Donnerstag, 8. September 2011

Kapitel 26.3


„Ihr hattet begonnen, mir zu erzählen, wie Ihr Mharigs Aufzeichnungen fandet. Ich wäre wirklich sehr interessiert, einen Blick hineinzuwerfen.“
„Das sollt Ihr! Ich werde sie auf Euer Zimmer bringen lassen.“ Ludovik ging kurz hinaus und erklärte nach seiner Rückkehr: „Wir essen hier zu Abend. Dann stört uns niemand sonst. Wenigstens diesen einen Tag wollen wir zusammen haben, bevor die Pflichten ihr Recht verlangen.“
„Vielleicht sollten wir dann vorher eine kurze Unterbrechung machen“, sagte Ciaran. „Ich weiß, dass mein Fuchs hier gut untergebracht ist. Aber er ist es gewöhnt, dass ich ihn nicht lange allein lasse. Er hat das von Orla auf mich übertragen, und ich brachte es einfach nicht über mich, ihm das ganz abzugewöhnen. Orlas wegen.“ Er schüttelte den Kopf. „Jeder wusste, wie er dieses Pferd liebt.“
„Das ist eine gute Idee“, stimmte Halis zu. „Ich bin wirklich neugierig, den Hengst zu sehen, „und so wird auch die Geschichte nicht unterbrochen, wenn das Essen kommt.“

Also gingen sie. Unterwegs sah Ciaran Ildika schnell um eine Ecke verschwinden.
Ludovik hatte es auch gesehen. „Hat sie Euch schon aufgelauert?“ fragte er.
„Ich hörte, Ihr sagtet Euren Kindern, sie sollten mich nicht belästigen“, wich Ciaran aus.
Der Fürst lachte. „Ich wusste, dass sie dann nicht mehr aufzuhalten sein würden. Wegen Ildika wäre das nicht nötig gewesen. Aber Alrik war immer ein bisschen kritisch, was Alandas anging. Da konnte ein zusätzlicher Anreiz nicht schaden. Könnt Ihr darauf antworten, ob Ihr ihn gesprochen habt?“
„Ich glaube nicht“, sagte Ciaran. Ludovik schien sehr zufrieden mit dieser Auskunft.

 Der Fuchs war erfreut, seinen Herrn zu sehen und fühlte sich offensichtlich sehr wohl. Halis äußerte sich durchaus anerkennend und stellte ein paar ihrer Pferde vor. Sie ritt gewöhnlich einen großen Falben. Als sie zu diesem kamen, funkelten Ludoviks Augen amüsiert. „Könnt Ihr raten, warum sie ausgerechnet einen Falben reitet?“ sagte er vergnügt zu Ciaran.
Der Ritter war ratlos. Die Fürstin warf ihrem Bruder einen vorwurfsvollen Blick zu. Nach ein paar Versuchen Ciarans, es zu erraten, sagte sie entschuldigend: „Das ist nicht ganz ernst zu nehmen. Ludovik pflegte manchmal zu scherzen, dass ich aussähe wie Fürst Ríochan selbst, in Rüstung mit langen blonden Haaren und blauen Augen. Und als ich auf diesen Falben stieß, da konnte ich dem einfach nicht widerstehen, die Parallele noch zu vertiefen. – Es besteht sicherlich keine Gefahr der Verwechslung.“
„Nein“, stimmte Ciaran zu. „Fürst Ríochan ist ein Maßstab, an den wohl nichts heranreichen kann.“ Er lächelte. „Aber solange es keine Verbindung zu Alandas gab, war es sicherlich eine gute Erinnerung an ihn.“
„Glaubt Ihr, er wird es als Anmaßung betrachten?“ fragte Halis besorgt. „Ich habe auch andere gute Pferde, wie Ihr gesehen habt.“
Ciaran schüttelte den Kopf. „Das glaube ich kaum. Er würde die Wahrheit wohl sofort wissen.“

