Ciaran streichelte seinen Fuchs, der im Mondlicht auf der Lagerweide gegrast aber dann erfreut seine Gesellschaft vorgezogen hatte. Das Gewitter hatte sich ausgetobt, und es war kühl geworden. Noch einmal überdachte er die Ereignisse des Tages. Nach nur zwei Tagen der Regierung stand fast ganz Abhaileon hinter ihm, mit Ausnahme eines Fürsten. Sie waren daran gescheitert, einen Bund aller Fürsten zu schließen, aber das hatte er vorausgesehen. Selbst Estohar war kein Problem mehr. Dennoch. Mitternacht. Der Weg führte durch Mitternacht. Plötzlich schien es ihm, daß sich die Dunkelheit um ihn wirklich verdichtete. Erschreckt blickte er auf, doch da war nichts. Er sollte wohl schlafen, auch der nächste Tag würde nicht einfach werden. Aber die Müdigkeit floh ihn in dieser Nacht. Er gab schließlich auf und beschloss, stattdessen mit dem König zu sprechen.
Béarisean schreckte aus einem Alptraum hoch. Sorgen raubten ihm die Ruhe. Nun stand es fest, daß Fürst Ríochan nicht würde eingreifen können. Das abhaileonische Heer war auf sich allein gestellt. War er zu undiplomatisch gewesen gegenüber Dermot? War es wirklich richtig gewesen ihn gehen zu lassen? Und Estohar, hätte er ihn nicht besser zurückgehalten? ... Ob es an der Nähe Carraigs lag, daß er schon wieder ein Unheil nahen fühlte? Wie damals, als Dorban sie dorthin begleitete. Und dann, vollkommen irrational, war da ein immer stärker auftauchender Gedanke, den er längst tot geglaubt hatte. Stetig hämmerte er in seinem Bewußtsein. „Rache für Rilan. Rache für Rilan. Rache für Rilan.“ Seitdem er mit Dermot gesprochen hatte, war es ständig angewachsen. Er begriff nicht, was für eine seltsame Besessenheit das war. Die wenigen Worte, die zu diesem Thema gewechselt worden waren, konnten kaum der Anlass sein. Das Dunkel habe Widerhall gefunden, hatte Ciaran gesagt. Eine erschreckende Vorstellung. Lange warf Béarisean sich unruhig in seinen Decken hin und her, bevor er gegen Morgen endlich etwas Schlaf fand.
Robin ging schlaflos in seinem Zimmer auf und ab. Manche Nächte waren schlimmer als andere. Schlimmer noch als die Tage. Seitdem das Gewitter vergangen war, war es hell genug, dass die Scheide seines Schwertes im schwachen Mondlicht schimmerte. Sein Schwert. Seine Verantwortung für Abhaileon. Etwas an diesem Gedanken ließ ihn stutzen, aber er konnte nicht fassen, was falsch daran war. Das Schwert gab ihm die Verantwortung, eine Verantwortung, die er nicht wollte. Er wünschte sich, daß alles, was ihm in den letzten Monaten begegnet war, nur ein böser Traum sei, aus dem er bald erwachen werde. Es war nicht zum ersten- und nicht zum letztenmal, dass er das wünschte.
******
Reginald bäumte sich wild auf und zerrte an seinen Fesseln. Der Knebel saß so fest, dass er sich manchmal dem Ersticken nahe fühlte. Seine Kräfte ließen nach, aber er konnte nicht aufgeben. Er durfte nicht. Arnim ... Er versuchte nicht an die Details zu denken, deren Zeuge er seit etwa zwei Stunden war, wenn er nicht gerade so heftig mit seinen Fesseln gekämpft hatte, dass er nichts anderes hatte wahrnehmen können. Renad hatte die Gelegenheit nutzen wollen, auch mit ihm eine Rechnung zu begleichen, doch das hatte Fíanael ihm untersagt. Das Abkommen mit dem Lord von Rina sei klar, ihm werde kein Haar gekrümmt.
