Samstag, 3. September 2011

Kapitel 18.2


Urkha blickte triumphierend. Vorbei die Sorge, die ihn vorher überkommen hatte. Umso mehr erschrak er, als sich der Blick des Fürsten auf ihn richtete. In instinktiver Abwehr riß er die Arme vor sein Gesicht und brach zitternd in die Knie. Jeder fürchtete den Jähzorn des Herrn der Finsternis und in Barraids Augen flammte unbeschreiblicher Zorn. Alle Umstehenden wichen schleunigst so weit wie möglich zurück, so daß der Burghof fast verlassen schien. Urkha war zum erstenmal froh für die abhaileonische Umgebung, die selbst Barraid einige Begrenzungen auferlegte. Die Stimme des Fürsten war weich wie Samt, als er sagte: ´Du hast dich also selbst um seine Überwachung gekümmert, mein lieber Urkha. Dann erzähle mir diese ganze Geschichte doch einmal ausführlich von Anfang an. Ich höre gespannt.´
Urkha sträubten sich die Haare beim Klang dieser Stimme, doch er war sich keines Fehlers bewußt. Um seinen Herrn zu besänftigen, kam er rasch dem Befehl nach. ´Im November des vorigen Jahres der Zeit dieses Landes griffen meine und Lord Asrains Leute das Lager des Verräters Dorban an, um in Ausführung des Befehles Eurer Erhabenheit´, er verbeugte sich tief, ´jenen Deserteur zu fassen und lebend vor Euch zu bringen. Auf unerklärliche Weise wurde er aber gewarnt und konnte entkommen, kurz bevor das Lager vollständig umstellt war. Es scheint, daß drei Männer, von denen einer dieser Gefangene ist, ihm zur Flucht verhalfen. Wir nahmen die Verfolgung sofort auf, konnten ihren Vorsprung aber zunächst nicht einholen, da es in der Dunkelkeit nicht möglich war, ihren Spuren zu folgen. Ein Wachtposten, den Lord Asrain unter der Leitung Asriks hier an der Enge zwischen der Uibhne und den Bergen hatte aufstellen lassen, wurde von den Flüchtenden überrannt. Regenfälle und widrige Witterung erschwerten dann die Verfolgung. Mehrmals hatten wir sie fast erreicht und verloren die Spur auf unerklärliche Weise. Doch nach zwei Wochen gelang es uns fast, sie im Felsland von Cardolan in die Enge zu treiben. Die Verfolgten trennten sich. Einer scheint spurlos verschwunden, zwei flohen zurück nach Westen, einer floh allein Richtung Süden. Diesem Reiter folgte ich mit der Hälfte meiner Männer. Die zwei anderen stießen auf einen Trupp unter der Leitung Ingros. Ihre Verfolgung war nicht erfolgreich. Auf unerklärliche Weise verlor sich ihre Spur am See von Idrim. Dies alles wißt Ihr bereits, Euer Erhabenheit.´

´Das Wort unerklärlich kommt bei dir recht häufig vor´, merkte Barraid kalt an.
´Über die Umstände des letzteren Ereignisses wird Euch mein Unterführer Ingro bessere Auskunft geben können´, beeilte sich Urkha zu sagen. ´Er leitete nämlich jenen Trupp.´
´Ingro!´ befahl Barraid. Seine Stimme war wie Donnergrollen.
Der Genannte stürzte herbei und warf sich vor ihm nieder. Seine Selbstsicherheit war inzwischen auch ins Wanken geraten. ´Ihr befehlt, Herr?´
´Wie erklärst du dir Dorbans Entkommen?´ Die Stimme des Fürsten war drohend.
´Wir hatten die Verfolger so gut wie eingeholt, Herr´, berichtete er, ´Eines der beiden Pferde der Verfolgten brach sich das Bein, als sie das Nordende des Idrimsees erreichten. Sie flüchteten zu Fuß in den Tobel. Obwohl wir nur wenige Meter hinter ihnen waren, blieben sie verschwunden, sobald sie den ersten starken Felsknick der Schlucht hinter sich gebracht hatten. Als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Trotz schärfster Bewachung des Tobels und gründlicher Untersuchung der ganzen Umgebung konnten wir nicht mehr die allerkleinste Fährte entdecken. Wir ließen dort mehrere Wochen lang einen Wachtposten stehen. ´ Ingro schwieg. Ihn erfüllte rasende Angst. Was wenn sich Barraids Zorn nun auch gegen ihn kehrte?

