Die Beratungen
dauerten nicht lange. Schon eine gute Stunde später verließen sie die Burg. Lord
Ingal nahm nur zwei seiner Gefolgsleute mit. Die anderen würden später
nachkommen. Orlas Fuchs erregte Aufsehen. Ciaran hatte alle Proteste ignoriert
und ihn selbst gesattelt. Der Hengst war nervös bei Fremden, und es schien ihm
eine Möglichkeit, Orlas Freundschaft zu ehren. Er hoffte, er werde irgendwann
einmal einen Weg finden können, dem Lord
von Fuacht dieses Geschenk vergelten zu können.
„Ihr kennt
Lord Orla gut?“ wandte er sich an Lord Ingal, während sie durch das felsige und
vegetationslose Hochland nahe der Küste nach Nordwesten ritten. „Erzählt mir
von ihm.“
„Wir trafen
einander gelegentlich“, Ingal zögerte ein wenig. „Warum fragt Ihr? Ihr kennt
ihn doch selbst. Vielleicht besser als ich“, er nickte in Richtung des Fuchses.
„Wir
begegneten uns nur sehr kurz“, sagte Ciaran. „Ein ungewöhnlicher Mann. Jemand
der seine Macht gezielt einsetzt aber nicht für sich ausnutzt.“
Ingal nickte.
„Fuacht hat seinen Vorrang in Dalinie nie verloren. Orla hatte nie Mangel an
Geld oder Einfluss. Aber er war immer ein wenig ruhelos, suchte nach mehr.“
„Und alles was
ihm etwas bedeutete, schien zu zerbrechen“, sagte Ciaran nachdenklich. „Warum
wundertet Ihr Euch so, als meine Worte den Anschein erweckten, er habe dem
Fürsten auf Carraig nachgegeben.“
Ingal blickte
ihn aufmerksam an. „Ihr seid ein guter Beobachter“, sagte er. „Welches Unglück
auch geschah, es hat ihn erstaunlicherweise nie verändert. Ich fragte ihn
einmal nach dem, was ihm diese Unbeirrbarkeit gibt. Er machte damals bei mir
Halt auf dem Weg nach Imreach. Er sagte, er glaube immer, dass es noch mehr
gebe.“
„Mehr von
was?“
Ingal zuckte
die Schultern. „Dann fing er an von den Pferden zu sprechen, die er haben
wollte. Was für ein Anblick es sei, eine ganze Herde auf der Weide laufen zu
sehen. Vielleicht meinte er Schönheit,
vielleicht Freiheit. Was es auch war, es führte dazu, dass nichts ihn
beugen konnte.“
„Ein stolzer
Mann“, stimmte Ciaran zu. Er dachte zurück an Daliní. Orla, bleich aber
beherrscht, der sich vor dem Träger des Siegels verbeugte und ihm in allem
korrekt den Respekt erwies. Orla, der nie an Alandas geglaubt hatte und darauf
bestand, den alten Eid zu schwören. Orla, der sein bestes Pferd liebte als sei
es sein Kind, und es ihm überließ, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Er
dachte weiter an Rafe von Muine, den lachenden jungen Edelmann, für den es
zunächst ein gelungener Scherz war, einen Dalinianer als Regenten zu haben, der
sich dann selbst zum Führer von dessen Leibwache ernannte und ihm mit
unerwartetem Ernst diente. Finn, zögernd, aggressiv und unentschieden, der
plötzlich zum Paragon eines jungen Ritters wurde. - Ciaran zog die Zügel an und
blickte zurück Richtung Burg Saile. Die Festung war bereits nicht mehr zu
sehen. Er studierte den Horizont hinter dem sie lag.
Alle anderen
hatten sofort auch ihre Reittiere angehalten. „Was ist, Sir?“ fragte Ingal.
