Donnerstag, 1. September 2011

Kapitel 15.2


Ciaran ging zum Kochfeuer. Es war ohnehin Zeit, sich um sein Abendessen zu kümmern. Heute waren viele auf dem kleinen Platz versammelt. Es hatte wenig Neuigkeiten gegeben in den letzten Monaten. Er setzte sich mit seinem Eintopf neben den großen Schwarzhaarigen, den er am Nachmittag von weitem gesehen hatte. Shannon, der den Platz vor ihm eingenommen hatte, gab ihn sofort frei, als er kam. „Wir haben schon voneinander gehört“, sagte er zur Begrüßung mit einem Grinsen. „Pat, der große Stratege, wie ich höre?“
Der andere betrachtete ihn amüsiert. „Dann bist du Cormac, der neue Stern am Räuberhimmel von Arrin? Nur gut, dass du Lennard schon einmal für mich los geworden bist. Übrigens, ich bin konkurrenzlos.“
„Trifft sich gut“, sagte Ciaran. „Ich auch.“ Pat lachte. Er machte eine Handbewegung und alle, die in der Nähe saßen, standen auf und suchten sich andere Plätze. Dann trat etwas Stählernes in Pats Blick. „Rivalen kenne ich nicht. Aber falls du trotz allem ein Verräter bist, nimm dich in acht!“
„Danke für die Warnung“, sagte Ciaran gelassen. Was konnte Pat schon von seinen wirklichen Problemen wissen; ein bisschen Misstrauen war geradezu selbstverständlich, wenn man von Ciarans Auftauchen in Arrin hörte.

Pat warf ein paar kleine Blätter und Steinchen, die neben ihm lagen, als er habe er sie dort gelangweilt angehäuft, während er auf seinen Teil der Bratens wartete und sich unterhielt, in das Feuer. Die Flamme loderte davon nicht nennenswert auf. Sie studierten sich gegenseitig mit Interesse. Die nächste Frage Pats kam überraschend. „In welcher der Garden hast du gedient?“
„Ich wollte in die Palastgarde. Aber ich gefiel Estohar nicht.“ Ciaran bemühte sich, weitgehend bei der Wahrheit zu bleiben, ohne zuviel zu verraten.
Pat schnaubte verächtlich. „Warst ihm nicht brav genug, vermute ich. Stadtgarde also.“
„Das Grundtraining ist gemeinsam.“
„Nicht viele Dalinianer dort.“
„Nein“, Ciaran fühlte, dass das Ganze auf irgendeine Klippe zusteuerte.
„Nur ein dalinianischer Offizier, wie ich hörte. Aber nicht in der Stadtgarde. Noch ziemlich jung, irgendsoein dunkelhaariger Draufgänger.“
„Hauptmann Ciaran“, bestätigte Ciaran kurz.
„Richtig, so war der Name. Gelegentlich mit ihm zu tun gehabt?“
„Die beiden Garden haben wenig Kontakt untereinander.

Pat studierte ihn noch eingehender, schob dann gedankenverloren einen Ast ins aufflackernde Feuer und meinte schließlich mit einem Schulterzucken. „Alles ohne Bedeutung jetzt. Sie haben dich genauso in der Hand wie mich, wie ich hörte.“
Die gefährliche Stelle schien passiert zu sein, auch wenn Ciaran nicht begriff warum. Er starrte eine Weile ins Feuer, in dem Pat mit dem kurzen Ast herumstocherte, dass ein paar Funken aufstoben und beschloss das Thema zu wechseln: „Wie ist es auf Carraig?“
Pats Blick verdüsterte sich. „Auch wenig Kontakt untereinander. Die andern glauben, sie stünden hoch über uns gemeinem Fußvolk.“
„Ich bin bisher nur Lord Fíanael begegnet. Direkt bei meiner Ankunft.“
„Ich hörte davon.“

