Sie verließen den Waffensaal. Nach ein paar Schritten sagte Akan. „Der kürzeste Weg geht durch einen Teil der Ställe.“
„Nehmen wir den“, antwortete Robin. „Ich war noch nicht dort und mag Pferde.“ Er seufzte leise, es war mehr ein tiefes Atemholen.
Der kürzeste Weg war in dem Fall wohl nicht der schnellste, stellte Akan fest, nachdem sie erst einmal die Ställe betreten hatten. Der leicht resignierte Blick des Ritters erhellte sich etwas, als er die Tiere sah. Er betrachtete einige davon eingehender. Der Lord drängte ihn nicht. Es konnte schließlich nur ein paar Minuten kosten. Wenn es den Ritter bei Laune hielt, war es nur von Vorteil. „Nehmt Euch in acht vor dem da vorne“, warnte er nach einer Weile. „Wir gehen besser nicht zu nah an ihn heran.“
Das war eine Nachricht, die ihm noch nicht zu Ohren gekommen war. Barraid hatte seinen Rapphengst zurück. Er fragte sich, wie das zugegangen sein mochte. Die Laune des Rappen hatte es jedenfalls nicht verbessert. Er konnte schon von weitem beobachten, wie der Hengst die Ohren anlegte und die Zähne bleckte, als er sie kommen sah.
Es war eine helle und große Box, die Wände gut gepolstert. Die Polsterungen waren wie stets reparaturbedürftig. Dieses Pferd setzte seine Zähne und Hufe nur zu gerne ein, um seinen Unwillen kundzutun. Jetzt warf der Hengst den Kopf zurück und wieherte herausfordernd. Ritter Anno, der gerade eine Fuchsstute näher begutachtet hatte, blickte wie überrascht auf. Er drehte den Kopf, sah die große Box dort hinten, vergaß das Pferd vor sich und näherte sich langsam aber unaufhaltsam, fast wie in Trance dem Hengst.
Akan schüttelte gereizt den Kopf. Der Mann hatte keine Ahnung, was er sich da näherte. Er mochte sich mit Pferden auskennen, aber etwas wie diesem Hengst war er mit Sicherheit noch nicht begegnet. Er folgte dem Ritter mit schnellen Schritten, um ihn notfalls zurückhalten zu können. Barraid würde alles andere als erfreut sein, wenn sein wertvoller Rappe seinem wertvollen Gefangenen ans Leben ging.
Zu seiner Erleichterung blieb der Ritter in gebührender Entfernung stehen. Ein Lächeln erhellte sein Gesicht. „Manchmal werden Träume wahr“, sagte er leise.
„In dem Falle ist es eher ein Alptraum“, entgegnete Akan hart. „Er ist schön. Das ist unbestreitbar. Aber auch lebensgefährlich.
Der Mann sah ihn fast verwirrt an, so als erwache er tatsächlich aus einem Traum. „Wie kommt er hierher?“ fragte er dann.
„Ich muss gestehen“, antwortete Akan, „dass ich derzeit nicht die geringste Ahnung habe. Ich zöge es vor, ihn nicht hier zu sehen. Er gehört dem Fürsten selbst. Für jeden anderen ist er lebensgefährlich, und er ist heimtückisch.“
Es war, als habe der Hengst es verstanden. Vielleicht hatte er es auch wirklich. Gerade noch hatte er still gestanden mit vorgestrecktem Kopf und weit geblähten Nüstern. Jetzt bäumte er sich wild auf und stieß einen gellenden Schrei aus, bevor er sich gegen die Wand der Box warf.
„Gehen wir!“ forderte Akan auf. Robin nickte nur schweigend und folgte ihm. Er hielt sich bei keinem sonst der Pferde mehr auf und achtete kaum darauf, wohin sie selbst gingen. Seine Gedanken überschlugen sich fast. Es war Hibhgawl. Schon seit Wochen hatte er gegrübelt, wieviel von seinen unklaren Erinnerungen in Bezug auf den Rappen Träume oder Wunschdenken waren oder ob es Wirklichkeit gewesen war, an was er sich zu erinnern glaubte. Und jetzt. .. Jetzt brauchte es nur noch einen weiteren Besuch in den Ställen, um Sicherheit zu haben. Allein natürlich. Vielleicht konnte er sogar ein paar Worte mit dem Rappen wechseln. Das würde sehr helfen, um alles genau zu durchschauen. Aber selbst sollte das nicht möglich sein: Wenn all das, an was er sich bezüglich des Rappen erinnerte, Wirklichkeit war, würde er den Zweifeln, die er bisher so vehement von sich gewiesen hatte, überhaupt keine Existenzberechtigung mehr gestatten. Dann war Alandas wirklich das Reich des Lichts, das ihm noch ins Herz geschrieben war. Und Ríochan. Sie hatten die Freundschaft des Rappen geteilt. Hibhgawl würde niemanden lieben, der auch nur ein Bruchteil dessen wäre, was diese grässlichen Lügen Asrains insinuierten. Mit jedem Schritt wurde Robin das Herz leichter.
