Samstag, 3. September 2011

Kapitel 19.1


XIX Steppenfeuer

Es wurde spät an jenem Abend. Im Grunde genommen war es Unding, in so wenigen Stunden alles über den Truppeneinsatz Dalinies ordnen zu wollen und gleichzeitig die Verhandlungen zur Verhinderung einer Art von Bürgerkrieg zu führen. Doch irgendwie gelang es. Niemand im Stadtrat wollte Brian offen widersprechen, aber zwei der Mitglieder führten inoffizielle Verhandlungen. Sie versprachen ein stillschweigendes Arrangement, dass niemand aus der Stadt gehindert werden würde, sich den Männern der Lords anzuschließen, während Orla zusicherte, dass die Stadt in keiner Weise angetastet oder bedrängt werden würde. Die Stadtwache sagte weitgehende Neutralität zu.
Eine Vielzahl von Leuten, Lords und wichtigen Bürgern suchten nach Vorwänden, zumindest ein paar Worte mit dem Regenten zu wechseln. Orla versuchte einzuschreiten, aber Ciaran gab den meisten Gesuchen bis spät in den Abend hinein statt. „Das Eisen muß geschmiedet werden, solange es heiß ist“, sagte er Orla mit einem Lächeln. „Eine der ersten Lebensweisheiten, die ich hörte.“

Gegen zehn Uhr abends sprach der Lord von Fuacht ein Machtwort. Er hatte den Regenten schon seit einer Stunde scharf im Blick gehalten, und ihm war keine Bewegung entgangen, die verriet, dass dessen Wunden mit voranschreitender Zeit ständig mehr zu schmerzen begannen. „Das reicht“, erklärte er. „Rafe, keiner wird mehr vorgelassen!“ Bevor Ciaran auch nur den Mund öffnen konnte, fügte er hinzu: „Befehl des Regenten!“
Es stellte sich heraus, dass Orla sogar einen Arzt herbeibeordert hatte. Ciaran war zu vernünftig, um mehr als pro forma dagegen zu protestieren. Es ging ihm wirklich noch nicht wieder richtig gut. Orla wich nicht aus seiner Nähe, bis alles geklärt war. „Das muß einmal übel ausgesehen haben“, bemerkte er, nachdem der Arzt gegangen war.
„Ich bin davongekommen“, entgegnete Ciaran abwehrend. „Kann ich dieser Arznei trauen?“
„Dafür habe ich gesorgt“, meinte der Lord nur. „Wann wollt Ihr aufbrechen?“
„Um sechs“, sagte Ciaran. Orla stand mit verschränkten Armen in der Tür und schüttelte nur einfach den Kopf. „In Ordnung. Ich brauche mehr Ruhe“, gab Ciaran nach. „Acht.“
„Frühstück um sieben“, stimmte Orla zu. „Ich werde nach Euch schicken lassen.“

Neill sollte zusammen mit Ciaran aufbrechen. Der Lord hatte ihn ebenfalls zu dem Frühstück geladen. „Ich konnte Rafe nur mit Mühe davon abhalten, auch mit Euch zu reiten“, bemerkte Orla. „Dennoch, auch ich hielte eine Eskorte für besser.“
„Ich reite allein“, erklärte Ciaran kategorisch. „Das geht am schnellsten. Wenn Ihr mir noch einen besonderen Gefallen tun wollt, dann gebt mir ein zweites Pferd mit. Ihr könnt es dann in Sailean abholen lassen.“
„Keine schlechte Idee“, meinte Orla. „Ich hätte selbst darauf kommen sollen.“ Er ging kurz hinaus, um die entsprechenden Anordnungen zu treffen.
„Da ist noch etwas“, meinte Ciaran, als er wieder Platz nahm. „Ich wollte keine falschen Hoffnungen wecken, darum sprach ich noch nicht davon. Aber der Fürst von Alandas erwähnte, ich werde Dorban wahrscheinlich auf Corimac sehen. Wo auch immer er sich zur Zeit aufhalten mag.“
„Ich danke für die Mitteilung“, sagte Orla. „Es ist immerhin eine Hoffnung.“

