XX Gefährliche
Wege
I’m waiting for the world to fall
I’m waiting for the scene to change
I’m waiting when the colors come
I’m waiting to let my world come undone
When I catch the light of falling stars my view is
changing (me)
I’m waiting Jars
of Clay (2005)
Es kam zu heftigeren Diskussionen innerhalb der Familie Illaloe, wer am
nächsten Morgen mit dem Regenten reiten würde. Wenigstens vermutete Ciaran das.
Er zog sich schon früh zurück, und hatte noch das Zimmer nicht verlassen, als
Connor vehement protestierte, auf der Burg bleiben zu sollen. Für ihn war es
gleichgültig, wie sie entschieden. Er würde reiten, ob allein oder mit anderen.
Vielleicht gelang es ihm noch, Patris aufzuspüren und etwas Übles zu
verhindern. Ihm wäre es sogar recht gewesen, allein zu reiten. Dann war es
einfacher, Auskunft von den Banditen zu bekommen. Viele würden ihn noch aus
Arrin kennen. Er selbst war dankbar, ein paar Stunden für sich zu bleiben.
Als er am nächsten Morgen in der ersten Dämmerung sein Zimmer verließ, verwandelten
sich wie in einer Flutwelle die Aktivitäten um ihn herum in hektische Eile. Er
trat kaum auf den Hof, als schon sein Pferd vorgeführt wurde. Diesmal nicht von
Ingal selbst. Der Fuchs war äußerst ungehalten über die Fremden um ihn,
reagierte dann aber sofort auf die Stimme seines Reiters.
Lord Ingal eilte auf den Hof, seinen Schritt erst verlangsamend, als er
Ciaran sah. Der Ritter schnallte gerade ruhig seine Satteltaschen fest. Er
lächelte. „Seid unbesorgt, ich reite nicht allein. Wie sollte ich den Weg durch
die Moore finden, ohne viel Zeit zu verlieren?“
„Ich vermute, das würdet Ihr auch zustande bringen“, sagte Ingal. „Wir
reiten dieses Mal ohne Pferde zum Wechseln. Nur sechs Mann mit den schnellsten,
die wir haben. Das wird uns etwas aufhalten. Aber es macht uns beweglicher,
wenn wir in Gefechte geraten.“
„Und Eure Söhne?“
„Connor folgt uns, sobald er kann, mit mehr Männern nach Carrnarosc. Wir
müssen von dort aus planen.“
Die Sonne kämpfte sich noch durch die Frühnebel, als sie die Moore
verließen. Weite Wiesen und Felder, Äcker und Siedlungen lagen verstreut über
die weiten Ebenen Roscreas. Es war ein grünes Land mit fruchtbarer Erde. Im
Laufe des Vormittags zeigten sich jedoch immer mehr beunruhigende Anblicke.
Brachliegende Felder, seit dem Vorjahr nicht gepflügt, kaum Vieh auf den
Weiden, verbrannte Ruinen von Häusern, Gehöften, sogar kleinen Siedlungen.
„Viele sind in die Burgen und kleineren Städte geflüchtet“, sagte Ingal mit
zornig zusammengepressten Lippen. „Wir konnten nur in dem Streifen direkt
hinter der Grenze die Ordnung aufrechterhalten Das sind alles sinnloseste
Zerstörungen. Von Beute kann nicht die Rede sein bei den Bauern hier. Besonders
wenn es schon der fünfte oder sechste Überfall ist. Aber so wird die Aussaat
und Bewirtschaftung verhindert.“
„Warum handeln die Lords von Roscrea nicht? Die Banditen sind bisher keine
organisierten Kampfeinheiten.“ Ciaran betrachtete es kopfschüttelnd.
