XVIII In Gefangenschaft
Der Rappe galoppierte in raumgreifenden Sprüngen. Seine
starken Muskeln bewegten sich spielerisch unter dem blanken Fell. Mähne und
Schweif wehten wild hinter ihm her in den Luftwirbeln, die sein schneller Lauf
hervorrief. Kein Pferd Abhaileons hätte ihn an Schnelligkeit oder Ausdauer
erreichen können. Selbst gebunden an die Naturgesetze dieser Welt verfügte er
über gewaltige Fähigkeiten. Die Anmut und Stärke seiner Bewegungen waren wie
ein Spiegelbild des jungen Sommers, der nun das Land unter seine Herrschaft zu
nehmen begann. Wie ein lebendig gewordenes Gedicht.
Doch sein Reiter hatte dafür keine Gedanken. Barraid
triumphierte. Jetzt hatte er das Mittel zurückgewonnen, das es ihm erlauben
würden, die Eroberung dieses Landes schnell voranzutreiben. Seit dem Verlust
des Rappens war er mehr oder weniger an die Umgebung Carraigs gefesselt
gewesen, wollte er nicht die Herrschaft und die Übersicht über den Verlauf
seiner Pläne wenigstens zeitweise aus der Hand geben.
Die widrigen Umstände hatten ihm zu Beginn des Winters
nicht einmal erlaubt, sich nach Cardolan zu begeben, wo Hauptmann Urkha diesen
wichtigen Gefangenen gemacht hatte. Wenn Urkhas Angaben stimmten, war es einer
der beiden Ritter, die ihm schon einmal entkommen waren. Damals in Gleann
Fhírinne. Doch selbst in dieser unglückseligen Drachenschlucht hatte das
Schicksal nun endlich zu seinen Gunsten entschieden - er hatte den Rappen zurück.
Als er Asrik nach Cardolan geschickt hatte, war der
Winter schon angebrochen gewesen. Das Felsland von Cardolan, dessen hartes und
strenges Klima berüchtigt war, mußte schon so gut wie unzugänglich gewesen
sein. Er selbst hatte es nicht riskieren können, dorthin zu reisen - auf
gewöhnlichen Pferden und gewöhnlichen Wegen, gebunden an alle diese ärgerlichen
physikalischen Gesetze und Schwierigkeiten, wollte er nicht Ríochan den
sehnlich erwarteten Grund zum Eingreifen geben. - Dreifach verflucht Ríochan!
Er war nicht zu unterschätzen. Diesen Fehler hatte er ein einziges Mal gemacht,
damals als alles begann. Da hatte dieser sein so sanftmütig scheinender Bruder
als einer der ersten das Schwert ergriffen und im Kampf eine Gerissenheit und
stählerne Härte gezeigt, die selbst ihn überrascht hatte. Es hieß, er habe
geschworen, seine Harfe nicht mehr anzurühren, bevor er das Schwert für immer
beiseite legen könne.
Und Alif, dieser vermaledeite Idiot Alif, der schon auf
seiner Seite gestanden hatte ... – es war besser nicht daran zu denken. - Schon
mehrfach hatte Ríochan ihn in letzter Minute um den Sieg in Abhaileon gebracht.
Nein, Barraid musste auf Carraig bleiben, um alles in der Hand zu behalten.
Also hatte er nur diesen Boten geschickt. Asrik und Ingro zusammen sollten
eigentlich in der Lage gewesen sein, Urkha von Hirnverbranntheiten abzuhalten.
Nachdem dann endlich die Frühjahrstauwässer den Weg frei
gemacht hatten, war es notwendig gewesen, verstärkt ein Auge auf Estohars
neuerliche Umtriebe zu halten. Ríochan war, wie zu erwarten gewesen war, auch
nicht müßig gewesen und hatte begonnen, seine Akteure ins Feld zu schicken. In
Croinathír hatte sich der Rat tatsächlich aufgerafft, ein Heer aufstellen zu
wollen. Doch dieses Mal würde Barraid sich als der Listigere und Überlegenere
erweisen. Seine Vorarbeiten waren ungeheuer sorgfältig gewesen, alle
erdenkbaren Eventualitäten einkalkuliert.
