TEIL II: DIE MITTE DER NACHT
XVII Licht und Schatten
Der Weg entlang des Flusses Uibhne bot keine Schwierigkeiten für Ciaran. In
sanften Windungen verlief der Pfad zunächst entlang des Bachtals, später folgte
er dem breiter werdenden Flusslauf, bis dann nach zwei tüchtigen Tagereisen zu
Pferde die Stadt Daliní erreicht wurde.
Daliní war in früheren Zeiten die Hauptstadt des
Fürstentums Dalinie gewesen. Auch jetzt war die Stadt die größte und
bedeutendste in der ganzen Ostprovinz. Sie war in einer fruchtbaren Hochebene
gelegen und der größte Handels- und Informationsumschlagplatz im Osten
Abhaileons. Im Gegensatz zu den dünn besiedelten Waldgebieten und kleinen
Tälern ringsumher, die im Besitz und unter der Gerichtsbarkeit vieler kleiner
Lords und Burgherren standen, wurde Daliní von einem Stadtrat regiert. Für
gewöhnlich vermied es jeder der Lords, sich in Angelegenheiten der Stadt oder
die der anderen Lords einzumischen, doch gab es für Krisenzeiten und
Entscheidungen, von denen die ganze Provinz betroffen war, die Möglichkeit eine
allgemeine Versammlung aller Regierenden einzurufen. Sehr oft erwies es sich allerdings
als recht schwierig, in einer Angelegenheit einen Konsens zu erzielen, da die
Vetostimmen zweier Stimmberechtigter genügten, alle Beschlüsse wieder zu
stürzen. Am heikelsten war immer die Entscheidung, einen Vertreter für den
Obersten Rat in Croinathír abzuordnen. Zuviele Interessengruppen waren mehr an
ihrem eigenen Prestige und Einfluß interesssiert, als an einer für alle
Betroffenen vernünftigen Entscheidung. Die Wahl des Ratsvertreters hatte schon
oft zu erbitterten Debatten und Kleinkriegen geführt.
Erst während der letzten Jahre hatte sich darin eine
deutliche Verbesserung bemerkbar gemacht. Mehr und mehr der Lords waren bereit
gewesen, Dorban von Tairg als befehlsberechtigt anzuerkennen. Manche hatte sein
kriegerisches Geschick beeindruckt, andere seine kluge Verhandlungsführung. Zu
alledem hatte er sich trotz steigender persönlicher Macht keine Übergriffe auf
seine schwächeren Nachbarn zuschulden kommen lassen. Das war keine
Selbstverständlichkeit. Selbst die Vertreter des Stadtrates hatten sich von
Jahr zu Jahr geneigter gezeigt, Dorban als neuen Herrscher Dalinies in Betracht
zu ziehen. Dorban hatte bei den vorsichtigen Sondierungsversuchen dieser
Herren, wie er zur Autonomie Dalinís stehe, durchblicken lassen, daß er für
Städte eine Regierungsform gleich der in der Hauptstadt praktizierten für von
großem Vorteil halte. Eine Aussage, die den Mitgliedern des Stadtrates gut
gefiel. Ließ sie doch vermuten, daß der Lord von Tairg in Erwägung zog, der
Stadt nicht nur ihre Autonomie zu lassen, sondern ihren Rat sogar an
allgemeinen Regierungsentscheidungen wesentlich zu beteiligen. Das Wort, daß es
vielleicht bald einen neuen Fürsten von Dalinie geben werde, machte nur unter vorgehaltener
Hand die Runde, wurde jedoch immerhin schon so öffentlich diskutiert, daß
Gerüchte davon sogar bis nach Croinathír gedrungen waren.
Ciaran erreichte Daliní am frühen Morgen. Wenn es nur
nach seinem Willen hätte gehen können, wäre er schon am Vorabend eingetroffen.
