Samstag, 10. September 2011

Kapitel 27.2


Ciaran senkte den Kopf und holte einmal tief Atem. „Ich wusste, dass wenig Hoffnung bestand, mich dieser Last so leicht zu entledigen. Als ich aufbrach, glaubte ich nur Verwahrer des Siegels zu sein. Doch dann erreichte ich Daliní, und während niemand von Alandas hören mochte, waren alle bereit den Anspruch des Siegels zu respektieren. Schlimmer noch, um des Siegels willen waren sie bereit, Alandas zu akzeptieren und im kommenden Krieg nicht zur Seite zu stehen. Ich stand vor der Wahl, ihre Huldigung zu akzeptieren oder Dalinie zu verlieren und darüber hinaus Orla zutiefst zu beleidigen.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich dachte, ihr Eifer ginge auch darauf zurück, einen Dalinianer als Regenten zu sehen – eine Bedingung, die ja auch anders erfüllt werden könnte und würde. Doch dann kam ich nach Saile. Die Verhältnisse waren ähnlich, nur noch kritischer; das Land war vor dem offenen Verrat. Als ich Roscrea erreichte war die einzige Möglichkeit, etwas für das Land zu tun, die Autorität des Regenten in Anspruch zu nehmen. In Eannas war es noch ausgeprägter. Nur in Ruandor zählte mein Schwert mehr als das Siegel. Doch habe ich keine Möglichkeit, Fürst Ludovik und Fürstin Halis über die genauen Umstände zu unterrichten. Fürst Ríochan verbot, darüber zu sprechen.“ Er berührte das Heft an seiner Seite und sah dem anderen gerade in die Augen. „Ich habe mein Wort gegeben, treu zu dienen. Und das will ich. Doch ich bin mir oft nicht sicher wie.“
„Auch ich habe ein Wort gegeben“, sagte Béarisean, „das, alles in meinem Vermögen stehende zu tun, um diesen Ring einmal an einer anderen Hand zu sehen. Jedoch bestand nie eine Sicherheit, dass das so sein wird. Es liegt alles an den Entscheidungen, die der trifft, dem das Siegel hier bestimmt ist.“

„Wir erreichen in zwei Wochen Corimac“, sagte Ciaran. „Ich weiß nicht, was ich tun soll.“
„Es scheint Abhaileon braucht jetzt schon einen Regenten“, entgegnete Béarisean langsam. „Daher: Regent.“ Er verbeugte sich leicht.
Es war Traurigkeit in den Augen des Ritters, als er sich ebenfalls verbeugte. „Es wird sein, wie Ihr sagt. Ihr habt die höhere Autorität unter uns.“
„Es scheint, wir müssen noch mehr besprechen, als ich anfangs dachte“, sagte Béarisean. „Es ist mir neu, dass ich den höheren Rang besitzen soll. Doch wenn dem so ist, will ich eines zu allererst entscheiden: Unsere Zusammengehörigheit sollte enger sein als die von Kameraden, Freunden oder Brüdern, denn die Aufgabe ist fast unbewältigbar. Zwischen uns sollen keine Formen stehen. Ich werde dir ganz vertrauen, Ciaran. Mein Name ist Béarisean.“
„Keine Formen zwischen uns“, wiederholte Ciaran ernst. „Es wird ein Luxus sein, den ich mir kaum noch möglich glaubte, Béarisean. Meine Ambitionen waren nie bis zu dem Titel gegangen, den ich derzeit trage. Aber ich habe inzwischen schon gelernt, dass er mich trotz aller persönlichen Freundschaft, die mir überall unterwegs zuteil wurde, dennoch der Kameradschaft beraubt.“

