Dienstag, 13. September 2011

Kapitel 29.3


Ingvar hatte Reginald schon fast seit dessen Rückkehr beobachten lassen. Nachdem Arnim selbst zugegeben hatte, dass seinem alten Freund und Waffenbruder nicht wirklich zu trauen war, intensivierte er seine Bemühungen noch. Alles was er in Erfahrung bringen konnte, war dass Reginalds Charakter sich wirklich in etwas Düstereres verkehrt hatte, als er zuvor gewesen war. Sein lautes oft grobes Lachen wurde nicht mehr gehört. Ansonsten trug er zum Erfolg gegen Gearaid und seine Verbündeten bei wie jeder andere. Es stand außerhalb jeden Zweifels, dass er kein Verräter für diese Gegner war. Auch war er oft – viel zu oft nach Ingvars Ansicht - allein mit Arnim. Nie machte er auch nur den geringsten Versuch, diesem schaden zu wollen. Es wäre ein Leichtes gewesen. Reginald ging nie ohne sein Schwert, Arnim trug oft nur seinen Dolch oder keine Waffe bei den vielen nächtlichen Diskussionen und Besprechungen in seinen Privaträumen. Reginalds Blick hing, wenn er sich unbeobachtet glaubte, mit einer Mischung aus Schmerz, Zorn und Trotz auf seinem Cousin, bevor er seine Gefühle wieder besser verbarg. Aber er tat nichts, was einen Verdacht rechtfertigte.
Es war dennoch eine Erleichterung für Ingvar, als Reginald einen kleinen Auftrag an der Grenze nach Roscrea übernahm, während er selbst nach Asterne aufbrach, wo der Gegner kurz vor der Kapitulation oder der Flucht stand. Es hieß, Wilgos sei schwer verletzt. Von Renad war nichts in Erfahrung zu bringen. Gearaid selbst leitete die Verteidigung von Asterne. Arnim hatte sein Hauptquartier in das eroberte und notdürftig reparierte Escail verlegt. Er hatte es abgelehnt, die Räume des Fürsten in Besitz zu nehmen, sondern hielt sich an seine alten Zimmer. Rudin arbeitete hauptsächlich im Westen. Elgin kümmerte sich um den Süden. Niko und Rieken waren schon im Norden. Eamain und Finnain hielten den Osten unter Kontrolle. Bei Arnim blieben Otho, Reasan und Obhain. Alle neueren Überläufer durften sich beim Kampf im Norden mit bewähren.
Es erschien alles sicher genug. Ingvar schärfte Otho dennoch mehrfach eindringlich ein, wie er auf die Sicherheit von Fürst Arnim zu achten habe. Er wusste nicht, was ihn so besorgt machte. Otho war einer solchen Aufgabe mehr als gewachsen. Arnim war den Wechsel auch zufrieden. Otho war gelassener, wenn es um Sicherheitsfragen ging.

An dem Tag, an dem Reginald Botschaft schickte,  dass Ingal von Illaloe Roscrea jetzt sicher genug in der Hand habe, um Verhandlungen mit Eannas aufnehmen zu können, war nur Obhain auf Escail. Otho und Reasan waren auf einer Lagebesprechung mit Rudin einen halben Tagesritt entfernt.
Arnim brach mit zwanzig Begleitern in den Osten auf und überließ die Festung Obhain. Otho und Reasan kehrten erst spät in der Nacht zurück. Otho schickte Arnim ein halbes Hundert an Reiterei Richtung Raleigh hinterher und einen Boten an Ingvar, der gefordert hatte, über solche Unternehmungen sofort unterrichtet zu werden. Der Reiter fand den Lord von Rensdal noch in derselben Nacht. Asterne hatte endlich kapituliert. Ingvar hatte die Entgegennahme Rieken und Niko überlassen, die mit Sicherheit hart genug aber dennoch diszipliniert vorgehen würden und war sofort Richtung Escail aufgebrochen. Auf die Nachricht hin jagte er mit einer Handvoll Reiter weiter in den Osten. Otho schüttelte nur den Kopf darüber. Er hatte Ingvar auch eine Abschrift des Schreibens aus Roscrea geschickt gehabt. Lord Illaloe beabsichtigte, selbst an den Treffpunkt bei Ceannacht zu kommen. Von ihm würde kein Verrat zu befürchten sein, und er würde sicherlich selbst genug Männer mitbringen, um gegen Überfälle gewappnet zu sein. Wer überhaupt hätte dort einen Überfall versuchen sollen? Die Banditen waren gegangen, wohin auch immer. Gearaids Anhänger waren geschlagen. Dort im Osten schien endlich Frieden eingekehrt.