So sehr brannte ihm das Herz, dem Auftrag, den ihm Ríochan gegeben hatte, zu
folgen, daß er den Weg ohne jegliche Rast zurückgelegt hätte. Doch das war
seinem braven Braunen nicht zuzumuten gewesen. Auch so war das Pferd jetzt derartig
erschöpft, daß er es in der Stadt würde zurücklassen müssen, um seinen Weg auf
einem frischen Reittier fortzusetzen. Er hatte zwar nur wenig Geld bei sich,
doch er ging davon aus, daß er das Pferd finden werde, das er brauchte. Daran
konnte doch sein Auftrag nicht schon scheitern!
Als die Mauern der Stadt sich vor ihm erhoben, fühlte er
dennoch Unsicherheit in sich aufsteigen. Ob man seiner Botschaft Glauben
schenken würde? Er mußte als erstes den Vorsitzenden des Stadtrates ausfindig
machen. Wenn sich dieser als einsichtig und hilfsbereit erwies, würde er eine
Sitzung des Rates einberufen lassen. Dabei war es wohl notwendig, daß er selbst
seine Botschaft vortrug. Das alles würde viel Zeit kosten. Wie er
Stadtratsangelegenheiten aus Croinathír kannte, würde es mindestens, aber
wirklich allermindestens, zwei volle Tage bis dahin brauchen. Wenn die Räte
heftig ins Debattieren kamen oder gerade irgendeine Festlichkeit der
Einberufung des Rates im Wege stand, eventuell länger. Autokratien, wie es die
Fürstentümer der anderen Provinzen waren, hatten im Vergleich dazu doch einige
deutliche Vorteile.
Ciaran betrachtete den großen Ring, den er am Finger
trug. Der Siegelring von Abhaileon. Wäre er nicht lange Zeit verschollen
gewesen, so trüge ihn jetzt vielleicht Estohar als Vorsitzender des Rates.
Estohars Herrschaft, soweit man sie überhaupt so nennen durfte, war nie so
weitgehend anerkannt worden, wie seine Freunde es sich anfangs erhofft hatten.
Es war ein letzter Versuch gewesen, die
alten Zeiten zurückzubringen, in denen der Vorsitzende des Rates von Abhaileon
zugleich Regent des Landes war und über große Machtbefugnisse verfügte. Ein
Gedanke kam Ciaran. Mochte es mit daran gelegen haben, daß mit dem letzten
Regenten auch dieser Ring verschwunden war? Er wies die Idee wieder von sich.
Ein Ring war ein Gegenstand wie jeder andere auch. Obwohl es ihm jetzt ganz
recht gewesen wäre, wenn der Ring es vermocht hätte, seinem Träger genug
Ansehen zu verleihen, daß er seine Aufgabe ausführen konnte. Denn war er,
Ciaran, glaubhaft genug als Träger des Siegelringes von Abhaileon?
Glücklicherweise wies ihn wenigstens sein neues, kostbares Schwert
unbezweifelbar als Ritter aus. Er war ein Ritter des Königs; bei diesem
Gedanken richtete er sich gleich gerader auf. Doch wie sollte er in Daliní
Glauben dafür finden?
Seine Gedanken glitten zurück zu der Begegnung mit Fürst
Ríochan. Noch standen ihm alle Einzelheiten klar vor Augen. ´Ich vertraue dir,
Ritter Ciaran von Firin´, hatte der Fürst von Alandas gesagt und ihm damit
zugleich seinen Ritternamen gegeben. Vielleicht war es so: Ciaran von der
Palastgarde war in der Drachenschlucht gestorben; Ciaran von Firin aber war
dort geboren worden. ´Ich bin dir nicht sehr ähnlich, Ríochan, mein Fürst´,
sagte Ciaran leise. ´Nur die Farbe meiner Augen ist ein wenig wie die der
deinen, aber meine Worte sollen sein wie deine Worte wären, mein Handeln so wie
du handeln würdest. Vielleicht gibt mir der König ein wenig von dem Licht, das
in dir ist. Ich möchte ihm dienen wie du.´
Die Stadt lag mit weit geöffneten Toren vor ihm. Er trieb
sein Pferd zu einem letzten kurzen Galopp an. Die Wache am Stadttor zögerte
keinen Augenblick, ihn einzulassen. Ein Blick auf den Ankömmling zeigte dem
Wächter, daß dieser einer der wichtigen Gefolgsleute der Lords sein mußte, die
sich heute in der Ratshalle versammelten. Einer der Männer rief dem Ritter zu:
´Ihr seid spät dran, Herr. Die große Versammlung beginnt in einer halben
Stunde. Die Lords warten bereits in der Großen Halle.´
Verwundert zog Ciaran die Zügel an und brachte sein Pferd
zum Stehen. Versammlung? Das traf sich ja ausgezeichnet. Er kam zum rechten
Zeitpunkt, denn das hieß, daß er nicht nur den Stadtrat, sondern auch sämtliche
Lords der Umgebung versammelt finden würde. Was mochte sie bewegt haben, diese
Sitzung einzuberufen? So selten wie das geschah. Aber natürlich! Vielleicht war
mittlerweile ein Bote aus der Hauptstadt eingetroffen mit einer Warnung über
Barraids Umtriebe und der Einberufung zur großen Heerschau.
