Samstag, 3. September 2011

Kapitel 19.4


Die Beratungen dauerten nicht lange. Schon eine gute Stunde später verließen sie die Burg. Lord Ingal nahm nur zwei seiner Gefolgsleute mit. Die anderen würden später nachkommen. Orlas Fuchs erregte Aufsehen. Ciaran hatte alle Proteste ignoriert und ihn selbst gesattelt. Der Hengst war nervös bei Fremden, und es schien ihm eine Möglichkeit, Orlas Freundschaft zu ehren. Er hoffte, er werde irgendwann einmal  einen Weg finden können, dem Lord von Fuacht dieses Geschenk vergelten zu können.
„Ihr kennt Lord Orla gut?“ wandte er sich an Lord Ingal, während sie durch das felsige und vegetationslose Hochland nahe der Küste nach Nordwesten ritten. „Erzählt mir von ihm.“
„Wir trafen einander gelegentlich“, Ingal zögerte ein wenig. „Warum fragt Ihr? Ihr kennt ihn doch selbst. Vielleicht besser als ich“, er nickte in Richtung des Fuchses.
„Wir begegneten uns nur sehr kurz“, sagte Ciaran. „Ein ungewöhnlicher Mann. Jemand der seine Macht gezielt einsetzt aber nicht für sich ausnutzt.“
Ingal nickte. „Fuacht hat seinen Vorrang in Dalinie nie verloren. Orla hatte nie Mangel an Geld oder Einfluss. Aber er war immer ein wenig ruhelos, suchte nach mehr.“
„Und alles was ihm etwas bedeutete, schien zu zerbrechen“, sagte Ciaran nachdenklich. „Warum wundertet Ihr Euch so, als meine Worte den Anschein erweckten, er habe dem Fürsten auf Carraig nachgegeben.“

Ingal blickte ihn aufmerksam an. „Ihr seid ein guter Beobachter“, sagte er. „Welches Unglück auch geschah, es hat ihn erstaunlicherweise nie verändert. Ich fragte ihn einmal nach dem, was ihm diese Unbeirrbarkeit gibt. Er machte damals bei mir Halt auf dem Weg nach Imreach. Er sagte, er glaube immer, dass es noch mehr gebe.“
„Mehr von was?“
Ingal zuckte die Schultern. „Dann fing er an von den Pferden zu sprechen, die er haben wollte. Was für ein Anblick es sei, eine ganze Herde auf der Weide laufen zu sehen. Vielleicht meinte er Schönheit,  vielleicht Freiheit. Was es auch war, es führte dazu, dass nichts ihn beugen konnte.“
„Ein stolzer Mann“, stimmte Ciaran zu. Er dachte zurück an Daliní. Orla, bleich aber beherrscht, der sich vor dem Träger des Siegels verbeugte und ihm in allem korrekt den Respekt erwies. Orla, der nie an Alandas geglaubt hatte und darauf bestand, den alten Eid zu schwören. Orla, der sein bestes Pferd liebte als sei es sein Kind, und es ihm überließ, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Er dachte weiter an Rafe von Muine, den lachenden jungen Edelmann, für den es zunächst ein gelungener Scherz war, einen Dalinianer als Regenten zu haben, der sich dann selbst zum Führer von dessen Leibwache ernannte und ihm mit unerwartetem Ernst diente. Finn, zögernd, aggressiv und unentschieden, der plötzlich zum Paragon eines jungen Ritters wurde. - Ciaran zog die Zügel an und blickte zurück Richtung Burg Saile. Die Festung war bereits nicht mehr zu sehen. Er studierte den Horizont hinter dem sie lag.

