„Niemals!“ rief Estohar und unterstrich seine Entschlossenheit, indem er mit der Faust auf den Tisch hieb. Sonst wirkte er meist eher würdevoll. Doch jetzt war er ein wütender weißhaariger Löwe. Falls Löwen zornrote Gesichter haben konnten.
Béarisean ging kurz vor das Zelt. „Rafe!“, sagte er knapp. „Bitte, sorge dafür, dass wir jetzt niemanden in Hörweite haben.“
Der Lord von Muine grinste und salutierte. Trotz seiner draufgängerischen Art hatte er sich bereits als sehr nützlich erwiesen. Es machte ihm auch nichts aus von Béarisean Befehle zu bekommen – solange der Regent keine anderen Anweisungen hatte. Immerhin war dies Colins Nachkomme.
„Uns bleibt keine andere Wahl!“ Ciarans Stimme stand der des Ritters von Tarim in nichts an Entschiedenheit nach. Aber Béarisean wusste gut, dass er allen Mut zusammennahm, um so auftreten zu können. Und das nur, weil es jetzt nicht um ihn ging, sondern um ein Wort, das er gegeben hatte.
Estohar sprang auf und ging mit heftigen Schritten wie ein gefangener Tiger von Zeltwand zu Zeltwand. „Das geht entschieden zu weit!“ stieß er in höchster Erregung hervor.
Béarisean versuchte, ihn zu begütigen: „Es scheint, daß bei jenem ersten Urteil wirklich nicht gerecht vorgegangen wurde. Somit sind auch die, die das Urteil fällten, für alle Folgen mitverantwortlich. Und schließlich, es ist das Vorrecht der Herrscher, Amnestien zu erlassen.“
„Das Vorrecht der Herrscher!“ fauchte Estohar. Die Wahl dieser Worte schien ihn noch mehr zu erregen. „Gestern Abend konnte ich die Anerkennung nicht öffentlich verweigern, aber ich habe erhebliche Zweifel, daß "Herr" Ciaran jenes Amt mit Recht in Anspruch nimmt. Mir scheint, hier will ein Gesetzloser dem anderen zu unverdienten Würden verhelfen und die wohlverdiente Strafe aussetzen! Wenn so die Alternative zu einer Herrschaft des Schwarzen Fürsten aussieht, dann können wir auch gleich kapitulieren!“
Ciaran schwieg nur zu diesen Anschuldigungen. Genau so etwas hatte er befürchtet.
„Genug!“ Béarisean ließ sich selten zum Zorn reizen, doch jetzt standen finstere Wolken auf seiner Stirn. „Estohar von Tarim, mir ist nicht näher bekannt, welche privaten Fehden Ihr mit Herrn Ciaran von Fírin haben mögt. Aber ich lasse es nicht zu, daß Ihr einen Ritter des Königs und Boten des Fürsten von Alandas derartig beleidigt. Als Gesandter Fürst Ríochans und oberster Führer dieses Heerlagers erwarte ich Eure Entschuldigung.“ Seine Stimme war schneidend.
Der Ritter von Tarim starrte ihn sprachlos an. „Béarisean“, begann er dann mit leichtem Unwillen, jedoch gemäßigterer Stimme.
Der Lord von Sliabh Eoghaí unterbrach ihn unbarmherzig. „Ich stehe vor Euch als Repräsentant von Alandas, Estohar von Tarim, und verlange, daß Ihr Eure ungeheuerlichen Anschuldigungen zurücknehmt! Werdet Ihr Euch den Entscheidungen Fürst Ríochans und seiner Beauftragten fügen oder verweigert Ihr die Gefolgschaft?“
Ciaran setzte an, etwas Beschwichtigendes sagen. Für Béarisean erstaunlich war er trotz der offensichtlichen Schikanen ihm gegenüber bemüht, dem Lord von Tarim mit größter Rücksichtnahme zu begegnen. Doch Béarisean hatte seit dem gestrigen Nachmittag schon mehr als genug gesehen und gehört. Mit einer knappen Handbewegung hielt er den anderen zurück. Es ging nicht an, dass der Regent so behandelt wurde, wie Estohar es bisher getan hatte. Aber mit seiner Beleidigung eines Ritters des Königs hatte der Ratsvorsitzende jede Grenze überschritten.
