Sobald Ciaran mit Neill außer Hörweite der Wachtposten
vor dem Zimmer gekommen war, sagte er mit einem Lächeln zu ihm: ´Nun sag schon,
was du sagen willst, alter Kamerad, bevor du daran erstickst.´
´Also doch!´ rief Neill. Er war kein Diplomat. Man hatte
ihn hierher geschickt, weil der Weg der gefährlichste und längste war, und
weil, wie Estohar gesagt hatte, es besser war, die Kaufleute Dalinís zu
verlieren als sich den Respekt der dalinianischen Lords zu verscherzen, die
gute Kämpfer schätzten. Mit der jetztigen Situation war er vollkommen
überfordert. Mühsam versuchte er seine Stimme möglichst leise zu halten. ´Ich
glaubte die ganze Zeit, ich höre und sehe nicht recht, aber es scheint zu
stimmen.´ Zornig blickte er auf Ciaran, der immer noch lächelte. ´Wie kannst du
es nur wagen, hier so etwas aufzuführen! "Ritter und Bote des
Königs"! "von Fírin"! Ein fahnenflüchtiger Offizier der
Palastgarde von Croinathír! Das ist mehr als Hochstapelei, das ist eine
Lästerung! Wie bist du an diesen Ring gekommen? Ist das eine Scharade dieser
Banditen?“
Ciaran schüttelte den Kopf. Er machte keinen Versuch,
sich zu verteidigen, stellte nur einfache Tatsachen fest. „Die Banditen kommen nicht östlicher als
Roscrea. Dorban von Tairg hat ihnen in den letzten Jahren zu sehr zugesetzt, als dass sie versuchten,
nach Dalinie vorzudringen. - Ich komme aus Alandas. Der Fürst von Alandas
selbst hat mir den Siegelring von Abhaileon anvertraut. Und er hat mir auch
diesen Ritternamen gegeben.´ Seine linke Hand streichelte den smaragdverzierten
Schwertknauf, und ein Licht ging über sein Gesicht wie der Widerschein einer
fernen Sonne.
Neill fühlte, wie es sein eigenes Herz berührte. Trotz
seines Zornes und seiner Verwirrung. „Alandas. Ist es wirklich immer Sommer
dort?“ Er hatte das nicht fragen wollen, aber die Worte drängten sich von
selbst heraus.
„Ich weiß nicht“, sagte Ciaran ernst. „Ich war dort nur
sehr kurz. Es schien wie Frühsommer in dieser Zeit. Klarer, heller und wärmer
als hier.“
Neill warf wieder einen Seitenblick auf ihn. Genau so
etwas lag auf dem Gesicht des Ritters neben ihm. „Und du sagst, du trafst den
Fürst von Alandas?“ Seine Stimme war sehr zweifelnd.
Ciaran blieb stehen und sah ihn an. Oder vielmehr sah er
durch ihn hindurch. „Ríochan“, sagte er leise. „Das ist sein Name.
Wahrscheinlich ist es immer Sommer dort, denn er ist wie das Herz des Sommers
selbst. Aber diese Worte treffen es nicht wirklich. Du müsstest ihn selbst
sehen, um zu verstehen.“
Neill versuchte zu verstehen, aber es war schwierig. „Ist
er mächtig?“ Das war die wichtigste Frage, die ihm einfallen wollte.
Diesmal sah ihn Ciaran wirklich an. „Er ist ungeheuer
mächtig.“ Er hob abwehrend die Hand. „Aber es gibt Komplikationen. Er wird uns
nicht direkt zu Hilfe kommen. Nicht, wie es zur Zeit aussieht. Wir brauchen
mehr Zeit, um das genauer zu besprechen. Vielleicht nach dieser Sitzung. Es
gibt einiges, das Estohar wissen sollte. – Geht es hier weiter?“
Neill nickte. „Estohar ... Sollte nicht eigentlich er
diesen Ring bekommen?“
„Es tut mir leid für ihn“, sagte Ciaran. „Aber das sollte
er nicht.“ Er dachte kurz nach. „Das heißt, auf die Dauer ist es nicht völlig
ausgeschlossen. Jedoch scheint es, dass ihm das Amt des Regenten nicht bestimmt
ist.“
„Aber dir?“ Es lag eine Bitterkeit in der Stimme des
Hauptmanns.