Als sie in das Zimmer zurückkamen, war das Essen schon bereit. „Was ist nun mit Eurer Geschichte?“ erkundigte sich Ciaran, als das Geschirr wieder abgedeckt worden war.
Ludovik begann. „Unser Vater, Fürst Sebhain, war keiner der typischen Fürsten von Ruandor.“
„Er kam auch nicht aus der direkten Linie“, unterbrach Halis sofort. „Unsere Mutter war die Erbin von Ruandor. Sie hatte keine Brüder.“
„Und einige der Lords fühlten sich wohler bei dem Gedanken, dass sie zumindest jemanden aus der nächsten ruandorischen Seitenlinie heiratete“, ergänzte Ludovik. „Ruandor hat eine große und sehr alte Tradition. Daher spielte das eine wichtige Rolle.“
„Das mit der großen und sehr alten Tradition habe ich sehr oft gehört“, seufzte Halis.
„Unser Vater war sehr traditionsbewusst“, sagte der Fürst, „ein guter Kämpfer, ein gerechter Herrscher, er hielt unsere Traditionen absolut heilig.“
„Auch wenn er im Grunde überhaupt nicht daran glaubte“, warf Halis wieder ein.
„Und es gab ein paar Dinge, die er einfach nicht begriff“, fuhr Ludovik fort. „Zum Beispiel, dass es für einen Jungen auch noch andere Dinge geben kann als Waffentraining. Ich hatte wirklich nichts gegen Schwerter. Aber ich wollte auch lesen. Und nicht nur Rechnungsbücher. Wir hatten ein paar Lyrikbände, alles aus der Familie. Mutter las manchmal daraus vor, und ich liebte das. Solange sie lebte, gab es auch keine größeren Schwierigkeiten. Vater behandelte sie stets mit größtem Respekt  und nahm große Rücksicht auf ihre Wünsche. Aber als ich zwölf und Halis fünf Jahre alt war, verstarb sie bei einer Fehlgeburt.“
„Es war sehr schrecklich“, sagte Halis. „Niemand wollte mir etwas sagen. Aber sie war auf einmal nicht mehr da.“

„Mir wurde es gesagt“, fuhr Ludovik fort. „Das war auch nicht viel besser. Jedenfalls entschied Vater, dass ich zuviel Zeit mit Büchern verbringe und schloss den größten Teil weg. Ich suchte danach. Ich versuchte mich sogar heimlich mit Dietrichen am Schlösseröffnen, hatte aber keinen Erfolg. Und dann entdeckte ich sie auf einem der Speicher. Ein paar Bündel lose gebundener Blätter, schon recht brüchig, aber gut erhalten. Die Schrift war ungewohnt, aber nach ein wenig Übung konnte ich sie lesen. Nach den ersten Seiten war mir klar, dass ich auf einen Schatz gestoßen war. Und ich war entschlossen, sicherzustellen, dass er mir nicht geraubt wurde. Doch es wurde immer schwieriger, Schweigen zu bewahren. Der Inhalt war so faszinierend. Ich versuchte, es einmal bei Vater anzusprechen, aber er tat es gleich als Märchen ab. Danach war ich gewarnt.“
„Mit mir hatte er da schon seit Wochen und Monaten nicht mehr gesprochen“, sagte Halis vorwurfsvoll.
„Das war nicht meine Schuld“, sagte Ludovik, „Vater meinte, dass ich eine richtige Männererziehung brauche und keine Zeit hätte, mit meiner kleinen Schwester zu spielen.“ Er grinste. „Dabei war sie immer ganz drollig gewesen. Sie war dauernd hinter mir her und konnte auch geduldigst zuschauen, wenn ich Waffenunterricht hatte.“
„Damit war es nach Mutters Tod vorbei“, sagte Halis düster. „Vater hatte auch ganz klare Ansichten, was sich für ein Mädchen gehörte. Er wollte, dass ich nähen und sticken lerne und diese Dinge. Vielleicht hätte ich es ja versucht, aber nachdem ich Ludovik nicht mehr zusehen durfte, wollte ich überhaupt nicht.“
„Irgendwann stießen wir in einer Ecke der Gärten aufeinander“, erzählte Ludovik.
„Beide auf der Flucht vor gewissen anderen Dingen“, ergänzte Halis mit Befriedigung.  „Er saß da und sah ziemlich unglücklich aus. Ich dachte, dann könnten wir wenigstens gemeinsam unglücklich sein und setzte mich neben ihn, und nach einer Weile fragte er, ob ich eine Geschichte hören wolle. Natürlich wollte ich. Ich liebte Geschichten. Er erzählte nur ein bisschen, und dann musste ich versprechen, es niemandem zu verraten.“
„Ich fing mit dem Harmlosesten an“, erklärte Ludovik, „Dinge, die auch aus bekannten Quellen stammen konnten. Sie war ja noch so klein, ich wusste nicht, ob sie wirklich schweigen konnte.“
„Ich habe nie ein Wort verraten“, sagte Halis stolz. „Mit der Zeit bekam ich alles zu hören. Anfangs konnten wir uns nur sehr selten treffen. Als ich älter wurde, war es ein bisschen leichter. Wir wurden mit der Zeit gewiefte Verschwörer. Ludovik half mir all das zu lernen, was Vater mir verbot. Auch Bogenschießen und ein wenig Schwertunterricht. Mit der Zeit hatten wir einige Verbündete, sogar einen der Lords. Ich glaube, sie alle verstanden sehr viel besser, was es wirklich heißt, ein Ruandor zu sein als Vater.“