´Ich komme mit wichtiger Botschaft und bin erstmals in
dieser Stadt´, rief er der Wache zu. ´Es ist erforderlich, daß ich sofort mit
dem Vorsitzenden des Rates oder einem anderen Führer mit entsprechender
Machtbefugnis sprechen kann. Könnt ihr mich zu ihm bringen?´
Zu seinem eigenen Erstaunen zögerte der Mann - es war der
wachhabende Offizier, ein Hauptmann - nur kurz, seiner Bitte nachzukommen und
antwortete: ´Ich werde Euch selbst zum Vorsitzenden des Stadtrates geleiten,
Herr. Dort werdet Ihr auch den Obmann der Lords und den Boten aus Croinathír antreffen.´
Er wandte sich an seine Soldaten: ´Bringt mir ein Pferd! Hier ist keine Zeit zu
verlieren.´
Innerhalb weniger Minuten erreichten sie die
Beratungshalle im ehemaligen Fürstenpalast am östlichen Stadtrand. Der Offizier
führte den fremden Ritter rasch durch einige Gänge, bis sie schließlich vor der
Tür eines Raumes auf einen Wachposten stießen. Dort bedeutete der Hauptmann
Ciaran zu warten und schritt selbst auf die zwei Soldaten zu. Einer der beiden trat
einen Schritt vor und sagte: ´Die Herren wollen jetzt nicht gestört werden.”
´Es handelt sich um eine äußerst wichtige Botschaft´,
entgegnete Ciarans Begleiter in dringlichem Ton. Ciaran wunderte sich, aus
welchem Grund dieser Mann so für ihn eintrat. Dieser Offizier wußte doch gar
nicht, um was es ging. Machte das der Ring? Die Wächter zögerten. Einerseits
mochten sie als einfache Soldaten dem höheren Offizier nicht widersprechen,
andererseits hatten sie ihre Befehle.
Ciaran trat vor. Er war entschlossen die Gunst der Stunde
zu nutzen, bevor sich Hindernisse aufbauen konnten. ´Ich bin sicher, die Herren
werden bereit sein, die Beratung zu unterbrechen und mich zu ihnen vorzulassen,
wenn ihnen dieser Ring gezeigt wird.´ Er zog den Siegelring vom Finger und
reichte ihn dem Hauptmann der Wache. ´Laßt den Offizier passieren!´ befahl er
mit einer Selbstverständlichkeit, als sei dies die Burg in Croinathír, in der
er oft das Kommando geführt hatte. ´Und Ihr, Herr Hauptmann, behütet diesen
Ring wohl; das Schicksal dieses Landes mag daran hängen.“
Der Hauptmann starrte mit geweiteten Augen auf den Ring,
den er plötzlich in Händen hielt. Ob er erkannte, um was es sichdabei handelte,
war zweifelhaft. Doch das dies ein besonderes Siegel war, konnte er nicht
verkennen. Er verbeugte sich respektvoll
vor Ciaran. ´Seid meiner treuen Pflichterfüllung versichert, mein Herr´, sagte
er. Die Wache ließ ihn verständnis- und anstandslos passieren. Ciaran sah ihn
an die Tür klopfen und eintreten. Kurz darauf erklang aus dem dahinterliegenden
Raum aufgeregtes Stimmengewirr. Der Offizier kam bald danach wieder heraus,
reichte Ciaran den Ring zurück und bat ihn einzutreten. Ciaran richtete sich
gerade auf und schritt in das Zimmer. Jetzt galt es, einen guten Eindruck zu
machen und keine Unsicherheit zu zeigen.
