Urkha blickte triumphierend. Vorbei die Sorge, die ihn
vorher überkommen hatte. Umso mehr erschrak er, als sich der Blick des Fürsten
auf ihn richtete. In instinktiver Abwehr riß er die Arme vor sein Gesicht und
brach zitternd in die Knie. Jeder fürchtete den Jähzorn des Herrn der
Finsternis und in Barraids Augen flammte unbeschreiblicher Zorn. Alle
Umstehenden wichen schleunigst so weit wie möglich zurück, so daß der Burghof fast
verlassen schien. Urkha war zum erstenmal froh für die abhaileonische Umgebung,
die selbst Barraid einige Begrenzungen auferlegte. Die Stimme des Fürsten war
weich wie Samt, als er sagte: ´Du hast dich also selbst um seine Überwachung
gekümmert, mein lieber Urkha. Dann erzähle mir diese ganze Geschichte doch
einmal ausführlich von Anfang an. Ich höre gespannt.´
Urkha sträubten sich die Haare beim Klang dieser Stimme,
doch er war sich keines Fehlers bewußt. Um seinen Herrn zu besänftigen, kam er
rasch dem Befehl nach. ´Im November des vorigen Jahres der Zeit dieses Landes
griffen meine und Lord Asrains Leute das Lager des Verräters Dorban an, um in
Ausführung des Befehles Eurer Erhabenheit´, er verbeugte sich tief, ´jenen
Deserteur zu fassen und lebend vor Euch zu bringen. Auf unerklärliche Weise
wurde er aber gewarnt und konnte entkommen, kurz bevor das Lager vollständig
umstellt war. Es scheint, daß drei Männer, von denen einer dieser Gefangene
ist, ihm zur Flucht verhalfen. Wir nahmen die Verfolgung sofort auf, konnten
ihren Vorsprung aber zunächst nicht einholen, da es in der Dunkelkeit nicht
möglich war, ihren Spuren zu folgen. Ein Wachtposten, den Lord Asrain unter der
Leitung Asriks hier an der Enge zwischen der Uibhne und den Bergen hatte
aufstellen lassen, wurde von den Flüchtenden überrannt. Regenfälle und widrige
Witterung erschwerten dann die Verfolgung. Mehrmals hatten wir sie fast
erreicht und verloren die Spur auf unerklärliche Weise. Doch nach zwei Wochen
gelang es uns fast, sie im Felsland von Cardolan in die Enge zu treiben. Die
Verfolgten trennten sich. Einer scheint spurlos verschwunden, zwei flohen
zurück nach Westen, einer floh allein Richtung Süden. Diesem Reiter folgte ich
mit der Hälfte meiner Männer. Die zwei anderen stießen auf einen Trupp unter
der Leitung Ingros. Ihre Verfolgung war nicht erfolgreich. Auf unerklärliche
Weise verlor sich ihre Spur am See von Idrim. Dies alles wißt Ihr bereits, Euer
Erhabenheit.´
´Das Wort unerklärlich kommt bei dir recht häufig vor´,
merkte Barraid kalt an.
´Über die Umstände des letzteren Ereignisses wird Euch
mein Unterführer Ingro bessere Auskunft geben können´, beeilte sich Urkha zu
sagen. ´Er leitete nämlich jenen Trupp.´
´Ingro!´ befahl Barraid. Seine Stimme war wie
Donnergrollen.
Der Genannte stürzte herbei und
warf sich vor ihm nieder. Seine Selbstsicherheit war inzwischen auch ins Wanken
geraten. ´Ihr befehlt, Herr?´
´Wie erklärst du dir Dorbans Entkommen?´ Die Stimme des
Fürsten war drohend.
´Wir hatten die Verfolger so gut wie eingeholt, Herr´,
berichtete er, ´Eines der beiden Pferde der Verfolgten brach sich das Bein, als
sie das Nordende des Idrimsees erreichten. Sie flüchteten zu Fuß in den Tobel.
Obwohl wir nur wenige Meter hinter ihnen waren, blieben sie verschwunden,
sobald sie den ersten starken Felsknick der Schlucht hinter sich gebracht
hatten. Als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Trotz schärfster Bewachung des
Tobels und gründlicher Untersuchung der ganzen Umgebung konnten wir nicht mehr
die allerkleinste Fährte entdecken. Wir ließen dort mehrere Wochen lang einen
Wachtposten stehen. ´ Ingro schwieg. Ihn erfüllte rasende Angst. Was wenn sich
Barraids Zorn nun auch gegen ihn kehrte?