Der Fall Ciaran war eine Probe gewesen, um zu überprüfen,
wie gut er die Pläne des Gegners kannte. Mochte Ríochan sich freuen, daß der
kleine Krieger jetzt in allen Städten und Burgen zum großen Kampf aufrief.
Allzu viel Resonanz würde er ohnehin nicht finden, und soweit er Erfolg haben
mochte: es war besser, später alle Widersetzlichen auf einem Platz versammelt
zu sehen, um sie dort auf einen Schlag vernichten zu können, als sich mit
langwierigen Partisanenkriegen herumzuschlagen.
Der Fürst zügelte sein Pferd und blickte zurück zu den
Nordbergen, über denen das helle Sonnenlicht lag. Das höchste Vergnügen würde
es ihm bereiten, alles so ablaufen zu lassen, daß Ríochan keine Chance zum
Eingreifen erhielt. Ohnmächtig würde er zusehen müssen, wie Abhaileon, wie dann
eine Welt nach der anderen, sich ihm, Barraid, freiwillig in die Hände gab. Wie
reife Früchte zur Erntezeit würden sie ihm bald zufallen. Auch Arda, dieser
Augapfel der Bemühungen des Feindes, würde fallen, mit dem Einverständnis
seiner Bewohner. ´Und dann Ríochan, dann Michael, dann all ihr stolzen Heerführer´,
sagte er, ´dann wird die letzte große Schlacht kommen, in der ich für alle
Kränkungen und Niederlagen unbarmherzige Rache nehmen werde. Denn ich werde die
Macht besitzen, die auch ihr in eurem Innersten begehrt, und ich werde sie zu
nutzen wissen. Verlaßt euch darauf!´
******
Die Zeiten, da Robin selbst die Gefahren Abhaileons wie
ein fröhliches Abenteuer erschienen waren, lagen lange zurück. Er hätte nicht
zu sagen vermocht wie lange. Seit jenem hellen Wintertag, als er in die Hände
der Feinde gefallen war, schienen Zeitalter vergangen zu sein. Sein Verstand
sagte ihm natürlich, daß es keine Zeitalter sein konnten, da er dann schon
längst gestorben wäre. Aber manchmal fragte er sich, ob er nicht doch schon
jenseits des Lebens war, denn ihn umgab nur noch schreckliche Dunkelheit.
Während dieses nicht faßbaren Zeitraumes seit seiner
Gefangennahme, war ihm Stück für Stück alles verlorengegangen, das er noch
besessen hatte: sein fast unverwüstlicher Optimismus, seine Hoffnungen und
Träume. Selbst seine Erinnerungen hatten begonnen zu verblassen und zu sterben.
Die Zeit, bevor er nach Abhaileon gekommen war, wirkte fremder als ein Märchen.
Wie buntes Herbstlaub, das der Wind seinem Tod entgegentreibt, flatterte ab und
zu ein unwirkliches Bild durch seine Gedanken: Berggipfel in strahlender Sonne,
winterlicher Flockenwirbel vor dem Fenster des gut geheizten Zimmers, lange
Teeabende mit Isabell, fröhliche Runden mit den Freunden, Herbstfarben auf
goldenen Hügeln, wenn die Sonne über den Nebel gesiegt hat, die Aufbruchsfreude
des herannahenden Frühjahrs und Musik.
Lieder fröhlich wie Vogelgezwitscher, Sinfonien so
mächtig und weit wie das Meer und die Berge, Melodien so sanft und zärtlich wie
eine streichelnde Hand,Themen voll Hoffnung, Freude, Mut und Licht.
Das unerwartete Treffen mit Béarisean. Die Reise durch
Abhaileon. Der Drache. Die Begegnung mit Ríochan von Alandas. Der schwarze
Hengst. Der Fechtunterricht bei Rodil. Eine wilde Verfolgungsnacht durch dunkle
Wälder, über denen doch immer wieder ein strahlender Morgen aufging. Ein buntes
Blatt der Erinnerung nach dem anderen schwebte vorbei, flatterte noch einmal
kurz in der Luft und sank zu Boden, versank in der grausamen und schwarzen
Realität seines Gefängnisses.