Kurz vor der festgelegten Abreisezeit gingen sie zu den Ställen. „Ich habe bei den Pferden etwas umdisponiert“, bemerkte der Lord dort. „Ich hoffe, Ihr seid dennoch zufrieden. Ich habe noch ein wichtiges Treffen jetzt. Gestattet, dass ich mich schon hier verabschiede.“
„Ich bin Euch für jedes Pferd und für alles andere, was Ihr in den vergangenen Stunden getan habt, sehr zu Dank verpflichtet“, sagte Ciaran. „Um meinetwillen, aber mehr noch für Abhaileon und im Namen des Fürsten von Alandas. Möget Ihr unter seinem Segen stehen.“
Orla verbeugte sich und ging. Neills Pferd wurde herausgebracht. Er befestigte seine Satteltaschen, als er Ciaran sagen hörte: „Seid Ihr sicher, dass es sich hier um keinen Irrtum handelt?“
„Nein, Regent“, versicherte der Mann aus Fuacht, zu dem er sprach. „Die Anweisungen des Lords von Fuacht waren unmißverständlich.“
„Sagt Herrn Orla, ich stehe in seiner Schuld.“
Neill hatte den letzten Riemen befestigt und drehte sich um. Es war der Fuchshengst.

Sie durchquerten die Straßen Dalinís schweigend. Neill hatte zunächst die Zügel des Ersatzpferdes aus Fuacht übernommen, eines dunkelgrauen gut gebauten Wallachs. Ciaran war beschäftigt genug, den temperamentvollen und aufgeregten Fuchs zu einem leichten Trab zu mäßigen. Sie verließen die Stadt durch das Westtor. Ciaran wechselte ein paar Worte mit dem Hauptmann, der ihm am Vortag so behilflich gewesen war. Er hatte auch jetzt seine Männer ordentlich antreten lassen und salutierte.
„Noch einer, der wohl kommen wird“, meinte Neill, als sie durch die Grasebenen am Ufer der Uibhne ritten.
„Nein“, entgegnete Ciaran. „Ich bat ihn, hier zu bleiben und nach dem rechten zu sehen. Es wäre besser, Daliní nicht zu verlieren.“ Der Hengst hatte sich jetzt etwas beruhigt, zog aber immer noch an den Zügeln.
Neill nickte. „Du hast schon immer solche Dinge bedacht. Selbst wenn du es gar nicht solltest.“
„Weißt du“, sagte Ciaran, „ich glaube, du solltest Estohar wirklich nur das Nötigste erzählen. Er wird es nicht glauben, wenn du mich zu sehr lobst. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen Ärger hast.“
„Es wird schwierig“, meinte Neill. „Ich habe ihm da schließlich einiges zu berichten.“
„Überlass alles nicht ganz so Wesentliche den Dalinianern“, schlug Ciaran vor. „Neill, wir haben ein Stück gemeinsamen Weg vor uns, aber es drängt mich zur Eile und allein werde ich schneller sein.“

„Reite Orlas Fuchs nicht zuschanden“, versuchte Neill zu scherzen. „Das würde er wahrscheinlich nie verzeihen.“ Sie hielten an. Er reichte Ciaran die Zügel seines zweiten Pferdes. „Vielleicht solltest du einfach vor die Tore Carraigs reiten. Möglicherweise übergibt Barraid dir die Burg.“
„Ich begegnete einem seiner Lords“, Ciarans Ton war so ernst, dass Neill den Scherz bereute. „Die Folgen haben mich fast das Leben gekostet. Ich weiß nicht, welcher Preis für mein Entkommen gezahlt wurde, aber er war sicherlich hoch.“
„Orla sagte, du seist übel verwundet worden vor einiger Zeit.“ Es war nicht ganz als Frage formuliert.
„Es ist nur wenige Tage her“, sagte Ciaran. „In Alandas können sie grausame Wunden schnell heilen. – Es war nicht einmal einer von Barraids Lords. Neill, lass dich auf keinen Kampf ein. Meide alle schwarzen Reiter und großen dunkelgrauen Wölfe, so gut es dir möglich ist und warne Estohar, dass der Feind über furchtbare Möglichkeiten verfügt.“
„Der südliche Weg sollte sicher genug sein“, murmelte Neill. Wölfe?
„Kein Weg ist sicher. Außer Imreach, nach dem, was ich hörte. Aber wer weiß, ob selbst das wahr ist. Geh im Licht des Königs!“
Neill verbeugte sich. Er wusste nicht, was er einem Ritter des Königs antworten sollte. Erst als Ciaran die Zügel aufnahm, kam ihm eine Idee: „Sein Licht sei stets mit dir.“ Ciaran lächelte ihm zu und ließ seinem Hengst die Zügel. Der wieherte freudig und sprang los. Schon bald waren sie Neills Blick entschwunden.

Ciaran ließ den Hengst nur kurz galoppieren, bevor er ihn im scharfen Trab gehen ließ. Die Ausdauer des Tieres war unglaublich, selbst das reiterlose Handpferd begann schneller zu ermüden. Keines der beiden Pferde trug viel Gepäck, doch waren die Satteltaschen von beiden gut gefüllt worden. Der Graue trug zusätzlich nur noch einen kleinen Packen. Ciaran untersuchte den Inhalt des Gepäcks erst, als er gegen Mittag kurz Rast machte. Mit Nahrung war er reichlich versorgt. Auch Hafer für die Pferde war vorhanden. Seine sonstige knappe Ausrüstung war etwas aufgestockt worden. Das war gut. Er durfte sich den Fürsten nicht zu ärmlich präsentieren. Das prächtigste war ein schwerer Mantel im Dunkelgrün Abhaileons mit Silberfuchsbesatz. Die Spange mit Kette, die ihn vorne zusammenhielt war aus Gold. Wertvoller war jedoch der Pelz; diese Füchse gab es nur im Gebiet der Ostheide, und ihr Fell war heiß begehrt. Auch ein gut gefüllter Geldbeutel war vorhanden.
Orla hatte dem Fuchs Ciarans Sattel auflegen lassen. Ein unmißverständliches Zeichen, dass er nicht dieses Pferd in Sailean zurücklassen solle.

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Nach vier Tagen gingen die sanft gewellten Hügel Dalinies über in steile Bastionen aus rotem Sandstein, zwischen denen sich der Weg durch dichte Wälder wand. Dann nach weiteren zwei Tagen lichteten sich die Bäume. Der Boden wurde härter und noch karger und gegen Abend erreichte der einsame Reiter die Küste des langen und breiten Fjordes, an dessen innerstem Ende Burg Sailean lag. Bewundernd betrachtete er die kahle Landschaft, die er noch nie zuvor gesehen hatte.
Die Einfachheit der Formen war verblüffend, ebenso die der Farbtöne. Da war der Horizont. Ein Himmel von leichtem Blaugrau, der fast unmerklich in das etwas dunklere Grau der ruhigen See überging. Kein Wind jagte Wogen, nur winzig kleine Rippel, eine Andeutung von Wellen, schaukelten sanft hin und her, vergleichbar mit dem unbestimmbaren Flimmern der Luft an heißen Sommertagen. Zwischen dem Meer und dem Himmel standen die Inseln. Wie Schattenrisse von Bergen sahen sie aus, blaugrau, fast schwarz, wie schwebend zwischen Himmel und Erde. Kein Baum unterbrach die scharfen, geraden Linien der Felsabstürze, kein Haus unterbrach die sanfte Rundung der tieferliegenden, gletschergeformten Felsrücken. Die Dimensionen gingen fast verloren. Gerade noch erahnen ließ sich, daß jene kleine Insel näher, jene langgestreckte Kette ferner lag, nur noch die leichten Farbnuancen im tiefen Blau wurden zum Verräter, denn die Schatten der bizarr geformten Zinnen und Klippen, die ins Meer geworfen wurden wie Zauberbilder, verschwammen hintereinander, so daß kein Fern und kein Nah mehr zu erkennen war.
Über diese Landschaft voller Blautöne warf die versinkende Sonne einen Hauch von purpurnem Rot, der wie eine Aurora die Felskanten umgab, der das freie Meer und die weißen Schaumränder vor den Küsten der Inseln wie Blut färbte und die Spiegelbilder in ein dunkles Blauviolett verwandelte.

Etwas widerstrebend riß Ciaran sich von dem Anblick, der vor ihm lag, los. In einiger Entfernung leuchteten jetzt die ersten Lichter der Burg Sailean und des darunterliegenden Dorfes auf. Noch war es zu hell, als daß sie deutlich zu erkennen waren. In einer knappen Stunde würde er die Ansiedlung erreicht haben. Er wollte die Burg direkt aufsuchen. Mit einigem Glück würde er noch an diesem Abend mit dem Fürsten sprechen können. Die Festung saß auf dem Kopf einer Klippe und die Straße, die dem oberen Rand des Küstensteilabfalles folgte, führte knapp unterhalb vorbei und schlängelte sich dann in engen Kurven zum Dorf hinunter, das auf dem Boden des Fjordes entstanden war. Die Dunkelheit brach an, lange bevor er die Wegkreuzung erreichte, an der von der Straße zum Dorf der Weg zur Burg abzweigte, doch der Weg war hier gut ausgebaut und er konnte ihm auch im Dunkeln mühelos folgen. Ciaran rollte seinen neuen prächtigeren Mantel auf und warf ihn über.
Die Sterne leuchteten am Himmel, als er die Burg erreichte. Die Tritt derPferdehufe hallte auf der Zugbrücke, aber kein Wächter rief ihn an. Also betätigte er den schweren Klopfring, der an der Seite des Tores angebracht war. Auch das ließ baldigen Erfolg vermissen. Als er jedoch den Klopfer heftiger betätigte, ließ sich schließlich eine mürrische Stimme vernehmen: ´Scher dich wieder fort. Wir erwarten so spät keine Gäste mehr.´

Ciaran schüttelte verwundert den Kopf. Das waren seltsame Zustände, die hier herrschten: ´Öffnet!“ befahl er. „Ich komme mit wichtiger Botschaft zu Fürst Culath.“
Kurzes Schweigen auf der anderen Seite. „Wer seid Ihr?“ Darin schwang Vorsicht.
„Ritter Ciaran von Fírin.“
´Noch ein Bote des Rates in Croinathír?“ Der Frager wurde wieder unfreundlicher.
„Selbst wenn dem so wäre, wüßte ich nicht, wer Euch ermächtigt hat, mich zu befragen“, sagte Ciaran scharf. „Öffnet, oder Ihr werdet es bereuen. Der Herrscher, in dessen Auftrag ich komme ist weitaus mächtiger als der Rat in Croinathír.“
War es seine befehlsgewohnte Stimme? Auf einmal war das Tor sehr schnell offen und der vor kurzem noch so mürrische Wächter gab sich sehr dienstbeflissen und höflich. Ein Stallbursche wollte die beiden Pferde übernehmen, aber der Fuchs fing sofort an zu scheuen. Daher brachte Ciaran ihn selbst in seine Box und ging sicher, dass er gut versorgt wurde. Er hatte freie Wahl, was einen Platz anging. Nur eine Handvoll Pferde waren hier eingestellt. Inzwischen hatte der  Wächter die Zeit gefunden, den Burgverwalter zu alarmieren. Der kam Ciaran noch  in den Stall entgegen, erfasste mit einem Blick Pferd, Mantel und Schwert und verbeugte sich höflich. „Mein Name ist Terald“, stellte er sich vor. „In Abwesenheit des Fürsten trage ich hier die Verantwortung. Ich hoffe, Ihr vergebt diesem Tölpel von Torwächter, Herr Ciaran.“ Mit einem Wink befahl er einem Mann, der ihm folgte, Ciarans Satteltaschen zu schultern.
„Das ist Lord Culaths Angelegenheit – oder die Eure“, antwortete Ciaran unverbindlich. „Unter meinem Kommando würde derartiges jedoch nicht geduldet.“

Terald warf ihm einen vorsichtig abschätzenden Blick zu, verbeugte sich dann nochmals und bat ihn, ihm zu folgen. „Ihr kommt aus dem Norden?“ fragte er im Gehen. Das Wort Norden betonte er sehr ungewöhnlich.
„In der Tat“, bestätigte Ciaran. „Wann kann ich den Fürsten sprechen? Ich bin in Eile.“
„Leider ist der Fürst nicht anwesend“, Terald wirkte besorgt. „Wir erwarten ihn erst morgen gegen Mittag zurück. Aber ich kann noch heute nacht einen Boten zu ihm schicken.“
Ciaran zögerte, aber das würde die Dinge nicht wesentlich beschleunigen. „Das wird nicht nötig sein“, sagte er. „So lange werde ich warten können. Schickt ihm nur gleich morgen früh die Nachricht entgegen.“
„Noch heute nacht“, versicherte Terald.
 „Wann war der Bote aus der Hauptstadt hier?“ erkundigte Ciaran sich.
„Es ist zehn Tage her. Natürlich konnte ihm die Gastfreundschaft nicht verweigert werden. Aber er blieb nur kurz.“
„Ich verstehe“, sagte Ciaran kühl.

Sein Tonfall schien den Verwalter zu beunruhigen. Geradezu erleichtert öffnete dieser eine Tür, die sie erreicht hatten: „Eure Gemächer, Herr Ciaran.“ Schon ein kurzer Blick zeigte, dass es wohl um die besten Gastzimmer der Burg handeln musste. „Die Fürstin erwartet Euch in einer halben Stunde zu einem Imbiss. Sie wird nach Euch schicken“, Terald zögerte wieder. „Oder würdet Ihr es vorziehen, Euch zurückzuziehen?“
„Ich werde kommen“, sagte Ciaran. „Ihr könnt jetzt gehen.“ Er warf einen Blick auf den Diener, der sein Gepäck abgestellt hatte. „Beide.“
Terald verbeugte sich tief. „Wie Ihr befehlt.“
Als sie gegangen waren, trat Ciaran an das Waschbecken. Er war müde. Die verheilten Wunden schmerzten kaum noch, dennoch schienen sie an seiner Kraft zu zehren. Aber das war nicht der Grund, dass er die Anstrengung jetzt stärker fühlte. Nein, es war der Schatten der über Sailean lag. Er war fast wie etwas Greifbares. Ein unbekannter Bote aus dem Norden, der die bestem Zimmer bekam und direkt von der Fürstin empfangen wurde, obwohl die Nacht schon hereingebrochen war. Und trotz aller besorgten Höflichkeit kein Wort über den König. Es ließ nur einen Schluss zu.
Er wusch sich schnell den Reisestaub ab und trat dann auf den Gang. „Bring mich zur Fürstin“, befahl er dem ersten Diener der ihm begegnete. Der Mann schien protestieren zu wollen, aber dann trat Angst auf sein Gesicht und er eilte ihm nach einer tiefen Verbeugung voran. Ciarans Gesicht verdüsterte sich noch mehr, als das geschah. Sie durchquerten ein paar Gänge, bis sie eine Tür erreichten, hinter der ärgerliche Stimmen erklangen. Der Mann wollte vorangehen, aber Ciaran hielt ihn mit einer Handbewegung auf. Unangemeldet trat er ein. Es war ein privates Empfangszimmer. Offensichtlich sollte hier auch das Essen stattfinden, denn auf einem Tisch stand unbenutztes Geschirr bereit.

„... will damit nichts zu tun haben. Ein für allemal!“ erklärte ein junger braunhaariger Mann in guter Kleidung. Er war so zornig, dass er weder die Tür hörte noch den Gesichtsausdruck der Frau in mittleren Jahren registrierte, die Ciaran eintreten sah.
„Fürstin Aisa?“ sagte Ciaran mit einer knappen Verbeugung, und der junge Mann fuhr zu ihm herum. Sein Blick verriet Abneigung, vielleicht sogar Hass. Er wollte etwas sagen, aber die Fürstin kam ihm zuvor.
„Ihr seid früh, Herr Ciaran“, sagte sie ruhig. „Das Essen ist noch nicht gerichtet.“ Sie machte eine Handbewegung auf den jungen Mann hin. „Mein Sohn Finn, Erbe von Sailean.“
„Angenehm“, Ciaran verbeugte sich wieder knapp.
Finn stand einen Augenblick starr, wie es schien mit seinen Gefühlen ringend. Die Erziehung gewann wohl knapp die Oberhand, er verbeugte sich ebenso kurz, sagte aber kein Wort.
Der Blick, den die Fürstin ihrem Sohn zuwarf, war tadelnd. Doch als sie sich dem Gast zuwandte, verschwand jede Regung daraus und wurde durch ein nichtssagendes aber höfliches Lächeln ersetzt. „Der Fürst ist leider nicht auf der Burg“, sagte sie.
Ciaran nickte. „Es ist spät“, sagte er, „und mein Weg war weit. Es mag wohl sein, dass ich bereits morgen wieder aufbreche. Meine Ankunft scheint nicht ganz unerwartet.“
„Ihr seid nicht der erste Gast dieser Art“, antwortete Frau Aisa vorsichtig. „Was die Details angeht, bin ich damit nicht vertraut. Doch Saile wird sich bemühen, Euren Wünschen entgegenzukommen. – Der Sprache nach seid Ihr aus Dalinie?“ Ciaran nickte.

