XIX Steppenfeuer
Es
wurde spät an jenem Abend. Im Grunde genommen war es Unding, in so wenigen
Stunden alles über den Truppeneinsatz Dalinies ordnen zu wollen und
gleichzeitig die Verhandlungen zur Verhinderung einer Art von Bürgerkrieg zu
führen. Doch irgendwie gelang es. Niemand im Stadtrat wollte Brian offen
widersprechen, aber zwei der Mitglieder führten inoffizielle Verhandlungen. Sie
versprachen ein stillschweigendes Arrangement, dass niemand aus der Stadt
gehindert werden würde, sich den Männern der Lords anzuschließen, während Orla
zusicherte, dass die Stadt in keiner Weise angetastet oder bedrängt werden
würde. Die Stadtwache sagte weitgehende Neutralität zu.
Eine
Vielzahl von Leuten, Lords und wichtigen Bürgern suchten nach Vorwänden,
zumindest ein paar Worte mit dem Regenten zu wechseln. Orla versuchte
einzuschreiten, aber Ciaran gab den meisten Gesuchen bis spät in den Abend
hinein statt. „Das Eisen muß geschmiedet werden, solange es heiß ist“, sagte er
Orla mit einem Lächeln. „Eine der ersten Lebensweisheiten, die ich hörte.“
Gegen
zehn Uhr abends sprach der Lord von Fuacht ein Machtwort. Er hatte den Regenten
schon seit einer Stunde scharf im Blick gehalten, und ihm war keine Bewegung
entgangen, die verriet, dass dessen Wunden mit voranschreitender Zeit ständig
mehr zu schmerzen begannen. „Das reicht“, erklärte er. „Rafe, keiner wird mehr
vorgelassen!“ Bevor Ciaran auch nur den Mund öffnen konnte, fügte er hinzu:
„Befehl des Regenten!“
Es
stellte sich heraus, dass Orla sogar einen Arzt herbeibeordert hatte. Ciaran
war zu vernünftig, um mehr als pro forma dagegen zu protestieren. Es ging ihm
wirklich noch nicht wieder richtig gut. Orla wich nicht aus seiner Nähe, bis
alles geklärt war. „Das muß einmal übel ausgesehen haben“, bemerkte er, nachdem
der Arzt gegangen war.
„Ich bin davongekommen“, entgegnete Ciaran
abwehrend. „Kann ich dieser Arznei trauen?“
„Dafür habe ich gesorgt“, meinte der Lord nur. „Wann
wollt Ihr aufbrechen?“
„Um
sechs“, sagte Ciaran. Orla stand mit verschränkten Armen in der Tür und schüttelte
nur einfach den Kopf. „In Ordnung. Ich brauche mehr Ruhe“, gab Ciaran nach.
„Acht.“
„Frühstück um sieben“, stimmte Orla zu. „Ich werde
nach Euch schicken lassen.“
Neill
sollte zusammen mit Ciaran aufbrechen. Der Lord hatte ihn ebenfalls zu dem Frühstück
geladen. „Ich konnte Rafe nur mit Mühe davon abhalten, auch mit Euch zu
reiten“, bemerkte Orla. „Dennoch, auch ich hielte eine Eskorte für besser.“
„Ich
reite allein“, erklärte Ciaran kategorisch. „Das geht am schnellsten. Wenn Ihr
mir noch einen besonderen Gefallen tun wollt, dann gebt mir ein zweites Pferd
mit. Ihr könnt es dann in Sailean abholen lassen.“
„Keine
schlechte Idee“, meinte Orla. „Ich hätte selbst darauf kommen sollen.“ Er ging
kurz hinaus, um die entsprechenden Anordnungen zu treffen.