Er schaute auf, als Akan sich zu ihm umdrehte. „Wir sind da“, sagte er. Sie traten ein, durchquerten zwei Räume. „Der Bestand ist wirklich mager“, meinte der Lord entschuldigend. Robin sah sich um. Er kannte nicht alle Instrumente, die er hier sah. Es waren acht Stück. Saiteninstrumente, Blasinstrumente, Streichinstrumente. Keine Harfe. Es gab etwas Gitarrenähnliches. Er nahm es probeweise auf. Die Stimmung war bizarr aber schien in sich richtig.
„Die Sitrana?“ bemerkte der Lord ein wenig überrascht. „Nun, wenn Ihr meint ...“ Robin schüttelte den Kopf. Er probierte noch das eine oder andere aus, konnte auch in etwa die Töne entlocken. Alles andere war dann nur noch eine Frage von Ausdauer und Übung. Er wollte jedoch seine Zeit für anderes nutzen. Im Grunde wusste er schon, dass er nichts davon mitnehmen würde. Es war auch nicht mehr nötig. Jetzt, da Hibhgawl da war.
„Dennoch, ich danke Euch“, sagte er schließlich. „Es war ein freundliches Angebot.“
„Ihr habt Talent“, bemerkte Akan. „Wenn Ihr Euch wirklich interessiert, könnte ich vielleicht Zeit finden, Euch das eine oder andere zu zeigen.“
„Nochmals danke“, lehnte Robin ab, „Bei anderer Gelegenheit wäre ich sicher interessiert. Doch für das erste muss ich vorrangig meine Kondition und Kampftechnik wieder auf einen besseren Stand bringen. Vielleicht wenn ich in einem Jahr immer noch hier festsitze.“
Er wollte sich zum Gehen wenden. Da fiel ihm etwas ein. Akan konnte eigentlich nichts von jenem Gespräch wissen, darum war es wohl sicher zu fragen. „Was hat es mit Alif auf sich?“
Akan betrachtete ihn eingehend mit seinen dunkelgrauen Augen. „Eine interessante Frage“, sagte er nach einer Weile.
„Mir wurde gesagt, ich solle den Namen gegenüber dem Fürsten nicht nennen. Aus welchem Grund?“
Ein Mundwinkel des Lords zuckte kurz, vielleicht war es die Spur eines Lächelns. „Der Fürst wird nicht gern an Dinge erinnert, die böse Zungen eine Niederlage nennen könnten.“
„Alif?“ wunderte Robin sich. „Es hieß, er sei guter Kämpfer. Ich würde jedoch vermuten, dass der Fürst ein gefährlicherer Gegner ist.“
„Nun“, Akan schien tatsächlich amüsiert zu sein, ganz war es nicht zu deuten, „es ging nicht um Kampf in dem Sinne. Er hatte ihn nur auf seiner Seite und verlor ihn an Ríochan. Der Fürst ist empfindlich, wenn es um sein Ansehen geht“, schloss er wieder kühl. „Noch mehr Fragen über unsere besonderen Freunde in Alandas?“
Robin schüttelte den Kopf und verabschiedete sich höflich.
Akan blickte ihm eine Weile nach, bevor er zu Barraid zurückkehrte. Der Fürst sah aus dem Fenster auf einen der Höfe, als er eintrat. „Deine Untergebenen aus Cardolan sind angekommen“, bemerkte er, noch bevor der Lord vor ihm niederknien konnte und hielt ihn mit einer knappen Bewegung von der Geste ab.