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„Damit fehlt uns nur noch Fürst Dermot“, sagte Ciaran mit einem Seufzen.
„Imreach hat Kundschafter genug ausgeschickt“, erwiderte Béarisean, aber auch er war beunruhigt. „Sie sollten ihn aufspüren, während sie unterwegs sind.“ Es war ein schwüler Tag, ungewöhnlich für das Land so nah der Nordberge.
„Was machen wir, wenn er verschwunden bleibt?“
„Ich vermute, wenn er wirklich verschollen ist, kann Corrugh einen Vertreter benennen“, überlegte Béarisean. „Doch das wird dauern.“
Ciaran strich nachdenklich über den grünen Brokat seines Ärmelaufschlags und studierte den anderen Ritter. „Sehe ich eigentlich in etwa so beeindruckend und bedeutend aus wie du?“ fragte er.
„Ich würde einen Vergleich vermutlich verlieren“, meinte Béarisean achselzuckend. „Warum?“
„Das Leben war in vielem einfacher als ich noch nur Hauptmann der Garde war“, sagte Ciaran. „Und heiterer im Lager von Arrin. Ich hatte immer Verantwortung aber nie den Oberbefehl. Wenn ich eine etwas ungewöhnliche Idee hatte, musste ich allenfalls bis Dienstschluss warten, bis ich sie ausprobieren konnte. Jetzt gibt es keinen Dienstschluss mehr, und ich kann keinen Meter mehr gehen, ohne dass mir eine Wache folgt.“
„Möchtest du wirklich zurück?“ erkundigte Béarisean sich unschuldig.  „Unter Estohars Befehl?“
Ciaran lachte. „Nein. Nicht wirklich. Es gab da einige sehr unangenehme Aspekte. Und um nichts in dieser Welt würde ich das Schwert verlieren wollen, das ich jetzt trage. – Aber die einzige Zeit, in der ich nur einfach Ciaran bin, ist früh am Morgen, wenn ich zu dem König über den Tag spreche, der vor mir liegt. Weißt du, ich bin eine wirklich unmögliche Wahl als Regent.“
Béarisean lachte. „So unmöglich, dass du nur erscheinen musst, um enthusiastische Treueschwüre zu erhalten. Du bist konkurrenzlos.“

Eine Traurigkeit stieg in Ciarans Augen auf. Nur zu gut erinnerte sich, wer ihm diesen Satz zuletzt gesagt hatte. Er setzte sich abrupt an den Schreibtisch und griff nach Papier und Feder, starrte dann aber nur auf den leeren Bogen vor sich. „Ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll“, sagte er dann hilflos. „Ich kann keinen von ihnen begnadigen, weder Diriac noch Patris oder Restac, ohne eine triftigen Grund zu haben. Und ich weiß niemanden, den ich schicken könnte, um Verhandlungen mit ihnen aufzunehmen, selbst wenn ich wüsste, wo sie jetzt zu finden sind.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber zumindest eine Verfügung sollte ich machen, bevor der Kampf über uns ist.“ Er tauchte die Feder ein und begann den ersten Satz.
Béarisean sah über seine Schulter. „Diriac. Ja, das sollte wohl möglich sein. Für seine Verdienste dir gegenüber. Er ist nicht der Anführer und kaum jemand von außerhalb Arrins wird seinen Namen kennen, nach dem, was du erzählst.“
„Ich vertraue dir diese Angelegenheit an“, sagte Ciaran ernster als sonst. „Was auch immer geschieht, Diriac soll mir nicht umsonst Freundschaft erwiesen haben.“
„Warum bist du so überzeugt, dass du das nicht später einmal selbst regeln kannst, dafür aber ich?“
Ciaran unterschrieb das einfache Dokument und versiegelte es sorgfältig, bevor er es Béarisean reichte. „Es ist mehr eine Vorsichtsmaßnahme. Ich will sicher sein, dass das Wort, das ich gegeben habe, gehalten wird.“

