt zu umkommen in eine andere, in der noch Platz für Mut und Ritterschaft war.

„Was soll ich tun?“ fragte er. Der andere erklärte es in knappen Sätzen und Robin konzentrierte sich ganz auf das Gesagte. Er war entschlossen,diesen Auftrag gut zu erledigen – und, soweit es auf ihn ankam, nie mehr zurückzukehren in seine alte Welt. Als er wieder um sich blickte, erkannte er die Umgebung nicht wieder. „Wo sind wir?“ wollte er wissen.

„Das ist nicht wichtig“, sagte der Fremde. „Eine andere Welt. Du weißt, was du tun sollst?“
Robin nickte und sah sich nochmals um. „Aber ...“, begann er und bemerkte, dass der andere so rätselhaft verschwunden war, wie er zuvor in Erscheinung getreten war. Es war nicht wichtig. Jedenfalls nicht so wichtig wie die vor ihm liegende Aufgabe.

Er folgte dem sich verschmälernden Pfad, der sich jetzt zwischen Gestrüppen einen flachen Hang hinaufwand.. Vor sich sah er bald den weißen Felsen liegen, der ihm beschrieben worden war. Schon von weitem schimmerte das Gestein im Licht des Vollmonds. Unterhalb des Steilhanges wartete ein Reiter. Als Robin ihn fast erreicht hatte, hielt er an, warf den Umhang zurück und hob beide Hände seitlich in Schulterhöhe, um zu zeigen, dass er keine Waffe mit sich führte. „Ich grüße Euch, Prinz von Ecrin“, sagte er.

Robin schien es, dass der junge Mann, dem er sich genähert hatte, rötliches Haar habe. Sein Gesicht war hart und verschlossen, seine Stimme noch härter: „Ecrin ist nicht mehr. Noch gibt es irgendeinen, der noch diesen Namen trüge. Ich nenne mich nach dem Namen meiner Mutter, Lassalle.“

„Ich habe eine Botschaft für Euch“, sagte Robin unbeirrt.

„Ihr seid nicht der, den ich erwarte“, antwortete der Reiter mit dem harten Gesichtsausdruck. „Wärt Ihr nicht waffenlos und offensichtlich zu ungeübt, um es mit mir aufnehmen zu können, wärt Ihr schon tot.“

„Wollt Ihr mir dennoch zuhören?“ fragte Robin. Vage war er sich bewusst, dass die Situation gefährlich war. Doch nichts konnte gerade jetzt so stark sein, wie die Freude, endlich seiner eigenen Welt entronnen zu sein und die Gewissheit, dass endlich alles so war, wie es sein sollte.

„Sprecht!“ befahl der junge Ritter unwirsch.

„Ich bin zu Euch gesandt im Namen des Königs“, sagte Robin. „Ich soll Euch sagen, Ihr werdet Gerechtigkeit finden, wenn Ihr Euch selbst dem Rat stellt. Der König sagt Euch seinen Schutz zu. Er wird die ganze Wahrheit ans Licht bringen. Bedingung ist, dass Ihr die Stadt Corrugh verschont.“

„Es ist zu spät“, sagte Lassalle. „Nur eine Stunde noch und Corrugh wird niederbrennen.“

„Ihr könnt es verhindern, wenn Ihr sofort reitet“, sagte Robin. „Der der mich sendet, garantiert persönlich dafür.“ Dann wandte er den Rappen und ritt davon. So verlangten es seine Anweisungen und er widerstand der Neugier, die sich in ihm regte. Der andere folgte ihm nicht, rief ihm auch nichts nach.

Robin hoffte, dem ersten Fremden wieder zu begegnen, denn er hatte viele Fragen. Zugleich wuchs die Müdigkeit in ihm an. Einen Moment musste er fast auf dem Pferd eingenickt sein, denn als er sich mit einem Ruck aufrichtete und wieder um sich blickte, sah er die Felder seiner Heimat. Selbst das erschreckte ihn jetzt nicht. In den Träumen war das schwarze Pferd der Weg in eine andere buntere Welt gewesen, und er konnte hoffen, dass das so blieb. Selbst wenn er die Tage ertragen musste, würden sich jetzt doch Stunden finden lassen, in denen er entkommen konnte.

Er band das Pferd im Hof seines Elternhauses an, nachdem er es abgesattelt und abgerieben hatte und beschloss, noch etwas zu schlafen. Jetzt in der Nacht konnte er kein Futter besorgen. Den Mantel legte er über den Rücken des Tieres.

Es war kurz nach fünf als ihn Vogelgesang und helles Sonnenlicht weckten. Er sprang auf, entschlossen, dass sich sein Leben von nun an ändern würde. Heute Nacht war sein schwarzes Pferd gekommen. Es gab mehr als den grauen Alltag, den er schon immer verabscheut hatte. Ab heute wollte er früh aufstehen, um nichts von dem kostbaren Leben zu versäumen. Er begriff nicht, wie er diese Morgenstunden bisher hatte freiwillig verschlafen können. 

Die Wirklichkeit traf ihn wie ein Schlag, als er den Hof betrat. Da war kein Pferd. Keine Spur davon. Alles war wie immer. Der Tag würde sich dahinschleppen wie alle Tage. Und es gab keine Hoffnung, dass sich all das je ändern würde. Das Schlimmste war: eines Tages würde er sich damit auch abgefunden haben.

Die Vorstellung war unerträglich. Er ging zurück in sein Zimmer und zog sich die Decke über den Kopf.

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