Doch der Schwarze Fürst beachtete ihn fürs erste nicht
weiter, sein Blick schien durch die Mauern Cardolans hindurch zu gehen. Er
erinnerte sich an das alte Weltentor, das einst an jener Stelle im
Wildflußtobel gewesen war. Weder er noch Ríochan hatten es mehr öffnen können.
Da mußte sehr große Macht beteiligt gewesen sein. ´Weiter!´ befahl er dann dem
Kommandanten von Cardolan. Ingro atmete erleichtert auf, wagte aber nicht sich
zu erheben oder auch nur aufzublicken.
´Meine Gruppe war erfolgreicher´, fuhr Urkha hastig fort.
´Nach langem scharfen Ritt stellten wir den Flüchtigen, der sich heftig zur
Wehr setzte und vier meiner Leute niederschlug, bis es mir schließlich gelang,
ihn zu überwältigen. Ich erkannte sofort, welch wichtigen Gefangenen ich
gemacht hatte und hielt es für klüger, ihn auf Cardolan zu behalten, bis Ihr
selbst ihn in Augenschein nehmen konntet, als zu riskieren, daß er auf dem
langen Weg nach Carraig befreit würde. Ich schickte sofort Nachricht nach
Carraig, um Euch zu informieren, mein Gebieter. Ihr befahlt durch Euren Boten,
ihn gut auf das Treffen mit Euch vorzubereiten. Wie zu erwarten war, zeigte er
sich wenig kooperativ. Alle gewöhnlichen Methoden prallten geradezu an ihm ab.
Und Ihr hattet explizit verboten, ihm unwiderruflichen Schaden an Leib und
Leben zuzufügen. Er verhielt sich äußerst provokant und widerspenstig.´
´Weiter´, sagte Barraid und spielte mit den Fingern
ungeduldig mit dem Kopf des Peitschenstiels, der in seinem Gürtel steckte. ´Mir
scheint, wir nähern uns allmählich der interessanten Stelle.´
Urkha fühlte den Schweiß ausbrechen. ´Ich beschloß also
auf einer anderen Ebene einzugreifen´, fuhr er fort. ´Er zog sich eine
Krankheit zu. Diese Menschen sind schwach und zerbrechlich, mit dem Fieber
brach auch seine mentale Abwehr zusammen, so daß ich Zugriff auf seine Gedanken
und Gefühle erhalten konnte. Der Gefangene war vollkommen auf sich allein
gestellt und erhielt keine Unterstützung. Es war ein Leichtes, seinen Verstand
ganz zu beherrschen und ihm keine falschen Gedanken mehr zu erlauben. Davon
konntet Ihr Euch selbst überzeugen, Erhabener.´
´O ja´, sagte Barraid und seine Stimme wurde noch weicher
und drohender. ´Davon konnte ich mich überzeugen. Deine Arbeit war
ausgesprochen erfolgreich. So erfolgreich, daß die Worte, die er spricht, nicht
mehr aus seinem eigenen Willen kommen.´
´Verzeiht, Herr´, wagte Urkha einzuwenden. ´Sagtet ihr
nicht einmal selbst, dies sei ein vorzügliches Mittel im Umgang mit diesen
Menschen?´
´Du hast die Stirn, diesen Fehler auf mich abwälzen zu
wollen?´ schrie Barraid. Trotz seines Zornes bemerkte er es wohl, dass Asrik
der erste war, der sich, wo er stand zu Boden warf. ´Du solltest besser
zuhören, was dir gesagt wird. Ein Mittel für die, die wir in der Hand haben,
nicht für unsere erklärten Feinde.´
´Du elender
Narr´, tobte er dann. ´Du hirnloser, unfähiger Sklave. Du hattest ihn in deiner
Hand. Hättest seine Gedanken sorgfältig lenken und leiten können, hättest ihm
vor Augen führen können, wie ihn seine Auftraggeber verraten und verkauft
haben, hättest langsam den Zorn und die Bitterkeit in seinem Herzen wachsen
lassen können, bis er sich von seinem alten Weg abwendet. Und was tust du? Du
läßt sein letztes willentliches Wort einen Lobpreis auf diesen Usurpator der
Macht, die rechtens mir gehört, sein. Du es fast ganz ruiniert.´ Barraids sonst
angenehm aussehende Gesichtszüge verzerrten sich in unmäßigem Zorn. Ein Wink
rief zwei der Männer Urkhas herbei, denen er die Zügel des Rappen
überantwortete. Dann wandte er sich wieder dem zitternden Kommandanten von
Cardolan zu.
´Gnade, Herr!´ rief dieser. ´Ich werde alles in meiner
Macht stehende tun, um für den Schaden aufzukommen.´
´Gnade?´ brüllte Barraid. ´Mit wem denkst du, daß du
sprichst, Sklave? Sei versichert, daß du für deine Unfähigkeit bezahlen wirst.
