Samstag, 3. September 2011

Kapitel 17.3


„Es ist nicht umsonst, dass Ihr über Dalinie hinaus berühmt seid“, sagte Ciaran anerkennend.
Orla lächelte. „Ich weiß, wie sie mich nennen. Nach Ablauf dieser Stunde werden die wenigsten klarer denken. Stattdessen werden sie sich noch mehr in ihre Erregung hinein steigern. Und ich nehme an, Ihr seid in dieser Stunde nicht zu sprechen?“
Ciaran lächelte ebenfalls. „Für niemanden außer für Euch. Höchstens, falls Herr Brian käme ...“
Orla schnaubte. „Er wird nicht kommen. Er wird alle Hände voll zu tun haben, die Mitglieder seines Stadtrats in den Griff zu bekommen. Nichts ist sicher. Doch vermute ich, er will Euch jegliche Anerkennung verweigern.“

Ciaran liess sich auf einen Stuhl sinken. Seine Hand griff unwillkürlich nach seiner linken Seite. Manchmal schmerzte sie noch. „Ich werde dankbar sein, etwas essen zu können“, sagte er.
Orlas scharfen Augen war die Bewegung nicht entgangen. „Ihr seid verletzt?“
„Es ist fast nichts. Ich wurde angegriffen, bevor ich Alandas erreichte. Aber es ist weitgehend verheilt.“
„Barraids Reiter?“
Ciaran zögerte. „Jemand in seinem Dienst“, sagte er dann. „Es ist wirklich nichts. Ich bin nur zu hart geritten, um so schnell wie möglich hierher zu kommen. Eine kurze Rast hier – und ich werde morgen ohne Probleme weiterreiten. Das heißt, ich benötige ein frisches Pferd. Darum werde ich mich heute noch kümmern müssen.“ Er seufzte. „Wisst Ihr, wo ich einen guten Preis für meinen Braunen bekommen kann und einen günstigen für ein neues Pferd, das etwas taugt?“
Der Lord von Fuacht schüttelte den Kopf. „Hier in der Stadt gibt es keine wirklich guten Pferde. Aber sorgt Euch nicht, ich werde Euer Tier nehmen und Euch eines der meinen dafür geben.“
„Ausdauer wäre wichtiger als reine Schnelligkeit“, sagte Ciaran. „Mein Weg ist noch weit, und Eile tut not.“ Orla nickte.

Der Diener trat ein und brachte Wein, Brot und Käse. „Wasser für mich!“, Ciaran blickte entschuldigend auf den Lord. „Ich werde einen klaren Kopf brauchen und habe schon länger nichts zu mir genommen.“ Er lächelte verlegen. „Die Ereignisse überstürzten sich letzthin.“
„Ich hoffe, Ihr verzeiht, dass ich Euch für jetzt nichts Besseres anbieten kann“, sagte Orla. Er schnitt den Käse an, bot Ciaran davon an. Ciaran stutzte. „Warum setzt Ihr Euch nicht, Lord Orla?“ fragte er dann. Der Lord nickte dankend und nahm einen Stuhl. Ciaran setzte sich gerader auf und sah ihn an. „Was bedeuten Euch Alandas und der König?“ fragte er dann.
Orla wich dem Blick aus. „Darauf kann ich Euch weder die Antwort geben, die ich gestern gegeben hätte, noch habe ich eine neue gefunden.“
Ciaran stand auf. „Ich bin hier als Ritter des Königs, nicht als Regent von Abhaileon!“
Orla erhob sich ebenfalls. Jetzt blickte er ihn gerade an. „Macht es wirklich so viel Unterschied?“ fragte er leise. „Ob Ring oder Schwert, Ihr habt sie beide aus Alandas und aus der Hand des Fürsten dort, wenn die Sagen wahr sind. Aber der Ring ist auch Teil Abhaileons. Wenn ich den Ring ehre und für was er steht, vielleicht werde ich es dann auch für das Schwert tun können.“