Doch der Schwarze Fürst beachtete ihn fürs erste nicht weiter, sein Blick schien durch die Mauern Cardolans hindurch zu gehen. Er erinnerte sich an das alte Weltentor, das einst an jener Stelle im Wildflußtobel gewesen war. Weder er noch Ríochan hatten es mehr öffnen können. Da mußte sehr große Macht beteiligt gewesen sein. ´Weiter!´ befahl er dann dem Kommandanten von Cardolan. Ingro atmete erleichtert auf, wagte aber nicht sich zu erheben oder auch nur aufzublicken.
´Meine Gruppe war erfolgreicher´, fuhr Urkha hastig fort. ´Nach langem scharfen Ritt stellten wir den Flüchtigen, der sich heftig zur Wehr setzte und vier meiner Leute niederschlug, bis es mir schließlich gelang, ihn zu überwältigen. Ich erkannte sofort, welch wichtigen Gefangenen ich gemacht hatte und hielt es für klüger, ihn auf Cardolan zu behalten, bis Ihr selbst ihn in Augenschein nehmen konntet, als zu riskieren, daß er auf dem langen Weg nach Carraig befreit würde. Ich schickte sofort Nachricht nach Carraig, um Euch zu informieren, mein Gebieter. Ihr befahlt durch Euren Boten, ihn gut auf das Treffen mit Euch vorzubereiten. Wie zu erwarten war, zeigte er sich wenig kooperativ. Alle gewöhnlichen Methoden prallten geradezu an ihm ab. Und Ihr hattet explizit verboten, ihm unwiderruflichen Schaden an Leib und Leben zuzufügen. Er verhielt sich äußerst provokant und widerspenstig.´
´Weiter´, sagte Barraid und spielte mit den Fingern ungeduldig mit dem Kopf des Peitschenstiels, der in seinem Gürtel steckte. ´Mir scheint, wir nähern uns allmählich der interessanten Stelle.´
Urkha fühlte den Schweiß ausbrechen. ´Ich beschloß also auf einer anderen Ebene einzugreifen´, fuhr er fort. ´Er zog sich eine Krankheit zu. Diese Menschen sind schwach und zerbrechlich, mit dem Fieber brach auch seine mentale Abwehr zusammen, so daß ich Zugriff auf seine Gedanken und Gefühle erhalten konnte. Der Gefangene war vollkommen auf sich allein gestellt und erhielt keine Unterstützung. Es war ein Leichtes, seinen Verstand ganz zu beherrschen und ihm keine falschen Gedanken mehr zu erlauben. Davon konntet Ihr Euch selbst überzeugen, Erhabener.´
´O ja´, sagte Barraid und seine Stimme wurde noch weicher und drohender. ´Davon konnte ich mich überzeugen. Deine Arbeit war ausgesprochen erfolgreich. So erfolgreich, daß die Worte, die er spricht, nicht mehr aus seinem eigenen Willen kommen.´

´Verzeiht, Herr´, wagte Urkha einzuwenden. ´Sagtet ihr nicht einmal selbst, dies sei ein vorzügliches Mittel im Umgang mit diesen Menschen?´
´Du hast die Stirn, diesen Fehler auf mich abwälzen zu wollen?´ schrie Barraid. Trotz seines Zornes bemerkte er es wohl, dass Asrik der erste war, der sich, wo er stand zu Boden warf. ´Du solltest besser zuhören, was dir gesagt wird. Ein Mittel für die, die wir in der Hand haben, nicht für unsere erklärten Feinde.´
       ´Du elender Narr´, tobte er dann. ´Du hirnloser, unfähiger Sklave. Du hattest ihn in deiner Hand. Hättest seine Gedanken sorgfältig lenken und leiten können, hättest ihm vor Augen führen können, wie ihn seine Auftraggeber verraten und verkauft haben, hättest langsam den Zorn und die Bitterkeit in seinem Herzen wachsen lassen können, bis er sich von seinem alten Weg abwendet. Und was tust du? Du läßt sein letztes willentliches Wort einen Lobpreis auf diesen Usurpator der Macht, die rechtens mir gehört, sein. Du es fast ganz ruiniert.´ Barraids sonst angenehm aussehende Gesichtszüge verzerrten sich in unmäßigem Zorn. Ein Wink rief zwei der Männer Urkhas herbei, denen er die Zügel des Rappen überantwortete. Dann wandte er sich wieder dem zitternden Kommandanten von Cardolan zu.
´Gnade, Herr!´ rief dieser. ´Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um für den Schaden aufzukommen.´
´Gnade?´ brüllte Barraid. ´Mit wem denkst du, daß du sprichst, Sklave? Sei versichert, daß du für deine Unfähigkeit bezahlen wirst. Und zwar auf der Stelle. Aber nicht hier in Abhaileon.´ Mit einer gebieterischen Handbewegung sprach er ein Wort in einer fremden Sprache und beide entschwanden den Blicken der Umstehenden.

