„Es ist nicht umsonst, dass Ihr über Dalinie hinaus
berühmt seid“, sagte Ciaran anerkennend.
Orla lächelte. „Ich weiß, wie sie mich nennen. Nach
Ablauf dieser Stunde werden die wenigsten klarer denken. Stattdessen werden sie
sich noch mehr in ihre Erregung hinein steigern. Und ich nehme an, Ihr seid in
dieser Stunde nicht zu sprechen?“
Ciaran lächelte ebenfalls. „Für niemanden außer für Euch.
Höchstens, falls Herr Brian käme ...“
Orla schnaubte. „Er wird nicht kommen. Er wird alle Hände
voll zu tun haben, die Mitglieder seines Stadtrats in den Griff zu bekommen.
Nichts ist sicher. Doch vermute ich, er will Euch jegliche Anerkennung
verweigern.“
Ciaran liess sich auf einen Stuhl sinken. Seine Hand
griff unwillkürlich nach seiner linken Seite. Manchmal schmerzte sie noch. „Ich
werde dankbar sein, etwas essen zu können“, sagte er.
Orlas scharfen Augen war die Bewegung nicht entgangen.
„Ihr seid verletzt?“
„Es ist fast nichts. Ich wurde angegriffen, bevor ich
Alandas erreichte. Aber es ist weitgehend verheilt.“
„Barraids Reiter?“
Ciaran zögerte. „Jemand in seinem Dienst“, sagte er dann.
„Es ist wirklich nichts. Ich bin nur zu hart geritten, um so schnell wie
möglich hierher zu kommen. Eine kurze Rast hier – und ich werde morgen ohne
Probleme weiterreiten. Das heißt, ich benötige ein frisches Pferd. Darum werde
ich mich heute noch kümmern müssen.“ Er seufzte. „Wisst Ihr, wo ich einen guten
Preis für meinen Braunen bekommen kann und einen günstigen für ein neues Pferd,
das etwas taugt?“
Der Lord von Fuacht schüttelte den Kopf. „Hier in der
Stadt gibt es keine wirklich guten Pferde. Aber sorgt Euch nicht, ich werde
Euer Tier nehmen und Euch eines der meinen dafür geben.“
„Ausdauer wäre wichtiger als reine Schnelligkeit“, sagte
Ciaran. „Mein Weg ist noch weit, und Eile tut not.“ Orla nickte.
Der Diener trat ein und brachte Wein, Brot und Käse.
„Wasser für mich!“, Ciaran blickte entschuldigend auf den Lord. „Ich werde
einen klaren Kopf brauchen und habe schon länger nichts zu mir genommen.“ Er
lächelte verlegen. „Die Ereignisse überstürzten sich letzthin.“
„Ich hoffe, Ihr verzeiht, dass ich Euch für jetzt nichts
Besseres anbieten kann“, sagte Orla. Er schnitt den Käse an, bot Ciaran davon
an. Ciaran stutzte. „Warum setzt Ihr Euch nicht, Lord Orla?“ fragte er dann.
Der Lord nickte dankend und nahm einen Stuhl. Ciaran setzte sich gerader auf
und sah ihn an. „Was bedeuten Euch Alandas und der König?“ fragte er dann.
Orla wich dem Blick aus. „Darauf kann ich Euch weder die
Antwort geben, die ich gestern gegeben hätte, noch habe ich eine neue
gefunden.“
Ciaran stand auf. „Ich bin hier als Ritter des Königs,
nicht als Regent von Abhaileon!“
Orla erhob sich ebenfalls. Jetzt blickte er ihn gerade
an. „Macht es wirklich so viel Unterschied?“ fragte er leise. „Ob Ring oder
Schwert, Ihr habt sie beide aus Alandas und aus der Hand des Fürsten dort, wenn
die Sagen wahr sind. Aber der Ring ist auch Teil Abhaileons. Wenn ich den Ring
ehre und für was er steht, vielleicht werde ich es dann auch für das Schwert
tun können.“
Ciaran wandte sich ab und ging zum Fenster. Das war
schwieriger, als er geglaubt hatte, als er diese Aufgabe übernahm. „Was soll
ich tun, Ríochan?“ flüsterte er. Er durfte Orla nicht beleidigen, indem er ihn
zurückwies. Er atmete schwer und senkte den Kopf, als müsse er eine Last schultern.
