Dienstag, 13. September 2011

Kapitel 29.1


XXIX Übereinkünfte

Ciaran konnte dem Boten aus Eannas noch am gleichen Tag die Pergamentrollen überreichen. Eannas hatte einen neuen Fürsten. Nach dem was Arnim berichtet hatte, hoffte er, ihn in nicht allzu ferner Zukunft auf Corimac zu sehen. Er zweifelte keinen Augenblick, dass der neue Fürst von Eannas kommen würde, sobald es die Situation in seiner Provinz auch nur annähernd zuließ. Bis dahin sollte allen bekannt sein, dass er neu in Ehren war. Er blickte noch dem kleinen Reitertrupp nach, der in den Süden davonsprengte, als Orla von Fuacht auf ihn zukam. Ihm zulächelnd, sagte Ciaran „Gestern blieb mir wenig Zeit, Euch zu begrüßen.“
Orla lächelte ebenfalls: „Es gab Wichtigeres als das. – Ihr habt meinen Fuchs noch?“ Er bemühte sich, die Frage belanglos klingen zu lassen, aber der Ritter hörte die Spannung darin.
„Ich habe ihn Doitean genannt“, antwortete Ciaran. „Ich glaube, er ist schneller als alle Pferde aus Imreach, die hier sind, und seine Ausdauer schlägt alles, was ich kenne. Ich stehe tief in Eurer Schuld für Eure großzügige Gabe.“ Er zögerte kurz. „Ich weiß, dass Doitean für Euch mehr ist als irgendein Pferd. Er hat mich weit getragen, doch ich habe mein Ziel erreicht. Soll ich ihn Euch zurückgeben?“
„Nur, wenn Ihr mich beleidigen wollt“, erklärte Orla fest.
„Aber vielleicht möchtet Ihr ihn sehen?“ erkundigte Ciaran sich. Er wandte sich um. „Rafe, wo ist mein Fuchs?“ Er sah Orla wieder an. „Es bringt gewisse Umstände mit sich, Regent zu sein. Früher wusste ich immer, wo mein Pferd ist.“ Orla lachte.
„Es liegt nur daran, dass Doitean und Flaith sich nicht vertragen“, erklärte Rafe. „Wir mussten sie so weit wie möglich von einander trennen.“ Auch Béariseans Schimmel war nirgends zu sehen.

Sie brauchten nicht lange zu warten, bis einer von Rafes Männern den Fuchshengst brachte. Rafe hatte mittlerweile die ruandorischen Wachen in seine Garde kooptiert. Fürst Ludovik hatte keine Einwände erhoben, eher im Gegenteil.  Der Hengst blieb stehen, als er Orla erblickte. „Lasst ihn los!“ befahl Ciaran. Doitean spielte etwas mit den Ohren, dann ging er schnell auf den Lord von Fuacht zu.
Orla strahlte. „Hast du mich also doch nicht vergessen, mein Junge.“ Er zauste dem Tier die Mähne und begutachtete es dann ausführlich. „Ihr habt gut für ihn gesorgt“, sagte er schließlich zu Ciaran. „Doch ich erwartete nichts anderes.“
„Er versorgt ihn morgens für gewöhnlich selbst“, verkündete Rafe.
„Er ist immer noch sehr anhänglich“, sagte Ciaran. „auch wenn er jetzt mehr an Fremde gewöhnt ist. Er trauert, wenn ich ihn zuviel allein lasse.“
Orla nickte. „Pferde wie dieses sind sehr sensibel.“ Er sah auf Rafe. „Ich hoffe, du betrachtest mich nicht als Bedrohung für unseren Regenten?“ Der Lord von Muine verstand den Wink und zog sich diskret zurück.

„Ich hörte, dass Eannas einen neuen Fürsten will“, begann Orla.
„Arnim von Lassalle hat die Bestätigung erhalten“, antwortete Ciaran.
Der Lord nickte. „Nicht jeder wird diese Nachrichten begrüßen“, sagte er dann. „Lassalle hat viele Feinde. Was werdet Ihr als nächstes tun, nachdem Ihr nun Dalinie und Eannas innerhalb weniger Stunden einen neuen Fürsten gegeben habt?“
„Wir müssen eine Versammlung einberufen“, sagte Ciaran. „Es ist nötig, daß alle Fürsten in Einheit Hilfe von Alandas erbitten. Wir sollten den Bund von Corimac so schnell wie möglich schließen.“
„Wenn er zustande kommt“, gab Orla zu bedenken. „Es könnte sein, daß Fürst Dermot von Corrugh alles zum Scheitern bringt.“
„Es ist relativ unwahrscheinlich, dass Fürst Arnim von Eannas jetzt noch Ansprüche auf Ecrin erheben wird“, meinte Ciaran.
„Land wäre da nicht das einzige Problem“, entgegnete Orla. „Die Brandschatzung von Corrugh war eine blutige Angelegenheit. Dermot hat dabei Verwandte verloren. Aber selbst das ist möglicherweise nicht das größte Problem dabei.“ Er blickte sich um. Doch Rafe hielt sich außer Hörweite und sorgte offenbar auch dafür, dass jeder andere das tat.
„Ich war damals im Norden, in Caillich, als das alles geschah. Ich war abenteuerlustig damals.  Ich wollte einen der Wege nach Arda suchen und Caillin von Caillich war ein Freund meines Vaters. Meine erste Frau war von dort. - Ich bin ungefähr gleich alt wie Lassalle. Dermot ist nur wenig älter. Es gab jede Menge wilde Gerüchte, und es ist nie etwas bewiesen worden. Aber eines davon besagte, dass Dermot Torval dazu aufgehetzt hat, Arnim um seinen Thron zu bringen. Und dass er nicht trauerte, als das diesen das Leben kostete. Dass er sich auf rätselhafte Weise von allem Gefährlichen fernhalten konnte. Und ein Gerücht behauptete, er habe einen Pakt mit dem Bösen geschlossen, um an den Thron von Corrugh zu kommen. Doch es ist wie gesagt nur ein Gerücht, das wenige flüsterten. Damals vor langer Zeit. Ich wüsste nichts, was es bestätigt.“

Er zuckte die Schultern. „Liv starb früh, bei ihrer ersten Geburt, und ich hatte seitdem nichts mehr mit dem Nordwesten zu tun.“
„Liv“, sagte Ciaran. „Wie Livin?“
„Ja“, sagte Orla. „Aber Livin war die Tochter meiner zweiten Frau. Mein einziges Kind, das je erwachsen wurde.“ Er sah Ciaran an. „Manchmal fragte ich mich, was ich getan haben soll, dass ich alle, die ich liebte, so früh verlor.“
„Meine Eltern starben auch früh“, sagte Ciaran. „Es geschieht einfach.“
„Mir schien es so ungerecht“, sagte Orla. „Ich begann diesen König zu verachten, der etwas hätte tun können, es aber nie tat. Er war nie da, wenn ich in Not war.“
„Es ist seltsam, wie verschieden das uns ergangen ist“, meinte Ciaran. „Es half mir über meinen Verlust und später alles andere hinwegzukommen, wenn ich versuchte zu ihm zu sprechen. Es war gut zu wissen, dass es irgendwo noch Licht gibt.“
„Das war eine klügere Wahl“, sagte Orla. „Ich habe es erst verstanden, als wir uns begegneten. Seitdem weiß auch ich, dass es, wie Ihr sagt, gut tut zu wissen, dass es irgendwo Licht gibt.“
„Es wird auch da sein, wenn ich nicht mehr bin“, sagte Ciaran leise.
„Das ist ein Tag, den ich nicht zu erleben hoffe“, sagte Orla. „Auch wenn ich weiß, dass es wahr ist.“
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Ciaran entschloss sich nach dem Gespräch mit Orla, Dermot von Corrugh aufzusuchen. Es schien am klügsten, sich selbst ein Bild von dem Mann zu machen. Doch er konnte ihn nicht ausfindig machen. Er war allein unterwegs. Mehr oder weniger. Er hatte Rafe ausdrücklich gesagt, dass er hierbei keine Eskorte wünsche, und der Lord von Muine hatte sich schließlich gefügt. Doch vermutete Ciaran, dass Rafe jemanden hinter ihm hergeschickt hatte. Falls dem so war, hielt der Mann sich wenigstens außer Sichtweite.
Im Lager der Männer aus Corrugh hieß es nur, Dermot sei schon sehr früh am Morgen mit wenigen Begleitern aufgebrochen. Niemand schien zu wissen wohin oder wann mit seiner Rückkkehr zu rechnen sei. Das einzige, das er in Erfahrung brachte, war, dass der Fürst eine Botschaft erhalten hatte. Der Überbringer sei jemand aus den Südprovinzen gewesen, meinten Dermots Leute. Ein Begriff, der bei ihnen alles außer dem Nordwesten zu beinhalten schien.
Ciaran erkundigte sich also noch in ein paar der andern Lager nach dem Fürsten und nahm dabei die Gelegenheit wahr, sich auch mit einigen der anderen Herrscher näher bekannt zu machen. Dabei stieß er schließlich auch auf Dorban, der wohl auch versuchte, sich einen besseren Überblick zu verschaffen.

Der neue Fürst von Dalinie war ebenfalls allein unterwegs. Er lenkte sein Reittier sofort zu dem Regenten, als er ihn erblickte. „Darf ich Euch eine Frage stellen?“ sagte er direkt. „Es ist ein wenig persönlich.“
„Fragt“, meint Ciaran mit einem Lachen, „ich muss schließlich nicht antworten.“
 „Warum habt Ihr Dalinie nicht für Euch selbst in Anspruch genommen?“ Diese Frage hatte Dorban seit dem vergangenen Abend nicht mehr losgelassen. „Ihr werdet eigene Besitztümer brauchen. Und niemand hätte Euch die Provinz streitig gemacht, hättet Ihr Euer Recht darauf geltend gemacht.“
Ciaran hatte das nie bedacht. Der Oberste Rat wurde von der Stadt und den Provinzen finanziert, er nahm an, auch ein Regent würde auf die Gelder für alles Nötige zurückgreifen können. Auf der Burg von Croinathír gab es auch die nun schon lange unbenutzte Regentensuite. Er würde Béarisean über weitere Details fragen müssen. Bis jetzt hatte sich jedoch alles ohne sein Zutun geregelt.
„Ich vermute, es stimmt“, sagte er langsam. „Ich hätte auf Dalinie Anspruch erheben können. Aber ich war sehr lange im Westen; Ihr seid die bessere Wahl dafür.“
„Tairg ist groß genug“, erklärte Dorban, „wenn auch nicht besonders reich. Dalinie hat beträchtliche Einkünfte. Es gibt da einen Anteil aus den Gewinnen aus Daliní und einige der Lordschaften geben hohe Tribute. Ich werde Gelder genug haben, um Euch angemessen zu unterstützen. Ich bin mir sicher, nicht nur Orla wird das begrüßen.“
Ciaran nickte. „Es hört sich richtig an. Da jeder hört, woher ich stamme, wird man erwarten, dass Dalinie mich unterstützt.“
Dorban nickte bestätigend. „Wir werden ihnen zeigen, dass wir alles andere als Hinterland sind. – Halte ich Euch auf?“
Ciaran verneinte. „Ich suchte nach Dermot von Corrugh, und mache mich dabei mit den verschiedenen Lagern vertraut.“

„Ich wollte mir auch einen Überblick verschafffen“, sagte Dorban.
„Dann lasst uns zusammen reiten“, schlug Ciaran vor.
„Zieht Ihr es nicht vor, das mit Herrn Béarisean zu tun?“
„Herr Béarisean ist beschäftigt. Und ich würde Euch gerne besser kennenlernen“, sagte Ciaran. „Ich weiß noch zu wenig davon, wie Ihr verschiedene Dinge einschätzt.“
Dorbans Blick wurde vorsichtig. „Alandas?“ erkundigte er sich ausdruckslos.
Ciaran lächelte. „Das wohl auch. Ich gehe davon aus, dass Ihr bei dem Bundesschluss dazu steht, Fürst Ríochan um Hilfe zu ersuchen.“
„Ich sagte das schon auf der Ostheide zu.“ Die Stimme des Fürsten klang fast mürrisch. „Mir ist alles recht, was Barraid im Zaum halten kann, und ich schulde Alandas einiges, wie es scheint.“ Sein Tonfall änderte sich, wurde engagierter. „Zudem, Ihr wünscht es so, mein Regent. Dalinie wird Euch in allem folgen.“
„Ihr gabt Euer Wort gestern abend vor dem König.“
Dorban antwortete nicht sofort. „Orla flüsterte mir zu, dass ganz Dalinie Euch in diesem Namen zugeschworen hat“, sagte er dann trocken. „Meine Lords wären, imstande mich sogleich wieder abzusetzen, wenn ich mich ihrem Willen so ostentativ widersetzte. Ihr wisst doch, wie Dalinie ist.“
Der Regent nickte. „Und Ihr selbst?“
„Ich werde ungern gedrängt“, sagte Dorban.
„Ich habe Eide genug akzeptiert, die mich als Herrscher über Abhaileon anerkannten, obwohl ich ein Ritter des Königs bin“, sagte Ciaran ruhig. „Ich wollte Euch nur besser verstehen können.“
„Ich weiß, dass es ihn gibt“, sagte Dorban. „Ich weiß, dass ich Verpflichtungen habe, die ich halten werde. Mehr ist da nicht.“

„Auf dem Weg hierher nach Corimac sprachen wir einmal über Träume“, sagte Ciaran. „ Gemeint waren wohl die Dinge, die uns im Tiefsten bewegen. Das ist jetzt eine sehr persönliche Frage, die Ihr nicht zu beantworten braucht. Was ist es, wofür Ihr lebt?“
„Vor kurzem hätte ich noch gesagt, um einmal Fürst von Dalinie zu sein“, Dorban lachte auf.  „Jetzt seht Ihr mich wirklich in Verlegenheit, darauf zu antworten. Und Ihr?“
„Einmal wollte ich ein Ritter sein. Irgendein Ritter. Ich hätte es nicht gewagt, nach dem hier zu streben“, sagte Ciaran und legte die Hand auf sein Schwertheft. „Dann begegnete ich Fürst Ríochan. Seitdem will ich nicht mehr etwas, sondern strebe danach, zu handeln wie er.“ Er lachte. „Das ist etwas, das in Leben und Sterben vorhalten wird.“
„Ein interessanter Aspekt“, sagte Dorban nachdenklich. „Ein Sein, nicht ein Haben.“

Der Regent wechselte das Thema. „Lord Lassalle ist als neuer Fürst von Eannas bestätigt.“
In dem Blick, den der Fürst von Dalinie Ciaran zuwarf, mischten sich tiefer Respekt und Bewunderung. „Eine exzellente Entscheidung. Lassalle ist der glänzendste Stratege in ganz Abhaileon, nach allem, was ich weiß. – Ich weiß, einige stellten ihn als eine Art Teufel dar. Doch er war nie prinzipienlos. Diese Ernennung wird er Euch nie vergessen. Sie stellt seine Ehre wieder her. Estohar hat da zugestimmt?“
„Ihr fragt nicht nach Lord Béarisean?“
„Lord Béarisean mag Lord Lassalle nicht zugeneigt sein. Aber er lebt und stirbt in Erfüllung des ihm gegebenen Auftrags.“ Er seufzte. „Wer wüsste das besser als ich. Mit persönlichen Vorlieben hat das nichts zu tun. Wenn Alandas befiehlt, küsst er den Boden und gehorcht.“
„Ich hoffe, das kann auch von mir gesagt werden“, sagte Ciaran leise.
„Herr“, sagte Dorban einfach, „ich habe keine Zweifel, was Eure Treue zu Euren Verpflichtungen angeht. Doch Ihr ...“ Er verstummte und schüttelte den Kopf. „Wenn das Alandas ist, würde ich vielleicht auch einmal dafür stehen wollen.“ Er holte tief Atem. „Ich nehme an, Fürst Arnim hat sich für Alandas erklärt?“
„Das hat er.“
„Nichts anderes war zu erwarten. Ein fähiger Führer.“
„Zweifellos“, stimmte Ciaran zu. „Doch es war mehr als Form. Er hat sich entschieden, von jetzt an dem König zu dienen. Seit jener Nacht in Escail, vermute ich.“
Dorban nickte nur stumm. Sein Blick blieb auf dem Regenten haften.  „Ich denke, ich nachzuvollziehen, wie es dazu kam“, sagte er nach einer Weile.

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Dermot von Corrugh blickte beunruhigt auf den Sonnenstand, als sie die Ebene verließen und entlang eines Bachlaufs nach Süden zwischen die dicht stehenden Erlen ritten. „Ihr sagtet, ich werde kaum mehr als einen Tag verlieren.“
„Wir sind bald da“, versicherte sein Führer. Es war ein untersetzter Mann in groben Kleidern. Dermot vermutete, dass er zu den Banditen gehörte, von denen alle im Süden sprachen. Sein Akzent mochte in die Gegend von Tireolas gehören. Er war sich nicht so sicher. Ob er nun ein Bandit war oder nicht, die Nachricht mit der er zu ihm gekommen war, war ihm sehr ungelegen gewesen. Er hatte gehofft, diese Dinge schon lange hinter sich gelassen zu haben. Narrheiten aus seinen jungen Jahren.
Narrheiten? Der Narr war er selbst. Schon damals hatte er seinen Verdacht gehabt, mit wem er es in Wirklichkeit zu tun hatte. Doch der Preis war zu verlockend gewesen. Der Preis und auch das berauschende Gefühl der Macht. Der alte Easan war nur ein Stümper in der schwarzen Kunst gewesen. Nichts wie dieser Erendar aus Imreach, von dem sie einige Jahre später geredet hatten. Dass er zu ihm gegangen war, war mehr einer betrunkenen Laune entsprungen gewesen. Easan selbst war so überrascht gewesen, als seine Beschwörung Erfolg hatte, dass er entsetzt aus der Höhle gestürzt war, in der die ganze Zeremonie stattgefunden hatte. Dermot selbst wäre ihm wahrscheinlich gefolgt, doch im Halbdunkel war er über irgendeine Kiste gestolpert und als er sich wieder aufrappeln konnte, hatte die Neugier gesiegt. Oder die Trunkenheit. Jedenfalls hatte er den Geist – oder was es war – aufgefordert, zu ihm zu kommen.
Danach war lange nichts passiert. Er hatte diese irrsinnige Nacht schon halb vergessen gehabt, als dieser Fíanael aufgetaucht war. Ein Geist war er nicht gewesen. Vielleicht ein wirklicher Zauberer. Kein Abhaileoner wie Erendar. Er sagte, er sei aus einem anderen Land, Winian. Erschreckend war er jedenfalls gewesen. Genauso wie sein Plan. Doch dieser war darüber hinaus verheißungsvoll und dann erfolgreich.
Das jetzt lag Jahrzehnte zurück, und er hatte gehofft, nie mehr an diese Dinge erinnert zu werden, bis der Bote gekommen war. Ihm war keine Wahl geblieben, als dem Ruf zu folgen.

Die Sonne hatte den Zenit schon lange hinter sich gelassen, das hieß, dass sie auf jeden Fall im Freien übernachten mussten. „Wie weit noch?“ erkundigte er sich erneut.
„Nur eine halbe Stunde“, versicherte der andere.
Dermot sah sich um. Ein Bach durchfloss die kleine Lichtung zwischen den Waldungen. Die Gegend eignete sich, um zu lagern. „Wartet hier!“ befahl er seinen Begleitern. „Wenn ich zurück bin, entscheide ich, ob wir hier über nacht bleiben oder noch umkehren.“
Caomhain war beunruhigt. „Lasst mich mit Euch kommen!“ Er warf dem vermutlichen Banditen einen Blick unverhohlenen Misstrauens zu. „Dies könnte eine Falle sein.“
Dermot schüttelte den Kopf. „Nur ein alter Bekannter, der gerne heimlich tut. Vielleicht kann ich von ihm etwas Wichtiges erfahren. Aber er wird es vorziehen, nicht gesehen zu werden.“ Der Bote nickte. Um so besser. Dermot legte höchsten Wert darauf, dass niemand ihn bei diesem Treffen sah. Wenn es wieder dieser Fíanael war ... Der Mann war erschreckend gewesen. Auch wenn es dreißig Jahre her war. Er hatte den Verdacht, dass die Zeit dem anderen nicht sehr anzusehen sein würde.

Als sie endlich den Treffpunkt erreichten, wurden sie schon erwartet. Es war eine kleine Schlucht am Rande der Wälder. Eine Gruppe von zehn Reitern hielt davor. Einer von ihnen lenkte sein Pferd auf die beiden Neuankömmlinge zu. „Der Lord erwartet Euch hinten in der Schlucht“, sagte er. „Er meinte, Ihr würdet etwas Abgeschiedenheit bevorzugen.“
Der Fürst sah sich unruhig um. Sein Begleiter war schon abgesessen.  Der Zugang zu der Felsspalte war am Hang kaum auszumachen, Gestrüpp wucherte darin. Er wollte sein Pferd dorthin gehen lassen, aber der Schwarzgekleidete, der ihn schon zuvor angesprochen hatte, hielt ihn auf. „Lasst Euer Pferd besser hier.“ Dermot sah, dass auch ein anderes Pferd mit teurem Sattelzeug in der Nähe angebunden war.
Zögernd kam der Fürst dem Rat nach. Es war ein schmaler kaum ausgetretener Pfad, der sich in den Hang hineinwand. Die beidseitigen Steilhänge der Enge standen dicht beieinander. Rankengewächse wanden sich über umgestürzte Bäume, Baumstümpfe und Felsbrocken. Wenigstens war es noch heller Tag. Es hätte zu Fíanael gepasst, ihn nachts an einen solchen Ort zu bestellen. Dermots Schwertgehänge verfing sich in ein paar der dornigen Zweige und er stolperte.  Nein, für das Pferd wäre es hier schwierig geworden. Er fragte sich schon, wie weit sich dieser Einschnitt in den Hügel noch ziehen mochte, als er sich endlich zu einem kleinen Kessel weitete.

Dort lehnte ein junger Mann an einer der Felswände. Seine teure Kleidung stand in krassem Kontrast zu der Wildnis um ihn. Dermot war erleichtert, dass es keine Spur von Fíanael gab, weder alt noch jung aussehend. Der Wartende war schmal gebaut, hellblond, die Haare fast zu lang, mit wässrig wirkenden blauen Augen. Kein Krieger. Der Fürst von Corrugh fühlte, wie sich seine Muskeln entspannten. „Ich erhielt eine Nachricht“, sagte er. „Aber wir kennen uns nicht. Ich erwartete jemand anderen.“
„Lord Fíanael ist verhindert“, sagte der Hellhaarige. „Mein Name ist Lùg. Ich bin gleichfalls Lord von Winian.“
Fürst Dermot musterte ihn vorsichtig. Der Lord sah verhältnismäßig jung aus und im Vergleich zu Fíanael wirkte er entschieden harmlos. Vielleicht wurde das jetzt einfacher, als er befürchtet hatte. „Mein Abkommen war mit ...“
„... mit Winian“, schnitt ihn Lùg ab. Seine Stimme war überraschend fest und ließ keinen Raum für Diskussionen. „Es ist kein Wort davon vergessen.“
„Um was geht es?“ Dermot fühlte eine wachsende Unruhe in sich. „Ich möchte das alles so schnell wie möglich aus der Welt haben.“
„Schnell entspricht auch unseren Wünschen“, sagte der Lord von Winian. „Ihr werdet morgen Abend Gelegenheit haben, Euren Teil des Abkommens einzulösen.“ Er zuckte gleichgültig die Schultern. „Teilweise jedenfalls.“
„Teilweise?“ Der Fürst nahm Abstand. „Das alles liegt Ewigkeiten zurück. Ich könnte es überhaupt vergessen ...“
„Ewigkeiten“, wieder schnitt ihn Lùg ab. Es lag ätzender Spott in seiner Stimme, „das sind Einheiten im Vergleich zu denen diese dreißig Jahre weniger sind als ein Atemzug. Eure Worte sind noch wie soeben gesprochen. Soll ich sie Euch wiederholen?“

Dermot sah sich unwillkürlich um. Es war niemand in der Nähe, der sie hätte belauschen können. Trotzdem zog er es vor, das nicht vorgetragen zu bekommen. „Nein“, sagte er. „Ich erinnere mich noch gut genug.“
 „Was von Euch erwartet wird, ist mehr als einfach. Verweigert morgen abend Eure Zustimmung, dass der Regent Alandas zum Eingreifen ermächtigt.“
Der Fürst von Corrugh schwieg. Es war ihm anzusehen, dass er intensiv nachdachte. Lùg konnte seine Gedanken fast verfolgen. Tatsächlich. Da kam es. „Arnim von Ecrin. Lassalle. Der Regent hat in Eannas eine Amnestie erlassen.“
„Und Ihr meint, auch Ihr könnt eine erhalten?“ fragte Lùg ironisch. „Vielleicht. Nur was wird sie Euch nützen, sobald Winian sein Recht einfordert?“ Er lächelte herablassend. „Ihr habt vielleicht noch nicht begriffen, wer wir sind. Möglicherweise kann eine kleine Demonstration Euch da mehr Klarheit verschaffen.“ Er winkte lässig mit der Hand. Dermot hörte hinter sich ein kleines Geräusch und fuhr mit der Hand am Schwertheft herum. Zwei große graue Wölfe waren aus dem Dickicht hinter ihm geglitten. Sie beobachteten ihn mit fahl gelben Augen und gebleckten Zähnen.
„Fürchtet Ihr Euch vor den Hundchen?“ Das war wieder Lùgs spottende Stimme.
Dermot behielt die Hand am Schwert. „Was soll dieser Unsinn?“ fragte er ärgerlich. „Natürlich kann ich mit zwei Wölfen fertigwerden. Habt Ihr vergessen, wo ich herkomme?“

Der Lord hinter ihm lachte, fast klang es wie fernes Gewittergrollen. Nein, das war wirkliches Donnern, berichtigte Dermot sich. Wolken waren aufgezogen, und es wurde schnell dunkler. Der Fürst sah sich um; der Lord war nicht mehr zu sehen. Etwas streifte ihn. Dann entwickelte sich alles zu einem Alptraum. Der Ausgang aus dem Kessel war verschwunden. Die Wölfe griffen knurrend an. Immer tiefere Finsternis sank herab. Unheimliche Stimmen heulten um ihn. Er stolperte über die Schlingpflanzen und Steine, schlug wild mit dem Schwert um sich. Er wollte um Hilfe rufen, doch da umklammerte etwas Unsichtbares seine Kehle, schnürte ihm die Luft ab. Er ließ sein Schwert fallen, griff zum Hals, um sich zu befreien, doch konnte nichts fassen. Die Luft wurde knapp. Er sank auf die Knie. Einer der Wölfe schnappte nach ihm, streifte seinen linken Arm mit den scharfen Zähnen.
„Ist Euch nicht ganz wohl?“ Die spöttische Stimme beendete den ganzen Spuk, als werde ein Faden abgeschnitten. Dermot sah verwirrt um sich und stand unsicher auf. Es war heller Tag, der Pfad lag vor ihm. Nirgends waren Wölfe. Er griff an seinen Hals, doch fühlte keine Spur mehr der würgenden Schlinge. Lùg lehnte noch immer da an den Felsen. Doch jetzt stieß er sich davon ab und kam auf ihn zu. „Illusionen, Alpträume“, sagte er im Gehen. „Ihr würdet staunen, was für Alpträume es gibt. Manche Leute werden davon im Schlaf heimgesucht, andere erleben sie am Tag. Manchmal hinterlassen sie sogar Spuren.“ Er ergriff das linke Handgelenk des Fürsten und betrachtete kopfschüttelnd einen blutigen Kratzer. „Wo habt Ihr Euch den geholt? Es sieht fast aus, als seien das Reißzähne gewesen. Dabei gibt es hier nur ein paar Brombeerranken.“

„Ich ... Ich habe verstanden“, sagte Dermot gepresst. „Kein Bündnis mit Alandas.“
Lord Lùg sah ihm die Augen. „Ihr werdet sicherlich wieder ruhiger schlafen, sobald das sichergestellt ist.“ Er ließ Dermots Handgelenk los und begann den Pfad aus dem Kessel hinaus entlangzuschlendern, drehte sich dann aber nochmals um. „Wie Euch vielleicht schon auffiel, bin ich nicht besonders furchteinflößend. Lord Fíanael ist um einiges mächtiger als ich, ganz zu schweigen von Fürst Barraid. Ich hoffe, Ihr wart nicht zu sehr enttäuscht?“ Er lachte. und ging weiter. Als wäre ihm ein Einfall gekommen, wandte er sich ein weiteres Mal um, bevor er außer Hörweite war. „Übrigens was Lassalle angeht, werdet Ihr Euch bald keine Sorgen mehr machen müssen. Lord Fíanael wird ihm demnächst demonstrieren, welche Folgen es hat, sich gegen uns zu wenden.“ Er lächelte fast mitleidig und verschwand endgültig zwischen den Sträuchern.
Dermot brauchte ein paar Minuten, um sich wieder zu sammeln, bevor er ihm folgte. Jetzt fühlte er den tiefen Kratzer am linken Unterarm auch. Sein Schwert hielt er immer noch gezogen in der Hand. Er wollte es schon verwahren, bevor er sich eines anderen besann. Er war sehr auf der Hut, während er dem verwachsenen Pfad zurückfolgte. Doch nichts regte sich in den Sträuchern und Dickichten. Auch die Lichtung vor der Schlucht lag verlassen. Nur sein Pferd graste ruhig zwischen den Bäumen. Als er zu seinen Männern zurückkam, war es schon fast Abend. Doch er befahl ihnen aufzubrechen und ritt bis spät in die Nacht hinein. Erst dann ließ er ein Lager aufschlagen. Schlaf fand er so gut wie keinen. Denn kaum schloss er die Augen, kamen auch schon die Träume. Träume, aus denen er gerne wieder noch viel schneller erwacht wäre, als er es ohnehin tat.
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