Sie hörten kurz darauf schnelle Schritte. Es war Halis, die hereinkam. „Dermot ist gefunden“, gab sie gleich bekannt. „Er ist auf dem Weg hierher.“
„Wo war er?“ fragte Béarisean.
„Das wissen meine Späher nicht. Irgendwo im Osten von hier, mehr kann niemand sagen.“
„Jedenfalls können wir jetzt die Versammlung einberufen“, sagte Ciaran.

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„Wir sollten uns beeilen“, meinte Lord Akan mit einem Blick auf den Horizont im Osten. Der Himmel dort war schwärzlich und das Land davor wie mit Dunst durchsetzt. „Das Unwetter wird bald heran sein.“ Er ließ sein Pferd in einen leichten Galopp fallen.
Isabell lachte, während auch sie ihr Reittier antrieb. „Dann also ein kleiner Wettlauf zum Abschluss“, rief sie.  „Ein guter Abschluss für einen schönen Tag.“ Erste Windböen kamen auf und zausten ihre Haare. Der Geruch der Luft änderte sich.
Es war wirklich ein guter Tag gewesen. Akan hatte ihr tatsächlich einen Bogen beschafft. Nun, er war einer der hohen Herren auf Carraig, und sie hatte Bogen genug gesehen bei den schwarzgekleideten Soldaten in und um die Burg. Es dürfte also kein Problem für ihn gewesen sein. Er hatte noch zwei Begleiter mitgenommen. Sie waren bis zum Waldrand geritten, waren aber für das Bogenschießen an dessen Rand geblieben. Akan selbst war ein exzellenter Schütze, wie sich gezeigt hatte, doch er konnte auch gut Unterricht erteilen. Vielleicht hatte er die beiden Untergebenen mitgenommen, damit jemand nach den – von ihr – verschossenen Pfeilen suchen konnte. Sie hatte ihm das auch so gesagt, und er hatte geantwortet, es gebe in der Tat Dinge, für die ihm seine Zeit zu kostbar sei. Es hatte sie nachdenklich gestimmt. Ansonsten war es sehr leicht zu vergessen, dass er irgendein hoher Herr war. Doch jetzt, da sie darauf achtete, fiel ihr auf, mit welcher Vorsicht ihm jeder begegnete. Vorsicht – ein eigentümlicher Ausdruck, es so zu nennen, doch er schien es am besten zu beschreiben.
„Seid Ihr eigentlich sehr gefährlich?“ hatte sie recht unvermittelt gefragt, als sie mit ihren Gedanken so weit gekommen war.
Akan hatte sie wieder auf diese seltsam unergründliche Art angesehen und zurückgefragt. „Wie sicher seid Ihr, keine Wiedergeburt Lady Eliannas zu sein?“
„Wiedergeburt?“ hatte sie gemeint. „Glaubt Ihr an so etwas?“
Er hatte sein halbes Lächeln gelächelt. „Ich glaube gar nichts. Ich weiß oder ich weiß nicht. Letzteres ist weniger häufig.“ Sie hätte ihn daraufhin am liebsten geschlagen. Er spielte wieder mit ihr, und sie wusste schon, dass dann keine klare Antwort zu bekommen war. Abgesehen davon war es ein herrlicher Tag gewesen.

