Ciaran warf schnell einen Blick um sich, als sie hinaustraten. Otho und
Ingvar blieben zurück. Dem Stand der Sterne nach war es vielleicht eine Stunde
nach Mitternacht. Der Hof war mit Trümmern bedeckt. Einzelne Gebäude waren ganz
zusammengebrochen, Stücke der Burgmauern ebenfalls. Niemand beachtete sie. Alle
eilten, Menschen, Tiere oder Besitz zu bergen.
„War es der Vulkan?“ fragte er leise, während sie zu einem der
Mauerdurchbrüche eilten.
„Es scheint so. Es sah vorhin aus, als sei weiter im Norden Lava geflossen.
Ich sah so etwas einmal in meiner Jugend im Norden Abhaileons. – Die Frage ist
wohl mehr, warum regte sich dieser Vulkan jetzt? Ihr sagtet doch, diese Mauern
würden einstürzen.“
„Ich wusste nicht, dass sie es tun würden. Woher wisst Ihr, dass ich das
sagte?“ Sie traten hinaus ins Freie.
„Renad erzählte es laut jedem, ob er es hören wollte oder nicht. Das dürfte
er jetzt bereuen.“ Sie gingen weiter. Nach einer Weile fragte Lassalle: „Traft
Ihr jemals einen Ritter in weiß und silber mit Augen wie aus blauem Licht?“
Ciaran blieb stehen: „War sein Haar lang und golden, gehalten von einem
schmalen Reif?“
„Es war nur wie eine kurze Vision“, antwortete Lassalle, „aber das könnte
stimmen.“
„Ríochan“, sagte Ciaran leise. „Der Fürst von Alandas selbst.“
Lassalle schien mit sich zu kämpfen, bevor er weitersprach: „Er sagte, wenn
ich wirklich das Licht finden wolle, solle ich Euch danach fragen.“
„Mich?“ sagte Ciaran verwundert. „Ich versuche nur, den Dienst zu tun, den
er mir aufgetragen hat.“
„Er sagte etwas Ähnliches, als ich ihn fragte, wer er sei. Er antwortete,
er sei der Diener seines Herrn.“
„Ihr wisst, wem ich diene.“ Ciaran wusste nicht, was sonst er erwidern
solle.
„Ich weiß“, sagte Lassalle. „Aber ich, wie sollte mir das möglich sein?“
„Wolltet Ihr es denn?“ fragte Ciaran zurück.
„Vielleicht. Wenn ich die Bedingungen dafür kennen würde“, sagte Lassalle
zögernd.
„Es lässt sich sehr einfach zusammenfassen“, sagte Ciaran. „Stellt nie Eure
Ehre und Euren Willen über seine Ehre und seinen Willen.“
„Eine Selbstverständlichkeit“, murmelte Lassalle. „Sonst nichts?“ Er ging
weiter.
„Meiner Erfahrung nach ergibt sich alles andere daraus“, antwortete Ciaran.
Bald erreichten sie Elgin. „Wo ist Reginald?“ fragte Lassalle.
Elgin hob die Schultern. „Ihm wurde es zu langweilig zu warten, nachdem das
Pferd sich beruhigt hatte. Ist das – er?“
„Du kannst dem Regenten von Abhaileon deine Ehrerbietung erweisen“, sagte
Lassalle trocken.
Zu seiner Überraschung kniete der Lord auf der Stelle vor Ciaran nieder und
sprach den Lehnseid von Eannas, den einzigen, den er kannte, in leichter
Abänderung. Der Regent akzeptierte in der entsprechenden Form. Lassalle benötigte
etwas Zeit, um zu begreifen, dass das Gefühl, das sich in ihm reigte,
Eifersucht war. Eifersucht, weil sein eigenes Versprechen so formlos gewesen
war – wenn auch nicht weniger bindend für ihn selbst.
Der Fuchshengst wieherte leise und streckte dem Regenten seinen Hals
entgegen, drängte sich an ihn, sobald Elgin die Zügel losließ. „Er ist etwas
verwöhnt“, lachte Ciaran. „Daran ist Orla schuld, und ich habe ihm noch keine
Manieren beibringen können.“ So wie er das Tier tätschelte und streichelte,
schien er auch keine große Anstrengung in der Richtung gemacht zu haben.