Akan blickte ihn rätselnd an. „Ich hörte von Urkhas Versagen“, bemerkte er neutral. „Ich bin bereit, Euch Rechenschaft darüber abzulegen, Herr.“
Doch Barraid winkte ab. „Was dort zu begleichen war, wurde getan.“
„Wie Ihr befehlt, Herr.“ Akan war sich sicher, dass in all dem ein Widerhaken verborgen sein musste.
„Was hast du zu sagen zu unserem Gast auf Carraig?“
„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete der Lord vorsichtig.
Barraids brennende dunkle Augen richteten sich ganz auf ihn. „Was willst du damit zum Ausdruck bringen?“
„Gefahr“, sagte Akan. Er blickte unwillig, es war Unwille über sich selbst. „Er schwankt. Er zweifelt. Noch ist sein Sinn ungeteilt. Die Chancen stehen jedoch gut, dass er fällt. Allerdings, da ist auch etwas anderes. Es ist nur eine Ahnung. Ich kann es nicht fassen.“
„Wie würdest du entscheiden?“
Akan ließ sich Zeit mit der Antwort. „Er ist in unserer Hand. Lasst ihn töten. Euer Sieg wird geringer sein aber sicherer“, sagte er schließlich leidenschaftslos.
Barraid betrachtete ihn ausdruckslos. „Er hat das Rubinschwert.“
„Gerade darum. Jeder andere mögliche Schade wäre vernachlässigbarer.“
„Ich will, dass er fällt“, entschied Barraid.
Akan verbeugte sich nur leicht. Er hatte nichts anderes erwartet. Die Gefahr war auch nur eine Eventualität. Abgesehen davon würde es ihm ein besonderes Vergnügen bereiten, gerade diesen Ritter zu vernichten. Es war nichts Persönliches. Er hatte nur einen weiteren Verdacht, den er noch nicht bestätigt sah, der jedoch mit jedem Wort des anderen stärker geworden war. Rodil war an dem, was hier geschah, in irgendeiner Weise beteiligt. Könnte er nur noch einmal diese Harfe in Händen halten. Leider war da von Asrain keine Kooperation zu erwarten.
„Du solltest bei deinem Arbeitszimmer jetzt etwas vorfinden, um das du dich zu kümmern hast“, meinte Barraid, der sich wieder dem Fenster zugewandt hatte, nebenhin. „Ich erwarte dich nach Erledigung zurück.“
Akan ging. Von allen Höfen drang Lärm herauf. Aber viele der Truppen würden unten auf der Ebene geblieben sein. In Cardolan war nur eine kleine Garnison zurückgeblieben. Mit etwas Glück brauchte er dorthin in absehbarer Zeit nicht mehr zurück. Es war ohnehin nur reine Schikane gewesen, ihn dort zum Kommandanten zu ernennen und gleichzeitig die Fortführung aller Arbeiten auf Arda zu verlangen. Viel wertvolle Zeit hatte unterwegs vergeudet werden müssen unter den gegebenen Umständen.
******
Rodil ließ das Heft seines Schwertes wieder los. Einen Moment lang hatte alles auf Messers Schneide gestanden dort unten. Die Ankunft Akans war unübersehbar gewesen. Vorsichtig hatte Rodil sich bis an die Grenze zu Alandas selbst zurückgezogen. Denn wie er den anderen wahrnahm, so würde dieser seiner gewärtig sein. Einmal war etwas suchend über ihn hinweg geglitten. Nur einen Augenblick lang. Doch es war nicht dies, was er fürchtete. Das war später gekommen. Er konnte nichts genau wissen; aber es schien, Akan hatte auf den Tod des Ritters gedrängt. Diese Bedrohung, in der er hätte eingreifen dürfen, war nun vorüber gezogen. Was folgte, würde schlimmer sein. Und er hatte noch weniger Möglichkeit, es in irgendeiner Form abzumildern, als zuvor.
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Es war früher Abend, als Reginald endlich auf das Lager stieß. Die Wachen erkannten ihn wohl aus der Zeit bei Ceannacht wieder, denn sie ließen ihn ohne weiteres durch. Möglicherweise lag es auch daran, dass er allein kam. Patris saß mit einigen seiner eifrigeren Bewunderer am Feuer. Er blickte nur kurz auf, als der Ankömmling sein Pferd heranlenkte und änderte seinen lässigen Sitz um keine Haarbreite. „Sieh an, der Lord von Rina!“ sagte er.
Reginald blieb im Sattel. „Bin ich willkommen?“ fragte er.