Ciaran warf im Gehen einen kurzen aber schwer zu
deutenden Blick auf ihn. „Ich habe einen Auftrag zu erfüllen, und im Rahmen
dessen mag es nötig werden. Zumindest für eine Weile“, sagte er sehr sanft.
„Aber ich bin ein Ritter des Königs. An anderen Titeln liegt mir nichts.“
Neill betrachtete ihn eine Weile schweigend, während sie
nebeneinander her gingen. Dies war Ciaran, und er war es doch nicht. Das Äußere
war das alte, doch dieser Mensch war ein anderer. Hätte er ihn nicht gekannt ....
„Aber was war das mit den Banditen?“ fragte er schließlich.
Ciaran antwortete ruhig. „Ich traf zufällig auf sie und
wollte die Gelegenheit nutzen, ihr Lager zu finden. Der Ritt war weiter als
gedacht. Am Tag nach meiner Ankunft wurde ich sehr schwer krank. Als ich wieder
aufstehen konnte, waren wir eingeschneit. Ich konnte das Lager auch nicht
einfach ohne guten Vorwand verlassen. Es bestanden bis zum Schluß gewisse
Verdachtsmomente gegen mich. Als dann die Wege frei wurden, folgte ich als
erstes einem Ruf der beiden Ritter des Königs, der mich letztendlich nach
Alandas brachte. Und von dort komme ich jetzt.“
Neill blickte ihn hilflos an. Wie ging man mit einem
Ritter des Königs um, der früher einmal ein jüngerer Kamerad gewesen war? „Nun,
Estohar wird sich freuen, jetzt doch noch die Position von Restacs Hauptlager
zu erfahren. Wo ist es?“
„Das wird warten müssen“, sagte Ciaran gelassen. „Niemand
hat jetzt Zeit für ein paar Banditen zu verschwenden. Alle Truppen müssen nach
Corimac. Und das bis Mittsommer. Die Zeit wird so schon knapp.“
„Dennoch solltest du uns sagen, wo es ist“, insistierte
Neill. „Wir brauchen wirklich einen Ort, um zu reden. Es gibt da ein paar
Dinge, die du wissen solltest.“
Ciaran lächelte müde. „Neill. Ich weiß zu gut, wie das läuft.
Über die Position von Restacs Lager können wir reden, wenn wir uns alle auf
Corimac wieder treffen. – Ist das dort vorne der Saal?“ Aus den offenstehenden
Türen vor ihnen drang lautes Stimmengewirr. Dienstboten eilten heraus und
hinein.
„Ja, da ist er. - Estohar wird nicht erfreut sein, das zu
hören.“
Ciaran nickte. „Das ist mir vollkommen klar. – Nun sag
schnell, wie steht es hier in Daliní?“
„Schlecht“, sagte Neill grimmig. „Dass Brian mauert,
konntest du ja schon selbst sehen. Und dieser Orla. Er hat die Karten nicht auf
den Tisch gelegt, aber sehr kooperativ war er bisher nicht.“ Er seufzte. „Wenn
es dir dank dieses Ringes gelingen sollte, das Steuer hier herumzureissen,
werde ich Estohar eine sehr positive Darstellung deiner Taten geben können.“
Ciaran atmete tief ein und blieb stehen. „Neill, es geht
hier nicht um mich. Auch nicht um Estohar und die Hauptstadt. Abhaileon steht
auf dem Spiel, und ein Befehl des Fürsten von Alandas.“ Er schüttelte leise den
Kopf. „Wie solltest du verstehen. Gleichwohl! Sobald wir hier weitergehen,
haben wir das gleiche Ziel. Und für dieses Ziel ist es besser, dass wir als
Ritter des Königs und als Bote Estohars miteinander sprechen. Ihr versteht,
Hauptmann Neill?“ Ciaran warf einen Blick nach hinten.
„Ich verstehe, Sir!“ sagte Neill mit einer knappen
Verneigung. Auch er sah, dass Orla ihnen mit schnellen Schritten nachkam. Brian
war noch nicht zu sehen.