Alle blieben wie erstarrt, wo sie waren, bis Barraid wieder unter ihnen war. Nur der Rappe, der sich allerdings auch ungewöhnlich friedfertig verhielt, senkte neugierig den Kopf, um an dem bewußtlosen Gefangenen zu schnuppern. Nach seiner Rückkehr blickte Barraid sich unter den Männern der Burgbesatzung um. Schweigend und voll Furcht warteten alle auf seine nächste Entscheidung. ´Ingro!´ sagte er endlich kurz und befehlend, doch zu aller Erleichterung wieder mit ruhigerer Stimme. Ingro wagte es wieder aufzusehen. ´Du wirst das Kommando über Cardolan bis auf weiteres übernehmen´, befahl Barraid knapp. „Laß dir die Fehler deines Vorgängers eine Warnung sein.´
´Alles wird zu Eurer Zufriedenheit geschehen, Gebieter´, versicherte Ingro. Er war erleichtert, daß von den Vorkommnissen am Idrimsee nicht mehr die Rede war. ´Was befehlt Ihr bezüglich des Gefangenen?“
Der Fürst blickte verächtlich auf ihn herab. ´Deiner Obhut werde ich ihn bestimmt nicht anvertrauen. Um diese Angelegenheit kümmere ich mich ab jetzt persönlich. - In einer Stunde reise ich ab. Sorge dafür, daß er bis dahin in transportablem Zustand ist. Löst seine Fesseln. Er ist gewiß nicht in der Lage zu fliehen. Ich erwarte dich, Asrik und deine Offiziere in drei Minuten zu einer Besprechung. Zuerst Asrik.´
Mit diesen Worten ging er in das Innere der Burg.

Ingro sprang auf, erteilte, sich seiner neuen Macht voll bewußt, hastig die entsprechenden Befehle und eilte dann, ihm zu folgen.
Asrik folgte dem Fürsten sofort. Als dieser auf dem Thronsessel in der großen Halle Platz genommen hatte, kniete er schon tief gebückt vor ihm. „Nun?“ verlangte Barraid eisig.
Asrik fiel es schwer, klar zu sprechen. „Ich habe versagt“, bekannte er. „Es gelang mir nicht, genügend Einfluß auf den Kommandanten zu nehmen.“ Akans Lektionen waren scharf gewesen. Unterwerfung, niemals Rechtfertigungsversuche.
„Ich will bis Mittsommer alle verfügbaren Kräfte bei Carraig sehen. Du teilst das Kommando dafür mit Ingro. Was wird Akan tun, wenn ich ihm deine Bestrafung überlasse?“
Die Aussicht darauf schien Asriks Befinden nicht zu bessern. „Er wird es aufs Härteste ausführen.“
„Aber er wird dich überleben lassen?“
„Das hängt von Euren Befehlen ab, Gebieter.“
„Sobald du ihn auf Carraig triffst, wirst du ihm ausrichten, dass ich ihm befehle, mit aller Schärfe gegen dich zu verfahren.“ Asrik zitterte so heftig, dass er seine Bestätigung nur stammeln konnte. „Jener Ritter könnte leicht tot sein.“ Asrik stammelte etwas. „Wiederhole!“
„Das habe ich verhindert, Gebieter“, brachte Asrik mühsam heraus.
„Berichte!“ Es war offensichtlich, dass der unglückselige Unteroffizier nicht in der Lage war, ihn zu belügen. Da war keine Hoffnung mehr in ihm, dem sicheren Untergang zu entkommen. Barraid musterte ihn eine Weile schweigend, dann sagte er: „Es ist dir erlaubt, Akan gegenüber hinzuzufügen, dass ich wünsche, dich noch weiter gebrauchen zu können.“ Er unterbrach Asriks Versuch den Boden zu küssen mit einem Befehl: „Bring mir Ingro. Allein. Du bleibst auch.“