Und zwar auf der Stelle. Aber nicht hier in Abhaileon.´ Mit einer
gebieterischen Handbewegung sprach er ein Wort in einer fremden Sprache und
beide entschwanden den Blicken der Umstehenden.
Alle blieben wie erstarrt, wo sie waren, bis Barraid
wieder unter ihnen war. Nur der Rappe, der sich allerdings auch ungewöhnlich
friedfertig verhielt, senkte neugierig den Kopf, um an dem bewußtlosen
Gefangenen zu schnuppern. Nach seiner Rückkehr blickte Barraid sich unter den
Männern der Burgbesatzung um. Schweigend und voll Furcht warteten alle auf
seine nächste Entscheidung. ´Ingro!´ sagte er endlich kurz und befehlend, doch
zu aller Erleichterung wieder mit ruhigerer Stimme. Ingro wagte es wieder
aufzusehen. ´Du wirst das Kommando über Cardolan bis auf weiteres übernehmen´,
befahl Barraid knapp. „Laß dir die Fehler deines Vorgängers eine Warnung sein.´
´Alles wird zu Eurer Zufriedenheit geschehen, Gebieter´,
versicherte Ingro. Er war erleichtert, daß von den Vorkommnissen am Idrimsee
nicht mehr die Rede war. ´Was befehlt Ihr bezüglich des Gefangenen?“
Der Fürst blickte verächtlich auf ihn herab. ´Deiner Obhut
werde ich ihn bestimmt nicht anvertrauen. Um diese Angelegenheit kümmere ich
mich ab jetzt persönlich. - In einer Stunde reise ich ab. Sorge dafür, daß er
bis dahin in transportablem Zustand ist. Löst seine Fesseln. Er ist gewiß nicht
in der Lage zu fliehen. Ich erwarte dich, Asrik und deine Offiziere in drei
Minuten zu einer Besprechung. Zuerst Asrik.´
Mit diesen Worten ging er in das Innere der Burg.
Ingro sprang auf, erteilte, sich seiner neuen Macht voll
bewußt, hastig die entsprechenden Befehle und eilte dann, ihm zu folgen.
Asrik folgte dem Fürsten sofort. Als dieser auf dem
Thronsessel in der großen Halle Platz genommen hatte, kniete er schon tief
gebückt vor ihm. „Nun?“ verlangte Barraid eisig.
Asrik fiel es schwer, klar zu sprechen. „Ich habe versagt“,
bekannte er. „Es gelang mir nicht, genügend Einfluß auf den Kommandanten zu
nehmen.“ Akans Lektionen waren scharf gewesen. Unterwerfung, niemals
Rechtfertigungsversuche.
„Ich will bis Mittsommer alle verfügbaren Kräfte bei
Carraig sehen. Du teilst das Kommando dafür mit Ingro. Was wird Akan tun, wenn
ich ihm deine Bestrafung überlasse?“
Die Aussicht darauf schien Asriks Befinden nicht zu
bessern. „Er wird es aufs Härteste ausführen.“
„Aber er wird dich überleben lassen?“
„Das hängt von Euren Befehlen ab, Gebieter.“
„Sobald du ihn auf Carraig triffst, wirst du ihm
ausrichten, dass ich ihm befehle, mit aller Schärfe gegen dich zu verfahren.“
Asrik zitterte so heftig, dass er seine Bestätigung nur stammeln konnte. „Jener
Ritter könnte leicht tot sein.“ Asrik stammelte etwas. „Wiederhole!“
„Das habe ich verhindert, Gebieter“, brachte Asrik mühsam
heraus.
„Berichte!“ Es war offensichtlich, dass der unglückselige
Unteroffizier nicht in der Lage war, ihn zu belügen. Da war keine Hoffnung mehr
in ihm, dem sicheren Untergang zu entkommen. Barraid musterte ihn eine Weile
schweigend, dann sagte er: „Es ist dir erlaubt, Akan gegenüber hinzuzufügen,
dass ich wünsche, dich noch weiter gebrauchen zu können.“ Er unterbrach Asriks
Versuch den Boden zu küssen mit einem Befehl: „Bring mir Ingro. Allein. Du
bleibst auch.“
Der neue Kommandant von Cardolan trat dienstbeflissen und
voller Zuversicht ein. Barraid winkte Asrik auf die Seite und wandte sich Ingro
zu: „Ich bin äußerst ungehalten.“
Ingros Blick wurde besorgter, aber er versicherte noch
eifrig: „Urkhas Verhalten war äußerst unklug.“
Barraids Blick erfaßte ihn voll. „Mein Mißfallen gilt
deinem Anteil an dem Resultat“, sagte er sanft.