Der Lord schnaubte wütend. „Leider ist das hier Roscrea. Bis vor kurzem war
das hier die friedlichste Provinz in ganz Abhaileon. Seit den Großen Kriegen
hat es hier keine Auseinandersetzungen gegeben. Und die letzten Fürsten von Roscrea
brachen ganz mit der Erziehung in allen außer den elementarsten
Waffenfertigkeiten. Viele Lords taten es ihnen nach. Die meisten Festungen sind
ohnehin sehr vernachlässigt. Nur der
Lord von Ceannacht ist von anderer Sorte oder war es. Jede andere Provinz hätte
sich besser zur Wehr setzen können. Aber die meisten Krieger hier sind kaum
besser als die Banditen. In der ersten Überraschung haben sie sich so gut es
ging verschanzt, und den meisten war bald der Schneid abgekauft.“
„Was ist mit Carrnarosc. Der
Hauptsitz von Roscrea muss doch eine Besatzung haben?“ fragte Ciaran ungläubig.
„Selbst wenn sie hauptsächlich Repräsentationszwecken dient. Und der Fürst
braucht eine Wache, wenn er außer Landes muss. Überall sonst war es durchaus
nicht so friedlich in den letzten Jahren.“
„Ja, sie haben ein paar brauchbare Leute in Carrnarosc“, gab Ingal zu.
„Aber was sind hundertfünzig Mann gegen das, was hier hereinbrach.“
„Restac hat mehr als dreitausend Männer“, sagte Ciaran.
Ingal stöhnte und dachte nicht einen Augenblick daran zu fragen, woher der
Regent das wissen mochte. In seinen Augen war der Ritter nur wenig unterhalb
der Attribute allmächtig und allwissend einzustufen, nach dem, was er bisher
gezeigt hatte. Sicherlich wusste man in Alandas über vieles besser Bescheid als
in der kleinen und abgelegenen Provinz Sailean.
Am nächsten Tag erreichten sie Gerüchte, Carrnarosc werde belagert. Ciaran
hielt das nur für einen Grund zu größerer Eile, aber Ingal beharrte darauf, die
nächste der kleineren Festungen aufzusuchen, die an ihrem Weg lag. Er war
besorgt, es könne sich um Truppen aus Eannas handeln.
„Lassalle ist alles zuzutrauen. Nicht einmal ich würde mich ihm
entgegenstellen wollen“, erklärte er. Es stellte sich dann aber heraus, dass
Belagerung eine deutliche Übertreibung gewesen war. Es schien, dass sich die
Zahl der Banditenstreifen um Carrnarosc vermehrt hatte und die Verbindung mit
dem Hauptsitz des Fürsten deswegen ganz zum Erliegen gekommen war. „Sie haben
ein paar einzelne Reisende und Boten abgefangen“, murrte Ingal, als sie
weiterritten. „Statt einen ordentlichen Trupp loszuschicken, verstecken sie
sich wieder nur.“
Am dritten Tag stießen sie zum ersten Mal auf den Gegner. Es war gegen
Mittag. Zunächst waren ihnen innerhalb einer Stunde zwei oder drei einzelne
Reiter begegnet, die bei ihrem Anblick sofort zur Seite auswichen. Ciaran
meinte: „Das könnten Späher sein.“ Ingal nickte und schickte zwei seiner Männer
als Vorreiter, um einen direkten Hinterhalt zu vermeiden. Aber der Feind zeigte
sich in größerer Stärke als erwartet. Bei einem Wäldchen verstellten ihnen an
die zwanzig Reiter den Weg; auch hinter ihnen tauchte eine Gruppe von zehn
Reitern auf. Sie hielten an.
Lord Ingal griff ruhig nach seinem Schwert: „Versuchen wir uns
durchzukämpfen“, sagte er. „Es ist nicht mehr weit bis Carrnarosc“, fuhr er zu
Ciaran gewandt fort. „Euer Pferd ist schnell genug, um Euch sicher dorthin zu
tragen.“
„Nein“, sagte Ciaran. „Ich vermute, es wird zu keinem Kampf kommen. Wartet
hier!“ Er hatte den Anführer der Banditen erkannt. Es war Lennard.
„Sir!“ protestierte Ingal. Ciaran blickte ihn nur an. „Wartet hier!“ befahl
er nochmals und ließ sein Pferd langsam in Richtung der größeren Gruppe gehen.
Die Räuber hielten ihre Waffen bereit. Lennard lehnte sich im Sattel
zurück. „Wenn Ihr als Unterhändler kommt, solltet Ihr Signal geben“, rief er
ihm spöttisch entgegen. „Ihr könntet schon tot sein, mein Lord. Doch ich vermute,
Ihr wollt ein angemessenes Lösegeld bieten?“
„Nichts dergleichen, Lennard“, sagte Ciaran. „Aber du behinderst die
Ausführung meiner Aufträge.“
Der andere stutzte, und runzelte die Stirn. „Cormac?“, sagte er dann
zögernd. Sein Blick verdüsterte sich. „Es hieß, man habe dich nach Carraig
gerufen.“
„Ich erkannte dich schon von weitem“, bemerkte Ciaran. „Ich wurde nach
Carraig gerufen. In den letzten Wochen bin ich weit geritten.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass Fíanaels Protektion soviel einbringt“,
höhnte Lennard. In seinen Augen blitzte Neid. „So hübsche Kleider und ein Ring?
Was hast du dafür getan? Erzähl mal!“
Ciaran verzog keine Mine. „Fíanael“, sagte er leichthin. „Ich habe ihn
nicht mehr gesehen seit dem Herbst. Meine Protektion kommt von höherer Stelle.“
„Der Fürst selbst“, sagte Lennard flach. „Aber glaube nicht, dass du
deswegen sicher im Sattel sitzt. Es sind schon andere wieder abgestürzt. Pat
konnte auch nie genug das Maul aufreißen. Aber ich habe selbst gesehen, wie er
da bei Ceannacht vor Dimail geduckt hat.“
Ciaran runzelte die Stirn. „Ich muss mit Botschaften meines Fürsten zu
Ros.“ Einer von Lennards Begleitern murmelte halblaut wiederholend „meines
Fürsten“ und schüttelte den Kopf. Dann legte er eine Hand auf den Arm seines
Anführers und flüsterte ihm etwas zu. Lennards Blick verfinsterte sich. „Doch
da du gerade von Pat sprichst; ich hätte da auch eine Nachricht für ihn. Ist er
noch hier?“
„Das wäre nicht der erste Befehl aus Carraig vor dem Pat auf Tauchstation
geht“, bemerkte Lennard höhnisch. „Das ging so den ganzen letzten Sommer, bis
Asrain ihn erwischt hat. Sehe ich aus, als sei ich in die Pläne von euch hohen
Herren eingeweiht?“ Ein anderer Begleiter Lennards, der links neben ihm hielt,
murmelte ebenfalls etwas Warnendes.
Ciaran sagte sehr ruhig. „Wenn du weiter Streit suchst, könntest du ihn
finden. Pat sprach von dir.“ – Der Bandit an Lennards linker Seite zischte
seinem Anführer ingrimmig etwas zu. Lennards Pferd begann, sich unruhig zu
bewegen. Ciaran fuhr fort: „Ich vermute, von den Herren auf Carraig hat dich
bisher niemand näher beachtet, doch ich frage mich, ob es ihnen gefiele, wie du
von ihnen sprichst. Wo ist Pat?“
„Wag es, mich anzuschwärzen!“ zischte Lennard. „Pat ritt mit Dimail. Lord
Dimail aus Winian, Herr Cormac. Nach Norden, soweit ich weiß. Er schien nicht
sonderlich glücklich darüber.“
„Mehr wollte ich nicht wissen“, sagte Ciaran kühl. „Du könntest mir und
meine Begleitern jetzt den Weg frei geben.“
„Sehr wohl, Euer Durchlaucht“, fauchte Lennard mit zusammengebissenen Zähnen
und verbeugte sich übertrieben im Sattel. „Wie könnte ich es wagen, Euer
Wohlgeboren zu behindern.“ Er winkte dem anderen Trupp zu und lenkte sein Pferd
wieder in die Bäume. Einige seiner Leute warfen Ciaran beunruhigte Blicke zu,
bevor sie ihm folgten.
Ciaran wartete, bis Ingal und seine Männer herankamen, bevor er sein Pferd
wieder in Schritt fallen ließ. „Wir werden keine weiteren Schwierigkeiten von
dieser Seite haben“, sagte er.
Ingal warf ihm einen neugierigen Blick von der Seite zu. „Was habt Ihr
ihnen gesagt?“ erkundigte er sich dann.
„Sie glaubten, ich komme von Carraig“, antwortete Ciaran. „Es sind nicht
die ersten, die sich darin irren.“
„Das sind sie nicht“, bestätigte Ingal.
„Da sind schlechte Nachrichten“, fuhr Ciaran fort. „Dort bei Ceannacht war
auch einer von den Lords des Schwarzen Fürsten. Ich konnte nicht mehr fragen,
ohne dass sie begonnen hätten, meine eigene Position in Frage zu stellen.“
Ingal atmete tief. „Wir können gar nicht früh genug nach Carrnarosc
kommen“, sagte er. „Wollt Ihr immer noch nach Ceannacht?“
„Nein. Das hätte jetzt keinen Zweck mehr, fürchte ich. Und ich frage mich,
welches Willkommen ich wohl in Escaile finde.“
Die Stimmung auf Carrnarosc war gedrückt. Die Wachen erkannten den Lord von
Illaloe schon von weiten, so trafen sie auf geöffnete Tore. Der Hauptmann kam
selbst zur Begrüßung. Die Mitteilung, dass bald noch dreißig weitere Reiter aus
Illaloe kämen, stieß auf erfreute Resonanz. Aber als Ingal nach dem Fürsten
fragte, schüttelte der Hauptmann den Kopf. „Er ist nicht zu sprechen, seit der
Bote gestern kam.“
„Welche Nachricht brachte dieser Bote?“ fragte Ingal.
„Ich weiß es nicht, mein Lord. Er war schwarz gekleidet und verlangte, den
Fürsten allein zu sprechen. Er wurde empfangen, und seitdem haben wir Ros nicht
mehr gesehen.“
„Er wird mich sprechen“, sagte Ingal still. Er befahl allen zu warten und
nur die Pferde zu versorgen und wandte sich an Ciaran. „Kommt mit. Ich werde
ihn zu finden wissen.“
Der Lord kannte sich gut aus in der Festung, aber selbst er musste suchen.
Sie fanden Fürst Ros in einem Zimmer hoch oben im Westturm der Burg. Zwei
Diener hielten Wache vor der Tür und wollten sie nicht vorlassen. Doch als Lord
Ingal die Stimme hob, kam ein leiser Befehl von drinnen, und sie durften
hinein. Ciaran blieb an der Tür stehen, Ingal trat weiter in das Zimmer hinein.
Der Fürst stand am Fenster und blickte hinaus. Er drehte sich nicht zu ihnen
um. „Was führt Euch zu mir, Ingal?“ sagte er leise. „Wie viel habt Ihr schon
gehört?“
„Nichts als halb bestätigte Gerüchte“, sagte der Lord. „Ceannacht sei
gefallen. Der Lord von Rina soll dort gesehen worden sein und Männer aus
Carraig, auch Erendar und welche von den Banditen.“
„Ceannacht ist gefallen“, bestätigte der Fürst mit der gleichen leisen
ausdruckslosen Stimme. „Ich weiß nichts von Erendar. Aber ich hörte von
Gearaid. Im Herbst war ich in Escail und bat ihn um Unterstützung. Nach dem Fall von Armas im letzten Winter
schien jede Festung in Gefahr. Er ließ sich letztendlich überreden eine kleine
Schutzmannschaft zur Verstärkung von Ceannacht zu schicken. Ich hätte auf
Lassalles Warnung hören sollen.“ Er lachte tonlos auf. „Lassalle hat mich
gewarnt. Ich weiß auch nicht, warum ausgerechnet Lassalle. Er hielt nie viel
von mir. Nicht dass er von irgendjemandem je viel hält. Er hat mich gewarnt.
Zweimal. Nicht direkt, aber deutlich genug. Das war im Sommer, als ich mit
Eflin in Escail war. Gearaid war verreist, und Lassalle hatte die
Regierungsgewalt. Eflin überredete ihn, mit uns auf den Vulkan zu reiten. Eflin
mochte ihn. Sie sagte, er sei ein guter Ritter ...“
„Ros. Was ist passiert?“ unterbrach Ingal den monotonen Dialog des Fürsten.
Ros drehte sich langsam, müde zu ihnen um. Er war noch jung, keine vierzig
Jahre. Ciaran hatte ihn ein paar Mal gesehen in Croinathir. Gut aussehend und
sanftmütig, das hatte ihn am besten charakterisiert. Aber jetzt wirkte er alt
und gebeugt. Da war kein Glanz in diesen Augen. „Steht Illaloe noch?“ fragte er,
ohne dass eine Spur mehr von Leben in seine Worte kam, „oder kommst du aus den
Ruinen deiner Festung? Wenn ja, kehre besser um. Ich habe nachgedacht, Ingal,
und habe begriffen, was dahinter steht. Sie werden dich genauso vernichten wie
mich. Wir waren immer verletzbarer als die Löwen in Ruandor. Aber dieses Mal
ist es das Ende. Die Drachen hat es schon vor langer Zeit ereilt, und auch
Ruandor wird nicht mehr lange stehen.“
Ingal trat ganz an ihn heran, griff nach den Schultern des Fürsten, wie um
ihn zu schütteln. „Ros, Ihr fabuliert. Sagt mir, was geschehen ist!“
Ros blickte ihn nur an, aber es war nicht klar, ob er ihn wirklich sah.
„Wir sind verraten, Ingal. Wir haben Eide geschworen, die wir nicht brechen
können und werden. Und dafür hasst er uns. Aber der, dem wir geschworen haben,
hat uns vergessen.“
„Wer hasst uns?“ Ingals Griff wurde fester. Seine Stimme war rau.
„Gearaid?“
„Bearisean von Sliabh Eoghai lebt.“ Diese Stimme war so lebendig wie ein
Strahl von Sonnenlicht, der machtvoll durch die Risse von Ruinen bricht und
klar wie frisches Wasser aus einem Felsen in der Wüste. „Das Drachenbanner wird
stehen, wenn es zum Kampf kommt. Ruandor wird in den Krieg reiten. Der König
hat Abhaileon nicht vergessen. Der Fürst von Alandas wartet nur darauf, dass
wir seinen Beistand wollen.“
Ros Blick bekam mehr Fokus. Stirnrunzelnd wandte er sich in Richtung dieser
Stimme. Ingal wandte sich mit ihm um. Da war mehr Licht in diesem Raum, als er gedacht
hatte. Die Sonne musste draußen hinter den Wolken hervorgetreten sein. Sie fiel
jetzt durch die seitlichen Fenster. Strahlen brachen sich in Wirbeln von feinem
Staub, und einen Augenblick schien es ihm, als stünde dort ein schlanker weiß
gekleideter Ritter mit schulterlangem blondem Haar und Augen leuchtend wie der
Frühsommerhimmel. Ein goldener Reif schimmerte auf seiner Stirn. Sein Blick
richtete sich auf Ingal. Es lag eine unglaubliche Autorität darin. Die Vision
verklang in Sekundenbruchteilen. Der Ritter der dort stand, war nicht so groß,
seine kurz geschnittenen Haare waren dunkel, aber in seinen Augen lag etwas von
dem gleichen Glanz.
„Wer seid Ihr?“ Die Stimme des Fürsten von Roscrea war unwirsch. Doch
selbst das war ein willkommener Wechsel zu der vorherigen Klanglosigkeit.
„Dies ist Ciaran von Firin, Regent von Abhaileon, Ritter des Königs und
Gesandter des Fürsten von Alandas“, sagte Ingal.
„Alandas“, sagte Ros bitter. „Wo wart Ihr, Herr Ciaran, als es Hilfe von
Alandas gebraucht hätte? Doch was mache ich Euch Vorwürfe. Es sind nur stolze
Titel, die Ihr tragt. Ihr kommt ohne
Heer, ohne Macht, ohne wirkliche Hoffnung. Worte so leer wie die Worte meiner
Eide.“
„So solltet Ihr den Regenten nicht empfangen, Fürst“, sagte Ingal leise.
„Sein Kommen hat schon Gutes genug gebracht. Mein Leben hat es vermutlich
gerettet. Und Fürst Culath wird Euch nun Truppen zu Hilfe schicken. Alles wird
sich ändern.“
Das Gesicht des Fürsten zog sich wie in Schmerz zusammen. Dann aber
verbeugte er sich leicht in Ciarans Richtung. „Regent. - Ich brauche nicht nach
Eurer Legitimation zu fragen. Wenn Culath Euch anerkannte, wird es stimmen.
Roscrea kann Euch leider nicht viel bieten. Ich habe weder Truppen, Waffen,
noch sonst etwas, das ich Euch zur Verfügung stellen könnte.“ Ein trockenes
Schluchzen oder Auflachen schüttelte ihn. „Ich habe nichts mehr.“ Er wandte
sich wieder ab.
„Fürst Ros“, Ciaran bemühte sich vorsichtig zu formulieren. Der Verdacht
lag nahe, was geschehen sein musste. „Als ich in Saile hörte, worum es in
Ceannacht geht, haben Lord Ingal und ich uns kaum Ruhe gegönnt, um noch dorthin
zu gelangen, bevor es zu spät ist...“
„Ich habe den Weg noch nie in weniger als sechs Tagen zurück gelegt“, warf
Ingal ein. „Und nicht ich habe das Tempo gesetzt, so sehr auch mich die Sorge
trieb.“
„Vielleicht ist es mir möglich, mit Eannas zu vermitteln“, die letzten
Worte des Ritters waren eher eine Frage.
Die Hände des Fürsten verkrampften sich hinter seinem Rücken. „Es ist zu
spät“, sagte er. „Ich erhielt ein Ultimatum im letzten Winter. Ich hätte mir
Frieden erkaufen können, hätte ich den Preis dafür an den Fürsten auf Carraig
gezahlt. Ich war nicht so kurzsichtig, den Versicherungen von dort zu glauben.
Ich weiß zu gut, was die Folgen wären, würde jemand die Eide von Illaloe
brechen. Zweihundert Jahre lag damals der Fluch auf Illaloe für Farins
Verbrechen. So habe ich die Gerechtigkeit und die Ehre bewahrt. Aber mir bleibt
nur Asche.“
Ingal sagte ruhig: „Zu Farins Zeit wurde Ruandor fast ausgelöscht, weil sie
dort zu ihrem Wort standen. Heute ist Ruandor wieder mächtig. Es wird Frucht
tragen.“ Er seufzte.
Dann fuhr er behutsam fort. „Das heißt wohl, dass Efa und Eflin nicht mehr
am Leben sind.“
Der Fürst nickte wortlos. Ciaran senkte den Kopf.
„Wie sicher ist die Nachricht?“ fragte Ingal nach.
Die Stimme des Fürsten wurde wieder furchteinflößend neutral: „Der Bote
gestern brachte einen Brief mit Gearaids Siegel. Eannas steht offen zu Carraig.
Er gewährt mir eine letzte Chance zur Kapitulation.“
Ingals Blick fiel auf einen Tisch an der Seite. Zwei schnelle Schritte
brachten ihn dorthin. Er überflog das Schreiben und reichte es an Ciaran
weiter. „Er schreibt darin nichts von deiner Familie.“
„Das war nicht nötig“, sagte Ros. „Der Bote brachte noch etwas mehr. Er
ließ einen kleinen Kasten zurück – für den Fall, dass ich noch mehr brauche, um
überzeugt zu werden.“
Ingal brauchte Zeit, um sich dazu zu bringen, weiter zu fragen. „Der
Inhalt?“
„Ihre Köpfe“, sagte Ros leise. „Ich brauchte Zeit, um sie überhaupt zu
erkennen. Aber ...“ Er warf den Kopf zurück wie in einem stummen Schrei.
Ciaran fühlte sich wie benommen. „Noch nie hörte ich von so viel Bosheit“,
sagte er. Seine Stimme klang ihm selbst fremd. „Nicht seit der Zeit der Großen
Kriege.“ Die Welt schien wild zu kreisen. Er hörte noch einmal Ríochans letzte
Worte an ihn: ‚Dein Weg geht bis ins
Herz der Dunkelheit; nur jenseits davon kann Abhaileon wieder ins Licht
gelangen.’ Bisher war es wie der Frühling um sie herum gewesen, ein Weg ins
Licht. Carraigs Einfluss gebrochen in Daliní und Sailean. Aber jetzt sah er
mehr, sah das Dunkel wie einen heulenden Sturm von Schreien und Waffenklirren,
und es war fast zuviel, um es ertragen zu können. Er glitt auf die Knie, zog
sein Schwert und stellte es vor sich. Die Klinge war licht wie stets. Langsam
ließ das Brausen nach. Jetzt erst trat wieder in sein Bewusstsein, wo er war.
Er blickte auf, erwartete verwunderte Blicke, aber Ros stand immer noch
abgewandt. Ingal hatte den Kopf gesenkt, und es waren Tränen auf seinen Wangen.
Ciaran stand auf, die Hände immer noch um den Schwertknauf gelegt. „Der
Krieg hat begonnen“, sagte er. „Es ist erst der Beginn der Dunkelheit.“
Der Lord von Illaloe wischte mit der Hand die Tränen ab. „Jedenfalls werdet
Ihr jetzt nicht weiter nach Eannas reiten.“
Ciaran lächelte traurig. „Daran hat sich nichts geändert. Mein Weg geht
durch Eannas.“
„Regent“, Ingal streckte bittend die Hand aus. „Wir brauchen Euch. Gearaid
wird Euch ermorden lassen!“
„Fürst Ríochan trug mir auf, nach Eannas und Ruandor reiten. Abhaileon wird
keinen Vorteil haben, wenn ich es nicht tue“, Ciaran war ganz ruhig. „Und das
Herz der Dunkelheit ist nicht in Eannas. – Ich werde mit Gearaid sprechen und
verlangen, dass er umkehrt und Wiedergutmachung leistet.“
„Das wird er niemals tun“, sagte Ingal düster.
Ciaran nickte. „Das vermute ich auch. Aber es gibt keinen anderen Weg.“ Er
erwartete mehr Widerspruch. Aber der Lord verbeugte sich nur stumm
„Fürst Ros“, sagte der Ritter. „Eure Sorge ist groß, aber bald schon mag es
nötig sein, dass Roscrea in Waffen steht gegen einen Angriff aus Eannas.“
Ros lachte bitter auf. „Seht Ihr nicht, wie es hier aussieht?“ Er drehte
sich endlich um. Lange betrachtete er den Ritter vor sich. „Ein Schwert aus
Alandas“, sagte er schließlich. „Das Licht spielt darin, wie es die Sagen
behaupten. Nun, Ihr könnt dort berichten, dass ich mein Wort gehalten habe.
Aber ich habe keine Kraft zu mehr in mir. Roscrea soll in Waffen stehen, sagt
Ihr? Ihr sollt haben, was Ihr wollt, Regent. Ich übertrage den Oberbefehl an
Lord Ingal von Illaloe.“
„Das solltet Ihr nicht tun!“ protestierte der Lord.
„Ihr seid mein nächster lebender Verwandter“, entgegnete der Fürst ruhig.
„Meine Männer werden Euch folgen.“ Er ging zu einem Schreibtisch. Mit
fließender Schrift schrieb er die Vollmacht aus und besiegelte sie. Als er sie
Ingal reichte, sagte er: „Schickt meinen Kommandanten zu mir; er soll es
persönlich hören. Und jetzt, lasst mich allein.“
„Eure Eide sind gehalten“, sagte Ciaran. „Das wird nicht unvergessen
bleiben. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Rechenschaft zu
fordern für Ceannacht.“ Ros nickte nur schweigend.
Ingal verbeugte sich, bevor er ging. Sobald sich die Tür hinter ihnen
schloss, richtete er sich gerade auf: „Ich habe den Oberbefehl auf Carrnarosc
übernommen“, erklärte er laut vor den Dienern. „Der Fürst wünscht den
Kommandanten zu sprechen. Und ich brauche ein paar Schreiber im Arbeitszimmer
des Fürsten. “ Einer der Männer lief eilig davon. Dann gingen die beiden Ritter
langsam hinab auf den Burghof.
„Ihr müsst gut auf ihn achten“, sagte Ciaran. „Er will nicht mehr leben.“
Ingal nickte: „Ich werde tun, was ich kann. Sobald Connor hier ist, kann
ich ihm einen Teil übertragen. Jetzt muss ich sofort daran gehen, Roscrea aus
dem Niedergang herauszuholen“. Er seufzte. „Roscrea hat vierzehn Lordschaften. Ihr
würdet mir sehr helfen, wenn ihr mir ein paar besiegelte Urkunden zurücklasst,
die ich an die Lords schicken kann. Vielleicht reißt ein Aufruf des Regenten
sie aus ihrer Lethargie.“
Ciaran nickte. „Was ist der beste Weg, um unbemerkt nach Eannas hineinzukommen?
Wenn Gearaid zu früh von mir hört, könnte das von Nachteil sein.“
„Ich werde versuchen, einen Führer für Euch zu finden“, sagte Ingal. „Aber
schwer dürfte es nicht sein. Große Teile der Grenze sind bewaldet. – Da ist
noch etwas, das ich Euch fragen möchte: Der Fürst von Alandas, Ríochan nanntet
Ihr ihn vorhin, wie sieht er aus? Ein Krieger mit blauen Augen und goldenen
Haaren?“
„Das beginnt kaum, ihn zu beschreiben. Aber Ihr wisst mehr, als ich noch
vor kurzer Zeit wusste. Es scheint Illaloe hat viele Überlieferungen bewahrt.“
„Keine Überlieferungen“, sagte Ingal. „Ich hatte ... eine Art Vision ... als
ihr dort im Turm zum ersten Mal spracht. Nur für einen Augenblick. Da war
dieser weiß gekleidete Ritter. Er trug einen goldenen Stirnreif. Sein Blick
traf mich. Noch nie zuvor bin ich solcher Macht begegnet.“
„Es scheint, Ihr habt ihn gesehen“, sagte Ciaran leise.
„Etwas von ihm ist in Euch“, sagte Ingal.
„Ich hoffe es“, Ciarans Stimme war voller Intensität. „Ich hoffe es von
ganzem Herzen.“
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