„Orla von Fuacht? erkundigte Lassalle sich. Er hoffte, dass er ganz ruhig
klang. In ihm brannte etwas wie ein Feuer. Er hatte nichts, was er dem Regenten
hätte als Geschenk anbieten können. Er hatte so etwas nicht bedacht. Dieser
ganze Abend hatte sich in eine zu unerwartete Richtung entwickelt.
„Ja“, sagte Ciaran. „Dalinie und Sailean stehen zum Bund. Ingal von Illaloe
hat die Verwaltung von Roscrea übernommen. Nur Eannas fehlte uns.“ Er schwang
sich auf den Rücken seines Pferdes. „Jetzt muss ich noch nach Ruandor, bevor
ich in den Norden zurückkehre. – Habt nochmals Dank für alles. Möge der Segen
des Königs mit Euch sein!“ Er gab dem Hengst die Zügel frei.
„Wartet!“ rief Arnim plötzlich. „Ihr sagtet mir nicht, wie ich erkennen
kann, was sein Wille ist!“
Ciaran hielt sein Pferd noch einmal kurz zurück. „Ihr müsst ihn fragen“,
sagte er. Dann ritt er weiter.
´Wen sollst du fragen?´ erkundigte sich Elgin.
Arnim zögerte mit der Antwort. Einfluss war etwas Schwankendes. Es war
leicht ihn zu verlieren, und gerade jetzt würde das verheerend sein.
Andererseits mochte dies eine der Fragen sein, in denen zu entscheiden war,
wessen Ehre er höher stellte. Er konnte die Entscheidung natürlich auch
aufschieben. Er hatte nie gesagt, dass er sich entschieden hatte. Doch wenn er
wartete, bis die Lage in Eannas geklärt war, mochte es sein, dass er starb,
bevor er seine Loyalitäten erklärt hatte. „Den König“, sagte er knapp.
Elgin spottete nicht. Er warf nur einen kurzen Blick auf das grimmige
Gesicht seines Verbündeten und sagte nach kurzem Zögern: ´Mir hat diese Nacht
auch zu denken gegeben.´
Nur wenig später brach Arnim von Lassalle selbst auf. Es stellte sich heraus, dass Reginald schon
mit ihren Pferden bei der Burg wartete. Die anderen ihrer Gefolgsleute waren bereits
vorausgeschickt worden. Wenn sie Escail wiedersehen würden, dann nur unter sehr
geänderten Umständen. Er nickte dem langjährigen Gefährten anerkennend zu.
Besser keine Zeit zu verlieren.
„Ingvar und Otho?“ fragte er.
„Sie sind schon fort. Mit Rieken im Schlepptau. Der Narr war außer sich,
als er hörte, dass sie dem neuen Regenten Gefolgschaft geschworen hätten. Während
er keine Gelegenheit dazu bekam. Ich frage mich, was in ihn gefahren ist.“
„Nichts“, sagte Arnim geistesabwesend. „Er verbirgt nur nicht länger vor
uns, was er denkt. Ich frage mich, wann er zugeben wird, Kontakte mit Rudin zu
unterhalten.“
„Was?“ Reginald war fast sprachlos. „Rudin will deinen Kopf!“
Lassalle lachte trocken. „Den wird er nicht bekommen. Und um Riekens Kopf
wäre es schade gewesen. Er hat gute Anlagen, nicht nur als Verschwörer, auch
wenn er heute etwas die Nerven verloren hat. Jetzt kann er für uns sehr
nützlich werden. Wie ging es Ingvar?“
„Er sah nicht ganz so gut aus. Was ist los mit ihm?“
„Er fragt sich, welchen Preis, die Gefolgschaft, die er geschworen hat,
kosten wird.“
Reginald zuckte die Schultern. „Eide sind auch nur Worte. Wir alle haben
Gearaid geschworen und was tun wir jetzt?“
„Ich habe das bedacht“, sagte Arnim ernst. „ Wir brechen keinen Eid. Die an
Gearaid sind nichtig geworden, sobald er sich an der Person des Regenten
vergriff. Er ist in dem Sinne kein Fürst in Abhaileon mehr.“
Reginald grinste. „Dann seid ihr jetzt also zwei von der Sorte.“
„Ich“, Lassalles Stimme war Gletschereis im tiefsten Winter, „war niemals
Fürst von Corrugh.“
Reginald hob beide Hände abwehrend. „Es war ein wirklich dummer Scherz,
Arnim.“ Es war lange her, dass er so kleinlaut geklungen hatte. Er ließ sogar
sein Pferd ein wenig zurückfallen.