Ciaran warf ihm einen schnellen Blick, ohne etwas aus diesem gelangweilt wirkenden Gesicht ablesen zu können und senkte den Kopf; sein Ruf war durch die unglückliche Angelegenheit wohl bleibend festgelegt. Ob er diese Gerüchte jemals loswürde? „Was machtet ihr überhaupt dort?“ wollte er wissen.
Pat zuckte die Schultern. „Gute Frage. Habe ich mir dort auch öfters gestellt. Vielleicht wollten die Schwarzen jemand, mit dem sie Streit anfangen konnten. Wir saßen dort die ganze Zeit fest, bis auf ein paar kurze Streifzüge in die Gegend. Zuerst hieß es, die Schwarzen ritten nicht weiter als bis Corimac und wir sollten Außenstreife machen. Aber dann, als das Theater im Herbst losging, sind einige in den Westen geritten und uns wollten sie nicht rauslassen.“
„Theater?“
„Genau genommen muss es schon angefangen haben, bevor Restac mit uns dorthin kam. Irgendwann im Sommer. Da tauchte dieser Drache in Gleann Fhírinne auf und der Fürst verlor angeblich sein bestes Pferd. Soll ziemlich unleidlich gewesen sein danach. Kurz darauf kam Lord Asrain hierher nach Arrin. War schon übel genug, dass die Schwarzen immer wieder bei uns auftauchten und Ärger machten. Aber diesmal musste Restac auf den Stuss mit nach Norden. Mich stöberte er noch ein Stück weiter weg auf.“ Er schnaubte wieder. „Restac war nicht der einzige Gast dort. Es sollte wohl geheim bleiben. Aber Gearaid von Eannas machte einen derartigen Aufstand, als wir gleichzeitig mit ihm eintrafen, dass jeder mitbekam, wer er war.“

„Der Fürst von Eannas auf Carraig?“ wiederholte Ciaran ungläubig. Ihm brannte die Frage auf der Zunge, warum Pat ihm all das so bereitwillig wenn auch mit knappsten Worten erzählte. Als seien sie Vertraute. Aber er fühlte, dass der andere von ihm erwartete, sich genauso fast gelangweilt zu geben, wie er selbst all das vortrug.
„Was auch immer verhandelt wurde. Ich weiß es nicht. Restac war äußerst zugeknöpft. Aber das Beste kommt noch. Während die diversen Parteien da verhandelten, alle schön getrennt, sickerten Gerüchte durch, es seien Ritter des Königs auf Carraig gewesen. Na ja, andere sagten, sie hätten nur behauptet, es zu sein, seien aber Betrüger gewesen. Und Dorban von Tairg sei mit ihnen losgeritten, um sie, ob nun echt oder nicht, irgendwo um die Ecke zu bringen.“
„Jetzt komm“, sagte Ciaran möglichst gleichgültig. „Der Lord von Tairg? Selbst ich weiß, dass wir hier mit Tairg dauernd Probleme haben. Der arbeitet doch wohl kaum mit uns zusammen, wie auch immer das aussehen soll.“
„Wer redet denn von uns?“ sagte Pat sarkastisch. „Ich redete von Carraig und seiner Hoheit, dem Fürsten. Der bestimmt selbst seine Verbündeten. Einfache Methode. Du ziehst mit oder du bist Vergangenheit. Na, du wirst es ja noch selbst sehen. Denkst du, Restac wollte ein Bündnis mit dort? Es bringt ihm nichts als Scherereien. Aber stell dich mal gegen ein paar hundert ausgebildete Krieger. Der könnte mit dem hier kurzen Prozess machen. – Jedenfalls, so war der Stand, als Restac und auch dieser Gearaid mit seiner Entourage in den Süden zurückkehrten. Ich hatte vor, mich auch so schnell wie möglich wieder unsichtbar zu machen. Aber dann kam ein Bote und es brach richtig die Hölle los. Ich merkte es zum Glück gleich und habe keinen von den Männern mehr aus dem Quartier gelassen, bis sich das Schlimmste legte. Und dann saßen wir fest. Die Lords waren alle unterwegs. Der Fürst hatte Wichtigeres zu tun, als sich Anweisungen für uns auszudenken. Und wir versuchten, möglichst unbemerkt zu bleiben. Es war kein Spaß, sage ich dir. Es dauerte, bis wir auch nur andeutungsweise mitbekamen, was gelaufen sein muss. Aber einige von Barraids Leuten prahlen gern herum und lassen dabei das eine oder andere fallen, was sie nicht sollten.
Was dabei rüberkam ist folgendes: Dorban brachte die beiden Ritter zur Drachenschlucht. Weil sie ja nicht echt waren, sollte der Drache sie erledigen. Dann aber haben sie wohl den Drachen erledigt. Jedenfalls hört man nichts mehr von dem. Gleichzeitig tauchte Dorban ab. Oder hat sich ihnen angeschlossen und Barraid will seinen Kopf.“