Patris zuckte mit den Schultern. „Bleib, wenn du willst. Wir haben, soweit ich weiß, keinen Krieg miteinander.“ Er grinste wölfisch. „Apropos, wie geht es denn meinen beiden Freunden aus der Zeit vor Ceannacht?“ Einige, die mit in dem Kreis saßen, feixten.
Reginald stieg ab. Patris winkte und einer der Männer übernahm es, sich um sein Pferd zu kümmern. „Den beiden wird wahrscheinlich gerade die Hölle heiß gemacht“, antwortete der Lord noch im Absteigen. „Die eine Hälfte der Lords von Eannas ist im Aufstand gegen die andere, und ich schätze, es wird Gearaids Seite sein, die dabei den Kürzeren zieht.“
„Dann bin ich überrascht, dich nicht dabei zu sehen.“ Pat lachte. „Komm setz dich zu mir. Ich könnte darauf wetten, dein Freund Lassalle führt die Gewinner an.“
Reginald blickte finster. „Lassalle ist kein Freund.“ Er setzte sich in Pats Nähe, wo ihm Platz gemacht worden war.
„Ah“, Pat blickte interessiert. „Wie viel sich ändern kann in kurzer Zeit.“ Er goss sich Wein nach. „Bedien dich, wenn du willst!“
Reginald kam der Aufforderung nach. Eine Weile saßen sie schweigend beieinander und studierten sich gegenseitig. Patris fragte nichts. Also musste der Lord schließlich das Schweigen brechen. „Ich habe Rina aufgegeben“, sagte er rau. „Land bedeutet mir nichts. Ich will frei sein. Mein eigener Herr. Kann ich mit dir reiten?“
Patris spielte mit ein paar bunten Steinen, die vor ihm lagen. Er nahm sie in die Hand, ließ sie fallen und schaute darauf. „Keine gute Wahl“, sagte er dann. „Aber wenn du willst, bleib.“
„War das jetzt ...“, Reginald zögerte. „Mit den Steinen. War das ... ?“
Patris blickte ihn an, ein dunkler Blick, der Unbehagen erzeugte. „Es gibt Regeln hier“, sagte er in den dämmernden Abend hinein. „Über die einen oder anderen Dinge wird nicht gesprochen. – Doch, da du neu bist. Es sind nur Steine.“
Reginald nickte stumm. „Ist mir auch egal“, sagte er schließlich. „Willst du hören, was in Eannas war?“
Pat zuckte wieder nur die Schultern und schob die Steine mit dem Finger umher. „Es eilt mir nicht. Aber ich habe auch nichts Besseres zu tun jetzt.“
„Es gibt einen Regenten“, begann Reginald. „Er tauchte in Escaile auf wie aus dem Nichts. Allein. Keine Eskorte. Er forderte Gearaid auf mit, Carraig zu brechen und versprach jedem Amnestie, der es mit ihm hält. Gearaid ließ ihn in den Kerker werfen. Arnim – Lassalle – und ein paar andere holten ihn heraus. Ich war auch dabei. In der Nacht gab es einen kleinen Vulkanausbruch. Escail wurde zum Teil zerstört. Wir erklärten Gearaid den Krieg.“
„Und der Fremde?“
„Keine Ahnung. Es hieß, er wolle weiter nach Ruandor.“
„Du bist aber jetzt hier. Ich sehe noch keinen Grund dafür.“
Reginald blickte zornig zu Boden. „An dem Abend, als wir den Bund unterzeichneten, gab Lassalle bekannt, er diene jetzt dem König.“
„Eine erstaunliche Entscheidung“, bemerkte Pat. „Darum also zogst es vor, nicht für deinen Regenten zu kämpfen.“
„Er ist nicht mein Regent!“
„Es hörte sich gerade vorher an als ob.“
„Ich habe nur mitgemacht, weil Arnim davon überzeugt war. Und er ... Dieser verdammte Dalinianer ist an allem schuld!“ brach es aus ihm heraus.
„Ein Dalinianer?“ Pat schien amüsiert. „Wohin gehört der in der Geschichte?“ Einige andere blickten interessiert zu ihnen hinüber. Alle anderen Gespräche waren verstummt.
„Der Regent. Er sagte, er sei ein Ritter des Königs. Ciaran von Fírin, nannte er sich.“ Immer noch zornig griff Reginald wieder nach dem Wein und schenkte sich nach.