´Wie wenig es braucht, um mich zu zerbrechen´, dachte er.
´Ein paar Monate Dunkelheit, Kälte, Hunger, Krankheit und Einsamkeit, nicht
mehr. Nichts Spektakuläres wie Verhöre und Folter. Vielleicht wäre so etwas sogar
in einem gewissen Maße erträglicher gewesen. Etwas, das Widerspruch und Stolz
hätte anstacheln können. Statt dessen umgibt mich nur Leere und Ungewißheit.
Sinnlosigkeit. Ich vergesse, wer ich war und warum ich hierher gekommen bin.´
War es nicht zu Beginn dieser Gefangenschaft anders
gewesen? Ein neues der bunten Blätter flatterte vorüber: Er war genauso wie
jetzt an die Wand der Zelle gekettet, hilflos der Kälte und dem Hunger
ausgeliefert, während draußen in der Welt außerhalb der Burg Cardolan der Winter
mit aller Macht einsetzte. Hier spürte er nur den bitteren Frost, sah nichts
vom strahlenden Weiß des Schnees und der Schönheit des Winters, die er immer
geliebt hatte. Aber in seinem Herzen hatte er damals noch - wie lange war
dieses Damals nur her? - das Licht bewahrt, das Bewußtsein, alle Unbilden in
Erfüllung seines Auftrages zu erleiden.
Jetzt wußte er auch nicht mehr so recht, wie dieser
Auftrag eigentlich gelautet hatte. Mit Gleichmut und Siegesgewißheit hatte er
die spöttischen Bemerkungen des Wächters, der in unregelmäßigen Abständen
Wasser und etwas Eßbares brachte, überhört, hatte über Urkhas gelegentliche
Drohungen und Einschüchterungsversuche gelacht und, zum Verdruß desselben, die
Größe seines Königs gepriesen.
Wie die vielen bunten Gedankenblätter vorher, begann auch
diese letzte Erinnerung zu schwinden. So wie sein Mut geschwunden war, als
Nässe und schlechte, körperliche Verfassung ihren Zoll gefordert hatten. Die
Krankheit hatte ihm lange Tage die Besinnung geraubt. Heftige Fieber schüttelten
ihn. In den wenigen klaren Momenten hatte er geglaubt und manchmal gehofft,
bald zu sterben. Doch irgendwie hatte er überlebt. Die Fieber waren einer
tiefen, unerklärlichen depressiven Stimmung gewichen, in der ein Stück seiner
früheren Welt nach dem anderen versank. Er kämpfte dagegen an, doch es gelang
ihm nicht mehr, einen Gedanken der Hoffnung zu fassen. Alles entglitt seinem
Willen, der so kraftlos wie seine Hände war. Er wußte noch vage, tief in ihm
war noch etwas, das Licht und Kraft geben konnte, aber er hatte keine
Möglichkeit, daran zu rühren. Nicht nur sein Körper auch seine Gedanken lagen
in Ketten, die nur wenige Zentimeter Bewegung erlaubten. Sinnlos sich dagegen
zu wehren, es verursachte nur unerträgliche Schmerzen. Warum nur war er hier,
warum? Er wußte es nicht mehr.
******
Schwarz ragten die Zinnen von Burg Cardolan in den
blaßblauen Sommerhimmel. Die einsame Heidelandschaft um die Felsenfestung hatte
sich mit jungem Grün geschmückt. Ein sanfter Wind ließ die schwarze Fahne auf
dem höchsten der Türme stolz wehen, als Barraid in den Burghof einritt.
Hauptmann Urkha hatte sich beeilt, seinem Herrn mit einer Ehrenwache
entgegenzukommen und begrüßte ihn mit einem unterwürfigen Fußfall. Barraid
verspürte keine Lust, sich mit den Formalitäten aufzuhalten, auf die er sonst
großen Wert legte. ´Wie geht es dem Gefangenen?´ fragte er herrisch und ließ
sein Pferd ungeduldig tänzeln.