Ciaran fühlte sich ganz betäubt von diesen Neuigkeiten. Er war sich unsicher, ob er sie glauben sollte. Vielleicht wollte Pat ihn damit irgendwie auf die Probe stellen. Aber er konnte sich nicht denken wie. „Warum erzählst du mir das eigentlich?“ fragte er schließlich doch nach einigem Schweigen.
„Dachte, es sei besser, du weißt Bescheid. Wenn du es noch nicht gehört hast, wirst du bald wissen warum. Und wer auch immer du bist, gegen das, was dort läuft, sitzen wir beide in einem Boot.“
„Und jetzt sollst du Dorban jagen?“
Pat lachte. „Der ist irgendwo im Osten verschwunden. Ich gehe nach Süden. Da brauchen sie ‚Strategen‘. Auf irgendeine Burg haben sie es abgesehen dort in Roscrea. Muss ein harter Brocken sein.“
„Und die dort sitzen nicht mit im Boot?“
Diesmal war Pats Lachen freudlos. „Manchmal muss jemand vor die Haie, damit die anderen überleben. Und dir und mir, uns sitzt der Haken schon im Hals. Wir spielen mit, oder es zerreißt uns die Kehle. Das Dunkel lässt keinen mehr aus den Fängen.“

Etwas daran, wie er das sagte, ließ einen Namen in Ciarans Erinnerung aufsteigen. Der leichte Akzent, den Pat hatte kam aus dem Süden. „Patris Erendar, Reiterhauptmann von Imreach“, sagte er leise. Kurz nachdem die Ritter die Hauptstadt verlassen haben mussten, war etwas geschehen gewesen, was Estohar zu einigen zornigen Tiraden über den Imreacher veranlasst hatte. Ciaran spürte Übelkeit in sich aufsteigen. War es soweit mit ihm gekommen durch seine unbedachten Taten und Worte im vergangenen Herbst, dass ihn jemand wie dieser Verfemte als seinesgleichen betrachtete? Er sah nachdenklich auf Pat, der nicht wie der gewissenlose Unhold wirkte, von dem ihm erzählt worden war.
„Ich glaube, wir waren uns einig, gewisse Namen nicht zu nennen“, sagte Pat fest. „Und jetzt iss lieber fertig. Könnte sein, dass du heute Abend noch ein bisschen was zu verdauen hast.“ Er nickte Marvin zu und der leere Raum um sie füllte sich wieder.

