Reginald
trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte. Draußen ging über dem
See, der Burg Edrin ihren Namen gegeben hatte, blutrot die Sonne unter. ´Was
zum Teufel treibt Arnim nur?´ polterte er. „Er weiß doch, daß wir hier warten
und daß wir Wichtiges zu besprechen haben. Na los, Elgin, verrate es uns. Du
warst doch die ganze Zeit mit ihm zusammen. Was hat er denn gerade jetzt so
Wichtiges zu erledigen?´
´Nun
ja´, sagte Elgin etwas zögernd. ´Du wirst es, vermute ich, überraschend finden,
aber er macht kein Geheimnis daraus. Er betet. Seit er aus Escail zurück ist,
hat er sich dafür viel Zeit genommen.´
´Er -
was?´ Reginald war von seinem Sitz aufgesprungen. ´Noch einmal ganz klar,
Elgin. Wir reden hier von meinem alten Freund und Waffenbruder Arnim von
Lassalle, der weder Himmel noch Hölle fürchtet und der demnächst diesem Angeber
von Gearaid Saures geben wird. Der Arnim, den ich seit meiner Kindheit kenne
und der noch nie solche Anwandlungen hatte. Auch vor vier Tagen noch nicht, als
er mich mit einem Auftrag losschickte. Du kannst mir nicht weismachen ...´
´Er
nimmt dich hoch´, wiegelte Otho ab. ´Elgin hat einen Scherz gemacht. Du glaubst
doch nicht im Ernst, daß Arnim auf solche Ideen kommt. Elgin will es uns eben
nichts im voraus verraten. Nicht wahr?´
´Glaubt
es mir oder eben nicht. Das ist absolut eure Sache´, entgegnete Elgin. ´Ich
habe nichts weiter dazu zu sagen.´
Reginald
setzte sich wieder. Er war immer noch aufgebracht. Zwei Diener kamen herein und
entzündeten die Fackeln an den Wänden, während das Tageslicht mehr und mehr
verblasste. Ingvar stand in einer der Ecken des Raumes und hatte sein leises
Gespräch mit Niko und Rieken wieder aufgenommen. Er schien immer noch bleicher
als sonst, aber zumindest war er wieder ruhiger. Eamain, Finnain, Obhain und
Reasan saßen ebenfalls in einer Gruppe zusammen und flüsterten nur
untereinander. Auch wenn sie sich gegenseitig immer wieder genauso
misstrauische Blicke zuwarfen wie den anderen.
Sie
waren alles andere als eine Einheit hier. Rina, Rensdal, Serinim, Lesick,
Berais und Raleigh waren am weitesten in ihren Vorbereitungen für den Aufstand,
doch selbst zwischen ihnen bestand allenfalls ein loses Bündnis. Elgin wusste
nur zu gut, dass es in ganz Eannas nur einen Mann gab, der sie zum Erfolg
führen konnte. Vermutlich wussten das alle anderen auch. Er fragte sich, was die
Motive der Verbündeten sein mochten. Besonders die der Neuen. Er war sich
sicher, Arnim kannte sie. Es gab erstaunlich wenig, was ihm nicht bekannt war.
Als
Lassalle endlich eintrat, verstummten alle Gespräche sofort. Reginald stand
auf. „Na endlich!“, rief er und ging ihm entgegen. „Was hat dich so lange
aufgehalten?“
Arnim
lächelte sein übliches kaum deutbares, kaum sichtbares Lächeln, nur die Lippen
verzogen sich ein wenig. „Eine wichtige Besprechung“, sagte er. „Es sieht nicht aus, als hättet ihr ohne mich
angefangen, Pläne zu machen.“
„Pläne?“
Otho nahm einen Schluck Wein. „Realistisch gesehen sind wir hier, um deine
Befehle entgegenzunehmen.“
Eamain
und Reasan blickten daraufhin finster, widersprachen aber nicht.