„Ich hatte dieses fragliche Vergnügen fast mein ganzes Leben lang“, antwortete Béarisean. „Ich wusste nicht einmal, dass anderes möglich ist, bis ich auf Ritter Anno traf. Selbst dann habe ich es lange nicht begriffen. Im Grunde nicht, bevor es zu spät war. Ein Fehler, den ich nicht wiederholen möchte.“
„Was ist mit ihm geschehen?“
„Wir kamen im November aus Bailodia, trafen am Uibhnefenn auf Dorbans Lager und konnten ihn herausretten, bevor Barraids Reiter zuschlugen. Der ganze Osten wimmelte von Streifen aus Carraig und Cardolan. Wir erreichten die Ostheide und glaubten uns schon entkommen, als wir uns in einem Schneesturm bis Idrim verirrten. Robin – Anno – lenkte eine der Streifen auf sich, um mir und Dorban die Flucht zu ermöglichen. Doch wir gerieten bald in eine zweite, verloren ein Pferd, erreichten die Wildflussschlucht und wären ergriffen worden, hätte uns nicht ein Wunder nach Arda versetzt. Dort war es auch gefährlich. Wir gelangten mit Not zurück nach Abhaileon und begannen den Weg nach Westen. – Ich weiß nicht, ob Anno lebt, entkam oder in Gefangenschaft ist.“
„Was ist mit deinem Begleiter?“
„Das weiß vielleicht nicht einmal er selbst“, Béarisean hob und senkte die Schultern. „Er weiß, dass es den König gibt. Er weiß, dass es Alandas gibt. Er kennt ein paar der Dinge, die dafür stehen, aber versucht sich selbst abseits von Gut und Böse zu halten. Soweit ich das Einschätzen kann. – Unmöglich, ihm den Ring zu geben.“

„Lassalle hat den König gewählt“, sagte Ciaran leise.
„Lassalle“, sagte Béarisean mit gefurchter Stirn. „Du musst entschuldigen. Ich kam erst im letzten Herbst zurück nach Abhaileon und weiß kaum, was in den vergangenen dreißig Jahren geschehen ist.“
„Sagt dir Corrugh noch etwas?“
„Dieser Lassalle? Das geschah kurz bevor ich Abhaileon verließ. Man sprach von Reichsbann. Was wurde aus ihm?“
„Der Bann wurde verhängt, doch er fand Asyl in Eannas. Wie er selbst sagt, weiß nur er, wieviele Verbrechen er begangen hat. Dennoch rettete er mir in Escail das Leben. Gearaid wollte mich foltern und töten lassen. Jetzt kämpft er mit ihm um Eannas. – Ich habe allen in Eannas, die auf unsere Seite gehen, Amnestie zugesagt.“
Béarisean nickte. „Wir werden alle Kräfte brauchen. Und eines ist sicher, Lassalle versteht sich auf den Kampf. Aber wie ...“

Sie wurden unterbrochen. Die Pferde waren gekommen. Und mit ihnen kam Fürstin Halis auf ihrem Falben. Béarisean blickte auf und musste lächeln. „Ist das die Fürstin? Sie erinnert mich fast an Fürst Ríochan.“
Ciaran lachte. „Sag ihr das! Sie umarmt dich vermutlich dafür. Fürst Ríochan war immer ihr größtes Vorbild, dicht gefolgt von Lady Elianna.“
„Wir müssen nachher weitersprechen“, sagte Béarisean.