Der Wind wurde stärker. Sie blickte zu der nun schon sehr nah aussehenden Regenfront und zur Burg. Es sah aus, als würden sie dieses Rennen verlieren.
Akan nahm auf einmal die Zügel auf und setzte das Tempo stetig herab. „Wir sind nicht die einzigen, die es nicht vermeiden können, nass zu werden“, sagte er. „Da kommt Lùg zurück. Ihr werdet mich leider entschuldigen müssen, es sei denn Ihr wollt in den heftigsten Wolkenbruch geraten.“
Isabell beschloss, den Hinweis nicht zu verstehen. „Nass werde ich ohnehin.“ Sie lächelte. „Oder ist es, dass Ihr nicht in meiner Gesellschaft gesehen werden wollt?“
Er lachte amüsiert. „Es ist nur, dass ich ein paar Dinge möglicherweise nicht erfahren werde, wenn Ihr dabei seid.“ Sein Ausdruck ließ keinen Zweifel, dass er erfahren werde, was er wissen wollte. Isabell konnte sich nur ärgerlich darin fügen, mit ihren beiden anderen Begleitern schneller weiter zu reiten.

Lùg ließ nicht lange auf sich warten. Er hatte es noch nie besonders geschätzt, durchnässt zu werden und trieb sein Pferd stark an. Die Blitze zuckten schon über die Ebene, als sie beide den Aufstieg errreichten und das Grollen des Donners bildete ein stetes Hintergrundgeräusch.
„Deine Gesellschaft war sichtlich angenehmer als meine“, sagte der blonde Lord, während sie ihre Tiere klettern ließen.
„Beides kostet Zeit“, meinte Akan gleichgültig. „Du warst erfolgreich?“
„Wäre ich sonst hier? “ Lùg schnitt eine Grimasse und sagte beißend. „Ich weiß, es fällt euch allen manchmal schwer, es in Erinnerung zu behalten. Doch ich bin tatsächlich ein Lord von Winian. Mit allem, was das beinhaltet.“
„Dieser Ciaran ist nicht zu unterschätzen“, meinte Akan.
„Es fiel mir auf“, gab Lùg knapp zurück.
„Dieser Dermot ...?“
„... ist nur ein hinterlistiger, feiger, machtgieriger Dreckskerl, der für nichts Großes taugt.“ Er spuckte angewidert aus.
„Gut, das zu hören. Letzthin haben zuviele andere Reste von Größe in sich entdeckt.“
„Der nicht“, sagte Lùg verächtlich.

Akan sah ihn kurz an. „Manchmal offenbarst du interessante Seiten.“ Er zweifelte keinen Augenblick, dass Lùg sich bewusst war, dass es für diese Aufgabe genau ein solches Stück Abschaum gebraucht hatte. Was auch immer Lùg an Stärke fehlen mochte – die Differenz zu den anderen Lords war nicht unbeträchtlich -, war bei ihm durch einen ungewöhnlich scharfen Verstand wettgemacht.
Ein Sekundenbruchteil trat Misstrauen in Lùgs Augen. Dann lächelte er nur spöttisch. „Das gehört zu meinem Metier.“ Eine wahre Aussage. Immer wieder ließ sich einer der anderen Lords täuschen durch eine von Lùgs unzähligen Fassaden. Akan war jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass der andere auch seine wirkliche Gesinnung unter seine vielen Masken reihte. Das war einfacher, als sie vollkommen verborgen zu halten. Eines Tages würde er erproben, ob Lùg tatsächlich Größe schätzte. Eines sehr fernen Tages. Jetzt warf er nur einen Blick auf die Wolken und trieb sein Pferd mehr an. Fast holten sie Isabell und ihre Begleiter wieder ein. Der Wolkenbruch war jedoch noch schneller.