Fast genauso erstaunlich wie Ciarans unkluge demütige Haltung war Estohars Starrsinn. Béarisean hatte sich anfangs tatsächlich gefragt, ob hier ein Anzeichen der Senilität vorlag. Doch in allen Punkten, die Ciaran nicht betrafen, hatte sein ehemaliger Tutor perfekten Scharfsinn und Durchblick demonstriert. Jetzt maß er Béarisean mit einem Blick voll beleidigter Unschuld und Zorn. „Béarisean“, sagte er vorwurfsvoll. „Welche Beweise hast du denn, dass die Ansprüche dieses – ehemaligen Hauptmannes - stimmen. Der Fürst von Alandas hat nie von ihm gesprochen, wie du selbst sagst. Was, wenn er sich dies wirklich nur anmaßt, um ...“
Ciaran machte keinen Versuch sich zu verteidigen, so zornig und verletzt er auch blickte.
„Eure Entschuldigung!“ sagte Béarisean hart. „Oder der Vorsitz des Rates ist Euch entzogen. Ihr könnt dann gehen. Die Heerführung ist dann nicht mehr Eure Sache.“
Estohar war fassungslos und empört. „Béarisean ...“
„Es ist mein tiefster Ernst“, unterbrach ihn sein ehemaliger Schützling.
Estohar zitterte und schloss kurz die Augen. „Ich bitte um Vergebung für die unbedachten Worte, zu denen ich mich hinreißen ließ. Ihr habt Vollmacht, der ich Gehorsam schulde, Lord von Sliabh Eoghaí.“ Er vermied es Ciaran anzusehen und richtete auch kein Wort der Entschuldigung an diesen.
„Ihr erlaubt, daß ich die Leitung dieser Diskussion übernehme?“ Weder Ciaran noch Estohar hatten Einwände gegen diesen Vorschlag Béariseans.
„Gut“, sagte der Lord von Sliabh Eoghaí, „bevor wir irgendein anderes Thema anschneiden, möchte ich eine Wurzel der Uneinigkeit unter uns beseitigen. - Was habt Ihr gegen Ciaran von Fírin konkret vorzubringen, Estohar?“
Estohar wollte zu einer schnellen Antwort ansetzen, hielt aber inne. Jetzt, da er es formulieren sollte, noch dazu gegenüber jemandem, der einen höheren Rang einnahm als er selbst, fiel ihm doch auf, dass er nur wenig Sachliches gegen seinen ehemaligen Untergebenen anführen konnte. „Er ist eines Tages nicht mehr zum Dienst erschienen, ohne um Erlaubnis zu fragen und einzelne behaupteten, er mache mit den Banditen Restacs gemeinsame Sache“, sagte er schließlich. „Gestern abend sah ich ihn zum erstenmal seitdem wieder.“
Béarisean verzichtete darauf zu erwähnen, dass Estohar seitdem einiges an Nachrichten über seinen Hauptmann gehört hatte. „Ciaran!“ forderte er den Regenten auf.
Auch Ciaran erwähnte nichts davon, dass Neill das alles längst berichtet haben musste. „Tief im Wald stieß ich an jenem in Frage stehenden Tag auf Männer aus Restacs Bande“, sagte der Ritter mit ausdrucksloser Stimme. „Ich wollte die Gelegenheit nutzen, das Lager der Banditen aufzuspüren. Dieses befand sich unerwartet weit im Süden. Am Tag meiner Ankunft dort erkrankte ich an einer schweren Lungenentzündung, von der ich mich erst mitten im Winter erholte. Die Wege nach Norden wurden erst im späten Frühjahr wieder frei. Außerdem traute man mir bis kurz vor dem Ende nicht völlig. Statt bei erster Gelegenheit nach Croinathír zurückzukehren, nutzte ich allerdings die erste Möglichkeit, nach Gleann Fhírinne zu reiten, um Euch und Ritter Anno zu folgen. Dort begegnete ich Fürst Ríochan, der mich sogleich weitersandte nach Daliní. Alles weitere ist bekannt.“
Béarisean fasste noch einmal zusammen: „Könnt Ihr Eurem Hauptmann vergeben, Estohar, daß er um Landesfeinden auf die Spur zu kommen, nicht um Eure Erlaubnis nachfragen konnte, ob er ihren Aufenthaltsort herausfinden dürfe. Dass er schwer erkrankte, ihm die Heimkehr im Winter unmöglich war und daß er dann einem Ruf des Fürsten von Alandas folgte, was zur Folge hat, daß wir hier tatsächlich ein kampfbereites Heer versammeln können?“
„Schon“, sagte Estohar, „aber ...“ Er selbst hätte das anders formuliert gehabt. So wie der Lord es darstellte, konnte er allerdings nicht widersprechen.