Ciaran wandte sich ab und ging zum Fenster. Das war schwieriger, als er geglaubt hatte, als er diese Aufgabe übernahm. „Was soll ich tun, Ríochan?“ flüsterte er. Er durfte Orla nicht beleidigen, indem er ihn zurückwies. Er atmete schwer und senkte den Kopf, als müsse er eine Last schultern. Dann drehte er sich um. Der Lord von Fuacht wartete, aber ein Schatten war auf sein Gesicht gefallen. „Ihr habt recht“, sagte Ciaran „letztendlich macht es keinen großen Unterschied. Ihr wollt mir folgen, weil ich diesen Ring trage. Und ich unterstehe dem Befehl des Fürsten von Alandas und diene dem König. Wenn Ihr dies akzeptieren wollt?“
„Ich werde dem Regenten folgen“, sagte Orla. „Euch.“
„Und ich nehme Euer großzügiges Geschenk an“, sagte Ciaran. Er reichte ihm die Hand, und Orla schlug ein. Dann aßen sie.

Als sie gegen Ende der Stunde zurück zum Saal kamen, trat dort fast schlagartig Stille ein, sobald sie erblickt wurden. Brian, der am anderen Ende des Saales mit einer Gruppe von Leuten sprach, sah auf und ging sofort auf seinen Sessel zu. Neill, der mit einigen Lords zusammen stand, tat das Gleiche. Sobald die vier Platz genommen hatten, ergriff einer der Lords das Wort: „Bevor wir irgend etwas beschließen können, brauchen wir Klarheit über die Identität des Ringes, den dieser Ritter hier“, er verbeugte sich knapp in Richtung Ciarans, „trägt. Wir haben drei aus unserer Mitte ausgewählt, die ihn näher untersuchen sollen.“
Orla blickte auf Ciaran, der nickte. „Herr Orla soll meinen Ring nehmen“, erklärte er.
Drei der Lords standen auf und kamen zu ihnen. Sie stellten sich mit einer knappen Verbeugung vor: Dean von Amra, Yosif von Leachtin und Rafe von Muine. Ciaran reichte Orla den Ring und sie gingen zur Seite. Eine Weile herrschte tiefstes Schweigen, dann begannen die vier Lords sich leise zu beratschlagen. Alle anderen wurden unruhig. Einige begannen miteinander zu flüstern. Brian blickte nur mit finsterer Miene vor sich hin.

Schließlich traten die Lords wieder in die Mitte. Orla gab Ciaran den Ring zurück. Rafe von Muine setzte zweimal an und räusperte sich, bevor er sprach. „Abhaileon hat einen Regenten“, sagte er. Dann trat er vor Ciaran „Nicht alle kennen noch den alten Treueid“, sagte er, „deshalb spreche ich ihn stellvertretend für unsere Gruppe.“ Orla warf Ciaran einen Blick zu, der eine Andeutung von Verlegenheit enthielt. Rafe von Muine  kniete vor Ciaran nieder und bot ihm sein Schwert. Einer nach dem anderen standen die Lords von Dalinie auf. Einige traten näher heran. Lord Rafe wartete etwas und  fuhr dann fort: „Ich gelobe Euch, Ciaran von Fírin, dem Regenten von Abhaileon, erwählt und bestätigt durch den Fürsten von Alandas, Treue und Gefolgschaft. Möge das Licht und der Segen des Königs selbst nie von Euch weichen!“
Ciaran stand auf. Er kannte die Worte, die er zu sagen hatte. Doch noch während er die Hand auf den Knauf des Schwertes legte, hoffte er, etwas werde verhindern, dass er sie sprechen musste. „Ich, Ciaran von Fírin, Regent Abhaileons unter dem Fürsten von Alandas und Diener des Königs, höre diesen Eid und bestätige ihn. Mögen wir in Einheit dienen im Licht des Königs selbst.“ Es fühlte sich unwirklich an.
Rafe von Muine nahm sein Schwert wieder an sich und küsste den Ring an Ciarans Hand. Dann machte er Platz für den nächsten. Es war Orla, der als erster kam, aber keiner der anderen Lords verweigerte sich. Manche hielten kurz inne, um auf den Ring an seiner Hand zu blicken, bevor sie ihn mit den Lippen berührten. Die alte Lady von Cruagh lächelte, als sie ihn wieder ansah und verbeugte sich unerwartet anmutig.

Zurück blieben eine Gruppe von sechs Männern und Frauen um Brian. Ciaran blickte ihn an. Brian richtete sich stolz auf. „Die Stadt Daliní erkennt diesen Ritter nicht als Regenten an“, erklärte er. - Neill stand allein weiter weg an der Seite und zeigte sich zugeknöpft.
Ciaran nickte. „Es war nicht meine Absicht, diese Anerkennung zu fordern“, erklärte er. „Mein Auftrag für jetzt ist es allein, die Truppen Abhaileons nach Corimac zu rufen. Wird die Stadt Daliní der Aufforderung aus Croinathír und dem Gebot aus Alandas Folge leisten?“
Die sechs Stadtratsmitglieder sahen sich an. Es schien, dass einer von ihnen ansetzen wollte, etwas zu sagen, aber Brian sprach schnell als erster: „Daliní ist eine freie Stadt, und Daliní sieht keinen Feind. Selbst wenn sich die wahrscheinlich übertriebenen Warnungen vor jenem Herrn auf Carraig als wahr erweisen sollten, sehen wir keinen Anlass, den Krieg zu erklären. Die Stadt wird sich mit ihm arrangieren können. Sie wird ihm intakt mehr wert sein als zerstört.“
„Ich betrachte diese Haltung als Verrat gegen Abhaileon“, erklärte Orla kalt. Mit einer Handbewegung hielt er ein paar der anderen davon ab, nach ihren Schwertern zu greifen. „Aber wir wollen für jetzt darüber hinweg sehen und Euch – und Daliní“, er warf einen Blick auf die anderen Ratsmitglieder, „Bedenkzeit geben. Mögen die Bürger der Stadt frei entscheiden.“
Er wandte sich Ciaran zu. „Da Ihr morgen bereits wieder reiten wollt, solltet Ihr Gelegenheit haben zu rasten. Gestattet Ihr, dass ich alles hier ordne, wie es Euren Wünschen entspricht?“
„Tut dies, Herr Orla“, antwortete Ciaran. „Ihr wisst, Ihr habt mein Vertrauen.“

Wenig später hatte Ciaran eine Eskorte. Lord Rafe hatte sich erboten, dafür zu sorgen. Er begleitete Ciaran mit ein paar anderen hinaus, während Orla im Zentrum der Aktion stand und Befehle erteilte. Die meisten der Lords waren aufgeregt und gut gestimmt. Rafe lachte im Hinausgehen: „Was wird man in Croinathír dazu sagen, dass ein Dalinianer Regent von Abhaileon ist!“ Ciaran stellte sich vor, was Estohar zu dieser Entwicklung sagen würde, und zog es vor, nicht darauf zu antworten. Neill war nirgends mehr zu sehen.
Ciaran bat, fürs erste wieder in Orlas Arbeitszimmer gebracht zu werden. Auf dem Weg dorthin wollte er wissen: „Wer hat Befehl über die Stadtwachen?“
Rafe zögerte. „Rein technisch Brian. Aber, auch wenn er so tut, es ist nicht so, als gehöre dem Rat die Stadt. Orla wird sich sicher darum kümmern.“ Er lachte wieder. „Ausgerechnet Orla bestand auf dem alten Eid, obwohl er ihn  nie zusammenbekommen hätte.“
„Wieso kanntet Ihr ihn?“
Rafes Lächeln war verlegen. „Nur Familientradition. – Erstaunlich wie nützlich so etwas plötzlich werden kann. Wir sind da, mein Regent.“
Ciaran befahl, eine halbe Stunde allein gelassen zu werden und dann, wenn möglich, Hauptmann Neill zu ihm zu bringen. Und Orla, sobald es sich irgendwie machen ließ. Lord Rafe versprach, sich um alles zu kümmern. Dem jungen Herrn gefielen die Ereignisse, er lachte und scherzte bei jeder Gelegenheit, wenn er dem so unerwartet aufgetauchten Regenten nicht neugierige Blicke zuwarf.

Ciaran versuchte, seine Gedanken zu ordnen, während er im Zimmer auf und ab ging, sobald er allein war. Er selbst wußte, dass er nicht der Regent war. Aber Dalinie wollte einen dalinianischen Regenten und würde jetzt seine Truppen nach Corimac schicken. Nun, Dalinie würde aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin einen dalinianischen Regenten erhalten, denn Dorban kam auch aus der Provinz. Aber darüber durfte er nicht sprechen. Er musste sich als eine Art Platzhalter betrachten. Und sie hatten den alten Eid geschworen, bei Alandas und dem König – das war viel wert. Aber was jetzt, würde hier in Daliní der Bürgerkrieg ausbrechen? Die Lords trauten Brian offensichtlich zu, dass er einen Anschlag auf ihn verüben lassen könnte.
Neill war nach einer halben Stunde noch nicht erschienen. Ciaran sagte sich, dass er die Zeit besser nutzen würde, wenn er etwas ausruhte. Er schnallte sein Schwert ab, und plötzlich wurde ihm klar, dass er es noch kein einziges Mal aus seiner Scheide herausgenommen hatte. Das jetzt war das erste Mal, dass er Zeit hatte und es heller Tag war. Er griff nach dem Heft und ließ die Klinge langsam herausgleiten. Der blanke Stahl schimmerte bläulich.
Er war nie dazu gekommen, es Ríochan darzubieten. Als er das Gelöbnis an den König sprach, hatte er das Schwert noch nicht besessen und später war alles so schnell gegangen. Aber jetzt war sicherlich auch ein geeigneter Zeitpunkt. Er ließ sich auf ein Knie nieder und hielt die Waffe vor sich, als wäre ein anderer zugegen, dem er sie anbieten konnte. „Ríochan“, sagte er leise. „Ich handle jetzt als Regent, doch mein Wort vor dir behält seine volle Gültigkeit. Bei diesem Schwert, das du mir gabst.“ Er stand auf und hielt es grüßend ins Licht. „Ehre dir, mein König!“ sagte er, und etwas änderte sich. Als bräche die Sonne hinter Wolken hervor, strahlte das Schwert so hell, wie Ríochans Klinge dort oben in den Bergen es getan hatte. Dasselbe Licht. Die Zeit verlor darin an Bedeutung.

„Sir?“ die unsicher fragende Stimme riß ihn zurück in die Gegenwart. Er stand auf, senkte das Schwert. Lord Rafe stand dort in der Tür mit Neill. „Ihr gabt keine Antwort.“ Die Augen des Lords blickten ihn an wie eine Erscheinung.
„Es ist gut“, sagte Ciaran. „Lasst uns allein.“ Der Lord verbeugte sich, tiefer als zuvor und schloß die Tür hinter sich.
Ciaran wandte sich Neill zu. „Wir müssen noch vieles klären“, begann er, hielt dann aber inne. Neill stand dort wie angewurzelt an der Tür und starrte ihn an. „Neill?“
Der ehemalige Kamerad riß sich sichtlich zusammen. „Ihr ließt mich rufen, Regent?“ sagte er dann. Es fehlte nur, dass er salutiert hätte.

Ciaran steckte das Schwert in die Scheide, die noch immer auf dem Tisch lag. „Wir sind unter uns, Neill. Keine Titel jetzt. Du sagtest, es gäbe etwas, das ich wissen müsse. Und ich muss dir Botschaft an Estohar auftragen. Da ist einiges, was man in der Hauptstadt nicht weiß.“
„Ich glaube, was ich zu sagen hatte, hat keine Bedeutung mehr, Sir“, sagte der Hauptmann.
„Was soll das, Neill? Noch vorhin im Saal warfst du mir einen Blick zu, als begehe ich Staatsverrat. Nun, wir sind hier allein. Ich nehme nicht an, dass Lord Rafe an der Tür lauscht. Was wolltest du mir sagen?“
Neill sah aus, als wünsche er sich weit weg. „Ich bitte um Entschuldigung, Sir. Ich hatte es noch nicht wirklich begriffen. Wer hätte das auch wissen können? Auch Estohar hatte schließlich keine Ahnung.“

Ciaran gab es fürs erste auf, normal mit Neill zu reden. „Hauptmann Neill, bitte eine klare und präzise Auskunft!“, verlangte er.
Der schärfere Ton schien Neill zu erleichtern. „Ja, Sir! Niemand wusste, dass Ihr nach Alandas gerufen seid, Sir. Man hatte Euch in Gesellschaft der Banditen gesehen, Sir. Turgan klagte Euch des Verrats an, Sir. Estohar sah sich gezwungen, dem stattzugeben. Über Euch ..., über Hauptmann Ciaran von der Palastgarde soll in diesem Sommer nach Ablauf der gesetzlichen Frist der Reichsbann verhängt werden“, schloß er immer langsamer und leiser werdend.
Ciaran setzte sich. „Erstaunlich, dass du überhaupt mit mir geredet hast“, sagte er schockiert. „Den Reichsbann?“
„Es wird nicht dazu kommen“, sagte Neill. „Sobald ich zurück bin, wird das alles richtig gestellt. Wir, Ranalf, Colin und ich haben sowieso abgeraten. Aber ...“
„Estohar traute mir nicht?“
Neill senkte den Kopf. „Ich weiss es nicht.“
„Er wird sehr überrascht sein.“

„Ciaran“, der Name kam zögernd, aber er kam endlich. „Hätte ich dich nicht eben dort gesehen in diesem Licht, ich fragte mich immer noch, welches Spiel du spielst. Aber hätte ich dich nicht gekannt, ich hätte geglaubt, ich begegne dem Fürst von Alandas selbst.“ Er rang sichtlich nach Worten.
„Das kannst du nur sagen, weil du ihm nie begegnet bist“, wehrte Ciaran kopfschüttelnd ab. Dann kam ihm ein anderer Gedanke. Er musste lachen. „Ich glaube, als Regent kann ich den Bann jederzeit aufheben.“ Er wurde wieder ernst. „Vorausgesetzt noch andere wollen mich als solchen sehen. Für das erste, hoffe ich, dass ich als Ritter des Königs eine gewisse Immunität besitze.“
Neill sah auf das Schwert, das noch immer auf dem Tisch lag. „Trafst du die beiden anderen Ritter? Du erwähntest etwas derartiges. Wir wissen nur, dass sie fast in Gefangenschaft gerieten auf Carraig.“
„Sie gingen durch Gleann Fhírinne nach Alandas. Aber wo sie jetzt sind, weiß ich nicht. Vielleicht halfen sie Dorban zu entkommen. Der Feind hat ihn jedenfalls bisher nicht, und der Fürst von Alandas sprach davon, ich werde ihn wahrscheinlich auf Corimac wiedersehen. Du musst Estohar überzeugen, dass er alle Truppen bis Mittsommer dorthin bringt.“

Er zögerte. „Ein stillschweigendes Waffenstillstandsabkommen mit den Banditen wäre auch keine schlechte Idee. Aber ich fürchte, das wirst du nicht vermitteln können in der Hauptstadt. Ich sage es dir nur für den Fall, dass sich eine Gelegenheit ergibt. Diriac sollte der Ansprechpartner sein, er kennt meinen wahren Namen. Aber ich bitte dich dringend, diese Information nicht zu mißbrauchen. Besser, du gibst sie Estohar nicht.“
Neill nickte zurückhaltend. „Ich werde tun, was du sagst. Doch du solltest so bald wie möglich selbst kommen.“
„Ich komme mit Ruandor. Zuvor muß ich noch nach Sailean, Roscrea und Eannas. Ich kann es kaum vor Mittsommer schaffen.“

„Wir hörten auch Gerüchte über Eannas“, begann Neill vorsichtig.
„Gearaid war auf Carraig, ich weiß“, sagte Ciaran ruhig. „Er scheint auch in die Übergriffe auf Roscrea mit verwickelt zu sein.“
„Er war wirklich auf Carraig? Woher weisst du das so sicher? Estohar schickte eine Delegation nach Eannas, aber sie stießen auf nichts Beunruhigendes.“
Ciaran verwarf den Gedanken, Patris zu erwähnen. Die Grenze dessen, was er Neill jetzt zumuten konnte, schien ohnehin schon lange überschritten.
„Gearaid wurde dort gesehen. Nicht nur Dorban von Tairg scheint gelegentlich auf Carraig verkehrt zu haben. Ich hörte Gerüchte, dass es mit dem Angriff auf eine Burg in Roscrea zusammenhängen könne, aber nichts Genaueres. Wer leitete diese Delegation?“
„Lord Seanain.“ Ciarans Blick sprach Bände. „Ich weiß“, sagte Neill. „Aber der Rat einigte sich gerade auf ihn.“
„Wir werden sehen, wie es dem Boten aus Croinathír dort ergangen ist“, sagte Ciaran ruhig. „Aber es hilft nichts, ich muß dorthin.“

Es klopfte und gleich darauf trat der Lord von Fuacht ein. „Gut, dass Ihr kommt“, Ciaran sprang auf. „Wie steht die Stadtwache in unserer Angelegenheit?“
„Noch unentschieden.“ Orla zuckte die Schultern. „Was Brian tun kann, ist begrenzt. Er ist Vorsitzender des Stadtrats, nicht Diktator. Und er weiss, dass wir hier in ein paar Tagen alle die Stadt verlassen. Wir sind zuviele, als dass er unbemerkt gegen einzelne vorgehen könnte, und wir können jetzt keine Zeit mit der Stadt verschwenden.“
„Wie viele reguläre Männer in Waffen hat Daliní?“
„Um die hundert. Brian kann uns damit auf keinen Fall in den Rücken fallen, während wir fort sind. Das reicht nur, um im Ernstfall ein paar Kerntruppen in der Stadtverteidigung zu haben.“ Orla lächelte. „Ihr versteht Euch gut auf diese Dinge, mein Regent. - Was habt Ihr mit dem armen Rafe angestellt?“
„Was ist mit ihm?“
„Tja“, Orla strich sich nachdenklich über den Bart. „Dort in Muine beschäftigen sie sich noch viel mit den alten Traditionen. Ich verstehe da nicht so viel davon. Er wollte mir etwas über Alandas und den König erzählen und über eine Art Erscheinung, die er hatte, als er den Hauptmann hierher brachte.“ Er nickte in Richtung Neills.
„Ich weiß nicht, was sie gesehen haben“, sagte Ciaran.
„Im Grunde nur eine Tatsache“, sagte Neill, der sich inzwischen wieder in der Hand hatte, „einen Ritter des Königs.“

Orla sah auf das Schwert auf dem Tisch. „Wirklich eine beeindruckende Waffe. Ich nehme an, die Klinge wird dem Äußeren gerecht?“ Ciaran nickte nur. „Nun, da für den Moment alles geregelt ist und Ihr morgen weiterreiten wollt, Regent – würdet Ihr mir in den Stall folgen? Ihr sollt schließlich mit Eurem Reittier zufrieden sein.“
Ciaran war einverstanden. Sein Schwert legte er wieder an. Es war zu sehr Teil seiner Identität jetzt, als dass er es hätte irgendwo zurücklassen wollen. Neill schloß sich den beiden an. Sie sahen zuerst nach Ciarans bisherigen Pferd. Der braune Wallach war gut untergebracht. Ciaran zauste ihm die Mähne. „Ich werde froh sein, ihn in guten Händen zu wissen“, sagte er zu Orla. „Er ist sehr gut ausgebildet und ein exzellenter Springer.“
„Seit wann habt Ihr ihn?“ Orla begutachtete das Tier. Es war aus keiner schlechten Zucht. Relativ ruhig und sehr aufmerksam.
„Ich habe ihn als Dreijährigen gekauft. Unter Preis. Sein vorheriger Besitzer war nur an Schnelligkeit interessiert. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was für ein kluger Kerl das ist.“
„Ihr scheint Euch mit Pferden auszukennen.“
„Ein wenig. Mein Vater war Schmied. Waffenschmied in erster Linie, aber er beschlug auch Pferde.“

Orla studierte ihn nachdenklich. „Ich möchte Euch ein Pferd zeigen, zu dem ich gerne Eure Meinung hören würde.“
Sie gingen zu den Pferden aus Fuacht. Es waren ausnahmslos prächtige Tiere. Eines stand in einer besonders geräumigen Box: ein großer junger Fuchshengst. Er wieherte leise, als er Orla sah, blickte aber dann mißtrauisch auf die beiden Fremden.
„Aus Imreach?“ fragte Ciaran und blieb vorsichtig etwas entfernt stehen. „Man sagt, solche Pferde werden nur dort geboren.“
Der Lord von Fuacht wirkte sehr zufrieden. „Aus Fuacht. Aus meiner Zucht. – Nun, was sagt Ihr?“
„Er sieht sehr gut aus“, sagte Ciaran vorsichtig. „Mehr kann ich so nicht beurteilen.“
„Das lässt sich ändern“, sagte der Lord. Er griff nach Zaumzeug und fing dann an, das Pferd zu satteln. „Hinter dem Stall ist ein Trainingsplatz.“ Der Fuchs wollte nicht stillstehen, sondern äugte immer wieder nach den Fremden.

„Ich kenne den Weg“, sagte Neill. „Wir gehen vor.“ Während sie draußen warteten, erklärte er leise: „Orla lässt niemanden an dieses Pferd heran. Es ist sein ganzer Stolz. Fast wie ein Kind.“
„Woher weisst du das? Er ist doch erst seit kurzem hier“, wollte Ciaran wissen. Er hatte in der Hauptstadt nie davon gehört, dass es jemanden gebe, dessen Pferde denen aus Imreach Konkurrenz machen konnten.
Neill lachte. „Von einem von Orlas Gefolgsleuten. Von den Pferden aus Fuacht wird in Daliní viel geredet. Du hast ja auch einen Blick auf die anderen bekommen. Ich war neugierig, wieviel daran ist, und als es hieß, Orla sei angekommen, bin ich gleich zu den Ställen. Na, und zeig mir einen Pferdeliebhaber, der nicht anfängt zu reden, wenn man sein Tier bewundert.“
Ciaran wurde nachdenklich. „Hat Orla eigentlich keine Kinder?“
Neill schüttelte den Kopf. „Er hatte eine Tochter, die vor ein paar Jahren jung starb. Sie war mit Dorban verheiratet. Manche meinen, er sieht Dorban mehr als seinen Sohn denn als Schwiegersohn. – Nach Livins Tod hat er sich von vielem zurück gezogen und seine Pferdezucht aufgebaut. Fuachts Pferde waren schon immer die besten in Dalinie. Aber Orla beschaffte sich noch zwei, drei Stuten aus Imreach. Sie müssen ihn ein halbes Vermögen gekostet haben. Aber Geld ist kein Problem für ihn, und das Resultat hat sich, wie du sehen konntest, gelohnt. “

Als Orla den Fuchs herausführte, benahm sich dieser ganz manierlich. Er tänzelte ein wenig, als der Lord aufstieg, war begierig zu laufen, fügte sich aber recht willig den Zügeln. Leichtfüßig nahm er zwei Hindernisse und ging verschiedene Schrittarten. Als Orla abstieg und zu ihnen kam, schüttelte das junge Tier aufgeregt den Kopf und stieg ein wenig, beruhigte sich aber schnell. Orla lächelte breit. „Nun?“, wollte er wissen.
„Es kann gut sein, dass er das beste Pferd ist, das ich je gesehen habe“, sagte Ciaran. „Das heißt in Abhaileon, auf jeden Fall“, fügter er ehrlich hinzu. „In Alandas sah ich zwei Pferde, die aus jener Welt selbst stammen müssen. – Euer Fuchs schwitzt noch nicht einmal. Wie alt ist er?“
„Noch keine drei Jahre. Er ist noch nicht voll ausgebildet.“ Orla streichelte sich nachdenklich den Bart. „Noch bessere Pferde in Alandas, sagt Ihr? Es scheint, es gibt Gründe, den Weg dorthin zu suchen. Konntet Ihr auf einem von ihnen reiten?“
Ciaran schüttelte den Kopf. „Sie gehörten Fürst Ríochan.“
„Schade“, sagte Orla. „Dann wird Euch der Vergleich fehlen, wenn Ihr es mit diesem hier versucht.“ Er hielt ihm die Zügel hin.

Ciaran zögerte. Dann schnallte er sein Schwert ab, reichte es Orla und nahm die Zügel entgegen. Orla ging einen Schritt zurück. Der Fuchs spitzte die Ohren. Ciaran streckte vorsichtig die Hand aus und das Pferd schnupperte daran. Leise zu ihm sprechend, trat Ciaran näher. Immer weiter mit ihm redend, führte er es ein paar Schritte. Der Hengst war unruhig aber nicht bösartig. Er ließ sich streicheln, ohne nach der Hand zu schnappen. Nach einer Weile wurde er ruhiger. Ciaran nutzte die Gelegenheit und schwang sich in den Sattel. Der Fuchs scheute etwas, aber sein Reiter saß sicher und sprach weiter beruhigend auf ihn ein. Dann ließ er ihm die Zügel und das Pferd warf sich nach vorn. Ciaran ließ es laufen, zog nur behutsam nach und nach die Zügel an. Als das erste Hindernis kam, nahm es der Fuchs, ohne einen Augenblick zu zögern, fließend, fast ohne seinen Lauf zu unterbrechen. Dann fanden sie immer mehr zu einer Einheit zusammen. Nach einer Weile war das Pferd bereit, auch auf leichte Kommandos zu hören. Ciaran ließ es ein wenig paradieren, bevor er zu Neill und Orla zurück ritt. Noch immer zeigte es kein Zeichen der Anstrengung. „Das beste Pferd, das ich je geritten habe“, sagte er mit einem Lächeln, als er dem Lord die Zügel wieder reichte.
„Vermutlich das besonderste Schwert, das ich je in Händen hielt“, sagte Orla und reichte ihm seine Waffe zurück.

Sie gingen wieder in den Stall. Orla kümmerte sich um seinen Fuchs und Ciaran sah sich währenddessen mit Neill die anderen Pferde näher an. „Unter welchen kann ich wählen?“, fragte er, als der Lord wieder zu ihnen kam.
„Im Grunde gehören sie alle mir“, sagte Orla. „Sagt mir, welches Ihr wollt, und ich regele das.“
Ciaran hatte sich schon für eine kastanienfarbige Stute mit weißer Blesse entschieden. Orla nickte nur, als er es sagte.
Sobald sie den Stall verließen, kam ihnen Rafe entgegen. Er verbeugte sich wieder tief vor Ciaran. „Sir“, sagte er, „mehrere Leute wünschen Euch zu sprechen. Was soll ich ihnen sagen?“
Ciaran wandte sich an Orla. „Was ist der geeignetste Ort? Es würde mich freuen, wenn Ihr und Hauptmann Neill bei diesen Treffen zugegen seid.“
„Bring sie zum Beratungszimmer in unserem Flügel, Rafe“, sagte Orla. „Jemand vom Stadtrat dabei?“
Rafe nickte. „Eine der Frauen. Aber auch irgendein Offizier der Stadtwache. Und ein paar andere.“
„Zuerst das Ratsmitglied“, sagte Ciaran. „Dann den Offizier. Danach entscheiden wir weiter.“

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