„Etwas hat
sich geändert“, sagte Ciaran. „Als ich am gestrigen Abend ankam, lag Dunkel
über Saile. Am Morgen noch fühlte ich den grauen Schatten. Aber jetzt scheint
mir, es sei dort wieder lichter.“
„Merkwürdig“,
sagte Ingal. „Da Ihr es erwähnt. Auch mir schien es, es läge ein Schatten auf
dem Tag, als ich in die Burg einritt. Doch vermutete ich, der Grund dafür läge
in dem, was mich dort erwartet. Ich war mir nicht sicher, ob ich je nach
Illaloe zurückkehren würde.“
Eines der
Pferde, die ihreBegleiter führten, stampfte ungeduldig. „Auch mir scheint der
Tag heller als am Morgen“, sagte der Reiter, der das Führseil hielt. „Woran
immer es auch liegt.“
Ciaran
berührte die Flanke seines Hengstes leicht, und der Fuchs nahm seinen schnellen
Schritt wieder auf. Der Ritter maß den Lord, der sich neben ihm hielt, mit
einem nachdenklichen Blick. „Ihr wolltet kein Bündnis mit Carraig?“
Ingal blickte
geradeaus. „Ich bin nicht mehr so jung“, sagte er, „und Illaloe ist eine
mächtige Festung.“
„Eine der
wenigen, die in den Großen Kriegen nicht fiel“, bemerkte Ciaran. „Es heißt, die
Lage in den Mooren macht sie so gut wie unangreifbar.“
Ingal nickte. „Der
Burgfels erhebt sich inmitten ausgedehnter Moore. Die markierten Wege sind
nicht aufgeschüttet und können leicht unauffindbar gemacht werden. Es ist
abgelegen aber sicher. Ein direkter Angriff ist so gut wie unmöglich, und eine
Belagerung nur geringfügig aussichtsreicher.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Illaloe ist auch nicht wichtig genug, um einen großen Aufwand
herauszufordern.“
„Warum kamt
Ihr dann mit nach Saile?“
„Culath ist
mein Lehnsherr. Auch war ich mir nicht sicher, was zu tun war. Ich kam zu einer
letzten Beratung, um Klarheit zu finden und vielleicht auch, einen brauchbaren
Kompromiss zu erzielen. Ich kann Roscrea nicht im Stich lassen. Ihr hörtet, ich
stamme auch von den dortigen Fürsten ab und habe viele Beziehungen bis weit in
die Provinz hinein. Doch dann erhielten wir Botschaft, ein Bote aus dem Norden
sei gekommen. Ich war noch keinem von ihnen begegnet, hatte aber genug von
anderen gehört. Nun, mein Tod wäre ein klares Zeichen gewesen für meine Söhne,
was zu tun ist.“
„Ihr habt
einen Teil von Roscrea gesichert?“
„Wirklich nur
einen Teil, das Grenzland zu Illaloe. Die Banditen meiden bewaffnete Konflikte
nach Möglichkeit, schlagen aber zu, wo sie leichte Beute sehen.“ Ciaran nickte.
„Nun, das ist nicht alles. Was wisst Ihr von der Geschichte Illaloes, Regent?“
„Nicht viel
mehr, als was ich bereits sagte.“
„Zur Zeit
Colins des Großen war Efraim von Illaloe Thronfolger von Roscrea. Alle Fürsten
von Roscrea stammen von den Illaloes ab, schon seit der Zeit vor den Großen
Kriegen. Und in dieser Familie gibt es eine Tradition, die wohl in etwa gleich
alt ist. Jeder Illaloe, der das Alter von neun Jahren erreicht, schwört bei
Leben und Ehre, die Gebote des Königs zu halten und kein Bündnis mit den
dunklen Mächten aus dem Osten einzugehen.“
„Illaloe stand
stets zu Alandas?“ Freude strahlte in Ciarans Augen auf. „Also nicht nur
Ruandor!“
„Nein, Sir“,
der Lord hob abwehrend die Hand. „Es war nicht ganz so. Im Laufe der
Jahrhunderte wurde es mehr eine Art moralische Ehrenverpflichtung. Auch wenn
ich stolz bin, zu sagen, dass kein regierender Illaloe je seine Ehre auch nur
im Geringsten kompromittiert hat. Doch die Form unseres Eids wurde auch uns nur
noch zu Form, selbst wenn der Inhalt gewahrt wurde. Erst die jüngsten
Ereignisse zeigten uns auf, dass mehr dahinter liegen muss, und dass wir durch
eine Tradition gebunden sind, die uns alles kosten kann.“
Ciaran senkte
den Kopf ein wenig und strich leicht über den Schwertknauf. „Treue und Mut
können nicht getadelt werden“, sagte er nach einer Weile. Er konnte die Trauer
nicht ganz aus seiner Stimme heraushalten. „Beides habt Ihr bewiesen.“ Lange
ritten sie schweigend weiter.