´Ausgezeichnet´, beeilte sich Urkha mit einem Grinsen zu
versichern, das für den Zustand des Gefangenen nichts Gutes ahnen ließ. ´Ich
habe mich mit besten Kräften um ihn bemüht und würde vermuten, daß er an dem
Punkt ist, alles zu akzeptieren, um aus seiner mißlichen Lage herauszukommen.´
Barraid zog erstaunt und mißtrauisch die rechte Braue
hoch. Seiner Einschätzung nach hatte Urkha nicht die Fähigkeiten, so etwas zu
erreichen. Sein Blick suchte Ingro und Asrik. Sie waren anwesend, aber wagten
nicht, zu ihm aufzublicken. ´Wir werden sehen´, sagte er langsam. ´Ich hätte
vermutet, daß er harten Widerstand leistet und noch lange nicht so weit ist,
wenn er wirklich einer dieser Ritter ist, die sich mir in den Weg stellen
wollen.´
´Nun, Herr, er leistete Widerstand´, versicherte Urkha.
´Ich hielt es für meine Pflicht, mich selbst um den Fall zu kümmern. Aber er
erhielt keinerlei Hilfe. Da zeigte er sich mir nicht gewachsen. Sie sind
schwach und zerbrechlich, diese Menschen. Keine Gegner für uns.´
In Barraids Augen blitzte ein gefährlicher Funke auf.
Dieser erbärmliche Hauptmann, wagte es "uns" zu sagen, sich in einem
Atemzug mit ihm, dem Herrscher, zu nennnen. Wehe ihm, wenn er in seiner
Aufgabe, diesen Ritter zu bewachen, versagt haben sollte. ´Du warst bisher
immer besser in großmäuligen Behauptungen als in wirklichen Taten, Urkha´,
sagte er hart. ´Wenn du gute Arbeit geleistet hat, wird das nicht ohne Lohn
bleiben. Genausowenig wie wenn sich das Gegenteil herausstellen sollte. Laß den
Gefangenen sofort hierherbringen!´
Urkha sprang stolz auf und befahl zweien seiner Leute
barsch, dem Wunsch des Herrschers nachzukommen. Er legte Wert darauf zu
demonstrieren, welch straffes Regiment er hier führte. Barraid gestattete mit
einem Wink allen, sich zu erheben.
In Ingros Augen funkelte es spöttisch. Er war von Urkhas
erfolgreichem Vorgehen auch ganz und gar nicht überzeugt. Im Gegenteil. Er
wußte, daß der Hauptmann einen Fehler gemacht hatte. Er hatte ihn sogar einmal
darauf angesprochen. Selbstverständlich nicht, um ihm zu helfen, sondern weil
er genau wußte, daß Urkha auf seinen Rat hin genau das Gegenteil unternehmen
würde. So war es auch geschehen.
Asrik presste die Lippen zusammen. Kein Zweifel, dass er
beunruhigt war. Er hatte sich mit allem Einfallsreichtum, den er aufbringen
konnte, bemüht Urkha zu einem anderen Vorgehen zu bringen. Es war hoffnungslos
gewesen. Dann hatte er wirklich einmal vehementer eingreifen müssen; der
Gefangene war fast umgekommen unter Urkhas brutaler Hand. Danach war es für ihn
besser gewesen, dem Kommandanten aus dem Weg zu gehen, wollte er selber den
Winter intakt überstehen. Immerhin hatte Urkha seine Strategie dann etwas geändert,
und der Ritter lebte noch. Barraids Zorn würde wie ein Blizzard über sie
kommen, dessen war sich Asrik gewiss, und er war einer der wichtigeren Führer
hier. Er hatte den Blick des Fürsten bereits auf sich gespürt. Warum hatte Akan
ausgerechnet ihn hier zurücklassen müssen? Kein glücklicher Gedanke. Wenn er
das hier überlebte, würde der Lord ebenfalls Rechenschaft wollen ...
Barraid entging nichts von ihren Mienen. Asrik wurde fast
zusehends blasser. Er stand soweit entfernt, wie es nur eben möglich war, ohne
aufzufallen. Ingro – nun, Ingro hatte noch einiges zu lernen, wie es schien. Er
wußte, dass Urkha etwas falsch gemacht hatte, aber glaubte sich selbst sicher
vor den Folgen.