Lassalle war es recht. Er brauchte
Zeit, um die Dinge in Ruhe zu überdenken. Reginalds Worte hatten jedoch in ihm
einen Sturm der Gefühle entfesselt, den er kaum in sich halten konnte. Corrugh.
Nur eine kleine Provinz an der Nordwestküste Abhaileons. Karge Böden,
sturmgepeitschte Klippen und sumpfige Wälder. Lange Winter und zahlreiche
kleine Zwiste mit den Nachbarprovinzen. Ein hartes Land. Doch auch ein schönes
Land. Sein Vater war Helgi, der Thronfolger von Corrugh gewesen. Ein wilder
Bursche mit den gleichen rotblonden Haaren wie er selbst. Ein ausgezeichneter
Krieger, der bei einem der Scharmützel mit den Nachbarprovinzen auf Linn von
Lassalle stieß. Es musste eine leidenschaftliche Liebe gewesen sein. Er nahm
sie mit sich zurück – und stieß auf unerwartete Probleme. Sein Vater wollte
nichts von einer solchen Verbindung hören. Helgi kümmerte es nicht viel. Sein
Vater lebte in Corrugh. Er selbst und Linn lebten auf seiner Burg Ecrin, wo sie
in aller Ruhe abwarteten, dass Helgi eines Tages selbst Fürst werden würde.
Arnim wuchs stolz und glücklich mit allen Privilegien auf. Er war seinem Vater
sehr ähnlich. Später kam er zur
Erziehung längere Zeit nach Burg Lassalle, kehrte aber mit achtzehn Jahren nach
Ecrin zurück, wo er bald unter den Männern beliebt war.
Dann waren die Schläge einer nach dem anderen gefallen. Seine Mutter starb
an einer Krankheit. Sein Vater fiel kurz darauf einem Unfall zum Opfer und als
er Corrugh erreichte, aus dem sein Großvater endlich hatte nach ihm schicken
lassen, lebte auch dieser nicht mehr. Sein Onkel Torval empfing ihn. Nein, ein
Empfang in dem Sinne war es nicht gewesen, nur Beleidigungen und Beschimpfungen
– und Torval beanspruchte den Fürstentitel für sich selbst. Er hatte bereits
nach Croinathír geschickt, um sich die Bestätigung des Rates geben zu lassen
über sein Vorrecht gegenüber dem illegitimen Bastard. Niemand in Corrugh
erkannte Arnim an. Er begriff, dass Torval es auf sein Leben abgesehen hatte
und floh. Zuerst nach Ecrin und von dort mit einigen seiner Gefolgsleute nach
Lassalle. Die Verwandten dort halfen ihm, seine eigene Streitmacht
aufzustellen. Er eroberte Ecrin zurück, wo sein Onkel sich aufhielt. Torval
fand bei den Kämpfen den Tod. Arnim wusste, dass er die Burg ohne mehr
Verbündete nicht halten konnte, dass einige der Lords mit ihren Leuten gegen
ihn heranzogen, darum ließ er sein altes Zuhause niederbrennen und zog in
Eilmärschen gegen Corrugh. Er wollte nur Rache, halb blind und taub vor Schmerz
und Zorn, wie er war. Über eine Zukunft dachte er nicht nach. Er glaubte, er
werde selbst in diesen Kämpfen umkommen. Und da nahm jemand mit ihm Kontakt
auf, ein Lord Fíanael wollte ein Treffen mit ihm, um ihm ein Angebot zu machen.
Arnim war nicht sehr interessiert, ließ sich aber von ein paar seiner
Gefolgsleute dazu überreden. Die Begegnung sollte an dem Tag stattfinden, den er
für den Untergang Corrughs bestimmt hatte. Und dann war jener rätselhafte
Fremde zu ihm gekommen, der behauptete, der König selbst schicke ihn und er
solle sich sein Recht in Croinathír holen. Er werde Gerechtigkeit finden, wenn
er Corrugh verschone.