Lùg ließ die Zügel seines Braunen fallen, wo er von ihm sprang und eilte in den Schutz der Mauern, ohne ein weiteres Wort mit dem andern Lord zu wechseln.
Akan blieb einen Augenblick halten und sah ihm hinterher. Lùg in so offenkundig gereizter Stimmung war etwas Neues. Er winkte einem der Stallknechte zu, sein Pferd zu übernehmen und trat unter ein vorhängendes Dach, wo er sich die Nässe aus dem Gesicht strich, während er den Hof und die Gebäude studierte. Nach einer Weile war er sich sicher: es gab mehr Streit hier als sonst. Er fühlte und hörte es in Wortfetzen, die sich die einzelnen Kämpfer und Dienenden auf dem Hof und in den Ställen zuwarfen. Wie es schien wirkte Erendars Fluch stärker, als sie es beabsichtigt hatten; er ergriff alle, die auf Carraig und in dessen Nähe waren, verzerrte auch ihre Eindrücke ins Negative. Er hatte es damals schon befürchtet. Es war einfach zuviel Macht gewesen, die sie eingesetzt hatten. Erendar hatte nicht unrecht gehabt: mehr als genug, um eine Welt aus den Angeln zu heben. Jetzt würde er noch viel umsichtiger sein müssen als sonst und konnte nur hoffen, dass sein Dienst ihn wie geplant bald von hier wegführte, bevor das eskalierte. Der Gedanke an Barraid unter Einfluss dieses Übels war nichts, was er als Realität erleben wollte.
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„Es zieht ein Gewitter auf“, sagte Fürst Ludovik, als er neben Ciaran herging. Der Himmel im Osten hatte sich mit tiefschwarzen Wolken verdüstert. Der ganze Nachmittag war bereits drückend schwül gewesen. Dorban war auch bei ihnen. Er hatte, wie es schien, in der Nähe des Zeltes gewartet, bis auch Ludovik kam, um seinen Regenten abzuholen.  Jedenfalls gelang es ihm, fast gleichzeitig den Eingang zu erreichen. Béarisean kam nicht mit. Dies war eine Angelegenheit der Fürsten über Abhaileon und des Rates allein. Béarisean hatte Rafe zu einem Gespräch eingeladen. Was dieser sehr erfreut angenommen hatte – nachdem Dorban bemerkt hatte, er werde ihn solange beim Regenten vertreten.
„Was wir tun sollten, benötigt nicht viel Zeit“, antwortete Ciaran. Er schien ein wenig geistesabwesend. Die drohenden Wolken beachtete er nicht.
„Es sollte eine reine Formalität sein“, murmelte Ludovik. „Konntet Ihr ihn sprechen?“ Sie alle wussten, wen er meinte.
Ciaran schüttelte den Kopf. „Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan“, sagte er. „Doch ich vermute, auch der Gegner weiß nur zu gut, was ihn damals in den Großen Kriegen den Sieg gekostet hat.“
Ludovik seufzte. „Ich wünschte, wir könnten die Regeln neu festlegen.“ Auch er war sich wohl klar darüber, dass sie an diesem Abend scheitern würden. Dennoch musste der Versuch gemacht werden und dennoch vermieden sie es sorgfältig, den wahrscheinlichen Ausgang zu nennen.