Lassalle
sagte trocken: „Bevor ich Befehle gebe oder wir Pläne machen, müssen wir ein
paar Grundlagen klären.“
„Was
ist noch zu klären?“ fragte Rieken. „Wir erklären Gearaid den Krieg! Umso
besser, dass er jetzt in Asterne ist. So erobern wir Escaile vielleicht etwas
schneller.“
„Es
gibt nur einen legitimen Grund, Gearaid den Krieg zu erklären“, setzte Lassalle
auseinander, „nämlich dass er Hochverrat an Abhaileon beging, indem er sich an
der Person des Regenten vergriff. Vier von uns haben den fraglichen Ritter
offiziell als Regenten anerkannt. Was ist mit den anderen?“
„Was willst du noch, Arnim, Brief und Siegel?“ fragte Reginald. „Du weißt,
wo ich stehe.“
„Genau
das“, sagte Lassalle. „Wir schicken eine Urkunde an den Rat in Croinathír, in
der wir Ciaran von Fírin als Regenten anerkennen und Gearaid wegen Hochverrates
als abgesetzt erklären. „Lies es vor, Elgin.“
Der
Lord von Berais nahm die vor ihm liegende Rolle auf und las vor. „Lord Lassalle
und ich haben es unterzeichnet“, schloss er.
„Und er
ist wirklich der Regent?“ erkundigte Eamain sich zögernd.
Ingvar
nickte. „Er trägt das Siegel des Regenten. Ich sah es mit eigenen Augen. Er ist
der Regent. Er hat sogar die Legitimation des Fürsten aus Alandas.“ Diesen
letzten Satz sprach er leise, fast widerstrebend, bevor er wieder fester
schloss: „Es kann keinen Zweifel geben, wer er ist und zu was das Gearaid macht.“
Er griff nach der Feder. „Gib mir das Dokument, Elgin!“
„Es ist
das Siegel“, bestätigte Otho. „Ich habe es gesehen. Aber mehr noch, ich habe
den Regenten gesehen und war durchaus beeindruckt.“
„Es lag
nicht an mir, dass ich nicht den Treueid sprechen konnte“, erklärte Rieken mit
einem vorwurfsvollen Blick auf Lassalle. „Ich unterzeichne!“
„Arnim hat mich überzeugt“, meinte Reginald lässig. „Mein Siegel darauf.“
„Warum
sonst wären wir hier?“ fragte Niko einfach mit einem Blick auf die noch
Zögernden. „Wir alle haben ihn gesehen, wenn auch nur kurz.“ Eamain nickte schließlich
und das entschied es, sie alle gaben ihre Unterschrift und ihr Siegel.
„Gewissermaßen
ist das eine Erleichterung“, sagte Finnain, als er als letzter die Feder
weglegte.
Elgin
rollte das Papier zweier Ausfertigungen sorgfältig zusammen und steckte es in die
jeweiligen Hüllen. Er ging damit hinaus, um die Dokumente sofort auf den Weg zu
schicken. Das eine würde nach Croinathír gehen, das andere nach Asterne. Ein
Duplikat blieb zurück. Lassalle nahm es an sich. „In vier Tagen ist es bei
Gearaid“, sagte er ruhig. „Spätestens ab dann stehen wir im Krieg.“
„Kommen
wir zur Strategie“, sagte Obhain.
„Noch nicht.“ Lassalle schüttelte den Kopf. „Zuerst müssen wir uns auf
einen Führer einigen.“
„Gibt
es darüber Zweifel?“ fragte Otho erstaunt. Alle anderen blickten ihn nur
ungläubig an.
„Es
könnte sein, dass ihr Lord Rensdal vorzieht“, sagte Lassalle ruhig. „Ich würde
ihn unterstützen. Mein Wissen und meine Fähigkeiten stehen ihm in diesem Fall
vollständig zur Verfügung. Ich habe kein anderes Anliegen, als dem Regenten
ganz Eannas zu geben.“
„Was
soll das jetzt, Arnim?“ fragte Ingvar gereizt. „O ja, ich kann es schon vor mir
sehen, wie ich alle fünf Minuten dringend deinen Rat einhole. Wir haben keine
Chance ohne dich!“
Reginald
war schockiert. „Du bist verrückt, Arnim!“ rief er.
„Ich
möchte das nur zu allererst ganz unmissverständlich zum Ausdruck bringen“,
sagte Lassalle ruhig. „Ich diene dem König.“
Ingvars
Gesicht verzog sich wie im Schmerz, bevor er den Kopf in die Hände stützte.
„Ich ahnte es“, murmelte er. Nur Elgin, der neben ihm saß, hörte es.
„Das
ist ein Witz!“ sagte Reginald unsicher in die Stille hinein.