Reginald hatte zu lange gezögert an jenem Morgen in Patris Lager. Er hatte eigentlich nur nachdenken wollen, was er tun solle, statt abergläubisch loszurennen, weil Erendar ihm Unheil prophezeit hatte. Als der winianische Lord mit seinen Männern eingetroffen war, hatte er sich in den Hintergrund zurückgezogen. Er hatte bezweifelt, dass Fíanael ihn noch erkennen würde nach all den Jahren. Eine Fehlannahme. Als er sein Pferd satteln wollte, um unauffällig zu verschwinden, hatten ihn zwei der Schwarzgekleideten aufgehalten. Der Lord wünsche ihn noch zu sprechen. Als Fíanael zu ihm kam, hatte er schon gewusst, was Reginald am großen Feuer erzählt hatte, und mehr zu wissen verlangt. Reginald war nicht unwillig gewesen, alles zu erzählen. Fíanael hatte ihnen damals geholfen – auch wenn Arnim davon schon lange nichts mehr hören wollte -, sie waren bestens gefahren mit ihm. Warum sollte er nicht die Gelegenheit ergreifen, die sich ihm bot. Wie hätte er ahnen können, dass Arnim seine ganze gewaltige Sturheit darein setzen würde, zu diesem König zu stehen! Er war sich sicher gewesen, dass das letztendlich nur eine Fassade für den Regenten war, dass Arnim den Fürstentitel wollte, das Ansehen, was auch immer. Und ihn dafür opferte. Reginald hatte alles perfekt ausgehandelt. Es hatte so einfach geschienen. Vielleicht konnte er noch etwas ändern, wenn er loskam. Er musste ...
Fíanael blickte ungehalten auf, als sich die Tür öffnete. Der Schwarzgekleidete, der eintrat verbeugte sich, ohne die Szene, die sich ihm bot, zu beachten. „Reiter“, meldete er dann. „Ein halbes Hundert. Sie werden in einer Viertelstunde hier sein.“
Fíanael winkte ihn hinaus. Es war also an der Zeit zu gehen. Das war äußerst unbefriedigend. Die zwei Stunden, die sie gehabt hatten, waren nicht ausreichend gewesen, um Lassalle zu brechen.
„Macht ein Ende!“ befahl der winianische Lord. „Wir brechen auf!“
Lassalle begriff die Worte trotz seines äußerst desolaten Zustandes. „Mein Leben ... dem König!“ brachte er hervor, bevor sein Kopf fiel.
„Verdammt sei dieser Dalinianer!“ fluchte Fíanael. „Aber auch er wird noch bezahlen für das, was er getan hat.“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung des Lords von Rina. „Löst seine Fesseln so, dass er loskommen kann.“
Renad blickte bedauernd zu Reginald hin. Bevor er dem Winianer folgte, stieß er noch einmal mit dem Stiefel gegen den kopflosen Körper Lassalles und spuckte aus, während einer der Winianer Reginalds Fesseln anschnitt, so dass sie bald reißen würden. Der Lord von Rina verdoppelte seine Anstrengungen noch einmal. Es gelang ihm schon bald die Hände freizubekommen, so dass er den Dolch aus seinem Gürtel ziehen und die übrigen Riemen zerschneiden konnte. „Arnim!“ flüsterte er unter Schluchzen, während er halb kroch und halb stolperte zu dem, was einmal sein langjähriger Freund gewesen war. Er zog den kopflosen Oberkörper in seine Arme. „Arnim!“
Reginald achtete nicht mehr auf die Welt um sich. Er hörte weder den Hufschlag, der sich entfernte, noch den heftigeren und schnelleren, der sich bald darauf näherte. Jene Welt hatte jede Bedeutung für ihn verloren.
Kurz darauf stürzte Ingvar gefolgt von ein paar anderen mit gezogenen Waffen durch die Tür. „Reginald“, sagte er flach. „Ist das ...?“ Er ging zögernd näher. „Reginald?“ Der Lord von Rina begann laut und hysterisch zu lachen.
„Er hat den Verstand verloren“, murmelte jemand hinter Ingvar. Doch der Lord von Rensdal vergass den Lord. Er ließ sich an der Seite des kopflosen Leichnams auf die Knie fallen. Er hob wie in Trance die linke Hand des Toten an und wischte mit dem Finger das Blut von dem Siegelring, der dort noch steckte. „Arnim“, sagte er leise. Ingvar fühlte, dass er zitterte. Er faltete seine Hände um die Arnims und sprach die Worte, die er nie hatte sprechen wollen: „Ich schwöre, dass ich ab diesem Moment dem König dienen werde. Bei meiner Ehre, bei meinem Leben, bei ...“ Ein Schluchzen schüttelte ihn. Er war sich nicht sicher, ob es mehr Arnim galt oder dem, was er gerade getan hatte.