Die Augen des Kommandanten weiteten sich in Unbehagen.
„Ich riet davon ab“, begann er.
„Du hast es nicht verhindert!“ Die Stimme des Fürsten war
wie ein Peitschenschlag. „Dein Rang war der zweithöchste hier. Mein Befehl war
dir bekannt! Hast du noch irgendetwas vorzubringen?“ Ingros Gedanken
überschlugen sich. Aber es schien das Klügste, das zu verneinen.
Der Fürst sprach weiter: „Ich habe hier keine Zeit zu
verschwenden. Wie ich sagte, hast du auf Cardolan fürs erste den Befehl. Du
bist mit Asrik verantwortlich, dass bis Mittsommer alle verfügbaren Kräfte bei
Carraig stehen. Sobald du dort eintriffst, wirst du dich bei Akan melden und
ihm mitteilen, dass es seine Sache ist, dich deinem Versagen entsprechend zu
bestrafen. Sage ihm, dass ich seine Meinung in Erwägung ziehen werde, sollte er
feststellen, dass es für dich noch eine nützliche Verwendung gibt.“
Ingros vollkommen entsetzter Blick sprach lauter als
Worte. Er stützte sich Halt suchend mit einer Hand auf den Boden. Barraids
Blick verfinsterte sich noch mehr, doch mit letzter Geistesgegenwart brachte der
neue Kommandant heraus: „Wie Ihr befehlt, Herrscher!“
„Dann hole die anderen. Es gibt einiges klarzustellen.“
In den folgenden zwanzig Minuten hatte er die volle
Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Die zwei Befehlshaber, die er auf Cardolan
zurücklassen würde, hatten gerade noch soviel Hoffnung, dem drohenden Untergang
zu entgehen, dass sie voraussichtlich exzellente Arbeit leisten würden. Er ließ
sich zu dem Gefangenen bringen. Dessen Zustand war mehr als schlecht. Eine
scharfe Frage brachte zutage, dass sich niemand auf Cardolan wirklich auf
Heilung verstand. Asrik, der aus dem Saal gestürzt war, sobald er entlassen
wurde, war wohl schon unterwegs in den
Osten. Ingro, der ihn begleitete, wollte sich mit dem Mut der Verzweiflung auf
diese Aufgabe werfen. Aber Barraid hielt ihn mit einer knappen Handbewegung
zurück. Es war klüger, er kümmerte sich selbst darum. Ungeheurer Zorn stieg in
ihm auf, seine Fähigkeiten auf so etwas vergeuden zu müssen. Er kniete neben
dem Schwerkranken nieder. Urkha verwünschend, kümmerte er sich um die schlimmsten
Schäden. Der Rest musste bis Carraig warten. Der Ritter war immer noch
bewußtlos und würde es wohl noch lange bleiben. Um nicht noch mehr Zeit zu verschwenden,
nahm er ihn am besten mit auf den Rappen. Er forderte Ingro auf, den Gefangenen
zu tragen und ging zurück zum Hof, wo das Pferd auf ihn wartete. Ingro hastete mit
der leichten Last hinter ihm her. Noch vor Ablauf der von ihm gesetzten Stunde
konnte Barraid wieder aufbrechen.
Erfreulicherweise zeigte sich der schwarze Hengst etwas
umgänglicher als sonst. Vielleicht fügte er sich endlich in sein
unvermeidliches Los. Der Zufall hatte Barraid nicht schlecht in die Hände
gespielt, daß es Robin und nicht Béarisean war, der in seine Hände gefallen
war. Denn Béariseans Haß und Abscheu ihm gegenüber war so groß, daß es
ungeheuer schwierig gewesen wäre, diesen Widerstand zu überwinden. Da spielte
wohl der Tod von Béariseans Schwester Rilan mit. Gewiß hätte er auch mit diesen
Regungen spielen können, doch es wäre ungleich riskanter gewesen. Bei dem
Ardaner waren die Ansatzpunkte leichter zu finden. Es war die Kunst in solchen Fallen
jemandes Tugenden und Schwächen zu nutzen, um ihn zu Fall zu bringen. Niemand
verstand sich besser darauf als Barraid. Das Beste jedoch war, dieser Ritter
trug das Rubinschwert.
´Schade, daß du mich jetzt nicht sehen kannst, Ríochan´,
lachte der schwarze Fürst leise. ´Du würdest denken, ich habe mich in einen
barmherzigen Samariter verwandelt, so behutsam wie ich deinen Ritter auf den
Armen trage.´
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