******
Ein Geräusch unterbrach Robins Dahindämmern. Er blickte
nicht auf, da er vermutete, daß es sich wieder um seinen Wärter handelte, der
eine der seltenen Essensrationen brachte. Selbst das war ihm gleichgültig
geworden. An den Hunger hatte er sich schon lange gewöhnt. Warum dieses Elend
noch immer weiter verlängern? Er fühlte kaum, wie die eisernen Ketten, die ihn
monatelang gefesselt gehalten hatten, gelöst wurden und stürzte nach vorn, als
sie ihn nicht mehr hielten. Willenlos ließ er es mit sich geschehen, daß ihm
die Hände auf den Rücken gebunden wurden und er hinausgeschleppt wurde. Zum Gehen war er zu schwach. Irgendwann ließen
sie ihn wieder los. Er fiel zu Boden. Mühsam versuchte er die Augen zu öffnen
und das helle Tageslicht traf ihn wie ein Schock.
Barraid blickte schweigend und mitleidlos auf den gefangenen
Feind, der vor ihm lag wie ein schmutziges Bündel Lumpen. Unwirsch riß er am
Zügel des Rappen, der plötzlich wieder angefangen hatte, aufsässig zu steigen.
- Es war in der Tat eine Herausforderung, dieses wilde Pferd zu reiten. Jetzt
wurde das edle Tier wohl auch von diesem stinkenden Haufen Elend angewidert. -
Er rief sich seine Begegnung mit den beiden mutmaßlichen Rittern ins
Gedächtnis: zwei harmlos aussehende junge Männer mit aufrechter Haltung und
Offenheit und Unbekümmertheit in den Augen. Es war leicht gewesen, sich auf den
ersten Blick in ihnen zu täuschen. Doch die Unverfrorenheit, mit der sie ihn
genarrt hatten, sprach für ihre Gefährlichkeit. Ríochans zwei Trumpfkarten:
Ritter Anno aus Arda und der abhaileonische Lord Béarisean von Sliabh Eoghai,
Colins Nachkomme. Dieses Mal würde er sich nicht mehr täuschen lassen.
Der Gegner rührte sich nicht. Wenn nun dieser Idiot von
Urkha ihn so zugerichtete hatte, daß er zu nichts mehr zu gebrauchen war, daß
er starb? Verdammnis! Er brauchte den Ritter lebend. Wütend zog er an den
Zügeln des Rappen, der mit seinen Eskapaden verursacht hatte, daß er, Barraid,
über diesen Winter fast zur Untätigkeit verurteilt worden war. Das Pferd
schüttelte unwillig den Kopf und machte einen erneuten Ansatz zu steigen. Mit
einer Handbewegung forderte Barraid einen der umstehenden Krieger auf, ihm den
Kopf des Gefangenen zuzuwenden. - Er erkannte das Gesicht sofort wieder. Kein
Zweifel, das war Anno, oder Robin, wie er sich nannte, der ihn mit dieser
Vogelsache genarrt hatte. Seine einst fröhlichen Augen blickten leer und wie
blind in das Sonnenlicht. Nun, es gab ein eindeutiges Beweisstück, mit Hilfe
dessen er darüber befinden konnte, ob dieser gebrochene Mensch ein Ritter des
gehaßten Königs war oder nicht. Er drehte sich um zu Urkha: ´Wo ist sein Schwert?´
´Euer Durchlaucht´, gab Urkha Auskunft, ´ich habe es in
sicherer Verwahrung. Es ist ein schönes Stück mit verziertem Heft und sieht
aus, als komme es aus Alandas. Ganz wie der Gefangene selbst, wenn seine
Behauptungen stimmen. Solche Waffen sind gefährlich. Selbst hier in Abhaileon.´
´Erspare mir die unnützen Belehrungen!´ fauchte der
Fürst. ´Schaff mir alles herbei, was er bei sich trug! Sofort!´ Diesmal stürzte
Urkha selbst davon.
Barraid betrachtete währenddessen eine Weile nachdenklich
den Gefangenen. ´Sag mir deinen Namen!´ fuhr er schließlich den unglücklichen
Robin an, der noch immer halb blind in das Tageslicht starrte.