Sie gingen zur Gruppe zurück. Die Fürstin hatte sich währenddessen schon mit Dorban bekannt gemacht. „Immer bin ich gerade nicht zur Stelle, wenn einer von ihnen zu uns stößt“, rief sie ihrem Bruder gerade halb empört zu. „Jetzt habe ich nur noch eine einzige Chance dazu!“ Dann sah sie die beiden Ritter herankommen. Sie kam ihnen mit schnellen Schritten entgegen. „Willkommen, Herr Béarisean“, sagte sie und ließ sich auf ein Knie nieder. „Das Haus Colins von Donnacht ist stets willkommen, wo Haus Ruandor herrscht, doch mehr noch grüße ich Euch als Stellvertreter des Fürsten von Alandas und Ritter des Königs.“
„Ein Ritter des Königs bin ich“, sagte Béarisean, während er ihr die Hand reichte, um ihr wieder hochzuhelfen – symbolisch gesehen, sie brauchte keinerlei Hilfe, durchtrainierte Kämpferin, die sie war. „Auch ist Colin von Donnacht unter meinen Vorfahren. Jedoch ist es der Regent, der für den Fürsten von Alandas in Abhaileon herrscht.“
Dorban musste sich beherrschen, um nicht den Kopf zu schütteln. Als ob ein Zweifel bestünde, wer Regent von Abhaileon werden würde. Wer anders als der Nachfahre Colins? Doch niemand protestierte gegen soviel überflüssige Bescheidenheit. Auch nicht der neu aufgetauchte Ritter mit dem Smaragdschwert. – War das übrigens nicht das Schwert Colins von Donnacht gewesen? Er erinnerte sich nicht an viel aus den alten Sagen. Das war eines der wenigen Fragmente, die noch klarer hervorstanden.

„Der Regent herrscht für den Fürsten und vertritt die Belange von Abhaileon vor ihm“, korrigierte Ciaran, „der Träger des Saphirschwerts vertritt den Anspruch von Alandas in Abhaileon.“
Da konnte die Personalunion noch einen interessanten Interessenkonflikt ergeben, überlegte der Lord von Tairg.
Béarisean lag die Frage nach dem Rubinschwert auf der Zunge, doch er hielt sie zurück. Dafür würde auch später noch Zeit genug sein. Jetzt wollte er vor Dorban lieber nicht demonstrieren, über was er alles nicht Bescheid wusste. Er lächelte. „Vor langer Zeit trug Elianna dieses Schwert. Es heißt, sie hatte ein weißes Pferd. Könntet Ihr ein solches auch für mich finden? Denn es scheint, dass die beiden anderen Ritter ihren Rappen und ihren Fuchs gefunden haben.“
Das Gesicht der Fürstin leuchtete auf. „Ich habe genau das richtige Pferd für Euch“, versicherte sie. „Ihr werdet es vor Eurem Aufbruch in Augenschein nehmen können. Mit keiner Bitte hättet Ihr mir eine größere Freude machen können. Gestattet Ihr mir, mich auch um Eure weitere Ausrüstung zu kümmern? Herr Ciaran war Gast in Ruandor, so fiel meinem Bruder die Ehre zu, ihm zu Diensten zu sein. Wollt Ihr Eure Ehre Imreach anvertrauen?“
„So wie Ihr es darstellt, schiene dies nur gerecht zu sein“, antwortete Béarisean. „Ich will der Gast von Imreach sein, bis wir Corimac erreichen.“
Ciaran lachte. „Weißt du, auf was du dich da eingelassen hast?“ scherzte er. „Jetzt werden wir diplomatisch neutralen Boden suchen müssen, wenn wir miteinander sprechen wollen. Es würde Imreach beleidigen, wenn du nun öfters mit mir und Fürst Ludovik reitest, und ich will meinen Gastgeber nicht ständig allein lassen.“
Fürstin Halis lächelte. „Wir werden sicherlich Kompromisse finden können.“