Orla trat nicht ganz zu ihnen heran. Er blickte auf
Ciaran: „Störe ich Eure Unterredung?“
„Durchaus nicht“, entgegnete Ciaran. „Hier und jetzt ist
nicht die beste Gelegenheit für das, was ich mit der Hauptstadt zu klären habe.
Wäre es möglich, uns nach der Versammlung ein Gesprächszimmer zur Verfügung zu
stellen?“
„Ich werde mich darum kümmern“, sagte Orla. „Wenn Ihr mir
jetzt folgen würdet?“
Er ging ihnen voraus durch die großen Eingangstüren. Die
Wachen salutierten und ließen sie passieren. Der Saal, den sie betraten war
groß und hell. Etwa vierzig Menschen hatten sich innerhalb einer hufeisenförmig
gestellten Tischgruppe versammelt. Sie unterhielten sich in lockeren Gruppen.
An der offenen Seite des Hufeisens standen zwei schwere Sessel mit Armlehnen.
Orla wandte sich sofort an einen Ordner. Er gab einen Auftrag, warf einen Blick
auf Ciaran und Neill,die an der Tür stehen geblieben waren und ergänzte ihn
nochmals. Dann kam er zu ihnen zurück. Vereinzelt folgten ihm neugierige
Blicke. Alle wußten, dass ein Bote aus der Hauptstadt anwesend sein würde und
nahmen an, dass die beiden Fremden zueinander gehörten. Es bestand jedoch
Übereinstimmung, dem Repräsentanten aus Croinathír nicht zuviel Beachtung zu
schenken. Dalinie hatte seinen Status zu wahren.
„Euch stünde der Ehrenplatz zu, Herr Ciaran“, sagte Orla,
„doch fürchte ich, das lässt sich nicht auf der Stelle arrangieren. Würdet Ihr
den Platz zu meiner Rechten akzeptieren können?“
„Selbst ein Bote aus Alandas kann sich mit diesem Platz
angemessen geehrt fühlen“, sagte Ciaran. „Und andere Ehren nehme ich hier nicht
in Anspruch.“
Orla nickte und wandte sich Neill zu. „Ihr werdet zu
Brians linker Hand Platz nehmen, Hauptmann. Das war anders vorgesehen, aber ich
trage den Umständen Rechnung.“
Neill war sehr formell: „Selbstverständlich, Herr Orla.
Die Belange von Alandas haben absoluten Vorrang vor den Anliegen der
Hauptstadt. Auch im Namen des Ratsvorsitzenden kann ich Eure Entscheidung nur
begrüßen.“ Er warf einen flüchtigen Blick auf einen Stuhl, der etwas abseits
der Runde in Wandnähe stand. „Ein weiterer Gast?“
Orla zeigte keine Verlegenheit. „Nun nicht mehr“, sagte
er ruhig.
Brian betrat den Saal, als die beiden neuen kleineren
Sessel zu seiten der großen Sessel mit den Armlehnen aufgestellt wurden. Er
sagte nichts, blickte nur Orla zornig an. Der Lord erwiderte den Blick mit
steinerner Miene. „Es liegt an Euch, die Sitzung zu eröffnen“, sagte er. „Alle
sind versammelt.“ Das stimmte. Bereits nachdem Orla eingetreten war, hatten die
meisten ihre Sitzplätze aufgesucht und sobald Brian hereinkam, waren die
letzten Gespräche verstummt. Einigen war der Blickwechsel zwischen den beiden
Führern nicht entgangen.
Brian wandte sich brüsk von dem Lord ab und ging zu
seinem Platz. Die anderen drei folgten. Brian begrüßte die Anwesenden. „Wir
haben uns hier früher als in anderen Jahren versammelt“, fuhr er dann fort, „da
uns Botschaft aus Croinathír erreichte. Der Abgesandte aus dem abhaileonischen
Westen ist Hauptmann Neill hier zu meiner Linken. Er wird sein Anliegen selbst
vortragen. Man erwartet in der Hauptstadt eine Antwort, und nur der versammelte
Rat kann in dieser Angelegenheit entscheiden. Lord Orla und ich haben
beschlossen, diese Frage möglichst zügig abzuhandeln, bevor wir uns anderen
wichtigen Tagesordnungspunkten zuwenden können.“ Jemand lachte. „Hauptmann
Neill?“forderte Brian den Gast auf.