„Da
ist noch etwas“, meinte Ciaran, als er wieder Platz nahm. „Ich wollte keine
falschen Hoffnungen wecken, darum sprach ich noch nicht davon. Aber der Fürst
von Alandas erwähnte, ich werde Dorban wahrscheinlich auf Corimac sehen. Wo
auch immer er sich zur Zeit aufhalten mag.“
„Ich danke für die Mitteilung“, sagte Orla. „Es ist
immerhin eine Hoffnung.“
Kurz
vor der festgelegten Abreisezeit gingen sie zu den Ställen. „Ich habe bei den
Pferden etwas umdisponiert“, bemerkte der Lord dort. „Ich hoffe, Ihr seid
dennoch zufrieden. Ich habe noch ein wichtiges Treffen jetzt. Gestattet, dass
ich mich schon hier verabschiede.“
„Ich
bin Euch für jedes Pferd und für alles andere, was Ihr in den vergangenen
Stunden getan habt, sehr zu Dank verpflichtet“, sagte Ciaran. „Um meinetwillen,
aber mehr noch für Abhaileon und im Namen des Fürsten von Alandas. Möget Ihr
unter seinem Segen stehen.“
Orla
verbeugte sich und ging. Neills Pferd wurde herausgebracht. Er befestigte seine
Satteltaschen, als er Ciaran sagen hörte: „Seid Ihr sicher, dass es sich hier
um keinen Irrtum handelt?“
„Nein,
Regent“, versicherte der Mann aus Fuacht, zu dem er sprach. „Die Anweisungen
des Lords von Fuacht waren unmißverständlich.“
„Sagt
Herrn Orla, ich stehe in seiner Schuld.“
Neill
hatte den letzten Riemen befestigt und drehte sich um. Es war der Fuchshengst.
Sie
durchquerten die Straßen Dalinís schweigend. Neill hatte zunächst die Zügel des
Ersatzpferdes aus Fuacht übernommen, eines dunkelgrauen gut gebauten Wallachs.
Ciaran war beschäftigt genug, den temperamentvollen und aufgeregten Fuchs zu
einem leichten Trab zu mäßigen. Sie verließen die Stadt durch das Westtor.
Ciaran wechselte ein paar Worte mit dem Hauptmann, der ihm am Vortag so
behilflich gewesen war. Er hatte auch jetzt seine Männer ordentlich antreten
lassen und salutierte.
„Noch einer, der wohl kommen wird“, meinte Neill,
als sie durch die Grasebenen am Ufer der Uibhne ritten.
„Nein“,
entgegnete Ciaran. „Ich bat ihn, hier zu bleiben und nach dem rechten zu sehen.
Es wäre besser, Daliní nicht zu verlieren.“ Der Hengst hatte sich jetzt etwas
beruhigt, zog aber immer noch an den Zügeln.
Neill nickte. „Du hast schon immer solche Dinge
bedacht. Selbst wenn du es gar nicht solltest.“
„Weißt
du“, sagte Ciaran, „ich glaube, du solltest Estohar wirklich nur das Nötigste
erzählen. Er wird es nicht glauben, wenn du mich zu sehr lobst. Ich möchte
nicht, dass du meinetwegen Ärger hast.“
„Es wird schwierig“, meinte Neill. „Ich habe ihm da
schließlich einiges zu berichten.“
„Überlass
alles nicht ganz so Wesentliche den Dalinianern“, schlug Ciaran vor. „Neill,
wir haben ein Stück gemeinsamen Weg vor uns, aber es drängt mich zur Eile und
allein werde ich schneller sein.“
„Reite
Orlas Fuchs nicht zuschanden“, versuchte Neill zu scherzen. „Das würde er
wahrscheinlich nie verzeihen.“ Sie hielten an. Er reichte Ciaran die Zügel
seines zweiten Pferdes. „Vielleicht solltest du einfach vor die Tore Carraigs
reiten. Möglicherweise übergibt Barraid dir die Burg.“
„Ich
begegnete einem seiner Lords“, Ciarans Ton war so ernst, dass Neill den Scherz
bereute. „Die Folgen haben mich fast das Leben gekostet. Ich weiß nicht,
welcher Preis für mein Entkommen gezahlt wurde, aber er war sicherlich hoch.“
„Orla sagte, du seist übel verwundet worden vor
einiger Zeit.“ Es war nicht ganz als Frage formuliert.
„Es
ist nur wenige Tage her“, sagte Ciaran. „In Alandas können sie grausame Wunden schnell
heilen. – Es war nicht einmal einer von Barraids Lords. Neill, lass dich auf
keinen Kampf ein. Meide alle schwarzen Reiter und großen dunkelgrauen Wölfe, so
gut es dir möglich ist und warne Estohar, dass der Feind über furchtbare
Möglichkeiten verfügt.“
„Der südliche Weg sollte sicher genug sein“,
murmelte Neill. Wölfe?
„Kein
Weg ist sicher. Außer Imreach, nach dem, was ich hörte. Aber wer weiß, ob
selbst das wahr ist. Geh im Licht des Königs!“
Neill
verbeugte sich. Er wusste nicht, was er einem Ritter des Königs antworten
sollte. Erst als Ciaran die Zügel aufnahm, kam ihm eine Idee: „Sein Licht sei
stets mit dir.“ Ciaran lächelte ihm zu und ließ seinem Hengst die Zügel. Der
wieherte freudig und sprang los. Schon bald waren sie Neills Blick
entschwunden.