Pat hatte einen wenn auch etwas dunklen so doch unerschöpflichen Humor. Bald lachten alle, die in der Nähe saßen, selbst wenn es auf ihre Kosten ging. Ciaran hörte nicht mehr richtig zu. Patris Erendar war eine Legende. War Legende das richtige Wort? Wie hieß das bei jemandem, der auf Estohars Abscheuliste direkt hinter dem Schwarzen Fürst und Arnim Lassalle kam? Einst Führer der Reiter von Imreach, ließ er sich auf irgendwelche dunklen Dinge ein. Die Gerüchte waren sich nicht ganz einig. Er habe seine Seele verkauft, sagte man in Estohars Kreisen. Was auch immer geschehen war, Fürst Julian hatte ihn des Landes verwiesen. Eine Zeitlang trieb er sich noch mit ein paar Anhängern in der Wüste von Cerath herum, überfiel Karawanen. Aber Fürstin Halis, die die Leitung der Reiter übernommen hatte, war ihm mehr als gewachsen und so verschwand er schließlich. Spurlos. Das bewahrte ihn wohl vor der offiziellen Ächtung durch den Rat in Croinathír. Cerath und Imreach hielt nur flüchtigen Kontakt mit dem Hauptland. Bis die ersten Gerüchte sich erhärteten, waren sie schon gegenstandslos geworden.
Das Erschütterndste war, dass er für diesen Verfemten, diesen gefährlichen Verbrecher, Sympathie empfand. Er konnte sich gut eine Zusammenarbeit mit ihm vorstellen. Vielleicht keine Freundschaft, da war dieses Stahlharte, unberechenbar Gefährliche in dem anderen, das keine wirkliche Vertraulichkeit aufkommen ließ. Das war jemand, der über Leichen gehen konnte. Und doch, diese Freudlosigkeit, als er so leichthin davon sprach. Ciaran schauderte. Der entscheidende Unterschied war, dass Ciaran seine Seele nicht verkauft hatte. Oder vielleicht doch?
Heiße Verzweiflung stieg in ihm auf, so heftig, wie an jenem unglücklichen Tag im Herbst. Er musste hier weg. Gleann Fhírinne hatte Pat gesagt, das war immerhin ein Anhaltspunkt. Er würgte den Rest seines Essens hinunter. Gerade rechtzeitig, bevor Diriac kam. Müde sah er aus. Restac verlange ihn, sagte er.

Ciaran nickte. Patris‘ Andeutungen. Es konnte nur heißen, dass man aus Carraig nach ihm schickte. Waren die schwarzen Reiter gekommen, um ihn dorthin zu begleiten? Ein Impuls drängte ihn, sein Pferd zu nehmen und zu fliehen, solange es noch möglich war. Er gab ihm nicht nach und ging weiter. Die Reiter aus Carraig hatten sich vor der Hütte des Banditenführers um ein Feuer gesetzt. Sie beachteten ihn nicht, als er vorüber ging. Er klopfte mit der Faust an den Türrahmen und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten. „Du wolltest mich sprechen?“ Restac lehnte an seinem wie immer fast leeren Schreibtisch. Der einzige, der je daran arbeitete, war Diriac.
„Du weißt, dass du einen Fehler gemacht hast“, stellte Restac fest.
Ciaran runzelte die Stirn. Durchschaute ihn plötzlich jeder? Nein, das konnte nicht gemeint sein. „Eigentlich nur einen, der mir da einfiele“, sagte er, „hier aufzutauchen, als Fíanael da war.“
Restac nickte anerkennend. „Bist wirklich ein kluger Kopf. Du hättest ihm nichts versprechen sollen.“
„Ich dachte, ich müsste es, um hier bleiben zu können.“
Restac schnitt eine Grimasse. „Und ich dachte, ich wollte dich sowieso nicht hier behalten. Aber was hilft’s. Du wirst auf Carraig verlangt, Fíanael will dich für irgendein Kommando dort.“
Ciaran nickte nach draußen. „Die da?“
„Nein, die reiten nach Süden. Du hast noch ein paar Wochen hier. Verdammt auch, jetzt muss ich Davim doch wieder zurückholen. Du reitest mit Diriac. Ich muss wieder ein paar Männer dort hoch schicken, und ich vermute, Pat hat fürs erste die Nase voll.“
„Du bist doch sein Boss.“
Restac verzog das Gesicht. „Und Pat ist Pat. Ihr solltet euch inzwischen begegnet sein. Ihr vertragt euch, hoffe ich.“
Ciaran nickte. „Wir suchen beide keinen Streit. Er sagte, man wolle ihn im Süden. Ich dachte, das sei eine unserer Angelegenheiten.“
„Es war noch keine Zeit, mit ihm zu reden. Er soll also auch da runter in dieser Angelegenheit. Nichts auf das ich mich gerne einlasse.“ Restac starrte ins Leere. „Geh jetzt, und schick mir Pat!“

Ciaran hätte selbst gerne noch ein paar Worte mit Patris gewechselt, aber es ergab sich keine Möglichkeit. An keinem der sieben Tage, die dieser im Lager blieb. Die schwarzen Reiter aus Carraig waren schon am zweiten Tag wieder aufgebrochen. Es war wohl Patris selbst, der an keinem weiteren Gespräch interessiert war. Nicht dass er unfreundlich war. Ciaran war stets willkommen in der Runde um ihn. Genau diese Runde war das Problem; Pat war nie allein anzutreffen. Auch Diriac war wenig ansprechbar. Meist vergrub er sich in verschiedenste kleine Verpflichtungen.
Am Morgen seines Aufbruchs in den Süden, die Pferde waren schon gesattelt, winkte Pat Ciaran zu: „Komm Kamerad, begleite mich ein Stück.“
Restac, der dabei stand, sagte fast warnend: „Nimm ihn nicht mit dir.“ Ciaran vermutete, dass es im Scherz gesagt war, denn zu ihm sagte er nichts. Nur dass Restac sonst nie Scherze machte.

„Aye, Hauptmann“, Pat lachte unbekümmert wie immer. „Kann ihn hier brauchen, um das Lager Lennard-frei zu halten. Komm, Cormac, mach zu.“
Ciaran ließ sein Pferd holen und blieb an Pats Seite, während sie an der Spitze des Trupps den Postenring durchquerten. „Versuchte Lennard wirklich dich auszubooten?“ fragte er, um mit etwas Unverfänglichem zu beginnen.
Pat war amüsiert. „Lennard ist ein Esel. Na, beeindruckt von mir?“
Ciaran lachte. „Du bist konkurrenzlos.“
„Du auch“, gab Pat zurück. „Sie hängen alle um mich herum – und erzählen von deinen Heldentaten.“ Er drehte sich um, gab dem nächsten Reiter einen Wink und ritt mit Ciaran zur Seite. Der Trupp zog langsam an ihnen vorüber. Sie hatten einen weiten Weg vor sich, es gab keinen Grund zu unnötiger Eile.

„Nun, kommst du mit?“Restac hatte das also ernst gemeint.
„Nach Roscrea?“ fragte Ciaran zurück.
„Fürs erste. Am besten dann gleich weiter. Ruandor zum Beispiel. Besser noch Imreach. Liegt schön weit ab von allem Ärger.“
„Wirklich?“ Ciaran blickte ihn zweifelnd an.
„Ah“, Pat winkte ab. „Meine Fehler dürften nicht dein Problem sein. Fürstin Halis wird keinen von den Schwarzen dort Fuß fassen lassen.“
„Ich muss nach Norden“, sagte Ciaran.
Pat zuckte die Schultern. „Musst’s schon selber wissen. Tat mir nur leid  um dich.“ Er fluchte leise. „Und um den guten Diriac. Er ist vollkommen neben sich, seit er es hörte.“

„Was ist dort so gefährlich?“
Wieder zuckte Pat die Schultern „Wer weiß schon?  Es ist wie ein Treibsand. Du denkst immer, du schaffst es noch, aber schon der erste Schritt war zu einer zuviel.“ Seine Augen waren vollkommen ausdruckslos, als er das sagte. Dennoch erahnte Ciaran einen Schmerz tief unter der Gleichgültigkeit von Worten und Blick, dem Ciaran nun erwiderte, ohne ausweichen zu wollen. Keine Angst, keine Unruhe, nur ein kaum zu erahnender Schmerz.
Pats Zügelhand ruhte auf seinem Sattelknauf. Ciaran legte seine Hand darauf. „Und wenn es mir gelänge herauszukommen? Soll ich ein Seil werfen?“
Pat schüttelte den Kopf. „Du hast keine Chance.“ Er lachte wieder trocken auf. „Andererseits. Falls ein Seil auftauchen sollte mit dir am andern Ende, vielleicht greife ich danach.“ Er bot ihm die rechte zum Handschlag. Dann spornte er sein Pferd an, um seine Männer einzuholen.

Ciaran ritt langsam zurück. Restac wartete immer noch auf dem Platz vor dem Tor. Als er ihn sah, schien er erleichtert und ging, ohne ein Wort zu sagen. Später am Tag suchte Ciaran Diriac, der ihn immer noch mied. Es war höchste Zeit, ein paar Dinge zu klären. Er selbst wollte Antworten, aber auch Diriac hatte Antworten verdient.  „Wo können wir reden?“ fragte er.
Diriac zögerte ein wenig, aber dann ging er voraus. Sie suchten sich einen Platz, an dem sie niemand würde belauschen können. „Erkläre es mir“, begann Ciaran ohne Umschweife. „Warum war Restac einverstanden, mich gehen zu lassen?“
„Er war nicht einverstanden“, sagte Diriac mürrisch. „Aber er hätte es toleriert. Die dort im Norden sind wirklich hinter dir her. Das kann nichts Gutes heißen, unter keinen Umständen. Restac hatte begonnen, dich in seine Pläne einzubeziehen. Er würde dich gerne halten. Aber er will auch keinen unnötigen Ärger mit ... Carraig.“
„Und Pat?“
„Wer durchschaut schon Pat? Er hat seine eigenen Beziehungen zu den Lords dort im Norden. Kannte schon ein paar, bevor sie hier auftauchten. Pat tut generell nur, was ihm passt, und da es ihm passt, Restac als Anführer zu haben, sind alle zufrieden. – Was dich angeht – er sagte, es täte ihm leid um dich.“ Er lachte bitter auf. „Pat und Besorgnis um jemanden, das ist wie Schnee in der Wüste von Cerath.“
„Er wollte, dass ich mit ihm gehe. Aber ich muss nach Norden nicht nach Süden.“
Diriac senkte den Kopf. „Es ist deine Entscheidung.“

Ciaran beugte sich dichter an ihn heran. „Ich sagte nicht, dass ich nach Carraig will“, sagte er leise. Diriac blickte wieder auf, war aber reserviert. „Auch nicht in die Hauptstadt“, ergänzte Ciaran. „Nach dem, was Pat sagte, ist uns allen die Kontrolle entglitten über das, was hier in Abhaileon geschieht. Aber es gibt eine Möglichkeit, da herauszukommen. Deswegen muss ich nach Norden, weit nach Norden.“
Diriac runzelte nachdenklich die Stirn. „Wenn du wirklich meinst, was ich zu verstehen glaube – das ist absolut verrückt!“ sagte er dann.
„Pat erzählte von Rittern des Königs, die dort im Osten waren. Sie entkamen Barraid. – Wenn ich nach Süden ginge, es gäbe kein Entkommen vor den Folgen meines unklugen Versprechens. Pat weiß das sehr gut. Aber“, er senkte die Stimme noch weiter, „Alandas ist eine Chance, wahrscheinlich die einzige.“