„Es gibt dort keine Lordschaft Firin“, bemerkte Finn scharf und feindselig.
„Ich trage diesen Titel noch nicht lange“, gab Ciaran bereitwillig zu. „Der Fürst, dem ich diene, gab ihn mir.“
„Ihr scheint hoch in seiner Gunst zu stehen“, bemerkte die Fürstin. Der Blick, den sie ihrem Sohn zuwarf, sagte sehr deutlich: „Mache hier keinen Fehler.“ Zu dem Gast gewandt fuhr sie fort: „Unsere bisherigen Gäste aus dem Norden waren etwas beunruhigender als Ihr es seid und aus dem Haushalt des Fürsten selbst. Bitte nehmt Platz.“ Diener kamen nun mit der vorbereiteten Mahlzeit und deckten auf.
„Ich bitte, mich zu entschuldigen“, sagte Finn schon nach kurzer Zeit brüsk und stand auf, ohne einen Bissen angerührt zu haben. „Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen.“ Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten und ohne Ciaran anzusehen.“
Fürstin Aisa seufzte entschuldigend, als er gegangen war. „Er ist in einem schwierigen Alter“, sagte sie. „Natürlich steht auch er zu den Vereinbarungen. Aber er braucht Zeit, um zu akzeptieren, dass Sailean nicht mehr ganz selbständig sein soll.“
Ciaran hätte gerne nachgefragt, was hier eigentlich geschehen war. Aber er durfte nicht verraten, was er alles nicht wusste. Es war besser, Fürst Culath morgen überraschend mit der Wahrheit zu konfrontieren. „Es scheint, nicht nur Finn ist nicht ganz glücklich mit dem Gang der Dinge“, bemerkte er.

Der Tonfall der Fürstin wurde besorgter. „Es hat wohl den Anschein, aber mein Gemahl ist schon dabei, für Ordnung zu sorgen. Darum ist er ja unterwegs. Illaloe sperrt sich noch, aber er wird sicherlich zur Einsicht kommen.“
Ciaran runzelte die Stirn. „Befindet sich der Fürst auf einer Art Kriegszug gegen den Lord dort?“
Aus der Besorgnis in Aisas Augen wurde fast Angst. „Nein“, sagte sie. „Ich weiß, Lord Fíanael drängte dazu. Aber Ingal ist nicht nur mächtig sondern auch ein guter Freund. Er wird es akzeptieren, wenn er sieht, dass alle anderen sich so entschieden haben. Ihr werdet ihn morgen selbst sehen und Euch ein Urteil bilden können.“
„Ich wollte euch nicht beunruhigen“, sagte Ciaran sanft. „Ich selbst würde eine solche Lösung nicht befürworten. Lord Fíanael“, er schauderte unwillkürlich bei der Nennung dieses Namens, „ist stets unnötig blutdürstig, wie mir scheint.“
Die Fürstin studierte ihn unsicher. „Seltsam“, sagte sie schließlich. „Es scheint, Ihr kommt hierher mit großer Machtbefugnis und ich sollte die Konsequenzen fürchten, statt dessen fühle ich Hoffnung und Zuversicht. Ihr solltet selbst mit Lord Ingal sprechen, wenn er morgen kommt.“

Danach sprachen sie nicht mehr viel. Ciaran ging bald auf seine Zimmer, aber fand lange keine Ruhe zu schlafen. Das Schwert hatte er abgeschnallt und auf einen Tisch gelegt. Eine Zeitlang wanderte er im Dunkeln auf und ab. Das würde schwierig werden am nächsten Tag. Fürst Culath hatte einen Vertrag mit Carraig, das war gleichbedeutend mit Hochverrat. Dieses Dunkel hier! Es fiel auch auf seine Gedanken.
Schließlich blieb er vor dem Tisch stehen, auf dem die Waffe lag. Nur schemenhaft waren die Umrisse erkennbar. Aber allein die Hand auf ihren Knauf zu legen, erfüllte ihn mit Frieden. Langsam ließ er die Klinge herausgleiten. Kein Flammen jetzt, kein Schimmern. Behutsam ertastete er die Schärfe der Klinge mit den Fingern der linken Hand. Ohne sich bewusst dazu zu entscheiden, glitt er mit dem Schwert in der Hand auf ein Knie nieder. „Großer König“, flüsterte er, „wie soll ich dieses Schwert hier nur führen?“

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