Ciaran
ließ den Hengst nur kurz galoppieren, bevor er ihn im scharfen Trab gehen ließ.
Die Ausdauer des Tieres war unglaublich, selbst das reiterlose Handpferd begann
schneller zu ermüden. Keines der beiden Pferde trug viel Gepäck, doch waren die
Satteltaschen von beiden gut gefüllt worden. Der Graue trug zusätzlich nur noch
einen kleinen Packen. Ciaran untersuchte den Inhalt des Gepäcks erst, als er
gegen Mittag kurz Rast machte. Mit Nahrung war er reichlich versorgt. Auch
Hafer für die Pferde war vorhanden. Seine sonstige knappe Ausrüstung war etwas
aufgestockt worden. Das war gut. Er durfte sich den Fürsten nicht zu ärmlich
präsentieren. Das prächtigste war ein schwerer Mantel im Dunkelgrün Abhaileons
mit Silberfuchsbesatz. Die Spange mit Kette, die ihn vorne zusammenhielt war
aus Gold. Wertvoller war jedoch der Pelz; diese Füchse gab es nur im Gebiet der
Ostheide, und ihr Fell war heiß begehrt. Auch ein gut gefüllter Geldbeutel war
vorhanden.
Orla
hatte dem Fuchs Ciarans Sattel auflegen lassen. Ein unmißverständliches
Zeichen, dass er nicht dieses Pferd in Sailean zurücklassen solle.
********
Nach vier
Tagen gingen die sanft gewellten Hügel Dalinies über in steile Bastionen aus
rotem Sandstein, zwischen denen sich der Weg durch dichte Wälder wand. Dann
nach weiteren zwei Tagen lichteten sich die Bäume. Der Boden wurde härter und
noch karger und gegen Abend erreichte der einsame Reiter die Küste des langen
und breiten Fjordes, an dessen innerstem Ende Burg Sailean lag. Bewundernd betrachtete
er die kahle Landschaft, die er noch nie zuvor gesehen hatte.
Die
Einfachheit der Formen war verblüffend, ebenso die der Farbtöne. Da war der
Horizont. Ein Himmel von leichtem Blaugrau, der fast unmerklich in das etwas
dunklere Grau der ruhigen See überging. Kein Wind jagte Wogen, nur winzig
kleine Rippel, eine Andeutung von Wellen, schaukelten sanft hin und her,
vergleichbar mit dem unbestimmbaren Flimmern der Luft an heißen Sommertagen.
Zwischen dem Meer und dem Himmel standen die Inseln. Wie Schattenrisse von
Bergen sahen sie aus, blaugrau, fast schwarz, wie schwebend zwischen Himmel und
Erde. Kein Baum unterbrach die scharfen, geraden Linien der Felsabstürze, kein
Haus unterbrach die sanfte Rundung der tieferliegenden, gletschergeformten Felsrücken.
Die Dimensionen gingen fast verloren. Gerade noch erahnen ließ sich, daß jene
kleine Insel näher, jene langgestreckte Kette ferner lag, nur noch die leichten
Farbnuancen im tiefen Blau wurden zum Verräter, denn die Schatten der bizarr
geformten Zinnen und Klippen, die ins Meer geworfen wurden wie Zauberbilder,
verschwammen hintereinander, so daß kein Fern und kein Nah mehr zu erkennen
war.
Über diese
Landschaft voller Blautöne warf die versinkende Sonne einen Hauch von purpurnem
Rot, der wie eine Aurora die Felskanten umgab, der das freie Meer und die
weißen Schaumränder vor den Küsten der Inseln wie Blut färbte und die
Spiegelbilder in ein dunkles Blauviolett verwandelte.
Etwas
widerstrebend riß Ciaran sich von dem Anblick, der vor ihm lag, los. In einiger
Entfernung leuchteten jetzt die ersten Lichter der Burg Sailean und des
darunterliegenden Dorfes auf. Noch war es zu hell, als daß sie deutlich zu
erkennen waren. In einer knappen Stunde würde er die Ansiedlung erreicht haben.