Neill stand auf. Die Gesichter waren nicht feindselig
aber desinteressiert. „Ich komme im Auftrag Estohar von Tarims, des
Ratsvorsitzenden von Croinathír“, sagte er mit klarer Stimme. „Im Herbst
erhielten wir Nachricht aus Dalinie, dass Carraig neu erbaut ist und jemand,
der sich selbst als Fürst bezeichnet, dort Truppen zusammenzieht. Der Rat
betrachtet diese Neuigkeiten als bedenklich genug, um zu einer allgemeinen
Mobilmachung aufzurufen, um dieser Bedrohung der Ordnung im Norden Dalinies
entgegenzutreten. Dieser Anlass soll auch genutzt werden, um gegen die
räuberischen Banden vorzugehen, die in den letzten Jahren vermehrt die
Handelswege gefährden. Der Rat fordert Dalinie auf, schnellstmöglich aber
spätestens bis Anfang Juni Truppen zur Verfügung zu stellen.“ Er setzte sich.
Ciaran bemerkte, dass die Reaktion auf diese Worte zwei
deutliche Lager erkennen ließ. Die von ihm aus linker Hand sitzenden
Stadtratsmitglieder zeigten keinerlei Überraschung, reagierten aber mit
deutlicher Anspannung, während die Lords – eine Lady war auch dabei – unzweifelhaft
erregt waren. Nach einer ersten betroffenen Stille brach Stimmengewirr los.
„Carraig?“ riefen viele fragend. Jemand rief etwas von „fremden Truppen auf
dalinianischem Boden“. Dorbans Name
klang an verschiedenen Stellen auf.
Orla stand auf und hob die rechte Hand. Ciaran
beobachtete ihn mit Interesse. In der Hauptstadt hatte man gelegentlich von
Orla, dem Fuchs, gesprochen. Den Namen verdankte er nicht nur seinem
diplomatischen Geschick. Früher hatte ein leuchtend roter Haarschopf das eher
schmale, fast spitze Gesicht umrahmt. Jetzt überwogen die grauen Strähnen
darin. Nur der Bart glänzte noch fast rubinfarben. Langsam kamen die Ausrufe
und Gespräche zum Erliegen.
„Hauptmann Neill kam hier schon vor einigen Tagen an“,
begann Orla. „Und sein Kommen wirft einige Fragen auf. Die ersten, die einem
Dalinianer in den Sinn kommen sind solche wie: ‚Ist dies ein Vorwand aus der
Hauptstadt, um in Dalinie einmarschieren zu können?‘ oder ‚Wieso sollten wir
den Westprovinzen für ihre Probleme Truppen zur Verfügung stellen? Wir haben
uns auch selbst um das Banditenproblem gekümmert.‘ Vielleicht auch: ‚Wenn
Carraig wieder stünde, wüssten wir davon.‘“ Viele nickten zustimmend.
„Nun“, fuhr Orla fort, „die Zeit ist gekommen, einige
Dinge zu klären. Carraig ist tatsächlich neu aufgerichtet.“ Er ließ sich nicht
durch ein paar laute Ausrufe unterbrechen. „Dorban von Tairg hat schon seit
mehreren Jahren Kontakt mit dem Herrscher dort. Sowohl ich als auch Brian waren
davon unterrichtet.“
„Das ist nicht alles!“ unterbrach eine scharfe weibliche
Stimme. Die Lady von Cruagh, eine selbstbewußte Dame von etwa sechzig Jahren
hatte sich erhoben. „Ich habe Hinweise, dass Cardolan wieder bewohnt ist.“
Orla nickte. „Bitte setzt Euch wieder, Lady Alice. Ihr
sollt noch Gelegenheit erhalten, uns mehr zu berichten. Doch zuerst möchte ich
noch ein paar Dinge erklären. Ja, auch von Cardolan hatten wir gehört.
Betrachteten es aber noch weniger als Problem als Carraig, da es so abgelegen
ist, dass es niemanden von uns betrifft.“
„Genau davon wollte ich sprechen!“ rief Lady Alice erregt.