„Was hindert uns, ihn zu zwingen oder bei Weigerung abzusetzen?“ wollte Dorban wissen.
Ciaran brauchte alle seine Disziplin, um ruhig und ohne eine Spur von Missmut zu sagen: „Die Gesetze des Königs.“ Es war hart, es zu akzeptieren.
Ludovik hielt das Bedauern nicht aus seiner Stimme. „Es darf keine Gewalt geben, keinen Zwang. Die Entscheidung muss vollkommen frei sein.“
„Aber es ist ungerecht“, protestierte Dorban. „Dass jemand, ein Einzelner, etwas so Wichtiges zum Scheitern bringen darf.“
„Es ist das Gesetz“, wiederholte Ciaran. „Wenn wir es brechen, kann Fürst Ríochan uns genausowenig helfen, als wenn es nicht erfüllt wird. Besser wenn nicht wir es sind, die die Verantwortung tragen, wenn der Bund scheitert.“
„Barraid weiß das alles besser als wir“, sagte Ludovik grimmig. „Doch früher oder später wird er einen Fehler machen.“
„Was wenn nicht?“ fragte Dorban. Er blickte nach Osten. Auf seinem Gesicht malte sich Besorgnis.
„Etwas wird geschehen“, versicherte Ciaran, „wenn wir die Treue halten. Gleich was über uns heraufzieht.“

Sie wurden am Versammlungsort schon erwartet. Es war noch vor der Zeit, doch hoffte wohl jeder der Anwesenden, das Gewitter noch vermeiden zu können, wenn keine Minute vergeudet wurde. Estohar achtete darauf, dass jeder sehen konnte, wie er sich vor dem Regenten verbeugte.
Ciaran kam ohne Umschweife zur Sache. Kurz riss er noch einmal ihre Situation auf. Carraig in der Hand des Schwarzen Fürsten. Dessen Verbindungen mit den Banditen. Den Verrat in Eannas, das Leid in Roscrea, die Bedrohung Saileans, die beunruhigenden Ereignisse im Osten Dalinies. Noch einmal erinnerte er an die Großen Kriege, um dann zu schließen:  „In fast allen Belangen des Landes hat der Regent Abhaileons Verfügungsgewalt, doch nicht in diesem: Nur mit Zustimmung aller Fürsten kann ich Alandas bitten, uns zu Hilfe zu kommen. Wir sind hier jetzt vollständig versammelt ...“
„Das sind wir offensichtlich nicht“, unterbrach ihn eine heisere Stimme. Alle Blicke richteten sich auf den etwas dicklichen Fürsten mit den angegrauten Haaren. Er war in helles Blau gekleidet, über das Flammen aus Silber zu lecken schien. Ciaran erkannte die Farben sofort wieder. Arnim von Lassalle hatte in jener Nacht auf Escail etwas Ähnliches getragen. Gletschereis und Flammen – die Farben von Corrugh.
„Was vermisst Ihr, Fürst Dermot?“ fragte er ruhig.
„Einige Anwesende“, antwortete Dermot. „Besonders aus dem Südosten.“
„Sailean ist durch mich vertreten“, erklärte Finn daraufhin sofort heftig. „Ich habe die volle Autorisierung meines Vaters!“
„Das mag sein ...“
„Das ist so!“ Finns Augen blitzten zornig. Es schien, dass seine Vollmacht nicht zum ersten Mal angezweifelt wurde.

Dermot musterte ihn ärgerlich. „Vertretet Ihr auch Roscrea?“
„Aus Roscrea haben wir die Einverständniserklärung Lord Illaloes, der derzeit die Geschäfte für Fürst Ros führt.“ Das war Estohar. „Ihr könnt die Urkunde einsehen, solltet Ihr meine Worte anzweifeln. – Der Rat schließt sich der Bitte des Regenten mit allem Nachdruck an. Wir brauchen den Beistand aus Alandas.“
„Imreach schließt sich dem an“, erklärte Fürstin Halis. Sie warf einen unfreundlichen Blick auf Dermot. „Falls Ihr mein Wort anzweifeln wollt, auch ich kann Euch eine schriftliche Erklärung meines Mannes vorlegen.“ Einzelne lachten. Jeder wusste, dass Fürst Julian und Fürstin Halis immer eine einzige Meinung vertraten, und dass die Fürstin nicht ohne Grund das Heer aus Imreach befehligte.
„Ich bezog mich auch in der Hauptsache auf Eannas“, erklärte Fürst Dermot unwirsch. „Sollte Fürst Gearaid tatsächlich in dieser Sache kapituliert haben?“
„Es könnte in der Tat sein, dass er inzwischen kapituliert hat“, antwortete Ciaran. „Doch falls dem so ist, hat er es nicht mehr als Fürst getan. Seit gestern ist er auf Antrag der Mehrheit der Lords von Eannas und mit Bestätigung des Rates abgesetzt. Und der neue Fürst von Eannas unterstützt unsere Arbeit in allen Belangen.“
Dermot wirkte auf einmal gehetzt. „Ein neuer Fürst?“
„Seit gestern“, bestätigte Estohar. Es gelang ihm, keine Miene zu verziehen. „Die Lords von Eannas hatten ihre Wahl bereits getroffen. Es war eine reine Formalität, ihren Willen zu bestätigen.“
„Ihr seht, Dermot,“ mischte sich nun auch Dorban ein. „Es fügt sich alles zu unseren Gunsten und zum Wohl Abhaileons. Ihr selbst steht doch sicherlich auf unser aller Seite?“

Dermots Lippen wurden bleich. „Ich kann diesem Bündnis mit Alandas nicht zustimmen“, sagte er.
Dorban runzelte die Stirn. „Nennt uns den Grund, warum Ihr uns allen in den Rücken fallen wollt.“
„Es ist nur ...“ Dermot suchte verzweifelt nach einer Begründung. „Es ist nur, dass ich ein sehr ehrlicher und ehrenhafter Mann bin“, begann er. Jemand schnaubte verächtlich. Ciaran konnte sich nicht sicher sein, doch er hatte den Eindruck, das das der Fürst von Caillich gewesen war. Dermot schien den gleichen Eindruck zu haben. Er starrte wütend in Richtung des Fürsten. „Und es wäre unehrlich“, fuhr er fort, „so zu tun, als glaube ich an all das mit Alandas und dem König.“
„Schon gut“, meinte Donal von Tireolas. „Wir haben Euch jetzt alle gehört. Vielleicht teilt sogar der eine oder andere hier im Stillen Eure Meinung. Niemand kann Euch also mehr Unehrlichkeit vorwerfen. Da Ihr also Alandas für nicht existent haltet, sollte es keine größere Schwierigkeit darstellen, bei der Formalität mitzumachen, die seine Hilfe ersucht. Was sollte denn geschehen, wenn Ihr Recht habt?“
„Ich ...“, Dermot bewegte sich unruhig, während er angestrengt nachdachte. „Was wenn es doch existiert?“
„Um so weniger Grund für Euch, Euch jetzt zu sperren?“ schlug Halis vor.
„Nein“, rief Dermot. „Nein. Eine fremde Macht auf unserem Boden.“
„Ja, die wären wir gerne wieder los“, meinte Ludovik. „Leider hat sie sich fest in Carraig eingegraben. Nach ihren eigenen Aussagen kommen sie dort aus einem anderen Land namens Winian.“
„Das sagte mir der Fürst auf Carraig selbst“, bestätigte Dorban.
„Lord Fíanael erklärte es mir gegenüber“, fügte der Regent hinzu.

„Fíanael“, flüsterte Dermot, während das Gewitter in der Ferne grollte. Er griff sich an die Stirn, wie um die Erinnerungen an den Nachmittag des vergangenen Tages fortzuwischen und fühlte Schweiß.
„Ihr kennt ihn?“ Das war der Regent. Er war dicht an ihn herangetreten.
„Natürlich nicht. Ich kenne ihn nicht. Ich meine, wer soll das sein?“
„Ich bitte alle, uns einen Moment zu entschuldigen“, sagte Ciaran ruhig. Er packte den Fürst von Corrugh am Arm und ging mit ihm aus dem Kreis heraus. Dorban versuchte ihm zu folgen, aber der Regent schüttelte den Kopf. So blieb er unwillig zurück. Er beobachtete sie jedoch außer Hörweite mit der Hand am Schwertheft.

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