Die drei Männer, die ihn in dem kleinen Saal erwarteten,
hatten vorher wohl in lockerer Runde beisammen gesessen. Um einen Tisch, auf
dem Becher und eine Karaffe mit Wein standen, waren drei bequeme Stühle
gestellt. Doch jetzt hatten sich alle drei von ihren Sitzen erhoben und ihre
Augen fixierten mit Spannung die Tür. Der Anblick des Ringes hatte bei ihnen
Verwirrung, sogar Bestürzung ausgelöst. Der Hauptmann hatte ihn nicht aus der
Hand gegeben. So hatten sie nur einen flüchtigen Blick darauf erhaschen können.
Doch das hatte genügt, um das Siegel von Abhaileon zu erkennen. Alle drei waren
sich darüber im klaren, daß die politischen Konsequenzen unausdenkbar waren,
wenn es sich hier wahrhaftig um den Siegelring der früheren Regenten von
Abhaileon handelte.
Da standen sie also: der Vorsitzende des Stadtrates,
Brian, ein kluger, alter Kaufmann von etwa sechzig Jahren, Orla von Fuacht, der
Obmann der Lords von Dalinie, Besitzer der ausgedehntesten Ländereien in dieser
Provinz und Neill der Bote aus der Hauptstadt und jedem von ihnen schlug das
Herz schneller. Wer würde nun vor sie treten?
Hauptmann Neill setzte seine letzten Hoffnungen auf den
unerwartet eingetroffenen Gast. Bei dem vorhergehenden Gespräch hatte es sich
als vollkommen unmöglich erwiesen, den beiden Dalinianern Estohars Begegnung
mit den Rittern des Königs glaubhaft zu machen. Zudem hatte er zu seiner
Bestürzung nun als sicher erfahren müssen, was er nach Gerüchten, die ihn auf
der Reise erreichten, hatte befürchten müssen: Dorban von Tairg war seit
Monaten spurlos verschwunden. Orla hatte ernste Bedenken angemeldet, sich Fürst
Barraid zum Feind zu machen. Auch Brian
schien nicht willens, Männer zum Kampf zur Verfügung zu stellen. Doch beide
hatten die Entscheidung vom Beschluß der Versammlung abhängig gemacht, auf der
alles Für und Wider ausgiebig diskutiert werden sollte.
Ehrlich gesagt, machte sich Neill keine großen
Hoffnungen, was den Ausgang betraf. In den letzten Tagen hatte er Gelegenheit
genug gehabt, die Lage in Daliní zu erkunden. Niemand schien bereit, Befehle
aus der fernen Hauptstadt entgegenzunehmen und zu akzeptieren, besonders da
niemand an eine Bedrohung durch Barraid glaubte. Die Beratung mit Orla, der
erst am Vortag eingetroffen war, hatte ihn in dieser Einsicht bestärkt. Der
Lord hatte sich ihm gegenüber sehr zugeknöpft gezeigt, was Neill auf die
allgemeine Abneigung gegen Anordnungen aus Croinathír zurückführte. Dennnoch,
Neill wurde den Eindruck nicht los, daß der alte Fuchs Orla mit irgend etwas
hinter dem Berg hielt, das er erst in der Versammlung preisgeben wollte. Der
Himmel mochte wissen, was es war. Als dann der Offizier der Wache
hereingekommen war und den Ring vorzeigte, den lange verschollenen Siegelring
von Abhaileon - Neill zweifelte keinen Augenblick daran, daß es der echte Ring
war - , hatte es in ihm jubiliert: ´Das ist bestimmt einer der beiden Ritter
des Königs. Estohar sagte doch, daß sie im Geheimen weiterarbeiten würden.