Seine Stimme war das erste, was dem Gefangenen wieder
etwas klarer ins Bewußtsein drang. Schattenhaft erkannte Robin vor sich die
Umrisse eines Reiters und etlicher Männer. Ein kräftiger Stoß des Mannes, der
seinen Kopf an den Haaren gepackt und in den Nacken gerissen hatte, so daß er
in das Licht blicken mußte, bekräftigte, daß er gemeint sei. Wer war er?
Krampfhaft überlegte er, wer er eigentlich sei. Mit einem Gefühl der
Erleichterung fand er die Worte: ´Robert Arnold´, flüsterte er.
Barraid lächelte zufrieden. ´Ich sehe der noble Ritter
Anno aus Arda ist gesprächiger geworden´, sagte er spöttisch. ´Bei unserem
letzten Treffen zogt Ihr es bedauerlicherweise noch vor, mir Euren richtigen
Namen zu verschweigen. Das war äußerst unklug. Du gibst zu, jener Anno, Ritter
des Königs, zu sein?´
´Ich weiß nicht mehr´, erwiderte Robin mühsam mit kaum
hörbarer Stimme. Jeder Satz kostete so viel Kraft. Aber er wurde gedrängt
weiter zu sprechen. ´ Wer seid Ihr? Eure Stimme ...´
´Ein Freund´, sagte Barraid knapp. ´Ich bin gekommen,
dich aus deiner mißlichen Lage zu befreien, in die du durch eine Verkettung
unglücklicher Umstände und Mißverständnisse geraten bist.´
In den leeren Blick des Gefangenen trat nach einer Weile zum
erstenmal eine Regung von Hoffnung. Er hatte nicht alles begreifen können in
diesem langen Satz. Nur dies eine Wort, das verheißungsvoll klang, was auch
immer es in sich barg. ´Frei? ´
Die Rückkehr Urkhas unterbrach die Befragung. Er brachte
das Geforderte herbei: Schwert und Panzer, Mantel und Harfe, ein paar kleinere
Ausrüstungsgegenstände. Barraid warf einen flüchtigen Blick auf die Gravur des Brustpanzers.
Das Motiv stimmte. Er ließ sich das Schwert reichen. Es war das Rubinschwert;
fast hätte er aufgelacht. Das Glück stand wirklich auf seiner Seite. Aufmerksam
strich er über die goldenen Verzierungen des Heftes und zog schließlich die
Klinge ein paar Fingerbreit aus der Scheide. Das Metall gleißte blauweiß in der
Sonne. Geblendet kniff er die Augen zusammen und schob die Klinge schnell
wieder in die Scheide zurück. Ohne Zweifel, dies war ein Schwert aus Alandas.
Kaum daß Ríochan selbst ein besseres tragen mochte. Die Ornamente sprachen eine
klare Botschaft über den hohen Rang ihres Trägers.
Ungläubig glitt sein Blick zurück auf den Gefangenen. Es
hätte ihm Befriedigung bereiten sollen, seinen Gegner so zerbrochen und
gedemütigt vor sich zu sehen. Nur noch ein Schatten seiner selbst. Stattdessen
fühlte er sich beunruhigt. Etwas stimmte hier nicht. Er kannte sie, diese
Ritter des Königs. Durch die Jahrtausende hindurch hatte er immer wieder mit
ihnen zu tun gehabt. Manche hatten ihm üble Schwierigkeiten bereitet, hatten
ihn gezwungen ganze Schlachten verloren zu geben, und einige wenige hatten in
dem Kampf die Seite gewechselt und ihm schließlich in die Hände gearbeitet.
Solch ein Verrat war stets wertvoll gewesen, aber äußerst schwer zu erreichen.
Es hatte ihn stets lange Zeit und große Mühen gekostet. Noch einmal glitten
seine Finger über die Ornamente des Schwertknaufes. Ríochan war kein solcher
Narr. Gleich wie schlecht die Karten des Fürsten von Alandas waren, niemals
hätte er dieses Schwert in den Händen eines Menschen gelassen, der sich von
einem kleinen Hauptmann wie Urkha so schnell zu einer Sinneswandlung bewegen
ließ.