„Könnte es weiterhin sein“, forschte Béarisean, der sich bereits seit längerem über die Angelegenheit, soweit er sie von Ciaran kannte, Gedanken gemacht hatte, „daß Ihr nur deshalb gegen den jungen Mann eine gewisse Voreingenommenheit hegtet, da Lady Airen sich ihm so zugeneigt zeigte?“
„Béarisean“, wandte Ciaran nun doch ein. „Sie hatte nur Mitleid mit mir. Ich war vollkommen auf mich gestellt, als ich in die Hauptstadt kam. Zufällig sprach sie mich an und hörte meine Geschichte.“ Wie jung er damals gewesen war. Er hatte erzählt, dass Colin von Donnacht sein Idol war, dass er dem König dienen wollte. Er hatte damals noch geglaubt, solche Dinge seien selbstverständlich. Und die Lady hatte gelächelt und angefangen, ihm zu helfen.
„Das war wirklich alles. Ich sprach Lady Airen nur sehr selten. Sie ... Sie war so gütig, mich dann fast wie einen Sohn zu behandeln, oder einen entfernten Neffen oder was auch immer. Wirklich nur Mitgefühl mit einem dort in der Hauptstadt ziemlich verlorenen Jungen aus den Wäldern.“ Béarisean nahm seine Worte nicht zur Kenntnis. Er blickte Estohar an.
„Diese Unterstellung ist wirklich absurd!“ sagte Estohar indigniert.
„Ist sie das wirklich?“ fragte Béarisean zurück.
„Auf jeden Fall war es mir unbegreiflich, warum sie soviel Zeit und Energie für einen hergelaufenen Dorfjungen aus den Ostprovinzen verschwendete“, brach es aus Estohar heraus. „Wenn er wenigstens adliger Herkunft gewesen wäre, aber es war nur ein jugendlicher Raufbold ohne Manieren. Ich begriff nie, was sie an ihm fand.“
„Vielleicht das Gleiche wie der Fürst von Alandas“, sagte Béarisean ruhig. „Wollt Ihr auch darauf eifersüchtig sein, daß dieser den "manierenlosen Raufbold" Euch scheinbar vorgezogen hat oder sollen wir über die ganze Sache zukünftig besser schweigen?“
Estohar errötete und sagte nichts mehr. Ciaran begann verlegen: „Ich habe meine Herkunft nie vergessen und weiß, daß ich eigentlich nicht hierher gehöre. Ich ...“
„Ich finde, es ist Zeit, diesen Unsinn zu beenden“, schnitt Béarisean seine weiteren Ausführungen ab. „Der König selbst und sein Beauftragter, der Fürst von Alandas, haben hier eine Entscheidung getroffen. Keinem von uns steht es zu, sie in Frage zu stellen.“ Er warf Ciaran einen fast zornigen Blick zu. „Auch dir nicht. Gedenke, welches Schwert du trägst!“
Ciarans Hand glitt an das Heft der Waffe. „Du hast recht“, sagte er leise. „Diese Vorwürfe beleidigen dieses Schwert mehr als mich. Meine Motive mögen durchaus zweifelhaft gewesen sein, bevor ich es erhielt. Doch seit ich es trage, habe ich keinen Augenblick vergessen, wem ich diene außer.“
Er blickte auf seinen ehemaligen Vorgesetzten. „Ich hätte eigentlich sterben müssen dort in Gleann Fhírinne. Vielleicht, Herr Estohar, könnt Ihr jenen Ciaran, den ihr kanntet, als tot betrachten. Er versuchte, Euch gut zu dienen; es sei zu seiner Ehre gesagt. Doch jetzt erheben Größere, als Ihr es seid, einen Anspruch auf meinen Dienst.“
Er erhielt keine Antwort. Als er auf Béarisean blickte, bedeutete dieser ihm abzuwarten. Mit einem leisen Seufzer wandte Ciaran sich ab. Er ging an den Zeltausgang und blieb dort stehen, den beiden anderen den Rücken zugewandt. Er hatte kein Bedürfnis, Zeuge von Estohars Demütigung zu sein.