Patris sammelte langsam seine Steine auf. „Der dritte Ritter ist also aufgetaucht“, lächelte er leichthin. „Ein wenig ab vom Weg. Die beiden anderen verschwanden bei Gleann Fhírinne, wie es heißt. Wer weiß, wo dieser wieder verschwindet.“ Er goss den Rest seines Bechers aus. „Ich habe einen besseren Wein in meinem Zelt“, sagte er mit einer Grimasse. „Wir könnten dort trinken, auf alte und neue Freundschaften.“ Er stand auf und ging. Der Lord blickte ihm nicht verstehend nach.
„Es war eine Einladung“, bemerkte einer der Männer am Feuer. Dervin hieß er, erinnerte Reginald sich. „Es wäre nicht sonderlich klug, eine Einladung von ihm auszuschlagen.“
Der Mann neben Dervin versetzte ihm einen Stoß: „Lass es ihn doch selbst herausfinden“, sagte er.
Reginald stand schnell auf. Er hätte gerne Fragen gestellt, aber niemand sah ihn mehr an. Auch Patris drehte sich nicht um. Ihm blieb wohl nichts übrig, als Pat zu folgen. Er war sich nicht sicher, ob diese Einladung jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Er leerte seinen Becher in einem Zug und folgte Patris in das Dunkel. Dessen Zelt stand ein paar Schritte von allen anderen entfernt. Es war groß genug, um darin stehen zu können. Die zum Lager blickende Seite war hoch geschlagen. Ein kleines Feuer brannte davor. In den flackernden Schatten war nicht viel zu erkennen. Er sah ein paar Bücher. Etwas, das vielleicht die rätselhaften Metallgegenstände waren, die er unbewusst bei einem Mann wie Erendar erwartete.
Patris hatte bereits eine Flasche hervor geholt. Während er sie öffnete, erkundigte er sich. „Dieser Dalinianer, wie sah er genau aus?“
„Er ritt einen Fuchshengst“, begann Reginald. „Die Edelsteine an seinem Schwert hatten dieselbe Farbe wie der Siegelring. Ansonsten war er ...“
„Das meine ich nicht“, Pat schien ungewöhnlich kurz angebunden. „Hatte er grüne Augen, rote Haare, besonders breitschultrig?“
„Blaue Augen. Nicht besonders groß, etwas kleiner als ich. Dunkle Haare, kurz geschnitten. Fast militärisch, bis auf eine Stirnlocke. Befehlsgewohnte Stimme. Gut trainiert.“
Patris hatte aufgehört mit der Flasche zu hantieren. „Ein Ritter des Königs“, sagte er leise. Etwas in seiner Stimme war seltsam. Doch das Licht war sehr schlecht, so dass Reginald nichts in seinen Gesichtszügen erkennen konnte. Endlich wurden die kleinen Becher, die schon bereit standen, gefüllt.
Reginald probierte vorsichtig. Er kannte viele Weine, doch diesen Geschmack hatte er noch nie kennengelernt. „Was ist das?“ fragte er.
„Eine Erinnerung“, antwortete Patris. „Die Sorte gibt es nur in Imreach, und dort nur in einer Gegend. Sie verkaufen es nicht in den Norden.“ Er trank langsam. Reginald folgte seinem Beispiel und wartete ab.
„Lassalle“, sagte Pat nach einer Weile. „Man erzählt sich viel von ihm. Wie viel davon ist wahr?“
Reginald schnaubte. „Ich bezweifle, dass irgendetwas an die Wahrheit auch nur heranreicht. Nicht einmal ich erfuhr je, bei was er alles die Hand mit im Spiel hatte. Er war der Meister.“
„Erzähle ein wenig davon!“ forderte Patris ihn auf. Reginald kam dem willig nach. Er sprach lange, sein Zuhörer schien sehr aufmerksam. Er schenkte nur ab und zu den Wein nach. Erst nach einiger Zeit unterbrach er ihn.
„Hat Lassalle mit dir gebrochen oder du mit ihm?“
Reginald fühlte wie sein Schmerz neu auflebte. „Er hat alles verraten, wofür wir lebten“, begann er wieder.