Dieser Ritter kommt gerade zur rechten Zeit.´
Orlas Hand fuhr in einer unwillkürlichen Bewegung zu
seinem Schwertheft, während er auf den Fremden wartete. Neills aufmerksamem
Blick entging es nicht, obwohl der Lord versuchte die Bewegung abzufangen und
zu kaschieren. ´Irgendetwas hat ihn sehr nervös gemacht´, dachte der Bote aus
der Hauptstadt. ´Was befürchtet er?´
Brian hatte die Arme über der Brust verschränkt, sein
Blick drückte Abwehr aus. Er war wahrscheinlich entschlossen, die Echtheit des
Ringes auf jeden Fall anzuzweifeln.
Die Tür öffnete sich erneut. Herein trat ein mittelgroßer
Mann in unauffälliger, etwas abgenutzter, aber gut gearbeiteter Reitkleidung.
An seiner Seite trug er in Kontrast zu der restlichen einfachen Ausrüstung ein
prachtvolles Schwert mit einem
gold-silbernen, ornamentverzierten Heft, auf dem ein Smaragd prangte. Neill
erkannte erstaunt das Gesicht wieder: die blauen Augen, die schwarzen Haare,
diese eine Locke, die immer etwas rebellisch in die Stirn hing - das war sein
Kamerad Ciaran! Doch nein, das konnte
nicht Ciaran sein. So ruhig und selbstbewußt, wie der Fremde seinen Blick
erwiderte. Die Autorität, die von ihm ausstrahlte. Außerdem war Ciaran doch bei
den Banditen. Es mußte sich um jemanden handeln, der ihm einfach frappierend
ähnlich sah. Schließlich war er Dalinianer und hatte vielleicht entfernte
Verwandte in der Provinz.
Der fremde Ritter legte die Hand auf sein Herz verbeugte
sich knapp. Dann sagte er: ´Ich grüße Euch im Namen unseres Königs, meine
Herren, als dessen Bote und Ritter ich komme.´ Dann schwieg er kurz, um seinen
Gegenübern die Gelegenheit zu geben, den Gruß zu erwidern.
In Neills Kopf rangen zwei Gedanken um die Vorherrschaft.
Der erste war: ´Das ist Ciarans Stimme. Ich täusche mich doch nicht
darin. Jahrelang haben wir zusammengearbeitet.´ Der zweite war: ´Es ist ein
Ritter des Königs. Ein Wunder geschieht. Das muß selbst diese Zweifler hier
überzeugen.´ Gedanke Nummer zwei gewann die Oberhand.
Brian und Orla schwiegen immer noch. Neill aber rief
freudig: ´Ehre dem König! Seid gegrüßt, Ritter´, und verbeugte sich. Dann fügte
er hinzu: ´Es steht mir nicht zu, Euch in dieser Stadt willkommen zu heißen,
denn ich selbst bin hier nur zu Gast. Doch im Namen des Obersten Rates von
Abhaileon, in dessen Auftrag ich unterwegs bin, spreche ich Euch das Willkommen
aus.´ Der fremde Ritter schenkte ihm ein kurzes Lächeln.
Brian entschloß sich nun, den Gruß ebenfalls zu erwidern.