Béarisean setzte sich dem Lord von Tarim gegenüber. Er legte sein Schwert auf den Tisch zwischen sie. „Es ist Licht in dieser Klinge“, sagte er. „Ihr saht es gestern Abend selbst. Das Licht von Alandas duldet keine Lügen. Werdet Ihr Euch ihm stellen können?“ Er lockerte die Klinge in ihrer Scheide und ließ sie ein Stück herausgleiten. „Um der Ehre des Königs willen, Estohar!“ sagte er sanft und ließ den Lord von Tarim allein.
Estohar, der auf den Boden gestarrt hatte, hob den Blick und sah auf das blitzende Metall vor sich. Es ließ seine Augen schmerzen, doch er zwang sich, sie nicht abzuwenden. Auch der junge Dalinianer hatte so ein Schwert, wie er wusste. Und Airen .... Manchmal hatte es ihm geschienen, dass sie sich mehr Zeit für den Jungen aus Dalinie nahm als für ihn. Und immer hatte sie seine Partei ergriffen. Es stimmte schon, dass der Junge auch ihn stets verehrungsvoll angesehen hatte. Eifrig wie ein Welpe, manchmal genauso unbeholfen. Er hatte ihn nur ignoriert.
Dann plötzlich war aus dem Jungen ein sehr gut aussehender und fähiger junger Offizier geworden, dessen Beliebtheit unter allen Männern Estohars stetig anstieg. Selbst Ranalf und Colin hatten angefangen, ihn zu protegieren. Er hatte es nie vor sich zugegeben, aber er hatte sich gefühlt, als würde ihm dieser Jüngere einmal alles nehmen, um das er so lange so mühevoll gekämpft hatte. Dem anderen fiel es einfach zu. – Es war hart sich so etwas einzugestehen. Leichter war es gewesen, sich auf die Fehler eines immer noch unsicheren jungen Offiziers zu konzentrieren und ihm Hindernisse in den Weg zu legen.
Er streckte langsam die Hand nach dem schimmernden Schwert aus, aber wagte nicht, es wirklich zu berühren. Er hatte immer an Alandas geglaubt. Dieses Schwert, das, wofür es stand, war sein Leben. War es so wichtig, wer die Waffe führen durfte, die das Licht brachte? Es schien noch immer so ungerecht, dass der andere so selbstverständlich haben sollte, was ihm verweigert worden war. Doch wenn nur so das Licht kommen konnte?
„Es ist wahr“, sagte er schließlich zögernd. „Ich war eifersüchtig. Nicht nur wegen Airen. Er schien mir so bevorteilt von allen, dass ich versuchte, dem Gegengewicht zu geben. Objektiv gesehen war ich wohl ungerecht ihm gegenüber.“ Er blickte noch einmal auf die schimmernde Klinge und rang sich durch, es zu sagen. „Ich habe falsch gehandelt.“
Béarisean nickte ruhig. „Estohar, ich will nicht hart sein Euch gegenüber. Doch Ihr habt gestern Abend als einziger dem rechtmäßigen Regenten Abhaileons die offizielle Anerkennung vorenthalten.“
Ciaran wandte sich um. „Es ist nicht nötig. Auch im Kerker von Escail ... Nicht dass ich in irgendeiner Weise eine Parallele ziehen möchte zwischen Herrn Estohar und ... Lord Lassalle ist ein stolzer Mann. Ich nahm sein Wort als so gut wie einen Eid. Ich fragte nach keiner Ehrenbezeigung.“
„Nur dass er sie dir dann nicht verweigerte“, beendete Béarisean.
„Er kniete vor dem Ritter des Königs“, sagte Ciaran, „nicht vor dem Regenten. Und er selbst, was diesen anging, küsste er den Ring, als es nicht mehr notwendig war. Ich hatte sein Wort schon akzeptiert. – Doch, was ich zum Ausdruck bringen wollte war, dass ich Herrn Estohars Wort auf keinen Fall weniger Bedeutung beimesse als dem Lord Lassalles. Es braucht keine Gesten.“
„Ein Irrtum“, entgegnete Béarisean. „Es braucht sie gelegentlich. Lassalle wusste das offensichtlich.“ Er sah Estohar an.