Dann drehte er sich um. Der Lord von Fuacht wartete, aber ein Schatten war auf
sein Gesicht gefallen. „Ihr habt recht“, sagte Ciaran „letztendlich macht es
keinen großen Unterschied. Ihr wollt mir folgen, weil ich diesen Ring trage.
Und ich unterstehe dem Befehl des Fürsten von Alandas und diene dem König. Wenn
Ihr dies akzeptieren wollt?“
„Ich werde dem Regenten folgen“, sagte Orla. „Euch.“
„Und ich nehme Euer großzügiges Geschenk an“, sagte
Ciaran. Er reichte ihm die Hand, und Orla schlug ein. Dann aßen sie.
Als sie gegen Ende der Stunde zurück zum Saal kamen, trat
dort fast schlagartig Stille ein, sobald sie erblickt wurden. Brian, der am
anderen Ende des Saales mit einer Gruppe von Leuten sprach, sah auf und ging
sofort auf seinen Sessel zu. Neill, der mit einigen Lords zusammen stand, tat
das Gleiche. Sobald die vier Platz genommen hatten, ergriff einer der Lords das
Wort: „Bevor wir irgend etwas beschließen können, brauchen wir Klarheit über
die Identität des Ringes, den dieser Ritter hier“, er verbeugte sich knapp in
Richtung Ciarans, „trägt. Wir haben drei aus unserer Mitte ausgewählt, die ihn
näher untersuchen sollen.“
Orla blickte auf Ciaran, der nickte. „Herr Orla soll
meinen Ring nehmen“, erklärte er.
Drei der Lords standen auf und kamen zu ihnen. Sie
stellten sich mit einer knappen Verbeugung vor: Dean von Amra, Yosif von
Leachtin und Rafe von Muine. Ciaran reichte Orla den Ring und sie gingen zur
Seite. Eine Weile herrschte tiefstes Schweigen, dann begannen die vier Lords
sich leise zu beratschlagen. Alle anderen wurden unruhig. Einige begannen
miteinander zu flüstern. Brian blickte nur mit finsterer Miene vor sich hin.
Schließlich traten die Lords wieder in die Mitte. Orla
gab Ciaran den Ring zurück. Rafe von Muine setzte zweimal an und räusperte
sich, bevor er sprach. „Abhaileon hat einen Regenten“, sagte er. Dann trat er
vor Ciaran „Nicht alle kennen noch den alten Treueid“, sagte er, „deshalb
spreche ich ihn stellvertretend für unsere Gruppe.“ Orla warf Ciaran einen
Blick zu, der eine Andeutung von Verlegenheit enthielt. Rafe von Muine kniete vor Ciaran nieder und bot ihm sein
Schwert. Einer nach dem anderen standen die Lords von Dalinie auf. Einige traten
näher heran. Lord Rafe wartete etwas und
fuhr dann fort: „Ich gelobe Euch, Ciaran von Fírin, dem Regenten von
Abhaileon, erwählt und bestätigt durch den Fürsten von Alandas, Treue und
Gefolgschaft. Möge das Licht und der Segen des Königs selbst nie von Euch
weichen!“
Ciaran stand auf. Er kannte die Worte, die er zu sagen
hatte. Doch noch während er die Hand auf den Knauf des Schwertes legte, hoffte
er, etwas werde verhindern, dass er sie sprechen musste. „Ich, Ciaran von
Fírin, Regent Abhaileons unter dem Fürsten von Alandas und Diener des Königs,
höre diesen Eid und bestätige ihn. Mögen wir in Einheit dienen im Licht des
Königs selbst.“ Es fühlte sich unwirklich an.
Rafe von Muine nahm sein Schwert wieder an sich und
küsste den Ring an Ciarans Hand. Dann machte er Platz für den nächsten. Es war
Orla, der als erster kam, aber keiner der anderen Lords verweigerte sich.