Er wollte die Burg direkt aufsuchen. Mit einigem Glück würde er noch an diesem
Abend mit dem Fürsten sprechen können. Die Festung saß auf dem Kopf einer
Klippe und die Straße, die dem oberen Rand des Küstensteilabfalles folgte,
führte knapp unterhalb vorbei und schlängelte sich dann in engen Kurven zum
Dorf hinunter, das auf dem Boden des Fjordes entstanden war. Die Dunkelheit
brach an, lange bevor er die Wegkreuzung erreichte, an der von der Straße zum
Dorf der Weg zur Burg abzweigte, doch der Weg war hier gut ausgebaut und er
konnte ihm auch im Dunkeln mühelos folgen. Ciaran rollte seinen neuen
prächtigeren Mantel auf und warf ihn über.
Die Sterne
leuchteten am Himmel, als er die Burg erreichte. Die Tritt derPferdehufe hallte
auf der Zugbrücke, aber kein Wächter rief ihn an. Also betätigte er den
schweren Klopfring, der an der Seite des Tores angebracht war. Auch das ließ
baldigen Erfolg vermissen. Als er jedoch den Klopfer heftiger betätigte, ließ
sich schließlich eine mürrische Stimme vernehmen: ´Scher dich wieder fort. Wir
erwarten so spät keine Gäste mehr.´
Ciaran schüttelte
verwundert den Kopf. Das waren seltsame Zustände, die hier herrschten: ´Öffnet!“
befahl er. „Ich komme mit wichtiger Botschaft zu Fürst Culath.“
Kurzes Schweigen auf der anderen Seite. „Wer seid Ihr?“ Darin schwang
Vorsicht.
„Ritter Ciaran von Fírin.“
´Noch ein Bote
des Rates in Croinathír?“ Der Frager wurde wieder unfreundlicher.
„Selbst wenn
dem so wäre, wüßte ich nicht, wer Euch ermächtigt hat, mich zu befragen“, sagte
Ciaran scharf. „Öffnet, oder Ihr werdet es bereuen. Der Herrscher, in dessen
Auftrag ich komme ist weitaus mächtiger als der Rat in Croinathír.“
War es seine
befehlsgewohnte Stimme? Auf einmal war das Tor sehr schnell offen und der vor
kurzem noch so mürrische Wächter gab sich sehr dienstbeflissen und höflich. Ein
Stallbursche wollte die beiden Pferde übernehmen, aber der Fuchs fing sofort an
zu scheuen. Daher brachte Ciaran ihn selbst in seine Box und ging sicher, dass
er gut versorgt wurde. Er hatte freie Wahl, was einen Platz anging. Nur eine
Handvoll Pferde waren hier eingestellt. Inzwischen hatte der Wächter die Zeit gefunden, den Burgverwalter
zu alarmieren. Der kam Ciaran noch in
den Stall entgegen, erfasste mit einem Blick Pferd, Mantel und Schwert und
verbeugte sich höflich. „Mein Name ist Terald“, stellte er sich vor. „In
Abwesenheit des Fürsten trage ich hier die Verantwortung. Ich hoffe, Ihr
vergebt diesem Tölpel von Torwächter, Herr Ciaran.“ Mit einem Wink befahl er
einem Mann, der ihm folgte, Ciarans Satteltaschen zu schultern.
„Das ist Lord
Culaths Angelegenheit – oder die Eure“, antwortete Ciaran unverbindlich. „Unter
meinem Kommando würde derartiges jedoch nicht geduldet.“
Terald warf
ihm einen vorsichtig abschätzenden Blick zu, verbeugte sich dann nochmals und bat
ihn, ihm zu folgen. „Ihr kommt aus dem Norden?“ fragte er im Gehen. Das Wort
Norden betonte er sehr ungewöhnlich.
„In der Tat“, bestätigte Ciaran. „Wann kann ich den Fürsten sprechen?
Ich bin in Eile.“
„Leider ist
der Fürst nicht anwesend“, Terald wirkte besorgt. „Wir erwarten ihn erst morgen
gegen Mittag zurück. Aber ich kann noch heute nacht einen Boten zu ihm
schicken.“
Ciaran
zögerte, aber das würde die Dinge nicht wesentlich beschleunigen. „Das wird
nicht nötig sein“, sagte er. „So lange werde ich warten können. Schickt ihm nur
gleich morgen früh die Nachricht entgegen.“
„Noch heute
nacht“, versicherte Terald.
„Wann war der Bote aus der Hauptstadt hier?“
erkundigte Ciaran sich.
„Es ist zehn
Tage her. Natürlich konnte ihm die Gastfreundschaft nicht verweigert werden.
Aber er blieb nur kurz.“
„Ich
verstehe“, sagte Ciaran kühl.