Reginald heulte auf und zuckte vor ihm zurück. Er kam auf die Beine und sah sich wild um, bevor er plötzlich aus der Tür stürzte.
„Lasst ihn“, befahl Ingvar gepresst. „Er ist auch nur ein Opfer. Aber behaltet ihn im Auge!“ Dann fügte er hinzu. „Sucht die Spuren der Mörder! Verfolgt sie! Und lasst mich einen Augenblick allein!“
Als er die Hände vors Gesicht schlug und weinte, konnte er sich nicht einmal erinnern, seit wann dies seine ersten Tränen waren.
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Rodil blickte nachdenklich auf den nachtklaren Himmel. Ein Licht wie ein winziger Stern hatte sich zu den anderen gesellt. Er konnte es nicht deuten, aber er hatte den Eindruck von einem Hoffnungsschimmer in der tiefen Dunkelheit, die Carraig nun umgab. Er studierte es noch, als er die Bewegung in der Wirklichkeit um sich fühlte. Ein anderer war über die Grenze von Alandas hinweggetreten. Er überschritt sie nur so weit, dass er in Abhaileon wahrnehmbar war, nickte ihm zu, als er Rodils Aufmerksamkeit hatte und trat zurück.
Rodil folgte ihm. „Du?“ sagte er überrascht, als er auf der sicheren Seite der Grenze war.
Alif lächelte. „Es sieht nicht aus, als sei ich bemerkt worden.“
„Sie sind zu beschäftigt dort unten“, stimmte Rodil zu. „Ich weiß nicht, was ihre Aufmerksamkeit so fesselt, dass ihre Wachsamkeit nachlässt, doch es ist derzeit zunehmend so.“
„Fürst Ríochan schickt mich. Er sagt, Ihr sollt mir Bescheid geben, sobald es an der Zeit ist, dass Ihr von hier aufbrecht. Er will, dass ab jetzt stets ein Pferd für Euch bereit steht, denn nur zu bald könnten Minuten kostbar werden.“
„Ich werde für jede Minute dankbar sein, die der Ritter dort nicht länger verbringen muss“, sagte Rodil. „Es geht um Mittsommer?“
Alif lächelte wieder. „Wahrscheinlich. Auch wenn nichts ganz so sein wird, wie unsere Gegner es derzeit erwarten.“ Er blickte zu dem neuen Stern auf, dessen Leuchtstärke sich kaum merklich vermehrt hatte in der letzten halben Stunde.
„Was ist das?“ erkundigte Rodil sich.
„Es ist der Komet Hippos, der zweihundert Jahre früher als erwartet zurückkehrt“, antwortete Alif. „Sein erstes Licht trat an Abhaileons Himmel im gleichen Augenblick, als der Fürst von Eannas seine Treue bis in den Tod gehalten hat.“
„Ehre seinem Gedenken“, sagte Rodil ernst und senkte seinen Kopf. Dann blickte er wieder auf: „Die Grenze öffnet sich also.“
„Sie ist offener, als sie es lange war“, stimmte Alif zu.
Der Neuankömmling betrachtete eine Weile schweigend das noch so blasse Licht, das sich nun näherte. „So ein klarer Himmel“, bemerkte er dann mit einem gerade noch wahrnehmbaren Lächeln. „Dabei ziehen doch in Wahrheit Sturmwolken auf.
Rodil erwiderte seinen Blick aufmerksam. „Es war ein ungewöhnlich klarer und früher Sommer in diesem Jahr“, bestätigte er dann.
„Und wie gelegen das unseren Nachbarn hier kommt. War es nicht ein Ostwind, der bisher die Wolken ferngehalten hat?“
„Die Stürme aus dem Südwesten haben begonnen durchzubrechen“, sagte Rodil vorsichtig. „Es würde viel Einfluss brauchen, um den alljährlichen Gang des Klimas aufzuhalten.“
Alif nickte. „Und sehr wenig, um ihm zum Durchbruch zu verhelfen.“ Er blickte wieder zu dem näherkommenden Kometen. „Aber ich bin keiner der hohen Fürsten.“
Rodil zögerte. „Ríochan ist Fürst in Alandas.“ Der andere entgegnete nichts. Er verbeugte sich nur leicht. Sie wussten beide alles, was zu diesem Thema zu sagen war. Nur Ríochan hätte die Angelegenheit hier in Alandas mit einem leichten Nicken regeln können. Doch Rodil hatte die Möglichkeit, in Abhaileon selbst zu agieren. So wie die Lage war, würde es nicht viel mehr Aufwand erfordern, als es von Alandas aus gekostet hätte. Die Frage blieb, ob es richtig war einzugreifen.