„Zumindest möchte ich dann Herrn Dorban bitten, mein Gast zu sein“, sagte Ludovik.
„Gewährt“, sagte Halis, „vorausgesetzt Herr Dorban stimmt zu, von Lord Béarisean getrennt zu werden.“
Dorban verzog den Mund ein wenig. Möglicherweise war es ein Lächeln. „Ich würde vermuten, dass wir beide gerne auch einmal mit anderen Worte wechseln, nachdem wir uns nun schon seit Monaten fast ohne weitere Kontakte Gesellschaft leisteten.“
Béarisean nickte. „Derzeit haben wir uns nicht gerade mehr viel zu sagen. Und wir bleiben uns wahrhaft nahe genug.“
Halis nickte. „Bis zum heutigen Lager ist es ohnehin nicht mehr weit. Bis dahin können wir alle zusammen bleiben.“
„Dann willkommen, Herr Dorban“, sagte Fürst Ludovik. „Es soll Euch an nichts mangeln, was Eurem Rang entspricht. Ich hörte, Ihr seid als einer der Heerführer nach Corimac gerufen? Damals war sogar die Rede davon, Euch den höchsten Rang zu geben. – Natürlich wurden diese Berufungen alle ausgesprochen, bevor wir wussten, dass Abhaileon wieder einen Regenten haben wird. Auf Corimac wird alles neu entschieden werden müssen.“
Sie alle stiegen zu Pferd und ließen die Tiere langsam in Richtung des Lagerplatzes gehen.

„Euer Pferd, Herr Ciaran“, begann der Lord von Tairg nach einer Weile vorsichtig. Sie ritten neben einander. „Es erinnert mich sehr an ein Tier, das ich einst als Fohlen und Jährigen auf den Weiden von Fuacht sah.“
„Ihr erinnert Euch richtig“, antwortete Ciaran. „Ich vermute, der Hengst ist recht unverkennbar. Es dürfte kein anderes Pferd dieser Art in Abhaileon geben.“
„Lord Orla wusste die Stuten, die er aus Imreach mitnahm, zweifellos gut einzusetzen“, warf die Fürstin ein. „Es scheint der Fuchs kann sich mit unseren besten Tieren messen.“
„Ich erinnere mich, dass Orla so gut wie niemanden an das Pferd heranließ“, fuhr Dorban fort.
„Alle sagten, dass der Fuchs fast wie ein Kind für ihn sei“, bestätigte Ciaran mit weicher Stimme.
Dorban sah ihn rätselnd an. „Was habt Ihr getan, dass er ihn Euch gab?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Ciaran. „Er sorgte dafür, dass ich ihn weder danach fragen noch ihm danken oder gar ablehnen konnte. Ich wusste ja, was dieser Fuchs ihm bedeutet.“

„Ich würde vermuten, Herr Ciaran hat ihm einen neuen Traum geschenkt“, sagte Ludovik. „Etwas an das er glauben konnte, das er bis dahin nicht oder nicht mehr hatte. Er tut das für die meisten von uns.“
„Träume?“ sagte Dorban zweifelnd und warf einen kritischen Blick auf den Ritter.
Ciaran schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was Fürst Ludovik meint. Ich spreche nicht von Träumen. Früher da mag ich geträumt haben.  Gesprochen habe ich nicht davon. Jetzt lebe ich für meine Aufgabe, und die ist wirklich.“
„Mein Bruder meinte wohl, dass in Eurer Gegenwart unsere besten und schönsten Träume an Wirklichkeit gewinnen“, sagte Halis. „Auch die, vielleicht gerade die, die schon lange verloren schienen.“
„Meine Träume wurden Wirklichkeit, als ich Fürst Ríochan begegnete“, sagte Ciaran. „Ich wünschte ein Ritter zu sein ähnlich wie Colin von Donnacht – und jetzt trage ich sein Schwert.“