Der Fürst ließ sich die Harfe reichen und betrachtete sie
längere Zeit nachdenklich und prüfend. So als sei das Instrument ein
potentieller Feind. Vorsichtig strich er mit dem Finger über die gespannten
Saiten. Da war etwas mehr an dieser Harfe als damals vor Monaten auf Carraig. Die
Töne perlten klar und harmonisch über den Burghof. Barraids Blick verfinsterte
sich schlagartig. Urkha fühlte eine erste Regung von Besorgnis in sich
aufkeimen, auch wenn er nicht begriff, was hier vor sich ging. Was um alles in
der Welt wollte der Herrscher mit dieser Harfe? Was konnte die schon bedeuten?
Der Fürst reichte das Instrument an einen der Männer, den
er herbeiwinkte - die andern wagten nicht, sich zu rühren - und sprang aus dem
Sattel. Wohl darauf bedacht, die Zügel seines rebellischen Reittieres mit
ehernem Griff zu halten, trat er vor Robin. Die Männer, die den Gefangenen
hielten, duckten sich, als er nähertrat. Auch Robin fühlte die Bedrohung, die
von seinem Gegenüber ausging. Er wäre gerne, dem Instinkt folgend,
zurückgewichen, doch vermochte es nicht. ´Sprich!´ befahl der Schwarze Fürst.
´Dies Schwert ist dein rechtmäßiges Eigentum?´
Robin versuchte mühsam, seine verwirrten Gedanken zu
konzentrieren und den Gegenstand zu erkennen, den ihm der Fremde entgegenhielt.
Die Willensanstrengung schmerzte und seine Augen waren noch immer geblendet.
Einen Augenblick gab der eiserne Ring, der seine Gedanken umklammerte, etwas
nach, und er konnte die Waffe sehen. ´Mein Schwert´, sagte er wie verwundert.
Die Welt schien wieder klarere Konturen anzunehmen. Vielleicht würde er sich
bald wieder erinnern können. Doch da war er wieder der alles verschlingende
Schmerz, der ihn zurückwarf. Er traf ihn wie ein glühendes Schwert und ließ ihn
mit einem leisen Aufschrei in die Dunkelheit zurückfallen. Barraid runzelte
ärgerlich die Stirn. Dieser Dummkopf von Urkha hatte doch nicht etwa ...? Es
galt, sich Klarheit zu verschaffen.
´Blick mir in die Augen!´ verlangte der Fürst und der
Gefangene folgte widerstrebend der Aufforderung. Die funkelnden schwarzen Augen
Barraids bohrten sich tief in Robins leer gewordenen Blick, schienen seine
Gedanken und sein Herz zu durchforschen. Es gab kein Entkommen davor. Ohne den
Ritter aus seinem Blick zu entlassen sagte Barraid: ´Für deine Freiheit
verlange ich nicht viel. Nichts als dein Wort, nie mehr die Waffe gegen mich,
Fürst Barraid, Herr von Winian, Carraig und Cardolan und kommender Herrscher
ganz Abhaileons, oder einen meiner Leute zu erheben und daß du mir die Ehre
erweist, die mir als Herrscher dieses Landes zusteht.´
Einen Moment lang schien es Robin, als rege sich tief in
seinem Innern Widerstand gegen diese Forderung. Doch er konnte sich nicht
erklären weshalb. Wie auch immer er hierher geraten sein mochte, war es nicht
eine Selbstverständlichkeit, die Gesetze des Lords oder Fürsten zu halten, auf
dessen Grund und Boden er sich bewegte? Waren sie in der versunkenen früheren
Welt Gegner gewesen? Es bedeutete nichts mehr. Er wollte nur noch seinen
Frieden. Er wollte sagen: ´Ich gebe Euch mein Wort´, und brachte es nicht über
die Lippen. Er hatte keine Hoffnung mehr, selbst die Freiheit erschien ihm
sinnlos. Mochte er doch wenigstens sterben, ohne dem, für das er vorher gelebt
hatte die Treue zu brechen. Was auch immer es gewesen sein mochte. Er beschloß
zu schweigen. Doch wieder griff der grausame Schmerz in seinen Kopf und zwang
ihm die Worte auf: ´Ich gebe Euch mein Versprechen.´ Der Schmerz zerbrach ihn
fast, dann verlor er das Bewußtsein.
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