Sein Tonfall
schien den Verwalter zu beunruhigen. Geradezu erleichtert öffnete dieser eine
Tür, die sie erreicht hatten: „Eure Gemächer, Herr Ciaran.“ Schon ein kurzer
Blick zeigte, dass es wohl um die besten Gastzimmer der Burg handeln musste.
„Die Fürstin erwartet Euch in einer halben Stunde zu einem Imbiss. Sie wird
nach Euch schicken“, Terald zögerte wieder. „Oder würdet Ihr es vorziehen, Euch
zurückzuziehen?“
„Ich werde
kommen“, sagte Ciaran. „Ihr könnt jetzt gehen.“ Er warf einen Blick auf den
Diener, der sein Gepäck abgestellt hatte. „Beide.“
Terald
verbeugte sich tief. „Wie Ihr befehlt.“
Als sie
gegangen waren, trat Ciaran an das Waschbecken. Er war müde. Die verheilten
Wunden schmerzten kaum noch, dennoch schienen sie an seiner Kraft zu zehren.
Aber das war nicht der Grund, dass er die Anstrengung jetzt stärker fühlte.
Nein, es war der Schatten der über Sailean lag. Er war fast wie etwas
Greifbares. Ein unbekannter Bote aus dem Norden, der die bestem Zimmer bekam
und direkt von der Fürstin empfangen wurde, obwohl die Nacht schon
hereingebrochen war. Und trotz aller besorgten Höflichkeit kein Wort über den
König. Es ließ nur einen Schluss zu.
Er wusch sich
schnell den Reisestaub ab und trat dann auf den Gang. „Bring mich zur Fürstin“,
befahl er dem ersten Diener der ihm begegnete. Der Mann schien protestieren zu
wollen, aber dann trat Angst auf sein Gesicht und er eilte ihm nach einer
tiefen Verbeugung voran. Ciarans Gesicht verdüsterte sich noch mehr, als das geschah.
Sie durchquerten ein paar Gänge, bis sie eine Tür erreichten, hinter der ärgerliche
Stimmen erklangen. Der Mann wollte vorangehen, aber Ciaran hielt ihn mit einer
Handbewegung auf. Unangemeldet trat er ein. Es war ein privates Empfangszimmer.
Offensichtlich sollte hier auch das Essen stattfinden, denn auf einem Tisch
stand unbenutztes Geschirr bereit.
„... will
damit nichts zu tun haben. Ein für allemal!“ erklärte ein junger braunhaariger
Mann in guter Kleidung. Er war so zornig, dass er weder die Tür hörte noch den
Gesichtsausdruck der Frau in mittleren Jahren registrierte, die Ciaran
eintreten sah.
„Fürstin
Aisa?“ sagte Ciaran mit einer knappen Verbeugung, und der junge Mann fuhr zu
ihm herum. Sein Blick verriet Abneigung, vielleicht sogar Hass. Er wollte etwas
sagen, aber die Fürstin kam ihm zuvor.
„Ihr seid
früh, Herr Ciaran“, sagte sie ruhig. „Das Essen ist noch nicht gerichtet.“ Sie
machte eine Handbewegung auf den jungen Mann hin. „Mein Sohn Finn, Erbe von
Sailean.“
„Angenehm“,
Ciaran verbeugte sich wieder knapp.
Finn stand
einen Augenblick starr, wie es schien mit seinen Gefühlen ringend. Die
Erziehung gewann wohl knapp die Oberhand, er verbeugte sich ebenso kurz, sagte
aber kein Wort.
Der Blick, den
die Fürstin ihrem Sohn zuwarf, war tadelnd. Doch als sie sich dem Gast
zuwandte, verschwand jede Regung daraus und wurde durch ein nichtssagendes aber
höfliches Lächeln ersetzt. „Der Fürst ist leider nicht auf der Burg“, sagte
sie.
Ciaran nickte.
„Es ist spät“, sagte er, „und mein Weg war weit. Es mag wohl sein, dass ich bereits
morgen wieder aufbreche. Meine Ankunft scheint nicht ganz unerwartet.“
„Ihr seid
nicht der erste Gast dieser Art“, antwortete Frau Aisa vorsichtig. „Was die
Details angeht, bin ich damit nicht vertraut. Doch Saile wird sich bemühen,
Euren Wünschen entgegenzukommen. – Der Sprache nach seid Ihr aus Dalinie?“
Ciaran nickte.
„Es gibt dort
keine Lordschaft Firin“, bemerkte Finn scharf und feindselig.