Diese ganze Angelegenheit erschien ihm sehr dubios. Es gab keinen König, außer
in den Märchen. Folglich konnte es auch keine Ritter dieses Königs geben. Auf
den Boten aus der Hauptstadt konnte man nicht gehen. Es war kein Geheimnis, daß
dieser zu Estohars engerem Kreis gehörte, innerhalb dessen man an diesen Mythen
festhielt. Aber dieser Fremde war zweifellos ein großer Herr. Selbst Brian
kostete es ein wenig Mühe, nicht von dessen Persönlichkeit in Bann geschlagen
zu werden. Er beschloß also, zunächst vorsichtig und höflich zu sein und sagte:
´Willkommen in Daliní, Herr Ritter. Ich bin Brian, der Vorsitzende des Rates
dieser Stadt, der Ritter hier zu meiner Rechten ist Orla von Fuacht, Obmann der
dalinianischen Lords und Ritter, und Hauptmann Neill ist hier als Bote des
Obersten Rates in Croinathír.´ Orla verneigte sich kurz, als er vorgestellt
wurde. Brian fuhr fort: ´Was verschafft uns die Ehre Eures Besuches?´
Der Ritter antwortete: ´Ich vermute, der Anlaß meines
Besuches ist für Euch bereits keine Neuigkeit mehr, Herr Brian und Herr Orla,
denn aus keinem anderen Grund kam aus Croinathír Botschaft zu Euch. Der Fürst
von Alandas selbst schickt mich aus, Euch diese Worte zu sagen, dass Eure
Truppen zu Mittsommer auf Corimac sein sollen für den bevorstehenden Kampf. Seid
Ihr bereit, diesem Aufruf Folge zu leisten?´
Brian breitete in einer Geste, die Machtlosigkeit signalisieren
sollte, die Arme aus. ´Darüber kann allein die Versammlung befinden.´
´Ich fordere mit allem Nachdruck und mit der Autorität,
die mir dieser Siegelring, den ich trage, verleiht, daß dem Befehl des Rates
von Croinathír und des Fürsten von Alandas Folge geleistet wird´, erklärte der
fremde Ritter mit Bestimmtheit.
´Ihr werdet Gelegenheit haben, diese Forderung der
Versammlung vorzutragen´, erwiderte Brian ausweichend. Ihn ärgerte dieser
selbstsichere Befehlston. ´Mehr kann ich für mein Teil nicht sagen. Laßt uns
gehen! Es ist hohe Zeit. Die Herren und Damen warten.´
´Einen Moment!´ unterbrach Orla und meldete sich damit
zum erstenmal zu Wort. ´Vorhin hatte ich kaum Gelegenheit, mir diesen Ring
anzusehen. Dieser Hauptmann wedelte uns damit vor der Nase herum, wollte ihn
aber nicht aus der Hand geben. Bevor ich zulasse, daß Ihr in der Versammlung
einen Aufruhr auslöst, Herr Ritter, möchte ich mich von der Echtheit dieses
legendären Stückes überzeugen. Ihr gestattet?´
´Selbstverständlich, Herr Orla´, antwortete Ciaran
freundlich. ´Es ist weise von Euch, dies zu verlangen. Hier habt Ihr den Ring.
Seht ihn Euch gründlich an!´
Orla griff nach dem Ring, den ihm der Ritter auf der
flachen Hand entgegenhielt. Bevor er jedoch das Siegel an sich nahm, zögerte er
etwas. Er blickte dem Fremden in die Augen und sah ruhige Überlegenheit und
etwas Ehrfurchtgebietendes. Fast ängstlich griff er schließlich zu. Er wandte
allen Anwesenden den Rücken zu und trat ans Fenster. Keiner sah, was er dort
tat . Doch Ciaran erinnerte sich, daß Ríochan gesagt hatte, jeder Lord und
jeder Fürst werde die Echtheit dieses Ringes erkennen können.
Als Orla sich wieder umdrehte, war sein Gesicht bleicher
geworden. Schweigend reichte er Ciaran den Ring zurück, verbeugte sich tief vor
ihm und sagte mühsam beherrscht: ´Befehlt Ihr, daß ich Euch sogleich den
Treueid schwöre, Regent von Abhaileon?´
Brian starrte den Lord von Fuacht ungläubig an; diese
Reaktion verschlug selbst ihm für kurze Zeit die Sprache. Hieß es nicht, der
stolze Lord von Fuacht habe noch vor keinem Fürsten den Rücken gebeugt?