„Ich hatte angefangen, auch mit anderen über Alandas zu sprechen und das was unsere Traditionen wirklich meinten“, erklärte Ludovik. „Ich wollte das nicht, aber einige fingen an, mich schon mehr als den Fürsten zu betrachten als Vater. Es war manchmal schwierig. Es kam fast alles heraus, kurz bevor Halis vierzehn wurde. Das war eine heftige Szene.“
„Das ist sehr neutral ausgedrückt“, sagte Halis. „Ludovik wurde fortgeschickt, und ich kam unter eine Art Hausarrest. Es war ein sehr schwieriges Jahr. An dessen Ende wurde ich damit konfrontiert, dass ich nach Imreach verheiratet werden sollte.“
„Ich hörte nur Gerüchte über die Szenen, die daraufhin folgten“, fuhr Ludovik fort. „Es half jedoch alles nichts. Der Fürst von Imreach hatte seinen Sohn geschickt, um dessen Braut abholen zu lassen und nach Hause zu eskortieren. Der arme Julian! Gerade achtzehn Jahre alt, und ein sehr zurückhaltender und liebenswürdiger Mensch.“

„Er sagte später, wenn ich nicht so wunderschön gewesen wäre, hätte er sich geweigert, diese Furie zu heiraten“, sagte Halis mit einem Lächeln, „auch wenn dann sein Vater getobt hätte. Im Grunde wussten wir beide, dass wir nicht viel Wahl in der Sache hatten. – Unsere Reise begann nicht unter den besten Vorzeichen. Doch es stellte sich heraus, dass wir eigentlich ganz gut miteinander sprechen konnten. Julian machte mir schließlich einen Vorschlag, der sich nicht schlecht anhörte. Er erklärte, wir könnten in Cerath leben. – Manche nennen es die Hauptstadt von Imreach. Aber das stimmt nicht, das ist Isbhara viel weiter im Süden. Cerath ist eigentlich ein Vorposten nahe der Wüste. Er setzte mir auseinander, dass er durchaus nichts dagegen habe, wenn ich mich mit Waffen und Kriegsführung beschäftigte, denn er selbst interessierte sich mehr für Handel, musste aber Cerath gegen Überfälle halten. Zum Beweis sorgte er dafür, dass ich schon unterwegs einen Bogen und ein leichtes Schwert bekam. Wir einigten uns also auf eine Zusammenarbeit. Danach fingen wir an, richtig miteinander zu reden und auf einmal schien diese Heirat, die ohnehin erst nach ein oder zwei Jahren stattfinden sollte, gar nicht mehr so schrecklich.“
„Bis dahin hatte Halis den angehenden Fürsten von Imreach auch von Alandas und einigem anderen überzeugt“, sagte Ludovik mit einem breiten Lächeln. „Als ich zu der Heirat kam, konnte ich wirklich gute Gespräche mit ihm führen.“
„Ganz so sicher war das alles noch nicht“, wiegelte Halis ab. „Aber nachdem dann die Geschichte mit Patris geschehen war, sah er ein, wie ernst das alles zu nehmen ist.“
„Ich würde gerne noch mehr von Imreach hören“, sagte Ciaran. „Ich kann mir nicht einmal die Wüste richtig vorstellen, die im Süden von Ruandor beginnen soll. Wie ist das alles wirklich?“
„Ich hoffe, dass Ihr es noch kennenlernt“, antwortete Halis. „Nach diesem Krieg. Julian wird es zutiefst bedauern, Euch nicht schon jetzt treffen zu können. Ich schickte heute Mittag sofort Botschaft zu ihm, damit er Eure Anerkennung als Regent bestätigt. Aber er wird nicht selbst kommen können. Es gab wieder Schwierigkeiten mit den räuberischen Nomaden bei Cerath. Und Imreach ist ein großes Land, indem es leicht zu Unruhen kommen kann, wenn der Fürst nicht im Lande ist, um die Kräfte auszubalancieren.“ Sie sprach noch viel über ihre neue Heimat an diesem Abend.

Den nächsten Morgen nutzte Ciaran hauptsächlich, um sich in Mharigs Aufzeichnungen zu vertiefen. Er war schon neugierig auf die alte Schrift gewesen. Jedoch wurde ihm viel Mühe abgenommen, da er nicht nur die Originale sondern auch eine Abschrift vorgefunden hatte. Es war eine faszinierende Lektüre, und er kam nicht schnell voran, da er versuchte, sich möglichst viele der ihm bisher so unbekannten Fakten zu merken. Viele Seiten überblätterte er mit großem Bedauern, um besonders die Geschichte der Kriege selbst zu studieren. Es schien am vordringlichsten.

Nach dem Mittagsessen kehrte er zu seinem Studium zurück, wurde jedoch schon bald darin unterbrochen. Fürst Ludovik selbst kam zu ihm. „Es scheint, wir haben Botschaft aus Eannas“, kündigte er an. „Das ist unerwartet schnell und zugleich günstig. Wir werden wohl alles vor dem Aufbruch in den Norden klären können.“
„Wer ist es?“ erkundigte Ciaran sich.
„Vermutlich einer der schlimmeren Übeltäter“, mutmaßte der Fürst. „Lord Radamh von Elifa selbst ist in seiner Begleitung. Er hat dem Boten freies Geleit zugesichert. Er weiß, dass ich sein Wort respektieren werde. Doch um Missverständnissen vorzubeugen, hat er einen Boten vorausgeschickt, der mich soweit informiert hat. – Ich meinerseits habe Anweisung gegeben, nichts von Euerer Anwesenheit zu erwähnen. Natürlich sollt Ihr dabei sein. Doch bin ich neugierig zu hören, wie Lassalles Gesandter sein Anliegen vorträgt, wenn er Euch nicht in der Nähe weiß. – Tretet am besten nach ihnen ein und wartet im Hintergrund des Saales. Wer auch immer es ist, wird wahrscheinlich auf mich fixiert sein und nicht viel nach hinten sehen.“
Ciaran war einverstanden, griff nach seinem Schwertgürtel und schnallte ihn um. Er hatte die Waffe zum Mittag auf dem Zimmer zurückgelassen. In Burg Ruandor war nichts zu befürchten. Doch jetzt war die Form wieder einzuhalten. „Wer auch immer es ist, wird mich wahrscheinlich ohnehin nicht sofort erkennen. Meine Kleidung war weniger prächtig, ich hatte eine lange Reise hinter mir und bei der Flucht aus Escail war mein Aussehen recht lädiert.“

Als Lord Radamh mit seinem Begleiter den Thronsaal betrat, folgte Ciaran den Wachen, die eintraten und begab sich still in den Hintergrund. Die beiden Ankömmlinge drehten sich nicht nach ihm um.
Fürst Ludovik saß in der gleichen Haltung wie am Tag zuvor auf seinem Sessel. Höchstens, dass sein Blick noch unfreundlicher war. „Seid gegrüßt, Lord Radamh“, sagte er. „Wer ist es, den Ihr mir bringt?“
Der Lord verbeugte sich nur und blickte auf seinen Begleiter. Der warf Umhang und Kapuze zurück und verbeugte sich knapp. „Ich grüße Euch, Fürst Ludovik.“
„Dafür wüsste ich nicht, warum ich Euch grüßen sollte“, entgegnete der Fürst düster. „Oder hat Fürst Gearaid Euch befohlen, mir Bruaga zurückzugeben?“

Lord Rensdal schien über diesen Empfang nicht überrascht. „Gearaid ist nicht mehr Fürst von Eannas“, erklärte er trocken aber ruhig. „Er hat Landesverrat begangen, woraufhin die Lords des Bundes von Edrin ihn als abgesetzt erklärt haben.“
„Ein Bund von Edrin?“ entgegnete Ludovik hart. „Nun, von Lassalle sollte mich eigentlich nichts überraschen. Aber falls er seinen Verbrechen jetzt auch noch die Rebellion gegen seinen Landesfürsten hinzugefügt hat - eine Ungeheuerlichkeit, an der auch Ihr beteiligt zu sein scheint - dann ist es mir wahrhaft ein Rätsel, was Ihr hier wollt.“
„Einen Friedensvertrag“, erklärte Ingvar. „Oder zumindest einen Waffenstillstand.“
„Ich wüsste nicht, dass ich je die Grenze von Eannas verletzt hätte“, sagte Ludovik kühl.
„Wir können es uns nur schwer leisten, auf die Truppen zu verzichten, die jetzt Bruaga und einiges andere sichern“, sagte Rensdal. „Wir haben fast den ganzen Süden, aber die Front ist ausgedehnt.“
„Selbst wenn Ihr mir Bruaga gäbet, ich sähe keinen Grund, Eure Rebellion zu unterstützen.“
„Möglicherweise doch“, entgegnete Rensdal. Er zog ein Bündel Papiere hervor. „Ihr solltet es aus eigenem Interesse tun.“

Ludovik winkte Lord Radamh und ließ sich die Papiere geben. Er überflog einen Teil davon mit gerunzelter Stirn. Er brach ab. „Das sind schwere Anschuldigungen“, sagte er.
„Das meiste davon ist in Gearaids eigener Hand“, entgegnete Ingvar.
„Es könnten Fälschungen sein. Lassalle ist alles zuzutrauen.“
„Ihr solltet Gearaid besser kennen“, antwortete der Lord. Er zuckte die Schultern. „Wir mussten damit rechnen, dass Ihr ablehnt. Es scheint, der Regent hat Euch noch nicht erreicht. Ihr würdet mir ohnehin nicht glauben, wenn ich Euch versichere, dass Abhaileon einen Regenten hat. Gleichwohl, Gearaid ließ ihn gefangen setzen und misshandeln, und einige von uns waren damit nicht einverstanden. Gearaid wird nie mehr Fürst für uns sein, da er alles verraten hat, wofür er einstehen sollte. - Solltet Ihr noch Eure Meinung ändern, schickt Botschaft nach Edrin; von dort wird es weitergeleitet werden.“ Er verbeugte sich wieder knapp.

„Wartet!“ sagte Ludovik. „Ihr werdet Euren Vertrag mitnehmen können. Der Regent ist vor Euch angekommen. – Seht Euch das an, Herr Ciaran!“
Der Ritter trat nach vorne. Lord Rensdal hatte sich in seine Richtung umgedreht und begrüßte ihn mit einer deutlich ausgeprägteren Verbeugung als die gegenüber dem Fürsten. Ciaran dankte ihm mit einem Nicken, und nahm die Blätter aus der Hand des Fürsten, der sich erhoben hatte, sobald er herantrat. Er überflog sie ebenfalls schnell. „Es deckt sich mit allem, was ich über Gearaid sagen kann“, erklärte er dann.
„Warum die Scharade?“ erkundigte Ingvar sich in Ludoviks Richtung.
„Ich bin nicht erfreut, Euch ein Willkommen bieten zu müssen“, antwortete Ludovik. „Es gehört Euch nur um unseres Herrschers willen.“ Er verbeugte sich in Ciarans Richtung. „Wäre er nicht hier, würde ich keinem Eurer Beweise trauen. – Und ich fragte mich, wie weit Ihr – oder wer auch immer in Lassalles Auftrag kam - gehen würdet, um mich zu überzeugen. Hättet Ihr im Namen des Königs geschworen?“
„Ich nicht“, sagte Rensdal trocken, „aber Lord Lassalle. Er hat uns andere etwas damit überrascht. Da er entschlossen ist, dem König zu dienen, würde ich mich hüten, solche Worte zu sprechen, ohne sie zu meinen. Er hat sein Temperament nicht geändert.“

Ciarans Gesicht leuchtete auf. „Er hat es also wirklich getan. Lord Rensdal, überbringt Lord Arnim meine herzlichsten Grüße! Und noch etwas anderes sollten wir regeln, bevor Ihr wieder abreist: In jener Nacht bei Escail blieb weder Zeit noch Möglichkeit dazu. Doch hier kann ich Euch für alle, die Eurem Bündnis angehören, die Garantien über die Amnestie ausschreiben. Niemand weiß, was in diesem Krieg geschehen wird. Doch siegt unsere Seite, wird niemand das Siegel des Regenten in Frage stellen. Selbst wenn dann ein anderer diesen Ring tragen sollte.“
„Das möge der König verhüten!“ sagte Fürst Ludovik mit Nachdruck. „Abhaileon braucht Euch, und gerade Euch!“
„Der Wille des Königs wird geschehen“, sagte Ciaran ruhig. „Abhaileon wird in guter Hand sein, gleich ob es die meine ist oder eine andere.“
Lord Rensdal holte tief Luft und sagte mit mühsamer Beherrschung. „Ich will nicht sehen, was geschieht, wenn Euch ein Schade träfe! Ludovik, ich hoffe sehr, Ihr achtet gut auf die Sicherheit des Regenten!“
„Das werde ich sicherlich“, murrte der Fürst halb widerwillig anbetrachts dessen, von wem diese Aufforderung kam. „Ich bin erstaunt, Euch so engagiert dafür zu sehen.“
„Ich war nie ein Narr“, schnarrte Ingvar, „und hatte nie die geringste Neigung zu selbstmörderischen Taten. Etwas, das man leider weder von Lord Lassalle noch von unserem Herrscher“, er verbeugte sich noch tiefer als zur Begrüßung, „derzeit sagen kann. Abhaileon braucht Herrn Ciaran. Eannas braucht Herrn Ciaran und Lord Lassalle. Beide sind ausgezeichnete Führer, aber nehmen es, wie es scheint, manchmal nicht wichtig genug, auf ihre Sicherheit zu achten. Ich weiß nicht, ob es mit ihren Verpflichtungen gegenüber dem König zusammenhängt. Darüber solltet Ihr mehr wissen, Fürst.“

Ciaran schüttelte den Kopf. „Es gibt Dinge, die geschehen müssen. Gleich, was es kostet.“
„Ihr hört es selbst“, sagte Rensdal zu Ludovik. „Lord Lassalle sagte Ähnliches, als ich versuchte ihn darauf anzusprechen.“
„Es ist die Wahrheit“, sagte der Fürst zögernd. „Es ist eine Frage, wessen Wille am meisten gilt.“
Ingvar breitete in einer zornigen und hilflosen Geste die Arme aus. „Das ist jenseits meines Begriffshorizontes.“
„Ist es das?“ fragte Ciaran. „Was würdet Ihr tun, wenn die einzige Möglichkeit mich für Abhaileon zu retten, darin bestünde, dass Ihr Euer Leben riskiert?“
„Ist das nicht offensichtlich?“ fragte Ingvar gereizt zurück. „Ich bin verzichtbarer als Ihr!“
„Es ist offensichtlich, denn Ihr habt es in Escail getan. Es ist genauso einfach mit dem anderen“, sagte der Ritter. „Der Fürst von Alandas ist wichtiger als ich. Der König ist wichtiger als der Fürst von Alandas. Solange wir alle dem dienen, was größer und wichtiger ist als wir selbst, während der Feind die Geschicke Abhaileons regiert, kommen wir unweigerlich in Gefahr. Ihr nicht weniger als ich.“
„Es bestand keine wirkliche Gefahr, solange Lord Lassalle das dirigierte“, murmelte der Lord. „Und mir war gerade jeder Grund recht, mit Gearaid zu brechen. Ihr gabt uns einen sehr guten. Das war alles.“

Ciaran ließ es dabei bewenden. „Fürst Ludovik“, sagte er. „Würdet Ihr mir das Schreibmaterial bereitstellen, das ich für die Dokumente benötige?“
„Mein Arbeitszimmer steht zu Eurer Verfügung“, sagte Ludovik. „Ich werde meinen Schreiber kommen lassen, da Ihr sicherlich mehrere Ausfertigungen wollt.“ Mit einem zweifelnden Blick auf den Lord fügte er hinzu. „Am besten kommt wohl auch Ihr mit.“
Der Lord nickte knapp und folgte ihnen. Ciaran wartete nicht ab, bis der Schreiber kam, sondern begann selbst die Entwürfe zu schreiben: einen mit der generellen Erklärung und einen zweiten als persönliche Garantie für Lords des Bundes von Edrin. Zum Glück brauchte es für seine generelle Amnestie nicht viel Text. Als Ingvar die Namen der Lords aufzählte, zögerte er am Ende. „Mit Rina könnte es Schwierigkeiten geben“, sagte er. „Reginald war außer sich über Arnims Entscheidung für den König. Er hat sich von uns getrennt.“
„Ist er zu Gearaid übergelaufen?“ erkundigte sich Ciaran.
 „Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Er verabscheut Wilgos und Renad, die bei Gearaid sind. Und er ließ uns sein Siegel, das heißt Lord Lassalle kann über die ganze Stärke Rinas verfügen.“
„Ich werde ihn nicht schutzlos lassen“, entschied Ciaran. „Wenn er es wirklich will, soll er die Amnestie verweigern.“ Ingvar stimmte mit einem Nicken zu.

Fürst Ludovik hob fragend die Brauen, als sein Regent zum nächsten Blatt griff und begann die erste Kopie selbst anzufertigen. Ciaran lächelte zurück. „Meine Schrift ist gut genug, um zumindest diese eine persönlich auszustellen“, sagte er.
„Er wird das sehr zu schätzen wissen“, sagte Lord Rensdal, als der Ritter ihm schließlich die Urkunde und den versiegelten Begleitbrief reichte.
„Sagt ihm, ich bedaure es, kein persönliches Siegel zur Hand zu haben“, antwortete Ciaran. „Bis der Krieg zu Ende ist, wird das Siegel Abhaileons auch als mein persönliches Wappen dienen.“
„Eannas wird bald einen neuen Fürsten benötigen“, sagte der Lord vorsichtig. „Würdet Ihr unserer voraussichtlichen Wahl zustimmen?“
Ciaran zögerte nur kurz. „Ich möchte niemanden persönlich favoritisieren“, sagte er dann. „Dies ist eine Angelegenheit von Eannas. Ich werde bestätigen, wen Ihr wählt, insofern er nicht auf die Seite unserer Feinde gehört.“
Ingvar nickte zufrieden und Ludovik seufzte. Der Lord warf ihm einen kühlen Blick zu und sagte trocken: „Ich sollte seufzen bei dem Gedanken. Lord Lassalle scheint zu planen, den Frieden mit Ruandor durch Bruaga zu besiegeln.“

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