Manche hielten kurz inne, um auf den Ring an seiner Hand zu blicken, bevor sie
ihn mit den Lippen berührten. Die alte Lady von Cruagh lächelte, als sie ihn
wieder ansah und verbeugte sich unerwartet anmutig.
Zurück blieben eine Gruppe von sechs Männern und Frauen um
Brian. Ciaran blickte ihn an. Brian richtete sich stolz auf. „Die Stadt Daliní
erkennt diesen Ritter nicht als Regenten an“, erklärte er. - Neill stand allein
weiter weg an der Seite und zeigte sich zugeknöpft.
Ciaran nickte. „Es war nicht meine Absicht, diese
Anerkennung zu fordern“, erklärte er. „Mein Auftrag für jetzt ist es allein,
die Truppen Abhaileons nach Corimac zu rufen. Wird die Stadt Daliní der
Aufforderung aus Croinathír und dem Gebot aus Alandas Folge leisten?“
Die sechs Stadtratsmitglieder sahen sich an. Es schien,
dass einer von ihnen ansetzen wollte, etwas zu sagen, aber Brian sprach schnell
als erster: „Daliní ist eine freie Stadt, und Daliní sieht keinen Feind. Selbst
wenn sich die wahrscheinlich übertriebenen Warnungen vor jenem Herrn auf
Carraig als wahr erweisen sollten, sehen wir keinen Anlass, den Krieg zu
erklären. Die Stadt wird sich mit ihm arrangieren können. Sie wird ihm intakt
mehr wert sein als zerstört.“
„Ich betrachte diese Haltung als Verrat gegen Abhaileon“,
erklärte Orla kalt. Mit einer Handbewegung hielt er ein paar der anderen davon
ab, nach ihren Schwertern zu greifen. „Aber wir wollen für jetzt darüber hinweg
sehen und Euch – und Daliní“, er warf einen Blick auf die anderen
Ratsmitglieder, „Bedenkzeit geben. Mögen die Bürger der Stadt frei
entscheiden.“
Er wandte sich Ciaran zu. „Da Ihr morgen bereits wieder
reiten wollt, solltet Ihr Gelegenheit haben zu rasten. Gestattet Ihr, dass ich
alles hier ordne, wie es Euren Wünschen entspricht?“
„Tut dies, Herr Orla“, antwortete Ciaran. „Ihr wisst, Ihr
habt mein Vertrauen.“
Wenig später hatte Ciaran eine Eskorte. Lord Rafe hatte
sich erboten, dafür zu sorgen. Er begleitete Ciaran mit ein paar anderen hinaus,
während Orla im Zentrum der Aktion stand und Befehle erteilte. Die meisten der
Lords waren aufgeregt und gut gestimmt. Rafe lachte im Hinausgehen: „Was wird
man in Croinathír dazu sagen, dass ein Dalinianer Regent von Abhaileon ist!“
Ciaran stellte sich vor, was Estohar zu dieser Entwicklung sagen würde, und zog
es vor, nicht darauf zu antworten. Neill war nirgends mehr zu sehen.
Ciaran bat, fürs erste wieder in Orlas Arbeitszimmer
gebracht zu werden. Auf dem Weg dorthin wollte er wissen: „Wer hat Befehl über
die Stadtwachen?“
Rafe zögerte. „Rein technisch Brian. Aber, auch wenn er
so tut, es ist nicht so, als gehöre dem Rat die Stadt. Orla wird sich sicher
darum kümmern.“ Er lachte wieder. „Ausgerechnet Orla bestand auf dem alten Eid,
obwohl er ihn nie zusammenbekommen
hätte.“
„Wieso kanntet Ihr ihn?“
Rafes Lächeln war verlegen. „Nur Familientradition. –
Erstaunlich wie nützlich so etwas plötzlich werden kann. Wir sind da, mein
Regent.“
Ciaran befahl, eine halbe Stunde allein gelassen zu
werden und dann, wenn möglich, Hauptmann Neill zu ihm zu bringen. Und Orla,
sobald es sich irgendwie machen ließ. Lord Rafe versprach, sich um alles zu
kümmern. Dem jungen Herrn gefielen die Ereignisse, er lachte und scherzte bei
jeder Gelegenheit, wenn er dem so unerwartet aufgetauchten Regenten nicht
neugierige Blicke zuwarf.
Ciaran versuchte, seine Gedanken zu ordnen, während er im
Zimmer auf und ab ging, sobald er allein war. Er selbst wußte, dass er nicht
der Regent war. Aber Dalinie wollte einen dalinianischen Regenten und würde
jetzt seine Truppen nach Corimac schicken. Nun, Dalinie würde aller
Wahrscheinlichkeit nach ohnehin einen dalinianischen Regenten erhalten, denn
Dorban kam auch aus der Provinz. Aber darüber durfte er nicht sprechen. Er
musste sich als eine Art Platzhalter betrachten. Und sie hatten den alten Eid
geschworen, bei Alandas und dem König – das war viel wert. Aber was jetzt,
würde hier in Daliní der Bürgerkrieg ausbrechen? Die Lords trauten Brian
offensichtlich zu, dass er einen Anschlag auf ihn verüben lassen könnte.
Neill war nach einer halben Stunde noch nicht erschienen.
Ciaran sagte sich, dass er die Zeit besser nutzen würde, wenn er etwas
ausruhte. Er schnallte sein Schwert ab, und plötzlich wurde ihm klar, dass er
es noch kein einziges Mal aus seiner Scheide herausgenommen hatte. Das jetzt
war das erste Mal, dass er Zeit hatte und es heller Tag war. Er griff nach dem
Heft und ließ die Klinge langsam herausgleiten. Der blanke Stahl schimmerte
bläulich.
Er war nie dazu gekommen, es Ríochan darzubieten. Als er
das Gelöbnis an den König sprach, hatte er das Schwert noch nicht besessen und
später war alles so schnell gegangen. Aber jetzt war sicherlich auch ein
geeigneter Zeitpunkt. Er ließ sich auf ein Knie nieder und hielt die Waffe vor
sich, als wäre ein anderer zugegen, dem er sie anbieten konnte. „Ríochan“,
sagte er leise. „Ich handle jetzt als Regent, doch mein Wort vor dir behält
seine volle Gültigkeit. Bei diesem Schwert, das du mir gabst.“ Er stand auf und
hielt es grüßend ins Licht. „Ehre dir, mein König!“ sagte er, und etwas änderte
sich. Als bräche die Sonne hinter Wolken hervor, strahlte das Schwert so hell,
wie Ríochans Klinge dort oben in den Bergen es getan hatte. Dasselbe Licht. Die
Zeit verlor darin an Bedeutung.
„Sir?“ die unsicher fragende Stimme riß ihn zurück in die
Gegenwart. Er stand auf, senkte das Schwert. Lord Rafe stand dort in der Tür
mit Neill. „Ihr gabt keine Antwort.“ Die Augen des Lords blickten ihn an wie
eine Erscheinung.
„Es ist gut“, sagte Ciaran. „Lasst uns allein.“ Der Lord
verbeugte sich, tiefer als zuvor und schloß die Tür hinter sich.
Ciaran wandte sich Neill zu. „Wir müssen noch vieles
klären“, begann er, hielt dann aber inne. Neill stand dort wie angewurzelt an
der Tür und starrte ihn an. „Neill?“
Der ehemalige Kamerad riß sich sichtlich zusammen. „Ihr
ließt mich rufen, Regent?“ sagte er dann. Es fehlte nur, dass er salutiert
hätte.
Ciaran steckte das Schwert in die Scheide, die noch immer
auf dem Tisch lag. „Wir sind unter uns, Neill. Keine Titel jetzt. Du sagtest,
es gäbe etwas, das ich wissen müsse. Und ich muss dir Botschaft an Estohar
auftragen. Da ist einiges, was man in der Hauptstadt nicht weiß.“
„Ich glaube, was ich zu sagen hatte, hat keine Bedeutung
mehr, Sir“, sagte der Hauptmann.
„Was soll das, Neill? Noch vorhin im Saal warfst du mir
einen Blick zu, als begehe ich Staatsverrat. Nun, wir sind hier allein. Ich
nehme nicht an, dass Lord Rafe an der Tür lauscht. Was wolltest du mir sagen?“
Neill sah aus, als wünsche er sich weit weg. „Ich bitte
um Entschuldigung, Sir. Ich hatte es noch nicht wirklich begriffen. Wer hätte
das auch wissen können? Auch Estohar hatte schließlich keine Ahnung.“
Ciaran gab es fürs erste auf, normal mit Neill zu reden.
„Hauptmann Neill, bitte eine klare und präzise Auskunft!“, verlangte er.
Der schärfere Ton schien Neill zu erleichtern. „Ja, Sir!
Niemand wusste, dass Ihr nach Alandas gerufen seid, Sir. Man hatte Euch in
Gesellschaft der Banditen gesehen, Sir. Turgan klagte Euch des Verrats an, Sir.
Estohar sah sich gezwungen, dem stattzugeben. Über Euch ..., über Hauptmann
Ciaran von der Palastgarde soll in diesem Sommer nach Ablauf der gesetzlichen
Frist der Reichsbann verhängt werden“, schloß er immer langsamer und leiser
werdend.
Ciaran setzte sich. „Erstaunlich, dass du überhaupt mit
mir geredet hast“, sagte er schockiert. „Den Reichsbann?“
„Es wird nicht dazu kommen“, sagte Neill. „Sobald ich
zurück bin, wird das alles richtig gestellt. Wir, Ranalf, Colin und ich haben
sowieso abgeraten. Aber ...“
„Estohar traute mir nicht?“
Neill senkte den Kopf. „Ich weiss es nicht.“
„Er wird sehr überrascht sein.“
„Ciaran“, der Name kam zögernd, aber er kam endlich.
„Hätte ich dich nicht eben dort gesehen in diesem Licht, ich fragte mich immer
noch, welches Spiel du spielst. Aber hätte ich dich nicht gekannt, ich hätte
geglaubt, ich begegne dem Fürst von Alandas selbst.“ Er rang sichtlich nach
Worten.
„Das kannst du nur sagen, weil du ihm nie begegnet bist“,
wehrte Ciaran kopfschüttelnd ab. Dann kam ihm ein anderer Gedanke. Er musste
lachen. „Ich glaube, als Regent kann ich den Bann jederzeit aufheben.“ Er wurde
wieder ernst. „Vorausgesetzt noch andere wollen mich als solchen sehen. Für das
erste, hoffe ich, dass ich als Ritter des Königs eine gewisse Immunität
besitze.“
Neill sah auf das Schwert, das noch immer auf dem Tisch
lag. „Trafst du die beiden anderen Ritter? Du erwähntest etwas derartiges. Wir
wissen nur, dass sie fast in Gefangenschaft gerieten auf Carraig.“
„Sie gingen durch Gleann Fhírinne nach Alandas. Aber wo sie
jetzt sind, weiß ich nicht. Vielleicht halfen sie Dorban zu entkommen. Der
Feind hat ihn jedenfalls bisher nicht, und der Fürst von Alandas sprach davon,
ich werde ihn wahrscheinlich auf Corimac wiedersehen. Du musst Estohar
überzeugen, dass er alle Truppen bis Mittsommer dorthin bringt.“
Er zögerte. „Ein stillschweigendes
Waffenstillstandsabkommen mit den Banditen wäre auch keine schlechte Idee. Aber
ich fürchte, das wirst du nicht vermitteln können in der Hauptstadt. Ich sage
es dir nur für den Fall, dass sich eine Gelegenheit ergibt. Diriac sollte der
Ansprechpartner sein, er kennt meinen wahren Namen. Aber ich bitte dich
dringend, diese Information nicht zu mißbrauchen. Besser, du gibst sie Estohar
nicht.“
Neill nickte zurückhaltend. „Ich werde tun, was du sagst.
Doch du solltest so bald wie möglich selbst kommen.“
„Ich komme mit Ruandor. Zuvor muß ich noch nach Sailean,
Roscrea und Eannas. Ich kann es kaum vor Mittsommer schaffen.“
„Wir hörten auch Gerüchte über Eannas“, begann Neill
vorsichtig.
„Gearaid war auf Carraig, ich weiß“, sagte Ciaran ruhig.
„Er scheint auch in die Übergriffe auf Roscrea mit verwickelt zu sein.“
„Er war wirklich auf Carraig? Woher weisst du das so
sicher? Estohar schickte eine Delegation nach Eannas, aber sie stießen auf
nichts Beunruhigendes.“
Ciaran verwarf den Gedanken, Patris zu erwähnen. Die
Grenze dessen, was er Neill jetzt zumuten konnte, schien ohnehin schon lange
überschritten.
„Gearaid wurde dort gesehen. Nicht nur Dorban von Tairg
scheint gelegentlich auf Carraig verkehrt zu haben. Ich hörte Gerüchte, dass es
mit dem Angriff auf eine Burg in Roscrea zusammenhängen könne, aber nichts
Genaueres. Wer leitete diese Delegation?“
„Lord Seanain.“ Ciarans Blick sprach Bände. „Ich weiß“,
sagte Neill. „Aber der Rat einigte sich gerade auf ihn.“
„Wir werden sehen, wie es dem Boten aus Croinathír dort
ergangen ist“, sagte Ciaran ruhig. „Aber es hilft nichts, ich muß dorthin.“
Es klopfte und gleich darauf trat der Lord von Fuacht
ein. „Gut, dass Ihr kommt“, Ciaran sprang auf. „Wie steht die Stadtwache in
unserer Angelegenheit?“
„Noch unentschieden.“ Orla zuckte die Schultern. „Was
Brian tun kann, ist begrenzt. Er ist Vorsitzender des Stadtrats, nicht
Diktator. Und er weiss, dass wir hier in ein paar Tagen alle die Stadt
verlassen. Wir sind zuviele, als dass er unbemerkt gegen einzelne vorgehen
könnte, und wir können jetzt keine Zeit mit der Stadt verschwenden.“
„Wie viele reguläre Männer in Waffen hat Daliní?“
„Um die hundert. Brian kann uns damit auf keinen Fall in den
Rücken fallen, während wir fort sind. Das reicht nur, um im Ernstfall ein paar
Kerntruppen in der Stadtverteidigung zu haben.“ Orla lächelte. „Ihr versteht
Euch gut auf diese Dinge, mein Regent. - Was habt Ihr mit dem armen Rafe
angestellt?“
„Was ist mit ihm?“
„Tja“, Orla strich sich nachdenklich über den Bart. „Dort
in Muine beschäftigen sie sich noch viel mit den alten Traditionen. Ich
verstehe da nicht so viel davon. Er wollte mir etwas über Alandas und den König
erzählen und über eine Art Erscheinung, die er hatte, als er den Hauptmann
hierher brachte.“ Er nickte in Richtung Neills.
„Ich weiß nicht, was sie gesehen haben“, sagte Ciaran.
„Im Grunde nur eine Tatsache“, sagte Neill, der sich
inzwischen wieder in der Hand hatte, „einen Ritter des Königs.“
Orla sah auf das Schwert auf dem Tisch. „Wirklich eine
beeindruckende Waffe. Ich nehme an, die Klinge wird dem Äußeren gerecht?“
Ciaran nickte nur. „Nun, da für den Moment alles geregelt ist und Ihr morgen
weiterreiten wollt, Regent – würdet Ihr mir in den Stall folgen? Ihr sollt
schließlich mit Eurem Reittier zufrieden sein.“
Ciaran war einverstanden. Sein Schwert legte er wieder
an. Es war zu sehr Teil seiner Identität jetzt, als dass er es hätte irgendwo
zurücklassen wollen. Neill schloß sich den beiden an. Sie sahen zuerst nach Ciarans
bisherigen Pferd. Der braune Wallach war gut untergebracht. Ciaran zauste ihm
die Mähne. „Ich werde froh sein, ihn in guten Händen zu wissen“, sagte er zu
Orla. „Er ist sehr gut ausgebildet und ein exzellenter Springer.“
„Seit wann habt Ihr ihn?“ Orla begutachtete das Tier. Es
war aus keiner schlechten Zucht. Relativ ruhig und sehr aufmerksam.
„Ich habe ihn als Dreijährigen gekauft. Unter Preis. Sein
vorheriger Besitzer war nur an Schnelligkeit interessiert. Er hatte nicht die
geringste Ahnung, was für ein kluger Kerl das ist.“
„Ihr scheint Euch mit Pferden auszukennen.“
„Ein wenig. Mein Vater war Schmied. Waffenschmied in
erster Linie, aber er beschlug auch Pferde.“
Orla studierte ihn nachdenklich. „Ich möchte Euch ein
Pferd zeigen, zu dem ich gerne Eure Meinung hören würde.“
Sie gingen zu den Pferden aus Fuacht. Es waren
ausnahmslos prächtige Tiere. Eines stand in einer besonders geräumigen Box: ein
großer junger Fuchshengst. Er wieherte leise, als er Orla sah, blickte aber
dann mißtrauisch auf die beiden Fremden.
„Aus Imreach?“ fragte Ciaran und blieb vorsichtig etwas
entfernt stehen. „Man sagt, solche Pferde werden nur dort geboren.“
Der Lord von Fuacht wirkte sehr zufrieden. „Aus Fuacht.
Aus meiner Zucht. – Nun, was sagt Ihr?“
„Er sieht sehr gut aus“, sagte Ciaran vorsichtig. „Mehr
kann ich so nicht beurteilen.“
„Das lässt sich ändern“, sagte der Lord. Er griff nach
Zaumzeug und fing dann an, das Pferd zu satteln. „Hinter dem Stall ist ein
Trainingsplatz.“ Der Fuchs wollte nicht stillstehen, sondern äugte immer wieder
nach den Fremden.
„Ich kenne den Weg“, sagte Neill. „Wir gehen vor.“
Während sie draußen warteten, erklärte er leise: „Orla lässt niemanden an
dieses Pferd heran. Es ist sein ganzer Stolz. Fast wie ein Kind.“
„Woher weisst du das? Er ist doch erst seit kurzem hier“,
wollte Ciaran wissen. Er hatte in der Hauptstadt nie davon gehört, dass es
jemanden gebe, dessen Pferde denen aus Imreach Konkurrenz machen konnten.
Neill lachte. „Von einem von Orlas Gefolgsleuten. Von den
Pferden aus Fuacht wird in Daliní viel geredet. Du hast ja auch einen Blick auf
die anderen bekommen. Ich war neugierig, wieviel daran ist, und als es hieß,
Orla sei angekommen, bin ich gleich zu den Ställen. Na, und zeig mir einen
Pferdeliebhaber, der nicht anfängt zu reden, wenn man sein Tier bewundert.“
Ciaran wurde nachdenklich. „Hat Orla eigentlich keine
Kinder?“
Neill schüttelte den Kopf. „Er hatte eine Tochter, die
vor ein paar Jahren jung starb. Sie war mit Dorban verheiratet. Manche meinen,
er sieht Dorban mehr als seinen Sohn denn als Schwiegersohn. – Nach Livins Tod
hat er sich von vielem zurück gezogen und seine Pferdezucht aufgebaut. Fuachts
Pferde waren schon immer die besten in Dalinie. Aber Orla beschaffte sich noch
zwei, drei Stuten aus Imreach. Sie müssen ihn ein halbes Vermögen gekostet
haben. Aber Geld ist kein Problem für ihn, und das Resultat hat sich, wie du
sehen konntest, gelohnt. “
Als Orla den Fuchs herausführte, benahm sich dieser ganz
manierlich. Er tänzelte ein wenig, als der Lord aufstieg, war begierig zu
laufen, fügte sich aber recht willig den Zügeln. Leichtfüßig nahm er zwei
Hindernisse und ging verschiedene Schrittarten. Als Orla abstieg und zu ihnen
kam, schüttelte das junge Tier aufgeregt den Kopf und stieg ein wenig, beruhigte
sich aber schnell. Orla lächelte breit. „Nun?“, wollte er wissen.