„Wann
habe ich je Scherze gemacht, Regi“, sagte Lassalle still.
Reginald
schüttelte wild den Kopf. „Du kannst das einfach nicht meinen! Das ist, das ist
vollkommener Irrsinn!“
„Was
heißt das genau?“ erkundigte Otho sich verwirrt. „Du dienst dem König?
„Ich bin erst dabei, es zu lernen“, antwortete Lassalle. „Aber das werde
ich.“
„Hör
auf damit, Arnim!“ schrie Reginald. „Das ist jetzt mehr als genug. Du warst es, der beschloss gegen jede
dieser überholten und schwächlichen Regeln zu gehen. Du hast die Führung darin übernommen. Du hast damals öffentlich erklärt, auf diesen Namen zu spucken. Du hast ...“
„All
das habe ich getan“, unterbrach Lassalle fest. „Und ich habe es im vollen
Bewusstsein dessen getan, was ich tat. Nicht wie du. Du hast nie an all das
geglaubt. Für dich waren es nur Märchen und Hirngespinste. Ich wusste es
besser.“
„Du
zerbrichst alles, was zwischen uns ist“, fuhr Reginald ihn an.
„Nicht
alles“, widersprach Arnim immer noch ruhig. „Unsere Freundschaft reicht länger
zurück als ... nun, als jene Dinge, die du nanntest. Ich erwarte auch nicht,
dass du mir in dem jetzt folgst. Das ist eine private Sache zwischen mir
und ... dem König. Da sind nur ein paar
Dinge, die ich nie mehr tun werde. Fast nichts davon betrifft dich.“
„Du
warst mein Leitstern!“ stieß Reginald heiser hervor. „Du beugtest dich nie und vor
niemandem. Du warst der einzige, der je das Sagen hatte. Kein Fürst, kein
nichts konnte dir je befehlen. Und jetzt ...“ Er schluchzte fast.
„Jetzt
habe ich einen Herrn“, beendete Lassalle. „Nur dass die vorherige Freiheit eine
Illusion war. Ich hatte das schon lange erkannt. Freiheit?“ Er lachte bitter.
„Fíanael und durch ihn Carraig haben über Dutzende von Jahren mein Leben
regiert, ohne dass ich es merkte. Aber jetzt habe ich entschieden, wem ich
diene. Und ich bin freier als jemals zuvor!“
„Du
hast mich verraten!“ schrie Reginald.
„Du
bist nach wie vor mein engster Freund. Und wir werden gemeinsam kämpfen: die
größte Schlacht unseres Lebens“, entgegnete Lassalle.
„Ich
will dich nicht mehr sehen!“ tobte Reginald.
Er zog seinen Siegelring vom Finger und warf ihn in Richtung des Lords.
„Hier! Nimm Rina! Ich lege keinen Wert darauf, und an Wilgos’ Gesellschaft
liegt mir nichts. Mir nur recht, dass jemand den fertig macht. Aber für das
hier wirst du noch bezahlen´!“ Er stürzte zur Tür und knallte sie hinter sich
zu.
„Reginald!“
rief Lassalle, der aufgesprungen war, ihm laut hinterher, aber der Lord von
Rina wollte nicht hören. Arnim bückte sich, hob den Siegelring von Rina auf und
legte ihn behutsam auf den Tisch vor sich. Wenn er betroffen war, war es ihm
nicht anzusehen.
„Was
wenn er doch zu Gearaid geht?“ fragte Obhain besorgt.
Arnim
schüttelte den Kopf. „Nicht solange Renad und Wilgos dort sind. Vielleicht
beruhigt er sich und kommt zurück.“ Oder vielleicht geht er auf die Suche nach
Erendar, dachte er. „Nun, Ingvar?“
Ingvar
nahm langsam die Hände vom Gesicht. „Ich habe einem Regenten Treue geschworen,
der dem König dient“, sagte er. „Ich denke, er ist jemand, dem ich gerne folge.
Und ich weiß, dass es weise ist, sich auf dich zu verlassen, wenn es um die
kommenden Auseinandersetzungen geht, Arnim. Es macht keinen Unterschied für
mich, wie du zu dem König stehst.“
„Trotzdem
verstehe ich es nicht“, beharrte Otho. „Warum? Es ergibt sich nicht notwendig
aus dem Eid an den Regenten. Oder doch?“ Die Aussicht schien ihn zu
beunruhigen.
Lassalle
schüttelte den Kopf. „Der Eid an gerade diesen Regenten birgt die
stillschweigende Akzeptanz, dass Alandas einen Herrschaftsanspruch in Abhaileon
hat, da der Regent sich dem Fürsten von Alandas verantwortlich sieht. Das ist
alles. Meine Entscheidung ist eine andere Sache. Sie betrifft nur mich. Sie
würde euch jedoch nicht verborgen bleiben, und ich vermute, dass sie einige von
euch befremdet.“
„Was
mich angeht“, sagte Niko entschlossen, „bin ich fast schon zu demselben Schluss
gekommen. Um die Wahrheit zu sagen, ich würde das gerne nachher mit Euch besprechen,
Lord Lassalle.“
„Ich
denke auch darüber nach“, murmelte Elgin in Richtung des Tisches vor ihm. Er
hörte Ingvar neben sich seufzen, sah ihn aber nicht an.
„Du
bist immer noch derselbe, Arnim“, meinte Otho schulterzuckend. „Und wir
brauchen deinen Kopf und dein Wissen jetzt dringlichst.“
Eamain
nickte. „Ich werde nicht so dumm sein, Euch jetzt plötzlich für unbrauchbar zu
halten, Lord Lassalle. Und Ihr seid der einzige, der Gearaid gefährlich werden
kann und wird.“
„Anbetrachts
dessen, was der Regent vertritt, ist Eure Entscheidung kaum zu kritisieren“,
stimmte Obhain zu. „Wir hatten ja eine gewisse Ahnung, auf was wir uns
einlassen.“
„Wir
sollten sogar erwägen noch einen Schritt weiter zu gehen“, warf Finnain ein.
„Eannas wird einen neuen Fürsten brauchen. Ihr solltet dem Regenten gut
gefallen, Lord Lassalle.“
Otho lachte laut auf, zog sein Schwert und rief: „Heil, Fürst Arnim von
Eannas!“
Rieken
nickte entschlossen. Er zog ebenfalls sein Schwert: „Tod Gearaid!“ rief er
ingrimmig. „Es lebe Fürst Arnim!“ Niko tat es ihm mit flammenden Augen nach.
Lassalle
sah andere mit grimmiger und entschiedener Miene nach ihren Schwertern greifen.
Die Proklamation, zu der sie entschlossen schienen, war Balsam für seine alten
Wunden, aber es war viel zu früh für so etwas. Er stand auf und hieb mit beiden
flachen Händen auf den Tisch. „Die Schwerter weg!“ befahl er hart. „Leichtsinn
und Euphorie von dieser Sorte könnten uns schnell jeden Vorteil kosten, den wir
zurzeit noch haben.“
Ingvar
zuckte mit den Schultern und lehnte sich wie erleichtert nach hinten. Otho
grinste breit, stieß sein Schwert zurück und schenkte sich neuen Wein ein. „Du
hast nicht generell abgelehnt“, bemerkte er. Lassalle warf ihm einen solchen
Blick zu, dass er sich ab da intensiv der Betrachtung seines Weinbechers
widmete.
Rieken
und Niko blickten unzufrieden, setzten sich aber wieder.
Finnain
wollte noch nicht aufgeben. „Euer Name in Verbindung mit dem Titel könnten uns
weitere Verbündete bringen!“ beharrte er. „Manche der anderen stehen nicht fest
hinter Gearaid. Ihr habt das Vertrauen des Regenten, heißt es. Das könnte sogar
Teile der Bevölkerung auf unsere Seite bringen.“
Lassalle
blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Es ist wahr, ich habe das
Vertrauen des Regenten“, sagte er rau. „Warum auch immer. Und er hat meine
Treue – und wäre es nur dafür. Aber die Bevölkerung hasst meinen Namen mehr als
alle anderen. Nicht zu Unrecht.“
„Sie
sind ohnehin belanglos“, meint Obhain. Einige andere murmelten zustimmend. Otho
nur sehr verhalten, ohne von seinem Becher aufzublicken.
„Pack!“
warf Ingvar verächtlich ein.
„Genau
das, was ich hier höre, ist der einzige Grund, dass ich hier die Führung
übernehmen werde“, sagte Lassalle eisig. „Ihr seid Schwachköpfe, wenn ihr so
denkt!“, brüllte er dann. Einige duckten sich unter diesem plötzlichen
Ausbruch. Nur Ingvar schien sich noch mehr zu entspannen. „Der Bevölkerung ist
es ziemlich egal, ob Gearaid oder Wilgos oder Ingvar oder ich sterben. Sie
wollen uns allesamt tot sehen. Kaum einer wagt es aufzumucken, solange er uns
stark sieht. Aber Krieg bedeutet, dass
wir verwundbar werden. Und da ihnen gleich ist, ob das Monster Lassalle
oder das Ungeheuer Gearaid gewinnt, werden sie die umbringen, die ihnen in die
Hände fallen. Wir werden alle Kräfte an der Front konzentrieren müssen. Dazu
benötigen wir Frieden in unserem Rücken und an unseren Flanken.“
„Und
wie würdet Ihr das bewerkstelligen?“ erkundigte Reasan sich vorsichtig.
„Der
erste Schritt besteht in drei Nichtangriffspakten“, sagte Lassalle. „Mit
Ruandor, mit Roscrea und mit Rudin von Orthai.“
Ingvar
war auf einmal alarmiert. „Ich gebe das Bruagatal nicht wieder auf!“ erklärte
er heftig.
Lassalle
blickte ihn voll an. „Wenn ich hier der Führer bin und sage, dass Bruaga zu
opfern ist, wird es geschehen! Entscheide dich!“
Sie
maßen sich längere Zeit mit Blicken. Ingvar senkte den seinen schließlich. „Nur
unter Protest“, fauchte er dann. „Ja, du bist der Führer hier.“
Arnim
nickte langsam. „Bruaga ist für das erste nicht auf dem Verhandlungstisch. Ich
habe ein besseres Angebot für Ludovik. Du wirst noch heute Abend nach Elifa
schicken und um freies Geleit für Verhandlungen mit Ludovik selbst nachfragen.
Alles Weitere klären wir nachher.“
„Das
wird ein wirklich gutes Angebot sein müssen, damit sie das schlucken“, knurrte
Ingvar immer noch zornig.
„Es ist gut genug. – Rieken, wie schnell kannst du Verhandlungen mit Rudin
aufnehmen?“
Riekens
Gesicht war ausdruckslos. Er zuckte die Schultern. „Wenn Ihr mir verratet, wie
ich ihn finden soll, jederzeit.“
„Ich
schlage vor in etwa so wie im vergangenen Oktober“, sagte Arnim.
Der
junge Lord starrte ihn an. „Ihr wusstet es!“ stieß er dann hervor.
„Ich
war stets bemüht, meinen Ruf noch zu übertreffen“, bemerkte Lassalle lakonisch.
„Ich weiß seit zwei Jahren, wo Rudins Hauptlager ist. Ich habe auch dort
Informanten, und du tust seit drei Jahren keinen Schritt, von dem ich nichts
weiß.“ Er warf Rieken ein halbes Lächeln zu. „Der Anschlag auf mich im vorigen
Frühjahr war sehr schlecht geplant. Du hast noch viel zu lernen.“
„Aber
wieso habt Ihr dann nicht ...?“ stammelte der jüngere Lord.
Lassalle
zögerte kurz, doch er hatte beschlossen mit offeneren Karten zu spielen. „Jeder
Monat des Abwartens und Beobachtens brachte neue Informationen zu Tage, die
sonst schwieriger zu erhalten gewesen wären. Du warst nie eine ernsthafte
Gefahr. Auch zog ich in Erwägung, du könntest unter gewissen Umständen nützlich
werden. – Nun ja, solange es nicht akuter wurde, war es letzthin sowieso
Wilgos’ Sache, hinter deine Schliche zu kommen.“
Rieken hieb wütend mit der Faust auf den Tisch. „Ihr habt mich benutzt und
manipuliert!“
„Du
wolltest mich beseitigen“, bemerkte Lassalle kühl. „Fair genug, wie mir
scheint.“
„Wieviel
von dem, was Ihr mich glauben ließet, war dann wahr? Wer sagt mir, dass nicht
jedes Wort, dass Ihr heute Abend sprecht, eine Lüge ist?“ rief Rieken empört.
„Du
musst selbst lernen zu unterscheiden“, sagte Lassalle ruhig. „Lerne, jetzt da
du die Gelegenheit hast.“
Rieken starrte wütend vor sich hin.
„Dann“,
Nikos Stimme war abgerissen und flach. Er atmete heftig. „dann könnt Ihr mir
vielleicht endlich Gewissheit geben! Wer war es? Wer war verantwortlich:
Wilgos? Renad? Gearaid selbst?“
„Du
sprichst vom Tod Alifs und Cianas, nehme ich an?“ fragte Lassalle.
Niko
nickte. „Sie sind der Grund, dass ich hier bin.“
„Nur
sie?“ fragte Lassalle nach. „Was ist mit dem Regenten? Mit Abhaileon? Mit den
Andeutungen, mehr über den König und Alandas herausfinden zu wollen?“
„Es
spielt alles eine Rolle!“ rief Niko gequält. „Aber diese Rache ist mir das Wichtigste
von allem. Es war Wilgos, nicht wahr?“
„Sie
waren mehr oder weniger zufällige Opfer in einem Spiel um die Macht“, sagte
Lassalle langsam. „Ihr einziger Fehler war, etwas zu erfahren, was niemandem
bekannt werden durfte.“ Er machte eine kurze Pause. „Sie waren nicht die ersten
und nicht die einzigen, deren Todesurteil ich aus solchen Gründen sprach.“
Die
Stille die daraufhin folgte, war fast ohrenbetäubend. Keiner der Lords sah
einen der anderen direkt an. Nur ihre Mimik verriet, dass sie nicht überrascht
waren. Lassalle blickte Niko unbewegt an. Der junge Lord stieß schließlich
seinen Stuhl zurück und stand schwankend auf. „Mörder!“ stieß er endlich
hervor. „Du Monster!“ Er griff nach seinem Schwert. Er erreichte es nicht. Otho
und Obhain, die neben ihm gesessen hatten, waren blitzschnell auf den Beinen
und hebelten ihm die Arme auf den Rücken. Er versuchte sich loszureißen, aber
die beiden anderen waren stärker.
Rieken
starrte weiter finster vor sich hin. Aber einige andere hatten die Hand auf ihren
Schwertern. „Wir bedauern, was geschehen ist“, sagte Finnain zu Niko. „Es war
eine der übleren Angelegenheiten, aber nicht die einzige dieser Art. Fast jeder
von uns war schon in so etwas verwickelt. Doch hier und jetzt brauchen wir
Arnim. Und wir brauchen ihn gerade weil er der Meister in diesem oft
schmutzigen Spiel ist. Er weiß alles über unsere Gegner. Auf dich können wir
dahingegen, wenn es denn sein muss, verzichten.“
Nikos
Atem ging abgerissen. Noch immer kämpfte er gegen Otho und Obhain an. „Ich hasse
dich, Lassalle“, schrie er. „Ich hasse dich. Und wenn du mich nicht hier
umbringen lässt, werde ich dich töten!“
Arnim
stand auf. Er ging langsam um den Tisch herum, bis er vor Niko stand. „Ich
erwarte nicht, dass du verstehst. Nicht jetzt. Aber höre auf meine Worte. Mit
Hass fängt es an. Mein eigener Onkel ließ meinen Vater und meinen Großvater
ermorden und hat mir mein Erbe geraubt. Er hat meinen Namen gestohlen. Ich
weiß, was Hass ist. Und ich habe mich gerächt. Es traf außer den Schuldigen,
von denen einige überlebten, viel mehr Unschuldige, die nicht überlebten. Bevor
ich die schlimmste Rache nahm, stand ich vor einer Entscheidung. Damals war ich
nur ein verletzter und zorniger junger Mann, der seine gerechte Rache wollte.
Vielleicht recht ungestüm, aber im Kern war es das. Jemand appellierte an
meinen Hass, und ich entschied falsch. Das hat mich letztendlich zu dem
gemacht, den du kennst. Und du hast recht, das, was du da siehst, zu hassen.
Du hast
ebenfalls das Recht auf eine Entscheidung. Ich könnte mich auf die Amnestie des
Regenten berufen, dem du Treue geschworen hast. Eine Treue, die du verraten
würdest, würdest du mich jetzt töten. Geh diesen Weg, Niko, und du wirst eines
Tages nicht viel besser sein als ich. Aber die Situation, wie sie ist, raubt
dir die Freiheit dieser Entscheidung. Du sollst deine Gelegenheit bekommen; ich
weise die Amnestie für die uns betreffende Angelegenheit hiermit offiziell
zurück.“
„Das
reicht!“ Ingvar schob sich zu Niko durch, zog seinen Dolch und setzte ihn von hinten
an dessen Kehle. „Ein weiteres Wort von diesem Unsinn, Arnim, und ich schaffe
dieses Problem aus der Welt. Dann kannst du dir überlegen, was du mit mir
machst. Wir kommen klar ohne Niko. Wahrscheinlich auch ohne mich. Aber auf dich
können wir hier nicht verzichten.“ Niemand machte Miene, ihn hindern zu wollen.
„Hör
mir bis zum Ende zu“, sagte Lassalle ungerührt. „Unser Krieg jetzt hat Priorität.
Ich habe dem Regenten Eannas versprochen und beabsichtige mein Wort zu halten.
Aber sobald wir gesiegt haben, ist es Zeit, der Gerechtigkeit Genüge zu tun.
Dann wird Niko die Möglichkeit haben zu entscheiden. Das ist mein Angebot. –
Der Dolch, Ingvar?“
„Wir
werden es dann sehen“, sagte der Lord von Rensdal und nahm seinen Dolch zurück.
„Niko?“
Der
junge Lord von Raleigh schwieg lange. Aber schließlich nickte er. „Nach dem
Krieg“, sagte er. „Bei meinem Eid an den Regenten. Ich werde Euch daran
erinnern.“
„Lasst
ihn los!“ befahl Arnim. Er musste sich wiederholen, damit Otho und Obhain dem
Befehl nachkamen. Selbst dann taten sie es nur zögernd. Niko riss sich am Ende
von ihnen los und ging zu seinem Stuhl zurück. Auch alle anderen setzten sich
wieder.
„Noch
mehr Überraschungen?“ erkundigte Elgin sich lakonisch, als alle wieder saßen.
„Weitere Enthüllungen, Arnim?“
„Ich
gehe davon aus, dass unsere Ausgangslage jetzt geklärt ist“, meinte Lassalle
gelassen. „Es sei denn, es gibt noch jemand, der etwas vorbringen möchte.“
Reasan
lachte verlegen. „Lieber nicht. Ich würde es vorziehen, dass meine Geheimnisse
einmal mit Arnim begraben werden.“
„Solange
du es damit nur nicht zu eilig hat“, murmelte Ingvar mit einem drohenden Blick
in seine Richtung.
Lassalle
zog fragend eine Braue hoch. „Wie komme ich zu dieser wild entschlossenen
Protektion, Ingvar?“ fragte er mit einer Spur von Ironie in der Stimme.
Der
Lord von Rensdal blickte ihn finster an. „Es ist einfach, dass ich das hier
überleben möchte. Du bist derzeit meine
einzige Garantie dafür.“
Es
wurde noch ein langer Abend. Keiner der Lords blieb danach auf Edrin, um zu übernachten.
Sie alle hatten zu dringliche und
wichtige Aufgaben vor sich. Rensdal ging als letzter in den frühen
Morgenstunden. Nur Elgin blieb mit Lassalle zurück.
„Du
hast meine Frage nicht beantwortet“, sagte Elgin, als Ingvar sie verlassen
hatte. „Willst du noch mehr Wahrheiten bekannt geben, die dich und andere
umbringen können?“
„Nur
die, die unumgänglich notwendig sind“, sagte Arnim. „Ich denke, wir andern sind
uns einig, dass ein paar Dinge begraben werden sollten. Aber Niko hatte ein
Recht, das zu wissen, für seinen Anteil an diesem Bündnis.“
„Er wird sich rächen, sobald ihn sein Wort nicht mehr bindet. Vielleicht
schon früher.“
„Vielleicht“,
sagte Lassalle. „Vielleicht. Aber die Macht aus Alandas, die durch den Regenten
bei uns Einlass gefunden hat, hat begonnen, jeden von uns zu ändern.“
„Ich
weiß“, sagte Elgin leise. „Ich weiß.“ Auch er sah dieses Unbekannte
unausweichlich auf sich zukommen.
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