Béarisean spielte tief in Gedanken mit seinen Zügeln. Seine Stirn war gerunzelt. „Ich würde wünschen, dass die Erfüllung von Träumen auch bei mir möglich wäre“, dachte er, „aber da ist keine Hoffnung. Robin hatte seinen Rappen, Ciaran seine Ritterschaft, aber Rilan ist unwiederbringlich verloren.“
„Ich habe nie viel vom Träumen gehalten“, meinte Dorban. „Ich hatte Ambitionen, aber das waren stets greifbare und machbare Dinge. Träume und Märchen ...“ Er unterbrach sich und warf einen Blick auf Béarisean und zuckte die Schultern. „Es gab auch Fakten, von denen ich nichts wusste und die ich für Märchen hielt. Es sind dennoch Fakten. Und mit Fakten muss man sich arrangieren.“
„Und wie wollt Ihr Euch mit dem Faktum Alandas arrangieren?“ erkundigte Ciaran sich.
Der Lord schien unentschlossen. „Dazu weiß ich noch zu wenig“, sagte er schließlich. „Ich stehe da persönlich in der Schuld aufgrund gewisser Dinge, und werde mich der daraus resultierenden Verpflichtung nicht entziehen. Andererseits war ich bereits einmal zu schnell entschieden, mich mit jemandem einzulassen, der mit falschen Karten spielte.“
„Habt Ihr diesem jemand gegenüber Versprechen gemacht?“ fragte Ciaran.
„Nein“, sagte Béarisean, der mit einem Ruck in die Gegenwart zurückkehrte. „Es ist kaum zu glauben. Doch das hat er nicht. – Dennoch, er war einverstanden, Barraid das Land um Carraig zu überlassen, als dieser es zurückforderte. Es war lange Zeit zu Tairg gerechnet worden.“
„Land, mit dem Tairg nie etwas anfangen konnte“, warf Dorban ein.

Ludovik zog die Brauen zusammen. „Ihr habt ihm einen Fußhalt in Abhaileon verschafft, den er sonst nicht hätte haben können.“, bemerkte er kühl.
„Er war bereits zuvor in Abhaileon“, verteidigte der Lord sich. „Ich traf ihn auf der Carrus.“
„Auf der Carrus!“ entgegnete Ludovik bitter. „Aber da Ihr ja die Beachtung von dem, was Ihr Märchen nanntet, nicht für sinnvoll hielt, begrifft Ihr nichts.“
„Was hätte ich denn begreifen sollen?“ sagte Dorban ärgerlich.
„Der Platz dort oben ist verflucht seit uralten Zeiten“, sagte Ciaran ruhig. „Die meisten Kinder wüssten es. Niemand weiß mehr, was dort geschah. Nur dass es etwas sehr Dunkles war. Aber es ist einer der wenigen Orte, an denen die böse Macht aus dem Osten stets Zugang in Abhaileon hat. Der Schwarze Fürst hätte von dort nicht herabkommen können, hättet Ihr ihm nicht eine Einladung erteilt.“
Dorban war erblasst. „Ich wusste das wirklich nicht“, sagte er sehr tonlos. „Jetzt verstehe ich erst. Er wollte wissen, ob ich ihn auf Tairg willkommen heißen würde. Aber es kann doch nicht sein ...“
„Es kann“, sagte Béarisean resigniert. Ludovik und Halis nickten grimmig. Ciaran sah ihn nur an. Es war etwas in diesem Blick, das den Lord mehr traf als alles andere. Eine stille Trauer vielleicht. Und etwas fehlte in diesem Blick: da war kein Vorwurf, keine Überraschung. Diese Augen sahen in sein Herz und erfassten Dinge, die er selbst nicht kannte.
Dorban riss sich los von diesem Blick. „Was, wenn ich alles widerrufe?“ fragte er. Kaum dass er es ausgesprochen hatte, wusste er selbst, wie leer diese Worte waren. Es antwortete auch niemand darauf. Er wusste es ja auch selbst nur zu gut: Seine Rolle war schon im letzten Herbst ausgespielt gewesen. Seine Worte hatten keine Bedeutung mehr in dieser Sache. Das nächste Eingeständnis war besonders bitter. „Gelegentlich hatte ich während all der Jahre den Verdacht, dass er der Schwarze Fürst der Sagen ist“, sagte er, ohne einen der anderen anzublicken. „Ich wollte es nicht sehen. Denn seit ich mein loses Abkommen mit ihm hatte, schien es immer mehr, ich könne eines Tages Fürst von Dalinie werden.“ Dafür standen die Karten jetzt schlecht. Jeder Blinde konnte das sehen.