Er wandte sich von Alif weg nach Westen. Nicht dass die Richtung wesentlich war, es war nur ein Symbol. Weg von Carraig, weg von all dem Übel dort im Osten. Er hörte das leichte Geräusch, als Alif hinter ihm die Position änderte. Fast bedauerte er es, dass er die Antwort wusste, noch ehe er die Frage hatte formulieren können, fast noch ehe er auch nur selbst hatte niederknien können. So blieb ihm nur noch, sich tief zu verneigen und aufzubrechen, um das Nötige zu tun. Er drehte sich schon im Aufstehen zu Alif um. „Dein Pferd?“
Alifs ernstes Gesicht leuchtete auf. „Dort, Fürst“, antwortete er und wies ihm die Richtung mit der Hand.
Bereits während Rodil den Grauschimmel in einen schnellen Galopp fallen ließ, sah er, wie sich weiter im Osten erste Dunstfinger über den hellen Himmel schoben. Er würde kaum mehr als anwesend zu sein brauchen, sobald er die richtige Stelle erreicht hatte.
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Lùg war verdrossen. Es war seine Aufgabe ein Auge auf Erendar zu halten. Anfangs war ihm die Abwechslung nicht unwillkommen gewesen. Er war die Launen des Fürsten gewöhnt, doch es war eine Annehmlichkeit, ihnen mehr als sonst zu entkommen. Auch wenn Erendar in keiner Weise eine adäquate Gesellschaft war. Während der Jahre, die er mit ihnen zusammengearbeitet hatte, hatte er zuviele von den Dingen in Erfahrung gebracht, von denen keiner der Lords ohne Not sprach und setzte sie gekonnt ein, um jeden von ihnen zur Weißglut zu bringen. Derzeit waren seine Bemerkungen noch um einiges ätzender als sonst, wenn er nicht ohne sich zu rühren in seinem Zimmer saß und vor sich hin starrte. Selbst die Halunken, die mit ihm nach Carraig gekommen waren und sonst an ihm hingen, als sei er eine Art Gottheit, vermieden letzthin jeden Kontakt mit ihm. Lùg beschränkte sich zumeist darauf, den Eingang zu Erendar unter Aufsicht zu halten und jede direkte Begegnung zu vermeiden. Nur heute, nach seiner fast zweitägigen Abwesenheit hatte er sich direkt überzeugen müssen, wie es mit Erendar stand. Nun, es stand wie üblich: Erendar war zynisch und unverschämt.
Es stellte sich heraus, dass Dimail am gestrigen Nachmittag bei ihm gewesen war. Zu seiner Verärgerung fand Lùg heraus, dass der Fürst seinen Fähigkeiten allein in der Sache Dermot nicht hatte trauen wollen. Erendar hatte den Bann, der auf Dermot lag, verstärken sollen. Zeit und Ort waren ihm genau genannt worden, so dass es nicht viel Kraft erfordert haben konnte. Eine simple Verstärkung von etwas Bestehendem. Dennoch war ein solches Eingreifen über die gegebene Distanz nicht ganz fokussiert möglich. Die Auswirkungen konnten mehrere Personen getroffen haben, und der Imreacher hatte darauf bestanden, explizit dafür zu sorgen, dass der Regent nicht davon betroffen werden könne. Ansonsten könne der Vertrag nicht eingehalten werden. Und das hatte einen deutlichen Aufwand verursacht. Dimail war finsterer als jede Gewitterwolke gewesen, als die Sache endlich erledigt war, und Erendar stand ihm da wohl nicht viel nach. Seine bissigen Bemerkungen über Lùgs Fähigkeiten, die der Fürst so offensichtlich in Zweifel zog, waren wohl gezielt gewesen.
Es war nicht das Einzige, das Lùg verdross. Je mehr er über Akans letzte Bemerkung an diesem Nachmittag nachdachte, desto mehr missfiel sie ihm. Zwar hatten sie ein stillschweigendes Abkommen, sich gegenseitig weitgehend in Ruhe zu lassen und wichtige Informationen auszutauschen, doch neuerdings schien der andere seine dominantere Position als zu gegeben zu betrachten. Zeit, ihm eine Lektion zu erteilen. Das würde nicht einfach sein, umsichtig wie Akan war. Doch sicherlich würden sich Möglichkeiten eröffnen, die zu seinen Ungunsten verwendet werden konnten.
Während Lùg dieses Problem gerade gründlich bedachte, stieß er fast mit Asrain zusammen, der wieder einmal wie so oft mit wütenden Schritten unterwegs war. Er hätte die Erscheinungsform eines gereizten Stiers wählen sollen, dachte Lùg nicht zum ersten Mal. Vielleicht ein Minotaurus, der alles, was ihm in den Weg kam, vernichtete. Lùg wich noch rechtzeitig aus, aber Asrain hielt ihn zurück. „Warte!“ schnauzte er. „Ich habe noch keinen Bericht von dir gehört, wie das dort im Westen gelaufen ist.“ Er hörte mit gerunzelter Stirn zu, als Lùg ihm halb widerwillig rapportierte. Solange Barraid selbst auf Carraig war, konnte keine Rede davon sein, dass Asrain das Kommando in Abhaileon führte. Noch dazu, da er die meiste Zeit beschäftigt war, den Ardaner in die richtige Richtung zu manövrieren. Dennoch bestand er bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf, als Kommandant behandelt zu werden und ohne triftigen Grund konnte sich ihm keiner der anderen Lords verweigern. „Nächstens komm direkt zu mir“, fauchte er Lùg an. „Es ist besser, wenn ich alles im Auge behalten kann, bevor noch mehr Patzer passieren.“
„Wie was?“ gab Lùg sarkastisch zurück. „Meinst du den Tag, an dem du Akan hinterher gerannt bist, weil du dachtest, es sei ihm anzulasten, als nach deinem letzten Gespräch mit dem Ardaner dessen Harfe fast wieder in Stimmung war? Oder als du in dem entscheidenden Treffen aus Panik fast losstürmtest, um Erendar umzubringen? Oder ...“
Asrain schlug zu. Er war außer sich. Nicht dass es dazu jemals viel gebraucht hätte, doch es schockierte ihn zu hören, was Lùg alles bemerkt hatte. „Kein Wort mehr! Ich meine Dinge, wie diesen Dalinianer laufen zu lassen. Pläne, wie dieser Ardanerin Colins Bogen in die Hand zu geben! Das übertrifft noch den Irrsinn, dem Ardaner sein Schwert zu lassen. Ich will nächstens rechtzeitig Bescheid wissen, bevor etwas anfängt zu scheitern!“
„Für das zahlst du!“ murmelte Lùg, als Asrain weitergestürmt war. „Wer denkst du, dass du bist?“
Barraid war ebenfalls gereizt, als er bei ihm eintrat. Für gewöhnlich vermied Lùg es, Öl ins Feuer zu gießen, wenn der Fürst dieser Laune war. Es war nie ganz absehbar, wie hoch die Flammen sonst auflodern würden. Doch an diesem Abend war er geneigt, es darauf ankommen zu lassen.
„Entschuldigt die Verspätung, Hoheit“, sagte er mit einer tiefen Verbeugung, „Lord Asrain bestand auf einem ausführlichen Bericht über die Verhandlungen mit dem Fürsten von Corrugh, damit er in Zukunft Fehlern besser vorbeugen könne.“ Seine Verspätung war minimal. Es hatte nicht ausgesehen, als werde der Fürst sie kommentieren.
Jetzt drehte sich Barraid, der ihm keine große Aufmerksamkeit gewidmet hatte, ganz zu ihm um. „Fehler welcher Art wünscht er denn zu vermeiden?“ erkundigte er sich beiläufig.
„Er erwähnte Verschiedenes“, meinte Lùg. „Etwas über den Dalinianer. Etwas über Colins Bogen, worum immer das auch geht. Oh ja, und diese alte Geschichte, ob der Ritter sein Rubinschwert behalten soll.“
Das Gesicht des Fürsten verriet nichts, doch Lùg war guter Zuversicht, dass sich hieraufhin ein Unwetter über Asrain zusammenbrauen würde. „Was waren seine exakten Worte?“ erkundigte sich Barraid.
******
Robin wanderte immer noch ruhelos in seinem Zimmer auf und ab. Sie war nicht zu ihm gekommen an diesem Abend. Nicht dass sie sich jeden Abend sahen. Nicht mehr. Vor kurzem noch hätte er das als undenkbar abgetan. Er und Isabell in Abhaileon. Die Erfüllung aller langjährigen Träume und nur halb ernst genommenen Planungen. So vieles, das es zu diskutieren gab. Selbst wenn ... Auch wenn er über einiges in Abhaileon wirklich nicht reden konnte oder wollte. Aber sie hatten nie Mangel an Gesprächsstoff gehabt. Nie. Nur in den letzten Tagen.
Er warf einen Blick nach draußen. Es war dunstig, die Sterne nur unklar auszumachen, aber ein heller Glanz verriet den Stand des Mondes und seine verzerrten Umrisse. Spät. Zu spät für Besuche. Aber das war nicht irgendwer. Das war Isabell. Vielleicht ... Früher hatten sie vieles Wichtige zu solchen Stunden diskutiert. Vielleicht ließ sich die alte Vertrautheit doch noch wiederfinden. Irgendwie.
Als er ihre Tür erreichte, klopfte er leise. Wahrscheinlich schlief sie doch schon. Doch er betete, dass es nicht so war. Als nach dem vierten schon etwas lauteren Versuch keine Antwort kam, wollte er schon resigniert zurückkehren, als er plötzlich die Stimmen hörte. Das war Isabells Lachen. Sie musste in einem der Nebenzimmer gewesen sein. Aber wer konnte bei ihr sein? Als sich Schritte der Tür näherten, war sein erster Impuls zurückzuweichen und sich zu verstecken. Möglichkeiten gab es genug. Doch etwas hinderte ihn daran. Er machte nur einen Schritt nach hinten und wartete mit vor der Brust verschränkten Armen.
Es war Akan, der dann schließlich herauskam. Als er Robin erblickte, hatte Akan sofort diesen spöttisch amüsierten Zug um den Mund, für den ihn der Ritter am liebsten erschlagen hätte. „Ihr seid spät unterwegs“, sagte der Lord in seiner makellosen und fast musikalischen Art zu sprechen. Seine Uniform saß wie immer untadelig und selbst zu dieser Stunde schien er weit davon entfernt, eine Rasur zu brauchen. Fragend zog er eine Braue ein wenig hoch. „Um diese Uhrzeit zu einer Dame?“
„Ich hatte die offensichtlich berechtigte Hoffnung, dass meine Kusine noch nicht zu Bett gegangen ist“, sagte Robin kühl.
Isabell lachte. „Ihr scheint ja beide recht ähnlich zu denken. Der Lord kam auch gerade erst vor ein paar Minuten vorbei.“
Robins Stimme wurde noch kühler. „Ihr scheint ja gut befreundet zu sein.“
Die leichte Verwunderung seiner Kusine wich einer ebenso leicht befremdeten Gereiztheit. „Es hat den Anschein. Aber Du kannst ja nächstens mitkommen.“
„Kann ich das?“ Die Frage war lakonisch, rein rhetorisch.
Akan schien kurz zu zögern. „Nun, vielleicht“, sagte er dann vorsichtig. „In meiner Gesellschaft. Ich könnte mit dem Fürsten darüber sprechen.“
Eine Zeitlang sagte niemand etwas. Der Ritter und der Lord maßen sich nur gegenseitig mit Blicken, die Isabell nicht ganz einsortieren konnte. Freundlich schienen sie nicht gerade zu sein, obwohl es doch eigentlich keinen Grund für das Gegenteil geben konnte. „Das wäre doch großartig“, versuchte sie die seltsame Anspannung zu brechen. „Gerade da ...“
„Schschsch ...!“ warnte Akan. „Nicht heute nacht.“
„Was ist hier eigentlich los?“ erkundigte Robin sich misstrauisch. „Isabell, ich wollte mit dir sprechen.“ Er machte eine Bewegung auf die Tür zu. Akan sah auf Isabell und zog leicht eine Braue hoch, bevor er sich umwandte und ging.
„Äh“, diese Verlegenheitsäußerung hatte Robin noch nie von Isabell gehört. „Gerne. An und für sich.“ Sie stellte sich in den Türrahmen. „Aber nicht jetzt bei mir.“ Wieder ein Zögern. „Wie wichtig ist es denn? Ich meine, um was geht es?“
Robin schwieg kurz. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich glaube, es hat ohnehin keinen Sinn jetzt. Es war nur eine Idee. Es hat Zeit bis morgen.“
„Morgen.“ Irgendetwas stimmte nicht. Sie druckste sonst nie so herum. „Ja. Ja, da sollte Zeit sein. Ich wollte dir dann sowieso etwas zeigen.
„Du hast Geheimnisse mit Akan“, sagte er flach.
„Nur eine Absprache“, tat sie es ab. „Versuch du mal, etwas aus ihm herauszubekommen, über das er nicht sprechen will. Nein, es ist nur eine Art Gefallen, den er mir getan hat. Du wirst es morgen sehen. Es wird eine Überraschung für dich sein!“ Sie lächelte ihn noch einmal an. „Gute Nacht dann!“
„Gute Nacht“, murmelte Robin und starrte noch eine Zeitlang auf die geschlossene Tür, ohne sich zu irgendetwas entschließen zu können.
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„Kommandant!“ Es klang unterwürfig.
Asrain drehte sich ärgerlich um. Der Unteroffizier, der ihm offenbar nachgeeilt war, hatte sich schon tief verbeugt. Der Lord runzelte die Stirn. Die Stimme war ihm nicht unvertraut. „Sprich!“ raunzte er.
„Seine Hoheit befiehlt Euch zu sich.“
Noch bevor sich der andere aufrichtete, hatte Asrain ihn erkannt. „Ingro“, stellte er kühl fest. Er betrachtete den hellblonden Unterführer eingehender. Er wirkte hager und bleich, aber nicht gebrochen. „Man sah dich in den Verliesen. Ich bin erstaunt dich wieder mit dem alten Rang zu sehen.“
Ingros Miene verriet nichts. „Seine Hoheit hat so entschieden. Kommandant, ich kann Euch nicht drängen: er wartet.“
„Wir sprechen uns noch“, sagte Asrain. „Halte dich bereit, sobald ich zurück komme.“
Ingro verbeugte sich. „Wie Ihr wünscht. Seine Hoheit befahl mir ohnehin, Euch zu ihm zurückzubegleiten.“
Asrain schnaubte verächtlich. Er machte sich auf den Weg, ohne darauf zu achten, ob der andere ihm folgte. Verärgert fragte er sich, was das nun wieder solle. Eine Eskorte. Barraid wurde in der letzten Zeit immer undurchsichtiger und unberechenbarer. Nun, vielleicht ergab sich ja eine Gelegenheit wegen des Bogens nachzuhaken.
Fast hätte er die Tür so unwillig geöffnet, wie er war. Nur im letzten Augenblick erschien es ihm doch etwas unklug. Barraid war launisch und es war nicht gerade umsichtig, einen seiner Ausbrüche direkt zu provozieren. Die elende Tür entglitt ihm fast doch noch und er warf ihr einen finsteren Blick zu, bevor er sein Gesicht zu einem dienstbeflisseneren Ausdruck glättete. Ingro, der ihm leise wie ein Schatten folgte, schloss sie behutsam und erstarrte dann in ihrer Nähe.
Der Fürst stand an einem der hohen Fenster des Arbeitszimmers und blickte hinaus in die Dunkelheit. Er wandte seinen noch dunkleren Blick Asrain zu. „Hast du eine Meinung hierzu?“ erkundigte er sich.
Es musste mit etwas zusammenhängen, das aus dem Fenster zu sehen war. Auf der Hut vor was auch immer, näherte Asrain sich dem Fenster und blickte hinaus. Es gab nichts, was ihm aufgefallen wäre. Der Himmel bewölkte sich zunehmend, nur vereinzelt blitzten noch Sterne durch. „Schlechtes Wetter zieht auf?“ versuchte er es vorsichtig. „Wünscht Ihr, dass ich etwas unternehme?“ Sofort wünschte er die Worte zurück. Wenn die jahreszeitlich bedingten Gewitter durchbrachen, gab es jetzt nichts, das sie tun konnten, ohne dass sie Alandas auf dem Hals hatten. Seiner Meinung nach war die Sterndeuterei, auf die Fíanael sich so stürzte, ohnehin Zeitverlust. Schön, manchmal gab es brauchbare Hinweise. Aber sie waren mühselig herauszuarbeiten. Äußerst mühselig. Man kam gewöhnlich auch anders ans Ziel. „Ihr ließt nicht deswegen nach mir rufen, vermute ich?“
„Nein, nicht deswegen.“ Barraids Stimme war absolut unbewegt. „Doch ich hörte, du wünschtest, deine Meinung stärker berücksichtigt zu sehen.