Der Lord von Tarim kniff die Lippen zusammen, doch dann nickte er. Er stand auf, ging zu Ciaran, kniete vor ihm nieder und führte die Hand mit dem Ring an seine Lippen. „Regent“, sagte er.
Béarisean nickte. „Ich denke, jetzt können wir fortfahren“, sagte er.
Ciaran war die Situation mehr als peinlich. „Bitte, erhebt Euch, Herr Estohar!“, sagte er, als der Lord seine Antwort abzuwarten schien. Erst dann stand der alte Ritter auf.
„Zurück zu Eannas“, sagte Béarisean, als sei nichts weiter vorgefallen. „Der Einfachheit halber will ich die Fakten noch einmal zusammenfassen: Fürst Gearaid hat bereits den größten Teil des Landes an die Truppen des Bundes von Edrin verloren. Der Führer jenes Bundes ist Lord Arnim von Lassalle, geborener Prinz von Ecrin und ehemals rechtmäßiger Inhaber des Fürstenthrones von Corrugh. Er wird unterstützt von Rudin von Orthaí, Führer der Aufständischen und Nachkomme eines entmachteten Adelsgeschlechtes aus Eannas. Des weiteren gehören zu diesem Bündnis einflussreiche Lords der Provinz Eannas wie Ingvar von Rensdal. Auch ein Großteil der Bevölkerung der Provinz scheint diese Allianz zu unterstützen. Fürst Ludovik von Ruandor hat sich bereit gefunden, mit Lord Lassalle als Führer des Edrin-Bundes ein Abkommen zu schließen und ihn somit bereits als verhandlungsberechtigt anerkannt. Gestern erreichte uns verspätet – da sie zuerst nach Croinathír ging – die Erklärung des Bundes von Edrin. Heute überbrachte uns ein Eilbote folgende Schreiben. Das erste stammt von Lord Lassalle selbst:
‚An den Regenten von Abhaileon, Ciaran von Fírin:
Mein Regent und geliebter Herrscher,
ich hoffe, daß Euch dieses Schreiben auf Corimac erreicht. Ingvar von Rensdal teilte mir mit, daß Ihr Euch in Begleitung von Fürst Ludovik dorthin begebt. Fürst Gearaid wird sich nun nach Asterne, den nördlichsten Teil von Eannas, zurückziehen müssen, und wir können hoffen, bald alle Kriegshandlungen beenden zu können.
Im Namen aller verbündeten und Euch ergebenen Lords von Eannas bitte ich Euch, Gearaid als Fürsten absetzen zu lassen und dem Bündnis von Edrin zu gestatten, sich dem offiziellen Heerbann von Abhaileon zurechnen zu dürfen. Durch Lord von Rensdal seid Ihr bereits im Besitz der Dokumente, die Gearaid als Hochverräter überführen.
Ich versichere Euch meiner Ergebenheit und Dankbarkeit.
In der Hoffnung, dass Fürst Ríochan von Alandas sich noch einmal unseres Landes erbarme und uns zu Hilfe kommt und in Treue zu unserem König
Arnim von Lassalle’“
Ciaran vermied es, einen von ihnen anzusehen. Die Röte stand ihm auf den Wangen. Doch als Béarisean den Brief zurücklegte, faltete er ihn sorgsam und verwahrte ihn in seiner Brusttasche.
Béarisean wünschte sich still, er wäre Zeuge dessen gewesen, was zwischen diesen beiden geschehen war. Es musste dem Erdbeben, das Escail erschüttert hatte, geähnelt haben. Von Ludovik hatte er gehört, dass Ciaran Lassalles Amnestie eigenhändig ausgeschrieben und ein paar persönliche Sätze hinzugefügt hatte. Er fuhr fort: „Des weiteren erhielten wir folgendes Schreiben:
‚Im Namen des Bundes von Edrin erbitten wir von Regent und Rat Abhaileons, den Hochverräter Gearaid von Escail als Fürst von Eannas abzusetzen und Lord Arnim von Lassalle, unseren anerkannten Führer, als Fürsten des Landes anzuerkennen.’