Der Lord warf
immer wieder einen Seitenblick auf den Regenten, aber dieser schien in Gedanken
vertieft. Erst als die Dämmerung fiel, rang sich Ingal dazu durch, die Frage zu
stellen: „Was ist es, das Euch betrübt, mein Regent?“
Ciarans Blick
ging zu ihm hinüber, aber dann blickte er so lange schweigend auf den Weg vor
ihnen, dass Ingal seine eigenen Worte ungehörig vorkamen. „Vergebt meine
Indiskretion, Herr“, bat er. „Ich hätte keine derartige Frage stellen sollen.“
Inzwischen war es noch dunkler geworden, und einzelne Sterne schimmerten am
Himmel.
Ciaran blickte
wieder in seine Richtung. Es war zu dunkel, um Gesichtszüge klar ausmachen zu
kommen. „Ich wollte Eure Frage nicht zurückweisen, Lord Ingal“, sagte er. „Aber
ich habe wenig Übung darin, über die Dinge zu sprechen, die mein Herz so
berühren. Ich bin nicht von so hoher Herkunft wie Ihr. Ich stamme aus einem
kleinen Dorf tief in den dalinianischen Wäldern. Von dort ging ich nach
Croinathír und wurde Gardeoffizier. Seit der Zeit, als ich die Geschichten über
Colin von Donnacht las, habe ich mit ganzem Herzen an Alandas geglaubt und
versucht, dem König zu dienen, wie Colin es tat. Vorhin dachte ich einen
Augenblick lang, Euch hätte die gleiche Liebe getragen. – Es war seltsam
schmerzlich, zu erkennen, dass das von mir Geliebte Eure Hingabe nicht ganz so
hatte, wie es mir für ein paar Sekunden schien.“ Er holte tief Atem. „Euch
gehört mein tiefster Respekt für das, was Ihr getan habt, Ingal. Ich sage Euch
dies jetzt nur, weil weiteres Schweigen Euch genauso beleidigen könnte, wie
diese Worte es vielleicht tun.“
„In Euren
Worten liegt keine Beleidigung“, versicherte Ingal. Seine Stimme klang jedoch
anders als bisher. Da war ein fast erstickter Unterton. Ciaran konnte nicht
einordnen, was darin lag. Er hoffte, dass er keinen Fehler begangen hatte, dass
das jetzt nicht verletzter Stolz war. Er unterdrückte ein Seufzen. Zum Regenten
war er nicht geeignet. Gleich was bisher geschehen war, alle
Loyalitätsbekundungen würden sich sicherlich auf Dorban übertragen lassen, oder
wenn dieser ungeeignet sein sollte, dann auf Béarisean, den Nachkommen Colins.
Béarisean war selbst ein Ritter des Königs, es würde keine Komplikationen
geben. Für ihn selbst war das Schwert, das er an seiner Seite trug, alles, was
er je wirklich begehrt hatte.
Sie sprachen
kein Wort mehr, bis sie kurz vor Mitternacht Halt machten, um die Pferde zu
tränken und zu rasten und selbst ein
wenig Schlaf zu finden. Feuer machten sie nicht. Die Pferde pflockten sie neben
sich an. Es war zu dunkel, um es genau festzustellen, doch der Fuchs schien
immer noch munter genug zu sein. „Du hast mehr Ausdauer als ich“, murmelte
Ciaran in sein Ohr, als er ihm seinen Futtersack umhängte. Seine kaum verheilte
Seite schmerzte wieder. Sie würden nur zwei Wachen lang an dem Ort bleiben.
Lord Ingal selbst wollte die erste Wache übernehmen, einer seiner Männer wurde
für die zweite bestimmt. Ciaran war erleichtert darüber, er brauchte den Schlaf
dringender als ihm lieb war, und der Weg bis Ruandor war noch weit. Vielleicht
war er bei der nächsten Rast wieder besser bei Kräften, so dass er seinen
Anteil übernehmen konnte. Gerade jetzt erschien der Sattel kaum härter als das
Kopfkissen in Burg Saile.
Als er wieder
wach wurde, hatte der Fuchs sich neben ihn gelegt und döste. Er lächelte, das
Tier war mehr als kontakthungrig. Von der Dämmerung war noch nichts zu sehen,
aber die Sternkonstellationen, die er ausmachen konnte, verrieten, dass es bald
Zeit war, weiterzureiten. Ingal und einer seiner Leute schliefen, der andere
stand mit dem Rücken zu einem Felsen; leise Bewegungen verrieten, dass er alles
im Blick behielt. Ciaran streichelte die Nase seines Pferdes und stand auf.
Eine Gelegenheit, sich zu waschen, ohne dass jemandem die kaum verheilten
Narben auffallen würden. In Verbindung mit dem Regententitel schienen diese
erwachsene Männer in besorgte Kindermädchen zu verwandeln.
Es war
wirklich noch sehr früh. Er nutzte die Gelegenheit, um ein paar Minuten allein
zu sein und zu dem König zu sprechen. Nicht mehr als zwei oder drei. Vielleicht
wurden es auch fünf; die Probleme, die sich am vorigen Abend aufgetan hatten,
bedrückten ihn. Das war alles leichter gewesen, als er allein unterwegs war. Er
wollte nicht noch mehr Erklärungen abgeben, die mit größter Wahrscheinlichkeit
nicht verstanden wurden.
Als er
zurückkam, waren bereits alle auf den Beinen. Jemand hatte seine Decke
aufgerollt und zu seinen Satteltaschen geschnallt. Nächstens musste er das selbst
gleich erledigen. Er hatte es nur unterlassen, um niemanden vorzeitig zu
wecken. Alle nahmen frische Pferde. Ciaran ließ die anderen wählen, er war nur
Gast hier. Doch es überraschte ihn nicht wirklich, als Ingal einen Befehl
murmelte und einer der Männer ihm den Falben brachte, den er selbst als das
beste der Reservepferde eingeschätzt hatte.
Es erwies sich
als nicht möglich Orlas Fuchs mit den anderen Tieren an die Führleine zu
nehmen. Er nahm es zum Anlass, sein nicht unbeträchtliches Temperament zu
demonstrieren und beruhigte sich erst wieder, als Ciaran selbst seine Zügel
übernahm.
„Orla hat ihn
verwöhnt“, sagte Ciaran entschuldigend zu Ingal. „Er ist noch nicht vollständig
trainiert. Orla hielt ihn fast wie ein Kind, und jetzt hat dieser Dickschädel
sein Geselligkeitsbedürfnis auf mich übertragen, wie es scheint.“ Es war
unmerklich eine Spur heller geworden. Genug um zu sehen, dass der Hengst die
Ohren zurücklegte und nach dem Falbwallach schnappen wollte, der Ciarans Sattel
trug. Der Ritter redete sanft auf ihn ein, und sofort stellten sich seine Ohren
wieder. Wenigstens solange er Ciarans Aufmerksamkeit hatte. Doch sobald sich
dieser dem Falben zuwandte, wieherte er wieder zornig und wollte den Rivalen
angreifen.
Ingal sprang
von seinem Pferd und fasste den Fuchs fest mit beiden Händen von vorn. „Steigt
auf“, sagte er ruhig. Ciaran schwang sich sofort in den Sattel des Falben. Der
Lord führte den empört schnaubenden und leicht steigenden Hengst zu ihm, wo
sich das Tier wieder beruhigte. Ingal saß selbst wieder auf. „Er scheint mich
zu einem gewissen Grad zu akzeptieren“, sagte er. „Vielleicht weil ich gestern
ständig neben ihm war. Ich werde sein Führhalfter nehmen, dann kann er zwischen
unseren Pferden laufen.“
„Ich bedaure
sehr, Euch solche Unannehmlichkeiten zu machen, Lord“, sagte Ciaran.
Ingal lachte.
„Ein Pferd wie dieses zu führen, ist nicht unbedingt nur eine
Unannehmlichkeit“, lachte er. Einer seiner Männer murmelte zustimmend.
Ciaran konnte
nicht widersprechen, aber in der ersten halben Stunde war der Lord tatsächlich
vollauf beschäftigt, den Fuchshengst von dem Falben fernzuhalten. Erst dann
wurde das Tier ruhiger. Immer noch legte es die Ohren an, wenn es auf den
Wallach blickte, aber es gab es schließlich auf, nach ihm beißen zu wollen.
Statt dessen war es bestrebt, immer eine Halslänge vor dem anderen zu laufen.
Sie ließen ihm seinen Willen. Und nutzten die Gelegenheit für ein karges
Frühstück im Sattel.
Gegen Mittag
wechselten sie nach kurzer Rast wieder die Pferde. Ingal und seine Männer auf
ein zweites Ersatzpferd, Ciaran zurück auf seinen Fuchs. Diesmal behielt er den
Falben selbst am Führhalfter. Doitean – er hatte beschlossen, den Fuchs
Doitean, Feuerbrand, zu nennen – war friedfertiger gegenüber Artgenossen, die
ihm vertraut waren.
„Brand“, sagte
Lord Ingal. „Warum Brand und nicht einfach Feuer? Ihr selbst seid doch das
Signalfeuer für diesen Kampf, der uns bevorsteht.“
Ciaran
lächelte. „Ihr habt es fast enträtselt, Lord Ingal. Nein, das Signal ist schon
lange gegeben. Doch die Macht des Gegners hat sich schon ausgebreitet wie ein
Steppenfeuer, das lange schwelt, bevor es auflodert. Hier brauchen wir ein
ganzes Gegenfeuer.“
Abgesehen
davon sprachen sie nicht viel. Gegen Abend verließen sie endlich die karge
Hochebene nahe der Küste und kamen in bewaldeteres Land. Immer noch folgten sie
keinem festen Weg, sondern schmalen Steigen durch unwegsames Gelände; Sailean
war nicht sehr dicht besiedelt.
Ciaran war
besorgt. Lord Ingal war weiterhin sehr schweigsam, wenn auch äußerst
zuvorkommend und respektvoll. Er selbst wusste nicht, worüber er ein Gespräch
hätte beginnen sollen. Vielleicht hätte er nur weitere Lücken in seiner
Erziehung offenbart; er durfte in der Rolle als Regent nicht viele solcher
Blößen zeigen. So konzentrierte er sich auf das Gelände. Wer mochte wissen,
wann er noch einmal seinen Weg durch diese Gegend suchen musste. Doch
allmählich wurde die Orientierung immer einfacher, und er war in Gedanken mehr
bei den vor ihm liegenden Aufgaben und bei dem unerwarteten Gang der Dinge in
Daliní und Saile, am liebsten jedoch kehrten seine Gedanken zurück nach
Alandas.
Im Laufe des
dritten Tages überwogen Wiesen und heideähnliche Landschaften. Gelegentlich
passierten sie jetzt kleinere Dörfer. Einmal sahen sie in der Ferne eine Burg
liegen.
„Yfra“,
bemerkte Ingal kurz. „Caoimhians Festung.“
„Woher stammt
Lord Rhodin?“ erkundigte Ciaran sich.
„Ihm gehört
Ulan, weiter im Südwesten“, er runzelte die Stirn. „Er griff Euch hinterrücks
an.“
„Etwas stimmt
nicht mit ihm“, sagte Ciaran halb abgelenkt, weil Doitean, der am Halfter ging,
gerade in jenem Augenblick eine kleine Herde Pferde weiter weg erspähte und
aufgeregt zu tänzeln begann. Er fragte sich, warum er den Hengst überhaupt
schonte. Das Tier war fast übermütig. „Jeder andere von Euch sah einen Schimmer
von Alandas dort in der Halle, aber er blieb im Dunkel.“
„Ihr könntet
recht haben“, murmelte Ingal. „Wir werden auf ihn achten müssen.“ Er verbeugte
sich tief im Sattel. „Ritter des Königs.“
Ciaran war
verwundert, aber zog es vor, das nicht zu kommentieren. In dieser Nacht hielt
er es für angebracht, endlich auch einmal die Wache zu übernehmen. Es ging ihm
besser, er war nicht mehr ganz so erschöpft. Aber kaum brachte er die Rede
darauf, stieß er bei Ingal auf entschiedenen Widerstand.
„Ihr braucht
die Rast, Regent; Eure Verletzungen machen Euch noch zu schaffen.“ Soviel zu
seinen Bemühungen, nichts von den Narben sehen zu lassen. Es half nichts darauf
hinzuweisen, dass auch Ingal müde aussah und seine Männer ebenfalls jede Minute
der Ruhe gebrauchen konnten. „Illaloe erreichen wir morgen, aber Ihr habt noch
einen langen Weg vor Euch.“
„Donal hat die
erste Wache“, schloss Lord Ingal. „Die zweite habe ich.“
Leiser fügte
er hinzu. „Wenn Ihr wie heute früher erwacht, könnt Ihr die Zeit wie immer
ausnutzen. Auch, wenn Ihr mir dies gewähren wollt, würde ich gerne unter vier
Augen mit Euch sprechen.“
„Ganz wie Ihr
wünscht“, sagte Ciaran. Sie gingen ein paar Schritte vom Lagerplatz weg.
„Ich will Euch
nicht lange aufhalten“, sagte Ingal. „Ich hätte die Zeit unterwegs dazu nutzen
sollen, mit Euch zu sprechen. Doch es ist nicht einfach.“ Sein tiefes Atemholen
klang fast wie ein Schluchzen. „Ich bin zutiefst beschämt durch Eure Worte vor
zwei Tagen. Ich war so stolz auf die nie gebrochene Ehre Illaloes. Mit einem
Satz habt Ihr meine Illusion entlarvt. Ich habe Eide gehalten, denen ich nie
Leben gegeben hatte. Ich wusste nicht einmal, dass da etwas ist, das zu lieben
sich lohnt. Begriffen habe ich es erst, als ich Eure Freundschaft verlor, von
der ich nicht wusste, dass Ihr sie mir geschenkt hattet.“
„Ich habe Euch
meine Freundschaft nie entzogen“, sagte Ciaran.
Er wollte
weitersprechen, aber Ingal unterbrach ihn: „Herr“, sagte er, „Eure
Freundlichkeit ist unverändert. Doch das Licht in Euch fand kein Licht in mir,
um in gemeinsamer Flamme zu brennen, und seitdem bedrückt mich die Dunkelheit,
die ich zuvor nicht wahrnahm.“
„Wie soll ich
Euch helfen?“ fragte Ciaran. „In den Eiden, die Ihr ja haltet, liegt alles, was
zu sagen ist, und Euer Herz kann ich nicht ändern.“
„Mein Herz
fühlt sich an wie zerbrochen, seit ich Eure Worte hörte, und mein gegebenes
Wort scheint leer. Würdet Ihr mir gestatten, es vor Euch neu zu beschwören?
Jetzt?“
„Vor mir? Ich
bin nur ein Mensch, nicht der Fürst von Alandas, vor dem ich Worte sprach, die
mich immer binden werden.“
„Ihr seid ein
Ritter des Königs. Was mehr an Autorität könnte ich verlangen?“
„Dann will ich
Euch hören als Ritter des Königs und bei dieser Klinge, die ich in seinem Namen
trage“, sagte Ciaran leise und ließ sein Schwert langsam aus der Scheide
gleiten. Die Nacht war dunkel, nur wenig Licht schimmerte auf den Flächen der Waffe.
Ingal seufzte
vor Erleichterung und sank auf beide Knie. Leise sagte er: „Ich, Ingal, Lord
von Illaloe, schwöre bei meinem Leben und der Ehre meines Hauses, in allem und
zu aller Zeit die Gesetze des Königs zu halten und zu befolgen und dafür
einzustehen, kein Unrecht zu tun und mich in keiner Weise in den Dienst des
dunklen Herrschers zu stellen, ihm keinen Raum zu geben in meinem Land und
meinem Herzen, jetzt und alle Tage meines Lebens.“
„Ich habe Eure
Worte gehört, Ingal“, sagte Ciaran genauso leise. „Der König, dem allein alle
Ehre sei, gewähre Euch, sie stets zu halten.“ Er ließ sein Schwert zurückgleiten.
„Danke“,
flüsterte Ingal. Er erhaschte Ciarans Hand, als sie den Schwertknauf los ließ
und presste die Lippen darauf, bevor er sich wieder erhob.
Sie erreichten
die Sümpfe um Illaloe am nächsten Nachmittag. „Wir werden vor dem Abend
ankommen“, sagte Ingal. „Werdet Ihr auf meiner Burg übernachten, bevor Ihr
weiterreitet nach Carrnarosc?“
Ciaran nickte.
„Wie weit ist der Weg bis dorthin noch?“
„Etwa weitere
drei Tage. Das Gelände ist viel einfacher. Reiches Ackerland und gute Straßen.“
„Und Ceannacht?“
„Vier bis fünf
Tage hinter Carrnarosc zum mindesten.“
Ciaran
seufzte: „Ich wünschte, ich bräuchte die längere Ruhe nicht. Aber es wäre nicht
ratsam, den Gegnern dort vollkommen erschöpft gegenüber zu treten. Wir reiten
morgen in aller Frühe und verfahren weiter wie bisher.“
Schon bald
konnten sie nicht mehr nebeneinander reiten. Ingal übernahm die Führung entlang
der gewundenen und kaum ausmachbaren Pfade zwischen den Morästen. Nicht alles
war Sumpfland. Auf grasigen Hügeln weideten kleine Gruppen von Schafen und
Ziegen. Sie kamen an einzelnen Hütten vorbei. Illaloe sahen sie schon eine
Stunde, bevor sie es wirklich erreichten. Eine Zugbrücke führte über den weiten
Graben, in dem Wasserlinsen wucherten. Nach der Torbefestigung ging der Weg in
weiten Kehren den Felsen hinauf, bevor die eigentliche Festung erreicht wurde.
Ihre Ankunft
war schon von weitem bemerkt worden. Sie wurden im Burghof erwartet.
Stallknechte standen bereit, um die Pferde in Empfang zu nehmen. Ein etwa
dreißigjähriger breitschultriger Mann eilte Lord Ingal entgegen.
„Vater! Welche
Erleichterung dich wohlbehalten zurück zu sehen. Du gingst also doch nicht mit
bis Saile?“
„Mein Sohn
Reasan“, stellte Ingal vor. „Reasan, dies hier ist Ciaran von Firin, Ritter des
Königs und Regent über Abhaileon. Wir kommen direkt aus Saile.“
„Regent!“ rief
der jüngere Mann verwundert und verbeugte sich. „Das ist eine Art Wunder, Euch
hier zu sehen.“
„Das ist es,
und das war es in Saile“, bestätigte sein Vater. „Als ich dort ankam, hegte ich
die Befürchtung, du werdest schon sehr bald der neue Lord von Illaloe sein.
Aber jetzt steht Sailean mit Abhaileon, Roscrea erhält Hilfe, und wenn es der
König will, wird uns der Fürst von Alandas zum Sieg verhelfen gegen den
Schwarzen Fürsten auf Carraig.“
Ciaran unterbrach
die sprachlose Stille: „Ich bringe dann meinen Fuchs in den Stall.“
„Ich
bringe Euer Pferd in den Stall“, entgegnete Ingal sofort. „Reasan!“
Sein Sohn
besann sich: „Folgt mir, Herr. Und willkommen, willkommen auf Illaloe! Wie
lange werdet Ihr bleiben?“
„Nur bis in
die frühen Morgenstunden“, sagte Ciaran. „Ich muss eilig nach Carrnarosc und
dann nach Ceannacht, solange es noch nicht gefallen ist.“
„Den Gerüchten
nach steht es nicht gut“, sagte Reasan bekümmert. „Mein Bruder Connor sollte
bald mit genauerer Nachricht aus Roscrea zurückkommen.“
Die Gerüchte
fanden ihre Bestätigung noch am gleichen Abend. „Ceannacht ist gefallen“, sagte
Connor, der noch in Rüstung in den Essenssaal gekommen war. „Details hörte ich
noch nicht. Aber es heißt, Truppen aus Eannas waren im Spiel. Mehrere von
Gearaids Lords heißt es. Jemand sprach von Reginald von Rina.“
„Dann hatte
Lassalle die Hand mit im Spiel“, sagte Ingal düster. „Die beiden sind selten
voneinander getrennt. Was geschah mit Efa und Eflin? Sind sie in Gefangenschaft?“
„Niemand
wusste darüber Bescheid. Aber es hieß, sie seien noch lebend gesehen worden.“
„Wurden noch
andere Namen erwähnt außer dem Rinas?“ fragte Ciaran.
„Bisher
nicht.“ Connor blickte fragend. „Wer ...?“
Reasan stand
auf: „Connor, wir haben einen unerwarteten Gast: der neue Regent Abhaileons
befindet sich auf Illaloe,“ verkündigte er mit einem strahlenden Lächeln.
„Mehr als
das“, sagte Ingal nachdrücklich: „Der Bote des Fürsten von Alandas und Gesandte
des Königs selbst.“
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