Sie ritten eine Weile schweigend. Dorban fühlte Übelkeit in sich. Teils über das, was er getan hatte und jetzt erst zu begreifen anfing, doch mehr über seine vielen gescheiterten Pläne. Der Fürst von Ruandor ergriff als erster wieder das Wort, und seine Worte wurden für Dorban zum heftigsten Schock dieses Tages: „Was meint Ihr dazu, Regent?“
Woraufhin nicht Béarisean, sondern der andere Ritter des Königs antwortete: „Viele sind getäuscht worden. Viele haben Fehler begangen, und meist spielte wohl eine Form von Selbstsucht eine Rolle dabei. Es gibt keinen Grund, Herrn Dorban mehr zu verurteilen, als andere, denen verziehen wurde.“
„Regent?“ stieß der Lord von Tairg vollkommen konsterniert hervor. Sein Blick blieb an der linken Hand des Ritters hängen. Er hatte den Ring mit dem grünen Stein daran schon zuvor bemerkt, nur hatte er sich nichts dabei gedacht.
Ciaran bemerkte seinen Gesichtsausdruck. „Das Siegel von Abhaileon“, sagte er.
„Ich dachte ...“, begann Dorban.
Béarisean lächelte dünn. „Das dachten schon viele. Aber ich bin froh, dass dem nicht so ist.“

Dorban fühlte sich wie ein Narr. Sie alle hatten es gewusst. Nur er selbst war ahnungslos gewesen. Dieser Ciaran, woher kam er eigentlich?
Hatte er laut gesprochen? „Ich komme aus einem kleinen Dorf in den Wäldern zwischen Saldyr und Innis“, sagte der Ritter, der auch Regent war. „Ich verließ es mit sechzehn Jahren und kam schließlich in die Hauptstadt.“ Er blickte ihn ruhig an. „Mein Vater war Schmied. Ich selbst bis vor kurzem Hauptmann in der Palastgarde.“
Dorban waren Herkunftsfragen relativ gleichgültig. Aber diese Auskunft war dennoch nicht geeignet, seine Stimmung zu verbessern. Wenn es bisher für ihn noch irgendeine Aussicht gegeben hatte, Fürst von Dalinie zu werden – was in sich durchaus zweifelhaft war – schien sie jetzt noch unwahrscheinlicher. Nicht nur, dass Orla eindeutig diesen anderen Dalinianer stärker favoritisierte; er selbst hätte nie davon träumen können, den Fuchs als Geschenk zu erhalten. Mehr noch. Regenten brauchten Einkünfte. Und dieser Ciaran konnte davon nicht viel haben. Er hatte von dem Mann noch nie gehört, und wenn er, wie er gesagt hatte, in der Garde gedient hatte, konnte er nicht reich sein. Der Fürstentitel von Dalinie würde ihm alles Notwendige verschaffen.
„Es ist ohnehin ohne Relevanz“, sagte Béarisean. „Was besagen Titel schon.“
„Nichts in Bezug darauf, wer ich bin. Nichts, wenn es um das Schwert geht, das ich trage“, sagte Ciaran. „Ansonsten machen sie allen Unterschied der Welt. Denn jeder betrachtet dich mit anderen Augen, wenn er glaubt, du seist einflussreich.“
Dorban nickte. Ein realistischer Mann dieser Ritter. Béarisean war es so gewohnt, als Persönlichkeit betrachtet zu werden, dass es ihm vielleicht nicht einmal auffiel. Der Lord von Tairg hätte ihn nicht ernsthaft als arrogant bezeichnet. Das wäre zu hart gewesen. Béarisean war nur sehr selbstverständlich davon überzeugt, dass seine Entscheidungen ausgeführt wurden und seine Meinung den Ausschlag gab. Dieser Ciaran war anders. Seine Art wirkte zurückhaltend, fast bescheiden. Durchaus nicht ohne Selbstbewusstsein. Dennoch jemand, der sich auf ihm fremdem Gebiet bewegte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen