Sonntag, 11. September 2011

Kapitel 28.1


XXVIII Corimac

Das hügelige Waldland ging fast unvermittelt in eine weite Ebene über. Grasland, das bei weitem nicht so dürr und steinig war wie die Flächen vor Carraig. Das Gebirge im Norden war hier auch weiter entfernt als dort weiter im Osten. Schwarz und bedrohlich schien es dort in der Ferne am Horizont aufzuragen. Ciaran und Béarisean lenkten wie auf eine Absprache hin ihre Pferde auf einen großen Hügel zu, der dicht vor ihnen wie ein Außenposten seiner bewaldeten Kameraden aus der Fläche hervorragte. Ciaran erreichte die Höhe zuerst. Er warf einen kurzen Blick nach Osten und Westen, doch sowohl Carraig als auch das Truppenlager auf Corimac waren noch nicht in Sichtweite. Dann studierte er die Berge. Nichts in der dunklen Silhouette erinnerte auch nur entfernt an Alandas. Doch es musste sehr nahe sein.
Doitean fing an den Kopf zu werfen. Ciaran konnte selbst ohne hinzusehen hören, dass Béariseans Schimmel jetzt auch die Kuppe der Anhöhe erreicht hatte. Die beiden Hengste waren einander nicht gerade zugetan. Der Schimmel aus Imreach war ein starkes kampferprobtes Tier auf der Höhe seiner Kraft. Er hieß Flaith, Prinz. Sein dichtes schimmerndes Fell verdeckte die meisten seiner Narben aus alten Kämpfen. Aber er ließ keinen Augenblick einen Zweifel daran, wer der dominierende Hengst war. Doitean war noch sehr jung und zollte dem Älteren eine Art widerwilligen Respekt, der früher oder später in offene Kampflust umschlagen würde. Ciaran sprach beruhigend auf ihn ein und fasste die Zügel vorsichtshalber etwas kürzer.
Béarisean war auch auf der Hut mit seinem Schimmel. „Ich sollte Halis vielleicht um ein anderes Pferd bitten“, sagte er. „Sonst können wir nie in Ruhe miteinander sprechen.“ Natürlich würde er das nicht tun. Flaith war ein besonders schönes Tier, und Halis wäre sicher gekränkt gewesen, wenn er ihn abgelehnt hätte.

„Von hier aus ist nichts zu erkennen“, sagte Ciaran, den Blick noch immer nach Norden gerichtet. „Ich hatte gehofft, da wäre wenigstens eine Spur von dem Licht zu sehen. Jetzt da ich weiß, dass es da ist.“
Béarisean schüttelte den Kopf. „Alandas ist nicht Teil von Abhaileon. Selbst unmittelbar vor der Grenze ist nichts von unserer Seite aus wahrzunehmen. – Ich hatte gehofft, von hier aus mehr zu sehen von den Truppen auf Corimac. Carraig ist noch zu weit. Ich frage mich, was dort auf uns warten wird.“
„Wie sieht Carraig aus?“ Ciaran klopfte beruhigend Doiteans Hals. „Du hast es gesehen.“
„Sehr uneinnehmbar. Wenn Barraid sich dort verschanzt, wüsste ich nicht, wie wir ihm beikommen sollten.“
„Ich denke, er wird uns angreifen. Gleich wie viele dort auf Corimac auf uns warten – wir werden unterlegen sein ohne Alandas. Er hat das alles sehr gut geplant. Er wusste, dass ich einer der Ritter sein sollte, bevor ich es wusste. Er hat euch in Croinathír erwartet. Warum sollte er nicht gewusst haben, dass wir ein Heer sammeln.“
„Nicht alles geht nach seinen Plänen“, sagte Béarisean grimmig. „Robin sagte, man könne einige der zukünftigen Ereignisse aus den Sternen herauslesen. Auf Arda scheint das nicht so verboten zu sein wie hier. Wahrscheinlich weiß er deswegen darüber Bescheid. Er sagte auch, es sei sehr schwierig, und die meisten, die es versuchten, irrten sich. Nun, auf Carraig scheinen sie Übung darin zu haben. Dennoch können sie nicht alles wissen.“
„Wenn er nicht sicher wäre, gewinnen zu können, wäre Barraid nicht hier“, sagte Ciaran einfach. Dann lachte er. „Ich kann mir nicht vorstellen, in die Sterne geschrieben zu sein. Heute Nacht werde ich einmal genau hinsehen müssen. Wie könnte es denn aussehen?“
„Ich weiß es nicht und ich will es nicht wissen“, antwortete Béarisean. „Wenn Robin zurückkommt, kannst du ihn ja fragen.“
„Ich hoffe sehr, Anno noch einmal zu treffen“, entgegnete Ciaran sehr ernst. Dann seufzte er. „Vielleicht sollte ich hier zurückbleiben, bis auf Corimac alles geklärt ist. Ich bin nun ja nicht unbedingt erforderlich, da du als Ritter des Königs gekommen bist. So könnte ich es vermeiden, als Regent aufzutreten, ohne dass ich es wirklich bin.“ Er blickte nach Westen und sein Gesichtsausdruck erweckte den Anschein, als erwarte er dort im nächsten Augenblick die Festungsmauern von Carraig aus dem Boden steigen zu sehen.

Béarisean blickte ihn verwundert an. „Du bist Regent“, sagte er. „Wir hatten das entschieden.“
„Du weißt sehr gut, dass das nur vorübergehend sein kann“, entgegnete Ciaran. „Weil es keine andere Wahl gab. Vielleicht sollte ich hier und jetzt einen klaren Schnitt machen und dir den Ring mitgeben. Ich könnte in den Osten reiten und sehen, ob ich Ritter Anno finden kann. Mein Befehl war nur, mit dem Heer von Ruandor bis Corimac zu reiten.“
„Ich dachte, du seist nicht sonderlich erpicht darauf, Lord Fíanael wieder zu begegnen?“
„Das bin ich auch nicht“, sagte Ciaran leise, „aber es gibt Schlimmeres.“
„Auf Corimac?“
Dem Dalinianer stieg die Röte in die Wangen. „Du kannst das nicht verstehen.“
„Vielleicht doch“, bestand Béarisean. „Was fürchtest du auf Corimac so sehr?“
Ciaran wandte das Gesicht ab. Béarisean hatte ihn noch nie so gesehen. Gewöhnlich war er die Personifikation des Regenten von Abhaileon, strahlend, selbstbewusst, freundlich, doch mit Autorität, seiner Macht bewusst und dennoch bescheiden, von allen geliebt und bewundert und der beste Kamerad, den man nur wünschen konnte. Jetzt war davon nicht mehr viel übrig. Er wirkte unsicher und verschlossen. Etwas an ihm forderte geradezu Ablehnung heraus. „Ich glaube, ich will darüber nicht sprechen“, sagte er zu dem Boden vor sich.
 Béarisean lächelte traurig. Dann sagte er fest. „Du wirst darüber sprechen. Ich verlange es. Bei dem Rang, den mein Schwert mir gibt.“
Der andere Ritter senkte den Kopf noch tiefer. „Kannst du mich nicht sein lassen?“ sagte er gequält.
„Nein“, antwortete Béarisean einfach.

Ciaran blickte nicht auf. Für einen Augenblick stieg Zorn gegen Béarisean in ihm auf, der hier so unerwartet einen Gehorsam einforderte in etwas, das eine Privatangelegenheit war. Doch der andere repräsentierte die Autorität Fürst Ríochans. „Ich glaube nicht, daß ich dem Lord von Tarim willkommen sein werde“, sagte er schließlich so neutral wie möglich.
„Warum solltest du ihm nicht willkommen sein?“ wollte Béarisean wissen. „Bestehen Zwistigkeiten zwischen euch?“
„Wie hätte es Streit geben können“, erwiderte Ciaran fast heftig. „Er war der Vorsitzende des Rates, und ich nur ein Hauptmann seiner Wache. Wenn er befohlen hat, habe ich gehorcht.“
„Was ist es dann?“ bohrte Béarisian weiter. „Was hast du gegen ihn?“
Ciaran blickte ihn zum erstenmal voll an. Da war Schmerz in seinen Augen. „Ich habe nichts gegen ihn“, sagte er dann mit Betonung. „Ich bewunderte ihn. Lange Zeit. Und als ich ihn in manchem nicht mehr bewundern konnte, weil Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten, habe ich dennoch aus ganzem Herzen versucht, ihm gut zu dienen.
Es ist nur: Er hat mir öfters zu verstehen gegeben, daß schon mein Posten als Hauptmann eigentlich viel zu bedeutend für mich ist, weil ich noch zu jung bin für so eine verantwortliche Position, und daß es mir besser täte, noch ein paar Jahre als Leutnant zu dienen. Er hat es nie offen ausgesprochen, aber ich habe es von anderen gehört: er hielt mich für völlig ungeeignet für alle leitenden Positionen. – Neill war ein guter Freund und Kamerad. Aber als er mir in Daliní begegnete, glaubte er, ich sei ein Verräter, ein Überläufer. Dass ich mir einen Rang anmaße, der mir nicht zusteht. Etwas ließ ihn seine Meinung ändern. Dort in der Hauptstadt haben sie vor, den Reichsbann über mich verhängen lassen, weil sie glaubten, ich paktiere mit dem Feind. Und Estohar ... Ich weiß, ich muss ihm gegenübertreten. Wegen der Amnestie für die Lords von Eannas und ganz besonders für Lassalle und Rina. Nur nicht ohne Vorbereitung. Nicht heute Abend. Mit dem Siegel von Abhaileon an der Hand. Er wird ...“

Béarisean hatte ihm eine Weile ziemlich fassungslos zugehört. Jetzt unterbrach er ihn fest. „Er wird diesen Ring küssen und dir Treue schwören.“
„Du begreifst nicht“, protestierte Ciaran.
„Nein, ich begreife wirklich nicht ganz, was da zwischen ihm und dir los war. Doch es ist vollkommen irrelevant. Sollte Estohar es wagen, eines der Schwerter aus Alandas zu beleidigen, die wir tragen, werde ich ein paar ernste Worte mit ihm reden. Aber ich bezweifle, dass das nötig sein wird. Und er ist ein Lord von Abhaileon. Er kann das Siegel, das du trägst, nicht verleugnen. Er wird es nicht tun.“
„Es gehört nicht mir.“
„Du trägst es zurzeit. Ich habe das bestätigt. Wenn du es förmlicher brauchst: im Namen von Alandas, für das ich hier stehe, bestätige ich dich in diesem Amt. Du hast später noch jederzeit die Freiheit abzudanken. Aber nicht jetzt!“
Ciaran holte tief Luft. „Wie du befiehlst“, sagte er mit einer leichten Verbeugung. „Aber du wirst sehen, dass es nicht ohne Reibungen ablaufen wird.“
Béarisean lachte leise. „Nicht du solltest diese Begegnung fürchten sondern Estohar. Stell dir doch nur einmal vor, was Halis, Ludovik, Orla und der Rest der Dalinianer, die Vertreter von Sailean und Roscrea sagen werden, wenn Estohar es wagt, ihrem Regenten zu nahe zu treten!“
Ciarans Lächeln war schwach, doch immerhin war es ein Lächeln. „Deshalb wollte ich euch ja vorneweg schicken“, sagte er. Er berührte die Waffe an seiner Seite und seine Stimme wurde fester. „Ich glaube, ich hatte für eine Weile vergessen, welches Schwert ich trage. Doch gehen wir nun, im Namen des Königs.“
„Im Namen des Königs“, bekräftigte Béarisean.

Sie ließen die Pferde galoppieren, bis sie zur Spitze des Heerzugs aufgeschlossen hatten. Kein zu schneller Galopp, so sehr die beiden Hengste auch darum kämpften, die Zügel freizubekommen. Halis ritt so kurz vor dem Ziel neben ihrem Bruder. „Ihr habt die Delegation des Rates verpasst“, teilte sie ihnen mit, als sie ihre Pferde bei ihnen zügelten. „Estohar hat gleich für heute Abend einen großen Kriegsrat anberaumt.“
„Herr Diarmaid war äußerst enttäuscht, keinen der Ritter des Königs zu Gesicht zu bekommen“, fügte Fürst Ludovik hinzu. „Er wollte wissen, ob es stimme, dass der eine von ihnen Béarisean von Sliabh Eoghaí sei. Seltsam genug erwähnte er nichts von euch, Herr Ciaran.“
Béarisean lächelte. „Politik. In der Hauptstadt denkt man gerne auf gewundenen Bahnen. Vielleicht halten einige der Herren des Rates es noch für verfrüht, einen Regenten zu proklamieren.“
„Das wird ihnen wenig helfen“, meinte Ludovik. „Es ist nichts, worin sie eine Entscheidung zu fällen haben.“
„Dennoch seltsam“, bemerkte Halis, „ich hätte eher gedacht, dass einige eher davor zurückscheuen werden, Rittern des Königs zu begegnen.“
„Wir haben ihnen jedenfalls beides zu bieten“, sagte Béarisean. In seinen Augen blitzte es. „Und ich beabsichtige heute Abend eine kleine Schlacht zu gewinnen für Alandas.“ Er begann mit Ludovik zu flüstern. Die Augen des Fürsten lachten auch bald. Halis wartete lächelnd ab, bis sie dazu gerufen wurde.

Dorban sah Ciaran neugierig an. „Ihr habt das dort oben auf dem Hügel beraten?“
Der Ritter schüttelte den Kopf. „Nein, dort hatten wir anderes zu besprechen.“ Nach einer Weile fügte er hinzu. „Ich weiß nicht, was Béarisean vor hat. Es scheint auch nicht nötig zu sein, dass ich es weiß.“
„Er liebt es das Kommando zu führen“, meinte Dorban trocken, „und verrät selten auch nur die Hälfte von dem, was er sagen könnte.“
Ciaran runzelte die Stirn. Doch bevor er etwas erwidern konnte, hörten sie eiligen Hufschlag. Ludovik, Béarisean und Halis unterbrachen kurz ihre geflüsterte Unterhaltung, als ein paar der Vorreiter einen Trupp von vier Reitern zurückhielten. „Regent!“ rief einer von ihnen dringlich. Ciaran erkannte die wilde Lockenpracht und immer ein wenig lachende Stimme Rafe von Muines. „Lasst sie durch“, rief er und spornte sein Pferd ein wenig an, um zu der Gruppe zu gelangen. Die ruandorischen Vorreiter ließen die Fremden auf seinen Ruf hin passieren.
Rafe ließ sein Pferd für die kurze Stecke noch einmal in Galopp fallen, bis sie sich auf den Pferderücken gegenüber saßen. „Regent“, sagte Rafe nochmals, diesmal fast andächtig, und beugte sich vor, um Ciarans Hand zu küssen.
„Ich werde Eure Seite nicht mehr verlassen“, erklärte er dann, um danach besorgt auf Ciaran zu blicken. „Ihr habt meinen Dienst doch nicht etwa an einen anderen vergeben?“
„Euren Dienst?“ fragte Ciaran ein wenig belustigt zurück.

Rafe wirkte etwas gekränkt. „Ich bin für Euren Schutz verantwortlich, Regent. Ich hätte mit Euch reiten sollen, als Ihr Daliní verließt!“
„Es war besser so“, entgegnete Ciaran. „In Eannas hätte es Euch möglicherweise das Leben gekostet, ohne dass Ihr etwas hättet ausrichten können.“
„Was geschah dort!“ Es war fast eine Forderung, es zu erfahren.
„Gearaid ließ mich in sein tiefstes Verlies werfen. Aber Lord Lassalle holte mich heraus, bevor viel Schlimmeres geschehen konnte.“
„Ihr habt meine Aufgabe danach hoffentlich nicht ihm übertragen?“ forschte Rafe sofort nach.
„Nein“, lachte Ciaran. „Erst Fürst Ludovik hat mir auf dem Weg hierher ein paar Wachen zugeteilt.“
„Gut“, sagte Rafe erleichtert. „Mich mit Lassalle darum zu streiten, hätte sehr schwierig werden können. Ist unter diesen Ruandorern ein Lord?“ Als Ciaran den Kopf schüttelte, nickte er zufrieden. „Dann wird es keinen Disput geben. Ich befehlige Eure Garde!“
„Ich habe gar keine Garde“, wandte Ciaran ein.
Rafe lächelte nur und winkte seinen drei Begleitern näher zu kommen. „Ich folge Euch, wohin Ihr auch geht“, sagte er dann. „Das hier sind Gam, Tilliff und Ruorai. Sie werden mir helfen, meine Arbeit zu tun.“ Die drei verbeugten sich tief im Sattel und blickten Ciaran stolz an.
„Ich werde Euch nicht hindern zu tun, was Ihr nicht lassen könnt“, sagte der Ritter schließlich kopfschüttelnd. „Aber ich brauche keine Garde.“

Rafe folgte ihm wie ein Schatten, als er sein Pferd zurück zu den anderen lenkte. Die anderen hielten sich hinter ihnen. Dann erblickte der Lord von Muine Dorban und jagte einen seiner Leute sofort los, noch bevor er den Lord begrüßte. „Dorban!“ rief er dann. „Orla sind einige graue Haare mehr gewachsen, weil er nicht wusste, was mit dir geschehen ist! Da reitest du in aller Ruhe dahin, ohne daran zu denken, uns eine Nachricht zukommen zu lassen!“
„Das kommt nur, weil ich in so illustrer Gesellschaft bin“, sagte Dorban lakonisch. „Es hat Boten genug gegeben. Ich schien wohl nicht erwähnenswert. Im Vergleich zu Fürsten, Regenten und Königsrittern.  Ich wusste auch nicht, dass ihr schon angekommen seid.“
„Erst seit drei Tagen“, gab Rafe zu.
„Wo kann ich Orla finden?“ erkundigte der Lord von Tairg sich.
Rafe erklärte es. Doch bevor Dorban aufbrechen konnte, drehte Béarisean sich zu ihm um. „Bleibt“, sagte er. „Dazu ist am Abend noch Zeit genug.“ Dann diskutierte er weiter leise mit Halis und Ludovik.
Rafe zog die Brauen hoch. „Und wer ist das?“ erkundigte er sich interessiert.
„Béarisean von Sliabh Eoghaí“, gab Dorban trocken bekannt. „Ritter des Königs, Botschafter für Alandas.“
„Er hat auch so ein Schwert?“ Der Lord von Muine versuchte einen besseren Blick auf die Seite des Ritters weiter vor ihm zu bekommen.
„Er hat auch so ein Schwert. Eines mit Saphiren.“
„Sein Rang ist höher als der meine“, bemerkte Ciaran.
Rafe lächelte wieder. Er hatte die Andeutung verstanden.  „Ein Botschafter aus Alandas braucht keine Garde“, lachte er. „Im Gegensatz zu unserem Regenten.“ Er verbeugte sich wieder leicht. „Und er ist außerdem kein Dalinianer“, fügte er mit einem breiten Grinsen hinzu.

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„Arnim, was soll das?“ fragte Lord Ingvar ungeduldig. Die Anstrengung zehrte an ihnen allen. „Ich brauche diese Details nicht alle zu wissen. Es genügt, wenn du informiert bist. Ich würde lieber Gearaid aus seinem Fuchsloch herausholen. Warum willst du mich unbedingt hier behalten?“
„Ich brauche jemanden, der mich vertreten kann, wenn mir etwas zustößt“, entgegnete Lassalle. „Dieses Land braucht einen guten Führer. Rudin von Orthaí hat dazu nicht die Klasse. Wenigstens weiß er das selbst.  Auch keiner der anderen. Vielleicht Rieken, wenn er lernt sich zu beherrschen und zehn Jahre älter und erfahrener ist. Du bist der einzige, den alle anerkennen werden.“
„Du solltest nicht so reden“, sagte der Lord ärgerlich. „Du bist der neue Fürst. Wir werden darauf bestehen, gleich was der Rat sagt.“
„Das fürchte ich nicht. Der Regent wird zu mir stehen. Er wird tun, was möglich ist, und wie ich ihn kenne, ist ihm wenig unmöglich.“ Sein müdes Gesicht hellte sich auf. „Ich segne den Tag, an dem dieser Ritter nach Escaile kam. Mein Leben wäre jetzt noch so hoffnungslos ruiniert, wie es war, ohne ihn.“
„Vieles hat sich seitdem zum Besseren gewendet“, gab Ingvar zu. „Seltsam das sagen zu können, mitten in den Kämpfen, die wir noch bestehen.“ Er lachte trocken. „Letzthin jubelten mir irgendwelche Leute zu, als ich mit meinem Trupp vorbeiritt. Und du hörtest wohl, dass niemand die Bestätigung aus Corimac abzuwarten scheint.“
„Ich habe noch Feinde genug“, sagte Arnim ruhig. „Der Friede wird einmal schwieriger werden, als der Krieg es war.“ Er grinste. „Auch andere könnten da zu kämpfen haben.“
„Als ob Bruaga nicht genug wäre“, murrte Ingvar. Aber er hatte sich in dieser Frage schon innerlich gefügt.

„Ich will, dass du mir ein Versprechen gibst“, sagte Arnim.
„Welches?“ Ingvar war auf der Hut.
„Eines für den Fall, dass ich einen Unfall habe.“
„Jetzt hör auf damit, Arnim!“ sagte Ingvar gereizt. „Niko hat sich beruhigt. Rudin unterstützt dich. Der Regent steht zu dir. Und ich werde deine Wache verdoppeln, wenn du so weiterredest!
„Ich will, dass du, sobald die Regierung von Eannas an dich geht, versprichst dem König zu dienen.“
Ingvar starrte ihn zwei Minuten lang sprachlos an. „O nein!“, sagte er dann. „So etwas werde ich nicht versprechen!“
Arnim grinste. „Vor was zierst du dich eigentlich noch? Du hältst jetzt bereits alle nötigen Regeln, wie alle anderen auch.“
„Nur die nötigen!“ betonte Ingvar.
„Es geht nur um die nötigen“, sagte Arnim. „Was ich darüber hinaus tue, hat andere Gründe. – Abhaileon wird unter Alandas stehen. Eannas sollte dem Rechenschaft tragen.“
„Wenn ich dir das verspreche, gibst du mir freie Hand, für deine Sicherheit zu sorgen!“
„Abgemacht“, stimmte Arnim nach einigem Überlegen zu. „Das klingt gerecht.“
„Sei dir sicher, dass ich dafür sorgen werde, dass ich nie halten muss, was ich jetzt verspreche“, sagte Ingvar ingrimmig. „Mein Wort darauf: Sollte dir etwas zustoßen, so daß die Herrschaft über Eannas an mich fällt, werde ich auf der Stelle niederknien und dem König Treue schwören. Und keinen Moment vorher.“

Arnim war erleichtert. „Ich werde ruhiger schlafen mit diesem Versprechen“, sagte er.
„Da wir beim Thema Sicherheit sind“, begann Ingvar grimmig. „Wieviel Grund hast du, Reginald wirklich zu trauen?“
„Ich habe einige Gründe, ihm zu trauen“, antwortete Arnim knapp.
„Du kannst mir nicht erzählen, dass dir nicht aufgefallen ist, dass etwas mit ihm nicht stimmt“, beharrte Ingvar.
Arnim zögerte. „Ich sagte, dass ich Gründe habe, ihm zu trauen. Nicht dass ich ihm völlig vertrauen kann.“
„Was genau soll das heißen?“ verlangte Ingvar.
„Ich habe ihn mit in das Dunkel gerissen“, antwortete Arnim nach noch längerem Schweigen. „Ich habe den Weg hinausgefunden. Er nicht. Das bleibt meine Verantwortung.“

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