Asrain begriff sofort. Lùg! Er versuchte, ganz gelassen zu bleiben. „Ich würde mir nie anmaßen ...“, begann er.
„Tatsächlich?“ unterbrach Barraid ironisch. „Ich hörte, du habest modifizierende Vorschläge zu dem Einsatz von Colins Bogen. Äußere dich!“
Einen kurzen Augenblick hoffte der Lord noch, das Gespräch würde sich auf diesen Gegenstand beschränken und er könne sich herauswinden, aber Lùg hatte ganze Arbeit geleistet, wie es schien, und der Fürst war, wie sich herausstellte, in einer seiner übelsten Launen. Asrains einziger Trost in den nächsten zwei Stunden war, sich darauf zu konzentrieren, wie er Ingro zahlen lassen würde, dass er Zeuge dieser Geschehnisse wurde.
Der Unteroffizier stand starr wie eine gemeißelte Statue an der Wand der Eingangstür. Sein Blick war leer, als bemerke er nichts. Seine scheinbare Teilnahmslosigkeit brachte Asrain noch mehr auf – d.h. insofern er Gelegenheit hatte, sie überhaupt zu bemerken. Viel Gelegenheit gab es nicht dazu.
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Zu spät! Auch wenn Akans Ahnung nun auch in diesem Fall bestätigt war. Die ohnehin geringfügigen Spuren waren bereits dabei, vollständig zu verblassen. Doch dieses Mal waren sie ausreichend gewesen, um seinen Verdacht zu bestätigen. Rodil hatte dort einen Tageritt weit nach Osten ihre vorsichtige Beeinflussung des Wetters aufgehoben. Akans Schätzung nach hatte er sich dazu kaum von der alandischen Grenze entfernt, und es wäre ohnehin unmöglich gewesen, ihn dabei zu stellen. Wenn dazu überhaupt Zeit geblieben wäre. Barraids Pläne ließen keinen Raum für private Fehden. Akan schnaubte verächtlich. Rodil war niemals nur eine private Fehde. Seine Anwesenheit bedeutete ohne jeden Zweifel Schwierigkeiten. Ríochan für sich war ein übler Gegner und doch wieder berechenbar. Während Rodils Anwesenheit unerwartete zusätzliche Probleme verhieß.
Ärgerlich ließ Akan sein Reittier wieder von dem Hügelkamm hinabsteigen. Die Meldungen erwarteten ihn bereits. Alles war vorbereitet für die Aktionen der nächsten Tage. Dimail würde in den nächsten Stunden aufbrechen. Dimail. Das war eine Möglichkeit. Akan stieß seinem Grauschimmel die Fersen leicht in die Flanken, so dass er in einen schnellen Passgang fiel.
Tatsächlich erreichte er den anderen Lord noch rechtzeitig. Dimail war nicht bester Laune. „Zeit für uns alle, hier wegzukommen“, sagte Akan sich erneut. Ob Dimail wusste, was auch ihn getroffen hatte? Vielleicht. Er war einer der Größten.
„Um was geht es?“ erkundigte der Lord sich gereizt aber dennoch vorsichtig zurückhaltend. Wie stets, wenn er mit Akan zu tun hatte.
Akan musterte ihn eine Weile schweigend. „Das Wetter“, sagte er dann.
Dimail studierte ihn ebenfalls. „Das soll heißen, dass die Alander Verstärkung erhalten haben?“ erkundigte er sich. „Es könnte auch natürlich sein.“
Akan verzog flüchtig die Lippen. „Es könnte. Doch in diesem Fall war es jemand, den auch du kennen düftest.“
Wieder schwieg Dimail lange. „Ich verstehe“, sagte er schließlich. „Man sagt, er habe auch damals in den Großen Kriegen eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. Ich werde alle zu äußerster Vorsicht anhalten. - Ich hatte noch nie direkt mit ihm zu tun. Gibt es etwas, mit dem ich besonders rechnen sollte?“
Akans Gesicht blieb ausdruckslos. „Das Unerwartete“, sagte er und wandte sein Pferd schon wieder. Bei Tagesanbruch würde er zurück sein. Er hatte etwas Zeit verloren, aber das war nichts Wesentliches im Vergleich dazu, dass Rodil dieses Mal nicht unerkannt intrigieren konnte. Und gleich ob Barraid seinen Hinweis weitergab oder nicht. Dimail würde für alles Nötige sorgen.
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