„Diese schwarzgekleideten Reiter, die die ganze Ostheide unsicher machen ...“
„Lady, ich bitte Euch dennoch, ein wenig zu warten.“ Es
sprach für Orlas Ansehen, dass sich die Lady wieder setzte. „Vor mehreren Jahren
kam ein Mann namens Barraid zu Dorban von Tairg, der behauptete, er habe
Anspruch auf das Gebiet um Carraig. Er sagte, er komme aus einem Teil
Abhaileons sehr weit im Osten, den er Winian nannte. Er bot sich an, Dorban als
Gegenleistung für das Land um Carraig mit seinen gut ausgebildeten Männern im
Kampf gegen die Banditen zu unterstützen, die damals vermehrt auch in Dalinie
einfielen. Da unter seinen Leuten gute Kämpfer zu sein schienen und das Land um
Carraig keine wirtschaftliche Bedeutung hat, willigte Dorban ein. Zunächst
zögernd, doch es schien sich bald als guter Handel zu erweisen. – Weil Carraig
keinen guten Namen hat, hatte Barraid darauf gedrungen, dass über sein Kommen
möglichst geschwiegen werde. Es stand ja zu befürchten, dass einige argwöhnen
würden, es gäbe einen neuen schwarzen Fürsten, wenn Carraig wieder aufgebaut
war. Brian und ich erteilten Dorban unsere Zustimmung.“
„Es gibt also gar kein Problem?“ erkundigte sich einer
der Lords.
„O doch!“ Lady Alice erhob sich wieder. „Erteilt Ihr mir
das Wort?“ Orla nickte. „Seit diesem Sommer hat Cruagh ein erhebliches
Problem“, begann sie erregt. „Vorher erreichten mich gelegentliche Gerüchte,
dass einzelne schwarzgekleidete Reiter durch die Ostheide zögen, aber in diesem
Spätsommer und Herbst scheint sich ihre Zahl deutlich vergrößert zu haben.
Einige meiner Jäger sind auf rätselhafte Weise verschwunden! Einer jedoch
kehrte schwer verletzt zu mir zurück und berichtete, dass er von einigen dieser
schwarzgekleideten Tunichtgute festgehalten und mißhandelt wurde! Er sagte, sie
suchten jemanden und wollten von ihm Auskünfte, die er nicht geben konnte. Sie
ließen ihn für tot zurück, aber er wurde von Kameraden gefunden. Ich verlange
eine Wiedergutmachung!“
„Was hast du dazu zu sagen, Orla?“ rief einer der anderen
Lords.
„Und was ist eigentlich mit Dorban?“ rief noch ein
anderer. „Warum ist er nicht hier?“
„Nun“, sagte Orla, „bis zu diesem Herbst gab es keine
Probleme. Sicher es gab seltsame Vorkommnisse. So konnte Dorban nie ganz
ergründen, wie jemand Carraig so schnell und in solcher Stärke hatte neu
errichten können. Andererseits mochte es sein, dass man dort im Osten über sehr
geschickte Bauleute verfügte. Dann begann Barraid sich von seinen Leuten als
Fürst titulieren zu lassen. Sie behaupteten, er sei Fürst jenes Winian. Und er
schien eine gewisse Vorliebe für die Farbe Schwarz zu haben. Andererseits
machte er sich immer lustig über den Aberglauben der Hinterwäldler, die an
schwarze Fürsten und ähnliche Märchen glaubten. Es gab für alles ganz vernünftige
Erklärungen. Aber im vergangenen November erhielt ich plötzlich Botschaft von
Dorban. Er schrieb, er sei beunruhigt über einige Umtriebe auf Carraig. Er habe
Hinweise, dass man dort hinter seinem Rücken mit den Räuberbanden
zusammenarbeite. Auch er erwähnte, dass sich die Zahl der schwarzgekleideten
Reiter stark vermehrt habe. Er wollte, wie er schrieb, noch Nachforschungen
anstellen und dann vor Wintereinbruch nach Fuacht kommen. Er bat mich dringend,
auf jeden Fall vor dem Frühjahr nichts zu unternehmen, da ihn dies eventuell
gefährden könne. So hielt ich mich an diese Aufforderung, als mein Bote an ihn
keine Spur mehr von ihm entdecken konnte. Auch in Tairg wusste niemand, wo er
geblieben war. Ich reimte mir also zusammen, dass er vielleicht in die Ostheide
gegangen war, um mehr über Cardolan herauszufinden, ob sich dort vielleicht
noch mehr Männer dieses Barraids aufhielten. Erst als er dann auch im Frühjahr
nicht wiederkam, machte ich mir ernsthafte Sorgen. Ich schickte Kundschafter
aus, aber sie fanden keine hilfreiche Spur. Auch von den Horden von schwarzen
Reitern schien nichts mehr zu sehen zu sein.“
Neill stand auf. „Es war Dorban von Tairg, der uns die
Warnung nach Croinathír schickte. Ich denke, es besteht kein Grund mehr, das,
nach dem, was wir hier bereits gehört haben, noch zu verheimlichen. Bereits vor
Eintreffen seiner Botschaft war erwogen worden, Dorban zu einem der Leiter der
Expedition gegen die Banditen zu machen. Der Ruf seiner Erfolge war bereits
nach Croinathír gedrungen. Seine Warnung war eine weitere Empfehlung für ihn.