Arnim hatte geschwankt. Etwas in ihm wollte glauben, dass es wahr war. Die
ganze Trauer über seine Verluste war aufgewallt, und er fühlte etwas wie
Mitleid für die dort in der Stadt. Gerade als er die Zügel aufnahm, um alle
bestehenden Befehle rückgängig zu machen und – aussichtslos wie es auch schien
– auf diese eine Karte zu setzen, war Fíanael aus der Nacht gekommen. Dunkel,
gefährlich, gleichermaßen faszinierend und erschreckend. Die Worte des
winianischen Lords hatten seine Hoffnungen in Stücke gerissen. Er hatte die
Sache in der Hauptstadt als vollkommen verloren dargestellt. Unmöglich, dass
der Rat unter Estohar dessen Prüderie bekannt war, die Ansprüche eines
illegitimen Erben anerkennen würde, der Bann über ihn sei schon verhängt. Noch
dazu nach dem Tod Torvals. Lachend höhnte der Lord, warum er Corrugh verschonen
wolle, da seine Feinde doch Burg Lassalle so wenig Gnade gezeigt hätten. Diese letzte Nachricht war zuviel gewesen. Er
hatte sein Pferd herumgerissen und nicht mehr geruht, bis die Stadt in Ruinen
lag. Erst danach hatte er erfahren, dass das Gerücht vom Fall Lassalles nicht
stimmte. Erst nach dieser Tat hatten Truppen auch jene Festung angegriffen.
Erst nach dieser Tat hatte der Rat den Bann verhängt.
Fíanael hatte alle Schuld von sich gewiesen. Er sei selbst durch Gerüchte
getäuscht worden. Doch als Wiedergutmachung bot er ihm eine Zukunft in Eannas. Arnim
hatte eingewilligt. Dort im Norden hätte er sich nicht mehr lange halten
können. Und seine Verbitterung war durch all das Geschehene nur noch mehr
gewachsen.
Er hatte Reginald mit sich gerissen, er war immer der Stärkere unter ihnen
gewesen und so waren sie zu dem geworden, was sie heute waren. Fast dreißig
Jahre lag es zurück, und der Zorn und der Schmerz brannten so heiß wie damals.
Jedem und allem hatte er die Schuld gegeben an dem Unheil. Zuerst dem Rat und
allem, wofür er stand. In den letzten Jahren immer mehr Fíanael. Doch jetzt
wollte ein anderer Gedanke aufsteigen. Er wehrte ihn ab.
Er hatte sich den Namen Lassalle gewählt. Aus Trotz gegen all das, was
geschehen war. Seine Burg im Südosten von Eannas hieß Edrin. Edrin am Edrinsee.
Ein Zusammentreffen, dass es so ähnlich hieß wie Ecrin. Er hatte die Ländereien
dort gewollt. Niemand kommentierte es, dass er nicht diesen Namen annahm, wie
es üblich gewesen wäre, wie Reginald es mit Rina getan hatte. Reginald, der
wirklich ein Lassalle war. Denn damals war er schon gefürchtet. Edrin war eine
der reichsten Lordschaften von Eannas.
Er unterbrach sich. Das war nicht sein üblicher präziser Gedankengang. Was
war es, das zu denken er vermied? Er schloss die Augen und sah den
blauleuchtenden Blick des weißen Ritters vor sich. Ein Licht, vor dem es keine
Lüge geben konnte.
„Arnim?“
Lassalle hatte kein Verlangen zu sprechen. Er hielt es auch für weiser zu schweigen,
bevor er ein paar Dinge zu Ende gedacht hatte. Doch Reginald war in über
dreißig Jahren ein guter Freund und Gefährte gewesen. „Was noch?“ fragte er
harsch.
„Warum sorgt ihr euch um diese Eide, Ingvar und du?“
„Ich sorge mich nicht“, sagte Lassalle müde. „Ich wusste, was ich tue. Aber
Ingvar beunruhigt es, dass der Regent ein Ritter des Königs ist. Er will sein
Leben nicht ändern.“
Reginald lachte wieder. „Was für ein Unsinn. Es macht Sinn, einem Regenten
zu folgen. Ich wäre auch bei Gearaid geblieben, aber wenn du den Regenten
vorziehst, ist es mir recht. Das andere hat keine Bedeutung.“
Es hatte alle Bedeutung der Welt, doch Lassalle fühlte sich jetzt nicht in
der Lage, das zu diskutieren. Nicht bevor er selber Klarheit hatte. Besser war
es, den Rest des Weges bis Rina zu nutzen, um ihre Strategie festzulegen. Auf
der weiteren Strecke bis Edrin hatte er dann mehr als genug Zeit, ganz für sich
nachzudenken.