„Ich trage
diesen Titel noch nicht lange“, gab Ciaran bereitwillig zu. „Der Fürst, dem ich
diene, gab ihn mir.“
„Ihr scheint
hoch in seiner Gunst zu stehen“, bemerkte die Fürstin. Der Blick, den sie ihrem
Sohn zuwarf, sagte sehr deutlich: „Mache hier keinen Fehler.“ Zu dem Gast
gewandt fuhr sie fort: „Unsere bisherigen Gäste aus dem Norden waren etwas
beunruhigender als Ihr es seid und aus dem Haushalt des Fürsten selbst. Bitte
nehmt Platz.“ Diener kamen nun mit der vorbereiteten Mahlzeit und deckten auf.
„Ich bitte,
mich zu entschuldigen“, sagte Finn schon nach kurzer Zeit brüsk und stand auf,
ohne einen Bissen angerührt zu haben. „Ich habe noch ein paar Dinge zu
erledigen.“ Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten und ohne Ciaran anzusehen.“
Fürstin Aisa
seufzte entschuldigend, als er gegangen war. „Er ist in einem schwierigen
Alter“, sagte sie. „Natürlich steht auch er zu den Vereinbarungen. Aber er
braucht Zeit, um zu akzeptieren, dass Sailean nicht mehr ganz selbständig sein
soll.“
Ciaran hätte
gerne nachgefragt, was hier eigentlich geschehen war. Aber er durfte nicht
verraten, was er alles nicht wusste. Es war besser, Fürst Culath morgen
überraschend mit der Wahrheit zu konfrontieren. „Es scheint, nicht nur Finn ist
nicht ganz glücklich mit dem Gang der Dinge“, bemerkte er.
Der Tonfall
der Fürstin wurde besorgter. „Es hat wohl den Anschein, aber mein Gemahl ist schon
dabei, für Ordnung zu sorgen. Darum ist er ja unterwegs. Illaloe sperrt sich
noch, aber er wird sicherlich zur Einsicht kommen.“
Ciaran
runzelte die Stirn. „Befindet sich der Fürst auf einer Art Kriegszug gegen den
Lord dort?“
Aus der
Besorgnis in Aisas Augen wurde fast Angst. „Nein“, sagte sie. „Ich weiß, Lord
Fíanael drängte dazu. Aber Ingal ist nicht nur mächtig sondern auch ein guter
Freund. Er wird es akzeptieren, wenn er sieht, dass alle anderen sich so
entschieden haben. Ihr werdet ihn morgen selbst sehen und Euch ein Urteil
bilden können.“
„Ich wollte
euch nicht beunruhigen“, sagte Ciaran sanft. „Ich selbst würde eine solche
Lösung nicht befürworten. Lord Fíanael“, er schauderte unwillkürlich bei der
Nennung dieses Namens, „ist stets unnötig blutdürstig, wie mir scheint.“
Die Fürstin
studierte ihn unsicher. „Seltsam“, sagte sie schließlich. „Es scheint, Ihr
kommt hierher mit großer Machtbefugnis und ich sollte die Konsequenzen
fürchten, statt dessen fühle ich Hoffnung und Zuversicht. Ihr solltet selbst
mit Lord Ingal sprechen, wenn er morgen kommt.“
Danach
sprachen sie nicht mehr viel. Ciaran ging bald auf seine Zimmer, aber fand
lange keine Ruhe zu schlafen. Das Schwert hatte er abgeschnallt und auf einen
Tisch gelegt. Eine Zeitlang wanderte er im Dunkeln auf und ab. Das würde
schwierig werden am nächsten Tag. Fürst Culath hatte einen Vertrag mit Carraig,
das war gleichbedeutend mit Hochverrat. Dieses Dunkel hier! Es fiel auch auf
seine Gedanken.
Schließlich
blieb er vor dem Tisch stehen, auf dem die Waffe lag. Nur schemenhaft waren die
Umrisse erkennbar. Aber allein die Hand auf ihren Knauf zu legen, erfüllte ihn
mit Frieden. Langsam ließ er die Klinge herausgleiten. Kein Flammen jetzt, kein
Schimmern. Behutsam ertastete er die Schärfe der Klinge mit den Fingern der
linken Hand. Ohne sich bewusst dazu zu entscheiden, glitt er mit dem Schwert in
der Hand auf ein Knie nieder. „Großer König“, flüsterte er, „wie soll ich
dieses Schwert hier nur führen?“
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