„Es kann gut sein, dass er das beste Pferd ist, das ich
je gesehen habe“, sagte Ciaran. „Das heißt in Abhaileon, auf jeden Fall“,
fügter er ehrlich hinzu. „In Alandas sah ich zwei Pferde, die aus jener Welt
selbst stammen müssen. – Euer Fuchs schwitzt noch nicht einmal. Wie alt ist
er?“
„Noch keine drei Jahre. Er ist noch nicht voll
ausgebildet.“ Orla streichelte sich nachdenklich den Bart. „Noch bessere Pferde
in Alandas, sagt Ihr? Es scheint, es gibt Gründe, den Weg dorthin zu suchen. Konntet
Ihr auf einem von ihnen reiten?“
Ciaran schüttelte den Kopf. „Sie gehörten Fürst Ríochan.“
„Schade“, sagte Orla. „Dann wird Euch der Vergleich
fehlen, wenn Ihr es mit diesem hier versucht.“ Er hielt ihm die Zügel hin.
Ciaran zögerte. Dann schnallte er sein Schwert ab,
reichte es Orla und nahm die Zügel entgegen. Orla ging einen Schritt zurück.
Der Fuchs spitzte die Ohren. Ciaran streckte vorsichtig die Hand aus und das
Pferd schnupperte daran. Leise zu ihm sprechend, trat Ciaran näher. Immer
weiter mit ihm redend, führte er es ein paar Schritte. Der Hengst war unruhig
aber nicht bösartig. Er ließ sich streicheln, ohne nach der Hand zu schnappen.
Nach einer Weile wurde er ruhiger. Ciaran nutzte die Gelegenheit und schwang
sich in den Sattel. Der Fuchs scheute etwas, aber sein Reiter saß sicher und
sprach weiter beruhigend auf ihn ein. Dann ließ er ihm die Zügel und das Pferd
warf sich nach vorn. Ciaran ließ es laufen, zog nur behutsam nach und nach die
Zügel an. Als das erste Hindernis kam, nahm es der Fuchs, ohne einen Augenblick
zu zögern, fließend, fast ohne seinen Lauf zu unterbrechen. Dann fanden sie
immer mehr zu einer Einheit zusammen. Nach einer Weile war das Pferd bereit,
auch auf leichte Kommandos zu hören. Ciaran ließ es ein wenig paradieren, bevor
er zu Neill und Orla zurück ritt. Noch immer zeigte es kein Zeichen der
Anstrengung. „Das beste Pferd, das ich je geritten habe“, sagte er mit einem
Lächeln, als er dem Lord die Zügel wieder reichte.
„Vermutlich das besonderste Schwert, das ich je in Händen
hielt“, sagte Orla und reichte ihm seine Waffe zurück.
Sie gingen wieder in den Stall. Orla kümmerte sich um
seinen Fuchs und Ciaran sah sich währenddessen mit Neill die anderen Pferde näher
an. „Unter welchen kann ich wählen?“, fragte er, als der Lord wieder zu ihnen
kam.
„Im Grunde gehören sie alle mir“, sagte Orla. „Sagt mir,
welches Ihr wollt, und ich regele das.“
Ciaran hatte sich schon für eine kastanienfarbige Stute
mit weißer Blesse entschieden. Orla nickte nur, als er es sagte.
Sobald sie den Stall verließen, kam ihnen Rafe entgegen.
Er verbeugte sich wieder tief vor Ciaran. „Sir“, sagte er, „mehrere Leute
wünschen Euch zu sprechen. Was soll ich ihnen sagen?“
Ciaran wandte sich an Orla. „Was ist der geeignetste Ort?
Es würde mich freuen, wenn Ihr und Hauptmann Neill bei diesen Treffen zugegen
seid.“
„Bring sie zum Beratungszimmer in unserem Flügel, Rafe“,
sagte Orla. „Jemand vom Stadtrat dabei?“
Rafe nickte. „Eine der Frauen. Aber auch irgendein
Offizier der Stadtwache. Und ein paar andere.“
„Zuerst das Ratsmitglied“, sagte Ciaran. „Dann den
Offizier. Danach entscheiden wir weiter.“
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