Ciaran antwortete lächelnd: ´Ich befehle Euch nichts
dergleichen, Herr Orla. Denn ich beabsichtige nicht, diesen Titel für mich in
absehbarer Zeit in Anspruch zu nehmen.´
Orla schwieg eine Weile und dachte nach. Dann sagte er:
´Wie Ihr befehlt. Ich erkenne Eure Vollmacht über mich an. Darf ich Euch
bitten, uns Euren Namen zu sagen?´
´Mein Name ist nicht wichtig´, sagte Ciaran. ´Doch da Ihr
ihn wissen wollt, ich heiße Ciaran. Ciaran von Fírin.´ Ihm entging nicht, wie
Neill nach Luft schnappte. ´Doch nun sollten wir wirklich die Herren und Damen
in der Versammlung nicht mehr länger warten lassen. Würdet Ihr so freundlich
sein, mir den Weg dorthin zu weisen, Hauptmann Neill?´
´Tut das, Hauptmann Neill´, stimmte Brian zu. In seiner
Stimme schwang Unmut. ´Herr Orla und ich haben noch etwas miteinander zu
klären, werden aber gleich folgen.´ Ciaran und Neill verließen das Zimmer.
´Nun, was ist noch?´ fragte Orla von Fuacht kurz
angebunden, sobald sie allein waren.
´Das fragst du!´ rief Brian zornig. ´Bist du dir klar,
was für Konsequenzen das haben kann? Was in aller Welt hat dich geritten,
diesen hergelaufenen Fremden als Regenten von Abhaileon anzureden?´
´Die Tatsache, daß der Ring echt ist. Damit ist dieser
fremde Ritter mit Fug und Recht der Herrscher über Abhaileon. Ob er dieses
Recht in Anspruch nimmt oder nicht, ich betrachte ihn als meinen obersten
Lehnsherrn. Ich erwarte auch von dir
Respekt ihm gegenüber´, entgegnete der Lord. Seine Miene unterstrich, wie ernst
ihm war, was er sagte.
´Wie kannst du dir nur so sicher sein, daß dieser Ring
keine Fälschung ist?´, beharrte der Ratsvorsitzende. ´Jedes Schmuckstück kann
nachgemacht und gefälscht werden.´
´Jedes Schmuckstück vielleicht. Aber nicht der Siegelring
von Abhaileon´, erklärte Orla. „Du bist kein Lord oder Fürst, daher weisst du
es nicht. Dieser Ring besitzt Eigenschaften, die nicht kopiert werden können.
Er stammt aus Alandas.´
´Seit wann glaubst du denn an die Existenz von Alandas?´
spottete Brian. Doch der Spott ging ins Leere, traf nicht.
´Seit ich den Ring sah und der Regent davon sprach´,
sagte der Lord. „Es ist mehr an diesen Dingen, als wir lange dachten. Sogar
Dorban erzählte davon, als ich zum letztenmal von ihm hörte.´
´Dorban?´ wiederholte Brian zweifelnd. ´Du mußt
zwingenden Grund haben, so etwas zu behaupten. Ich weiß gut, wie er zu diesen
Dingen steht. Hattest du Nachricht von ihm? Warum hast du bisher nichts davon
gesagt?´
´Es ist eine Sache für den Rat´, erklärte Orla. ´Laß uns
gehen!´
´Eine Frage noch´, hielt ihn Brian auf. ´Wenn dieser Ring
so hervorragende Eigenschaften besitzt, warum hast du ihn dann nicht behalten,
da dieser Ritter so leichtsinnig war, ihn aus der Hand zu geben?´
Orlas Blick wurde dunkel. „Es gibt Dinge, die heilig
sind“, sagte er flach. „Wer sie antastet, zerstört die Grundlage nicht nur des
Staates sondern auch der Existenz aller. Ein Lord von Dalinie weiß das.“
„Dalinie ist stets seinen eigenen Weg gegangen“, auch
Brian war zornig.
„Es war mein Vorfahre, Etlan von Fuacht, der mit Elianna
von Saldyr Dalinie in den Kampf führte“, sagte Orla hart. „Vergiß es nicht!
Dalinie hat die Großen Kriege eröffnet. Aber Dalinie hat sich auch auf die
Seite des Bundes gestellt und den rechtmäßigen Regenten anerkannt. Ein Lord von
Fuacht fordert sein Recht ein. Er hat es nicht nötig zum Dieb zu werden.“ Er
drehte sich um und ging zur Tür hinaus. Brian kniff die Lippen zusammen. Diese
Lords würden nie begreifen, dass neue Zeiten neue Regeln erforderten.
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