Diriac starrte wieder lange zu Boden. „Ich wünschte, ich könnte einen besseren Vorschlag machen“, sagte er schließlich, genau so leise. „Einen weniger aussichtslosen. Aber ich weiß keinen. Und selbst Restac ist sich klar darüber, dass sie dich auf Carraig nur ruinieren können. –Jetzt sag mir eines: Kamst du als Spion? Wolltest du dir damit deinen Freispruch erkaufen in der Hauptstadt?“
„Warum fragst du das jetzt? Zwei Monate hast du mich protegiert.“
„Ich habe dir Chancen verschafft. Erarbeitet hast du dir alles selbst. – Aber jetzt ...“
„Aber jetzt fragst du dich, ob es sich lohnt, dir Ärger einzubrocken für jemanden, der vielleicht doch ein Spion ist.“
Unwillig gab Diriac es zu. „Wenn du es schon selbst so ausdrückst.“ Er vermied es, ihn anzusehen.

Ciaran nickte und blickte auch zu Boden. „Ich hatte derartige Pläne.“ Er zuckte die Schultern und fühlte sich dabei ein wenig wie Patris. Pat würde einfach sagen ‚was soll’s‘. Aber Diriac hatte mehr verdient.  Er blickte ihm in die Augen. „Ich versuche nicht nur für mich, einen Ausweg zu finden“, sagte er. „Wenn ich eine Möglichkeit entdecke, würde Restac mit Barraid brechen?“
Diriac zögerte lange. „Eine schwierige Frage. Das müsste ein sehr gutes Angebot sein. Selbst dann wäre es fraglich, wie viele der anderen sich entscheiden.“
Ciaran seufzte tief. „Würdet ihr euch je einer Armee stellen?“
„Niemand hier ist verrückt.“
„Was .... was ist mit Roscrea? Diese Burg, um welche auch immer es geht.“

Diriac blickte sich sorgfältig um. „Wir sind nur eine Art Tarnung, fangen einzelne Reisende ab, sehen bedrohlich aus“, flüsterte er dann. „Du weißt doch selbst, wie es hier aussieht. Unsere Ausrüstung ist nicht besonders gut. Die aus Carraig treiben alles voran.“
Ciaran nickte. Die Waffen der Banditen waren ein Sammelsurium.  „Ich weiß nicht, wie lange ich überhaupt noch lebe, wenn ich versuche, was ich vorhabe. Nun, das wüsste ich auch nicht, falls ich nach Carraig gehe. Wie auch immer, eines verspreche ich: ich werde Arrin an niemanden ausliefern, ohne euch eine ausreichende Warnung zu geben – falls es soweit kommt.“ Er schloss kurz die Augen. Spätestens für das, was er jetzt sagte, würde Estohar ihn vor ein Kriegsgericht stellen. Aber, was er auch tat, es war ein Verrat in gewisser Hinsicht, und im Moment hatte er um einiges dringlichere Sorgen. „Der Rat weiß von Carraig. Vielleicht ließen sie sich auf eine Art Waffenstillstand mit dem Lager hier ein. Wozu Kräfte an den falschen Feind verschwenden. - Lasst ihr mich jetzt hinrichten?“
„Wozu denn noch?“ sagte Diriac bitter. „Vermutlich reicht es einfach aus, dich nach Carraig zu schicken.“
„Du sollst mich dort hinbringen“, erinnerte Ciaran.
„Was ich nur tue, wenn du uns nicht unterwegs verloren gehst. – Du hättest alles abstreiten können. Nein, du warst nie wirklich ein Spion. Du bist nur immer der Idee nachgejagt, die dir gerade in den Sinn kam. Wie jetzt auch. Geh deine Träume jagen.“