„Nein“, sagte Patris. „Nicht das. Hat er dich weggeschickt? Oder bist du von ihm weg gegangen?“
Der Lord atmete schwer, so aufgewühlt war er. „Er sagte, wir seien weiterhin Freunde. Etwas, dass unser größter Kampf noch komme. Lügen! Nichts als Lügen! Er ist verhext worden von diesem Dalinianer! Wenn er noch er selbst wäre ...“
Patris brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er griff nach einem Päckchen, das die ganze Zeit neben der Weinflasche gelegen hatte und holte etwas heraus. Reginald vermutete, dass es Kräuter waren, denn er warf sie in das Feuer vor sich und ein würziger unbekannter Duft stieg auf. Das Feuer knisterte und bunte Funken stiegen auf. Am großen Lagerfeuer weiter weg, schien die Unterhaltung kurz abzuebben, um dann gleich wieder aufgenommen zu werden.
Patris starrte lange in die Flammen. Der Lord von Rina bemerkte, dass er selbst den Atem anhielt. Schließlich sprach sein Gastgeber. „Es war keine Zauberei“, sagte er. „Nicht die geringste Spur davon. Und da ist keine Lüge. Kein noch so winziger Schatten auf dem, was dort geschehen ist. Lassalle wird zu seinem Wort stehen. In allem. Dem Regenten gegenüber. Dem König. Was auch immer. Und er hält eure Freundschaft in Ehren.“
„Von wegen!“ Reginald bemühte sich nicht aufzuheulen, aber es gelang ihm nur mit Mühe. „Ich sah es in seinen Augen. Er wird nie wieder ...“
Wieder unterbrach Patris ihn mit einer gebieterischen Handbewegung. „Es gibt viele Ebenen von Freundschaft. Du bist ein vollkommener Narr, wenn du seine zurückweist. Ich verstehe, was dich umtreibt. Aber er hat nur für sich gewählt.“
„Du verstehst überhaupt nichts!“ protestierte Reginald.
„Ruhig!“ Pats Stimme war selbst sehr ruhig aber duldete keinen Widerspruch. „Du weißt nicht, mit was du hier spielst. Sobald du hier weggehst, werde ich alles vergessen, was wir hier sprechen. Und du tätest gut daran, darüber zu schweigen. Für immer.- Ich habe sehr wohl begriffen. Warte und schweige!“
Wieder warf er etwas aus dem Päckchen auf das Feuer. Die Flammen stoben jetzt wilder, Rußflecken waren darin zwischen den bunten Funken. Patris studierte sie sehr lange. Schließlich wandte er sich von ihnen ab und ergriff Reginalds Handgelenk. Sein Griff war hart und schmerzte.
„War das jetzt ...?“ flüsterte der Lord.
„Die Regeln!?“ sagte Patris hart. Als der Lord daraufhin schwieg, fuhr er fort: „ Ich werde dies hier nur einmal sagen. Dein Freund Arnim von Lassalle ist ein großer Mann. Ich tue es in erster Linie seinetwegen. Du hattest Glück heute. Keiner der winianischen Lords hier. Nicht einmal einer ihrer niederen Ränge im Lager. Das könnte sich schon morgen ändern. Darum ist mein Rat: Reite! Reite, so schnell du kannst, zurück nach Eannas und kämpfe an Lassalles Seite. Bist du morgen noch hier, wird Tod und Verderben über euch beide kommen. Und dein Schicksal wird das schlimmere von beiden sein.“
Er ließ die Hand des Lords los, wandte sich gleichmütig ab und ließ die letzten Reste des Weins in sein Glas tropfen. „Ich werde mich, wie gesagt, morgen nicht mehr erinnern, über was wir hier gesprochen haben. Deine Entscheidung.“
Er beachtete den Lord nicht weiter. Reginald begriff, dass er entlassen war. Er wollte sich verabschieden, aber etwas in der Haltung seines Gastgebers verbot es. So stellte er nur seinen Becher zurück, und ging leise vom Feuer weg in das Dunkel. Das Lager schlief jetzt. Niemand beachtete ihn.
Patris blickte noch lange in die ersterbende Glut seines Feuers. Lassalle und Rina waren nicht mehr in seinen Gedanken. Er dachte zurück an eine feste Hand, die sich auf seine gelegt hatte und stahlblaue Augen, die ruhig und furchtlos in seine geblickt hatten. „Auf dich, Regent Ciaran!“, sagte er leise und hob grüßend seinen Becher, bevor er die letzten Tropfen leerte. Es war die letzte Flasche des Tefhasach gewesen, doch sie war diesen Gruß wert.
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