Unterschrieben haben Rudin von Orthai, Ingvar von Rensdal, Rieken von Lesick und zahlreiche andere. Kurz jeder, der Rang und Namen hat in Eannas und nicht auf Gearaids Seite steht. - Wie sollen wir also entscheiden? Es ist üblich, dem erklärten Willen der Lordschaft einer Provinz Gewähr zu leisten.“
„Nicht in diesem Fall“, beharrte Estohar. „Der Mann steht unter dem Reichsbann und hat mehr als einmal den Tod verdient.“
„Nach den Gesetzen von Eannas ist es möglich“, gab Béarisean zu bedenken.
„Der Bann ist aufgehoben“, erklärte Ciaran. „Ich habe in Ruandor alle Amnestien unterschrieben und besiegelt.“
„Was, mit Verlaub, unbedacht war“, sagte der Ritter von Tarim. Er blieb jetzt wenigstens höflich und hielt die Formen ein „Dieser raffinierte Verbrecher von Lassalle hat sofort seine Chance erkannt. Wer weiß, ob er Fürst Gearaid nicht mit Absicht diffamierte, um selbst dessen Platz einzunehmen?“
„Ich bin sowohl Gearaid als auch Arnim begegnet“, sagte der Regent. „Lord Lassalle spricht die Wahrheit.“
„Warum sonst sollte sich jemand wie Rudin von Orthaí für ihn einsetzen?“ meinte Béarisean.
„Ich kann nichts gegen diese Amnestie tun“, sagte Estohar grimmig. „Aber ich werde als Vertreter des Rates Veto einlegen gegen einen Beschluss, Lassalle auch noch als Fürsten zu bestätigen“, beharrte der Ritter von Tarim. „Ich weiß, es gibt Mittel und Wege, das gegen meinen Widerstand durchzusetzen, aber es wird Zeit kosten.“
„Estohar, gleich, was Deine Bedenken sein mögen, wir können nicht auf Arnim als Fürsten von Eannas verzichten“, sagte Béarisean ruhig. „Du weißt, Fürst Ríochan kann uns nur zu Hilfe kommen, wenn alle Fürsten Abhaileons ihn darum bitten. Gearaid würde sich nie dazu bereitfinden. Von Lassalle haben wir die schriftliche Erklärung, daß er das tut. Alle anderen sind hier versammelt.“
„Roscrea ist ohne Fürst“, wandte der Ratsvorsitzende ein. „Gestern erreichte uns die Nachricht aus Carrnarosc, daß Ros nicht mehr regierungsfähig ist.“
„Aber er hat seinen Verwandten Ingal von Illaloe als seinen Vertreter eingesetzt und wir wissen, wie Lord Ingal zu dieser Sache steht“, sagte Ciaran. „Jeder Illaloe ist per Eid gebunden, zu so einem Bund zu stehen. Er selbst erinnerte in seinem Schreiben an den Bund, den wir schließen sollten.“
Auch Ingal hatte ein privates Schreiben an den Regenten beigefügt gehabt, Ciaran hatte nur eine Passage daraus vorgelesen und es nicht aus der Hand gegeben.
„Aber der Fürst von Sailean“, der Ritter von Tarim wollte sich nicht geschlagen geben. „Er ist nicht so schnell erreichbar.“
„Er hat seinen Sohn Finn mit allen Vollmachten hierhergeschickt. Das weißt du doch, Estohar“, in Béariseans Stimme klang sanfter Tadel. Immerhin schien es wieder möglich, auf die formelle Anrede zu verzichten. „Es ist nicht abzustreiten, daß uns im Augenblick nur noch Eannas fehlt.“
Estohar musste es widerwillig zugeben. „Sei es denn“, sagte er schließlich. „Ich will nicht, daß es einmal heißt, der Corimac-Bund sei meinetwegen gescheitert. Doch das allein ist es, was mich bewegt zuzustimmen. Im Namen des Rates stimme ich der Absetzung Gearaids von Escail als Fürst von Eannas zu. Somit steht der Ernennung Lassalles nichts mehr im Wege.“
„Laßt uns die Dokumente unterschreiben und besiegeln“, sagte Béarisean erleichtert.
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