Ciaran sah ihn schockiert an. „Heißt das, ihr lacht alle über mich? Weil ich ein …, eine Art Narr bin?“ Es war ein entsetzlicher Gedanke für ihn.
Ein erstes Lächeln stahl sich nach langer Zeit auf Diriacs Lippen. „Nein, kein Narr“, sagte er sanft, aber eindringlich. „Du bist außergewöhnlich. Du siehst die Dinge und Menschen anders – und sie werden zu dem, was du siehst. Menschen ändern sich. Fast unmerklich. Wo du in der Nähe bist.“
„Nun, Lennard nicht.“
Diriac winkte ab. „Vergiss diesen Dummkopf. – Es begann mit mir und Bob. Dann einer nach dem andern. Du hast Arrin nicht in den anderen Wintern erlebt. Selbst Restac fiel es irgendwann auf. Selbst Restac hat sich geändert. Und Patris.“ Er nickte. „Ja, ich weiß, wer er einmal war. Wie du offensichtlich auch.“
„Pat hat sich überhaupt nicht geändert in dieser einen Woche“, sagte Ciaran etwas verdrießlich. „Er ist ein wenig düster manchmal, aber hat einen genialen Humor. Ein prima Kerl.“
„Und kein bisschen bedrohlich?“
Ciaran zuckte die Schultern. „Ein wenig. Ein düsterer Zug. Das sagte ich ja schon. Ungeheuer ehrlich und nüchtern.“

Diriac lächelte wieder. Ein Lächeln, das ein wenig ungläubig war über das, was er nun sagte: „Es gibt genug hier, die ihn fürchten. O ja, sie bewundern ihn. Wie die Motten das Licht. Ich sage dir, schon einige haben sich da verbrannt. Nun, er behauptete, es passierte bei Eurem Gespräch am ersten Abend.  Er kam gestern zu mir und sagte: ‚Hör zu, Diriac. Ich habe mit diesem Cormac gesprochen. Wollte ihn als Verräter hochgehen lassen. Aber irgendwie scheint er das nicht zu sein. Hat mich an ein paar Dinge erinnert. Nun, meine Sache. Jedenfalls, die auf Carraig sollen den nicht in die Finger kriegen. Käme mir vor, als überließe ich ihnen den Rest meiner Seele. Ha, nein schlimmer!‘ – Ich habe ihn nie so aufgewühlt gesehen.
Dann kam Restac dazu. Pat sagte, er nehme dich mit. Und dann“, er schüttelte noch ungläubiger den Kopf, „statt wütend zu werden, sagte Restac nur: ‚Er wird nicht mit dir gehen. Er ist wie Janick.“ Dann ließ er uns stehen.“
Ciaran blickte ihn fragend an. Er begriff immer noch nicht, worauf Diriac hinaus wollte. Dieser seufzte. „Onkel Janick war Restacs Held. Sein Tod war eine tragische Sache. Er spricht sonst nie von ihm. – Du begreifst noch immer nicht? Ich habe auch gegrübelt, was es ist. Ich glaube, es ist eine Art Unschuld in dir, die uns an das Beste erinnert, das wir verloren haben. Das vielleicht verhindert hätte, dass wir sind, wo wir jetzt sind.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Ciaran. „Ich könnte dir anderes erzählen. Aber das heißt, du hilfst mir?“
„Das heißt, ich will dich nicht auf Carraig sehen.“
„Was ist mit dir, wenn du ohne mich nach Carraig kommst?“
„Es liegt kein Befehl vor, dich gefesselt dorthin zu bringen. Was können wir tun, wenn du während deiner Wache plötzlich auf und davon reitest unterwegs?“
„Versuch auch, schnellstmöglichst wieder von dort zu verschwinden!“
Diriac nickte. „Das meinte auch Restac schon. Aber da muss ich die Umstände abwarten. Wir haben also eine Abmachung?“
„Wenn du meinem Wort glauben willst?“ Ciaran lächelte schräg. „Gerade versuche ich den Folgen eines anderen gegebenen Wortes zu entgehen.“
Diriac hielt ihm die Hand hin. „Ich werde dafür sorgen, dass Restac alles Nötige erfährt. Jedenfalls das Nötigste, sobald wir ein gutes Stück unterwegs nach Norden sind. Vielleicht nachdem du plötzlich verschwunden bist“, er grinste. Ciaran schlug ein.

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