„War er dir sehr dankbar, unser neuer Herrscher in Nöten? Ich hörte, sein
letzte kleine Unterhaltung mit Renad und dessen Leuten habe recht deutliche
Spuren hinterlassen. Er sollte sich für den Rest seines Lebens erinnern, wer
ihn aus dieser Zelle herausholte.“
„Wir begegneten uns fast auf halbem Weg“, Lassalles Stimme war äußerst
neutral. „Zerschlagen war er wohl, aber alles andere als geschlagen. Er
erfragte meinen Namen und bot mir seine Freundschaft. Er war nicht darum
besorgt zu entkommen, sondern sein Schwert zurückzuerhalten.“
„Durchaus beachtlich“, gab Reginald zu. „Nicht, was ich gedacht hätte. “
„Du wolltest ihm nicht begegnen.“ Es war eine Feststellung.
„Teufel auch, Arnim. Elgin fing an davon zu reden, dass wir ihm den Treueid
schwören sollten. Und auch wenn mir auch die Worte nichts bedeuten, er war der
Meinung, dass vor einem Regenten selbst ein Fürst das Knie beugt, und das
passte mir nicht. Hast du?“
„Ich habe nicht einmal geschworen“, Verwunderung trat in seine Stimme. „Ich
bot es ihm an und er akzeptierte es als gegebenes Wort.
„Sieht aus, als ob er mit dir umzugehen wusste“, bemerkte Reginald. „So
konntest du nicht verweigern, was du sonst wohl verweigert hättest. Du warst
immer dein eigener Herr.“
„Ich habe immer getan, was ich für richtig hielt. Gleich was die Folgen.“
Er hob stolz den Kopf. „Und das werde ich auch weiterhin tun.“
Reginald lachte aufgeräumt. Er begriff nicht. Noch nicht. „Wie sehen deine
weiteren Pläne aus?“
„Wir rüsten zum Kampf.“ Reginald warf den Kopf in den Nacken und lachte
noch lauter.
******
Ciaran wusste, dass von Escail aus nach Burg Ruandor ungefähr im Südwesten
lag. Er versuchte wie bisher die Straßen zu missachten und seinen Weg querfeldein
zu suchen. Das musste er aber zunächst aufgeben. Der ganze Südhang des Vulkans
war mit Weinbergen bedeckt, deren Anlage immer wieder seinen Weg kreuzte. Erst
nach fast einer Stunde, die er das Pferd im Schritt gehen lassen musste,
erreichte er wieder freieres Gelände. Dort sah er sich ein letztes Mal um.
Lichtschein flackerte über dem dunklen Schatten von Burg Escail, dem man von
hier aus die Verwüstung im Inneren nicht ansah. Auch weiter im Norden
zeichneten sich die Hänge mit einem eigenartigen Leuchten gegen den Horizont
ab. Das war alles. Er suchte kurz in den Satteltaschen und stellte erleichtert
fest, dass sein Proviant aufgestockt worden war. Er zog einen Riemen Trockenfleisch
hervor. Der Wein hatte ihm gut getan, aber jetzt brauchte er eine nahrhaftere
Grundlage. Nun, da die Anspannung nachließ, drangen alle Schmerzen wieder
stärker in sein Bewusstsein. Er hatte jedoch keine Zeit zu rasten; sein
Entkommen würde nicht ewig unentdeckt bleiben.
Er aß im Sattel und überdachte noch einmal die Ereignisse. Es war wie
ein unwirklicher Traum. Lassalle würde Eannas für Abhaileon retten. Er hatte
keinen Zweifel, dass es keine leeren Worte gewesen waren. Was dieser Mann
aussprach, das geschah auch. Da war keine unüberlegte Geste gewesen, er war
sich sicher. Und das hieß, Lassalle hatte dem Regent die Treue versprochen,
aber vor dem Ritter des Königs das Knie gebeugt. Es war unglaublich. Es war ...
Estohar!! – Der Fuchs schnaubte empört, als Ciaran mit einem entsetzten
Ruck die Zügel heftig anzog. – Er hatte Estohar vollkommen vergessen gehabt.
Jetzt war der Schrecken um so größer. Er würde Estohar auseinandersetzen
müssen, dass Lassalle begnadigt war! Einen Moment überlegte er, auf geradem Weg
zurück nach Alandas zu reiten. Vielleicht war auch Patris’ Idee mit Imreach in
der Südwüste nicht schlecht. Düster erwog er sogar, dass der Tod auf Escail
nicht die übelste Lösung gewesen wäre.
Der Fuchs wieherte leise und fragend und stampfte unruhig mit einem Huf. Er
spürte die merkwürdige Stimmung seines Reiters offensichtlich. Ciaran beugte
sich über seinen Sattelknauf. „Ríochan“, sagte er leise, „ich hoffe sehr, der
König hat für dieses Problem auch eine Lösung bereit.“ Er holte tief Luft und
richtete sich wieder auf. Es half nichts. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen.
Und er hatte sein Wort gegenüber Lassalle zu halten. Das konnte er nicht, wenn
er auswich. Er begann leise Gebete zu flüstern, während er sein Pferd antraben
ließ.
Kurz vor Morgengrauen kam er wieder in dichtere Wälder. Sobald er auf
Bachläufe stieß, folgte er ihnen für eine Weile, um seine Spur noch weiter zu
verwischen. Am Nachmittag des nächsten Tages wurde er jedoch immer
zuversichtlicher. Fast der halbe Weg zur ruandorischen Grenze lag hinter ihm
und es hatten sich noch immer keine Verfolger gezeigt.
******
Alles in allem war er glimpflicher davongekommen, als es zunächst den
Anschein gehabt hatte. Aber Gearaid fühlte keine Andeutung von Dankbarkeit in
sich. Da war nichts als Zorn, brennender, ohnmächtiger, wilder Zorn. Nach den
Erdstößen waren er und Renad zunächst aus der Burg herausgeflüchtet. Das Risiko
von einstürzendem Mauerwerk erschlagen zu werden, hatte zu groß geschienen. In
sicherem Abstand von der Festung hatte er versucht die Evakuierung der
wertvollsten Besitztümer zu leiten. Es war ein einziges Chaos gewesen.
Renad hatte die ganze Zeit gezetert, dass die Wachen in den Verliesen
verstärkt werden müssten. Bestimmt werde der Gefangene fliehen. Es hatte
lächerlich geschienen. Die Wachen, die er dorthin beordert hatte, waren mehr
als ausreichend gewesen und es bestand eine geringe Aussicht, dass fallende
Steine das Problem Regent erledigten. Da hatten seine wertvollen Pferde, Jagdvögel,
Hunde und anderen kostbaren Besitztümer Vorrang. Dann hatte er Renad ziehen
lassen und dieser war kurz darauf vollkommen außer sich zurückgekehrt mit der
Hiobsbotschaft, dass der Gefangene entkommen war. Sämtliche Wachen dort waren
nicht mehr auffindbar.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt war
Gearaid eingefallen, dass er sowieso schon erwogen hatte, Lassalle bei sich
zurückzuhalten. Den brauchte er jetzt wirklich. Aber der hatte sich
offensichtlich nicht von dem Erdbeben stören lassen und war samt Reginald
abgereist, wie ihm berichtet wurde. Er hetzte sofort Boten hinter ihm her, aber
der Lord schien wie vom Erdboden verschluckt. Ingvar, Otho und Rieken waren
ebenfalls nicht aufzufinden. Von Ingvar war nur am nächsten Tag ein Bote
gekommen, er müsse sich dringend um eine Rebellion auf seinen Ländereien kümmern. Das mochte sein. Irgendwie brach letzthin
überall die Hölle los.
Renad war zu nicht viel anderem zu gebrauchen, also beauftragte er ihn mit
der Wiederauffindung des entkommenen Ritters, eine Aufgabe, der dieser sich mit
Ingrimm und großem Eifer widmete. Schließlich entschloss der Fürst sich, seinen
Aufenthaltsort in den Norden nach Asterne zu verlegen, während auf Escail der
Wiederaufbau begann. In Asterne würde er die Situation mit Wilgos und Lassalle
ein und für allemal bereinigen.
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