Der neue Kommandant von Cardolan trat dienstbeflissen und voller Zuversicht ein. Barraid winkte Asrik auf die Seite und wandte sich Ingro zu: „Ich bin äußerst ungehalten.“
Ingros Blick wurde besorgter, aber er versicherte noch eifrig: „Urkhas Verhalten war äußerst unklug.“
Barraids Blick erfaßte ihn voll. „Mein Mißfallen gilt deinem Anteil an dem Resultat“, sagte er sanft.
Die Augen des Kommandanten weiteten sich in Unbehagen. „Ich riet davon ab“, begann er.
„Du hast es nicht verhindert!“ Die Stimme des Fürsten war wie ein Peitschenschlag. „Dein Rang war der zweithöchste hier. Mein Befehl war dir bekannt! Hast du noch irgendetwas vorzubringen?“ Ingros Gedanken überschlugen sich. Aber es schien das Klügste, das zu verneinen.
Der Fürst sprach weiter: „Ich habe hier keine Zeit zu verschwenden. Wie ich sagte, hast du auf Cardolan fürs erste den Befehl. Du bist mit Asrik verantwortlich, dass bis Mittsommer alle verfügbaren Kräfte bei Carraig stehen. Sobald du dort eintriffst, wirst du dich bei Akan melden und ihm mitteilen, dass es seine Sache ist, dich deinem Versagen entsprechend zu bestrafen. Sage ihm, dass ich seine Meinung in Erwägung ziehen werde, sollte er feststellen, dass es für dich noch eine nützliche Verwendung gibt.“
Ingros vollkommen entsetzter Blick sprach lauter als Worte. Er stützte sich Halt suchend mit einer Hand auf den Boden. Barraids Blick verfinsterte sich noch mehr, doch mit letzter Geistesgegenwart brachte der neue Kommandant heraus: „Wie Ihr befehlt, Herrscher!“
„Dann hole die anderen. Es gibt einiges klarzustellen.“

In den folgenden zwanzig Minuten hatte er die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Die zwei Befehlshaber, die er auf Cardolan zurücklassen würde, hatten gerade noch soviel Hoffnung, dem drohenden Untergang zu entgehen, dass sie voraussichtlich exzellente Arbeit leisten würden. Er ließ sich zu dem Gefangenen bringen. Dessen Zustand war mehr als schlecht. Eine scharfe Frage brachte zutage, dass sich niemand auf Cardolan wirklich auf Heilung verstand. Asrik, der aus dem Saal gestürzt war, sobald er entlassen wurde,  war wohl schon unterwegs in den Osten. Ingro, der ihn begleitete, wollte sich mit dem Mut der Verzweiflung auf diese Aufgabe werfen. Aber Barraid hielt ihn mit einer knappen Handbewegung zurück. Es war klüger, er kümmerte sich selbst darum. Ungeheurer Zorn stieg in ihm auf, seine Fähigkeiten auf so etwas vergeuden zu müssen. Er kniete neben dem Schwerkranken nieder. Urkha verwünschend, kümmerte er sich um die schlimmsten Schäden. Der Rest musste bis Carraig warten. Der Ritter war immer noch bewußtlos und würde es wohl noch lange bleiben. Um nicht noch mehr Zeit zu verschwenden, nahm er ihn am besten mit auf den Rappen. Er forderte Ingro auf, den Gefangenen zu tragen und ging zurück zum Hof, wo das Pferd auf ihn wartete. Ingro hastete mit der leichten Last hinter ihm her. Noch vor Ablauf der von ihm gesetzten Stunde konnte Barraid wieder aufbrechen.

Erfreulicherweise zeigte sich der schwarze Hengst etwas umgänglicher als sonst. Vielleicht fügte er sich endlich in sein unvermeidliches Los. Der Zufall hatte Barraid nicht schlecht in die Hände gespielt, daß es Robin und nicht Béarisean war, der in seine Hände gefallen war. Denn Béariseans Haß und Abscheu ihm gegenüber war so groß, daß es ungeheuer schwierig gewesen wäre, diesen Widerstand zu überwinden. Da spielte wohl der Tod von Béariseans Schwester Rilan mit. Gewiß hätte er auch mit diesen Regungen spielen können, doch es wäre ungleich riskanter gewesen. Bei dem Ardaner waren die Ansatzpunkte leichter zu finden. Es war die Kunst in solchen Fallen jemandes Tugenden und Schwächen zu nutzen, um ihn zu Fall zu bringen. Niemand verstand sich besser darauf als Barraid. Das Beste jedoch war, dieser Ritter trug das Rubinschwert.
´Schade, daß du mich jetzt nicht sehen kannst, Ríochan´, lachte der schwarze Fürst leise. ´Du würdest denken, ich habe mich in einen barmherzigen Samariter verwandelt, so behutsam wie ich deinen Ritter auf den Armen trage.´
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