Auf die Nachricht, die ihm zurückgeschickt wurde, traf allerdings keine Antwort
mehr ein. Was Lord Orla berichtet, wird auch in Croinathír Anlass zu Sorge
sein.“
Einer der Lords stand auf. „Ich beantrage eine Pause zur
Beratung“, sagte er. Zustimmende Rufe wurden laut. „Das sind zu bedeutende
Neuigkeiten, als dass wir sofort zu einer Entscheidung gelangen könnten.“
Orla erhob sich. „Ich gebe dem Antrag statt. Die
Versammlung wird für eine Stunde unterbrochen. Jedoch erst, nachdem noch eine
Mitteilung gemacht wurde. Heute morgen traf ein weiterer Ritter in Daliní ein.
Wir sollten zuerst hören, was er zu sagen hat.“ Er setzte sich.
Es wurde sehr still, als sich alle Blicke auf Ciaran
richteten. Sein Kopf war vollkommen
leer, als er jetzt aufstand. Jede Formulierung, die er sich in den letzten
Stunden zurechtgelegt hatte, war daraus verschwunden. Er zwang sich, ruhig zu
atmen und die Muskeln zu entspannen. Seine flache linke Hand suchte kurz den
Knauf seines Schwertes. Es half, daran zu rühren. Es erinnerte ihn, wer er war.
„Mein Name ist Ciaran von Fírin“, stellte er sich vor. Er bemühte sich,
möglichst alle mit dem Blick zu erfassen, während er sprach. „Ich bin
Dalinianer, doch kein Ritter Dalinies.“ Wieder berührte er mit der Linken den
Knauf seines Schwertes. Keiner saß so weit entfernt, dass er nicht gesehen
hätte, welch prächtige Waffe es war. „Das Schwert, das ich trage, ist nicht aus
Abhaileon. Ich bin gesandt von Ríochan, Fürst von Alandas, um Dalinie zum Kampf
gegen den Schwarzen Fürsten auf Carraig aufzurufen.“ Seine klare Stimme hallte
durch den Saal, über den eine ungläubige Stille gefallen war.
Dann fand der erste wieder zur Sprache zurück. „Wer Ihr
auch seid“, begann er, nur um von Orla abgeschnitten zu werden. „Dieser Ritter
trägt den Siegelring der Regenten von Abhaileon“, erklärte der Lord von Fuacht.
„Hiermit können wir die Pause eröffnen. Wenn Ihr mir folgen wollt, Herr
Ciaran?“ Er verbeugte sich knapp vor dem Ritter. Als er sah, dass dieser ihm
folgen würde, verließ er mit schnellen Schritten den Saal. Rufe erhoben sich.
Ohne sich umzudrehen, ging Orla durch ein paar Korridore voran, um den Ritter
schließlich in ein Zimmer zu bitten. „Mein Arbeitszimmer hier in Daliní“, sagte
er. Einen anwesenden Diener beauftragte er, einen Imbiss zu holen.
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