Alle anderen hatten sofort auch ihre Reittiere angehalten. „Was ist, Sir?“ fragte Ingal.
„Etwas hat sich geändert“, sagte Ciaran. „Als ich am gestrigen Abend ankam, lag Dunkel über Saile. Am Morgen noch fühlte ich den grauen Schatten. Aber jetzt scheint mir, es sei dort wieder lichter.“
„Merkwürdig“, sagte Ingal. „Da Ihr es erwähnt. Auch mir schien es, es läge ein Schatten auf dem Tag, als ich in die Burg einritt. Doch vermutete ich, der Grund dafür läge in dem, was mich dort erwartet. Ich war mir nicht sicher, ob ich je nach Illaloe zurückkehren würde.“
Eines der Pferde, die ihreBegleiter führten, stampfte ungeduldig. „Auch mir scheint der Tag heller als am Morgen“, sagte der Reiter, der das Führseil hielt. „Woran immer es auch liegt.“
Ciaran berührte die Flanke seines Hengstes leicht, und der Fuchs nahm seinen schnellen Schritt wieder auf. Der Ritter maß den Lord, der sich neben ihm hielt, mit einem nachdenklichen Blick. „Ihr wolltet kein Bündnis mit Carraig?“
Ingal blickte geradeaus. „Ich bin nicht mehr so jung“, sagte er, „und Illaloe ist eine mächtige Festung.“
„Eine der wenigen, die in den Großen Kriegen nicht fiel“, bemerkte Ciaran. „Es heißt, die Lage in den Mooren macht sie so gut wie unangreifbar.“
Ingal nickte. „Der Burgfels erhebt sich inmitten ausgedehnter Moore. Die markierten Wege sind nicht aufgeschüttet und können leicht unauffindbar gemacht werden. Es ist abgelegen aber sicher. Ein direkter Angriff ist so gut wie unmöglich, und eine Belagerung nur geringfügig aussichtsreicher.“ Er zuckte mit den Schultern. „Illaloe ist auch nicht wichtig genug, um einen großen Aufwand herauszufordern.“
„Warum kamt Ihr dann mit nach Saile?“
„Culath ist mein Lehnsherr. Auch war ich mir nicht sicher, was zu tun war. Ich kam zu einer letzten Beratung, um Klarheit zu finden und vielleicht auch, einen brauchbaren Kompromiss zu erzielen. Ich kann Roscrea nicht im Stich lassen. Ihr hörtet, ich stamme auch von den dortigen Fürsten ab und habe viele Beziehungen bis weit in die Provinz hinein. Doch dann erhielten wir Botschaft, ein Bote aus dem Norden sei gekommen. Ich war noch keinem von ihnen begegnet, hatte aber genug von anderen gehört. Nun, mein Tod wäre ein klares Zeichen gewesen für meine Söhne, was zu tun ist.“
„Ihr habt einen Teil von Roscrea gesichert?“
„Wirklich nur einen Teil, das Grenzland zu Illaloe. Die Banditen meiden bewaffnete Konflikte nach Möglichkeit, schlagen aber zu, wo sie leichte Beute sehen.“ Ciaran nickte. „Nun, das ist nicht alles. Was wisst Ihr von der Geschichte Illaloes, Regent?“
„Nicht viel mehr, als was ich bereits sagte.“
„Zur Zeit Colins des Großen war Efraim von Illaloe Thronfolger von Roscrea. Alle Fürsten von Roscrea stammen von den Illaloes ab, schon seit der Zeit vor den Großen Kriegen. Und in dieser Familie gibt es eine Tradition, die wohl in etwa gleich alt ist. Jeder Illaloe, der das Alter von neun Jahren erreicht, schwört bei Leben und Ehre, die Gebote des Königs zu halten und kein Bündnis mit den dunklen Mächten aus dem Osten einzugehen.“

„Illaloe stand stets zu Alandas?“ Freude strahlte in Ciarans Augen auf. „Also nicht nur Ruandor!“
„Nein, Sir“, der Lord hob abwehrend die Hand. „Es war nicht ganz so. Im Laufe der Jahrhunderte wurde es mehr eine Art moralische Ehrenverpflichtung. Auch wenn ich stolz bin, zu sagen, dass kein regierender Illaloe je seine Ehre auch nur im Geringsten kompromittiert hat. Doch die Form unseres Eids wurde auch uns nur noch zu Form, selbst wenn der Inhalt gewahrt wurde. Erst die jüngsten Ereignisse zeigten uns auf, dass mehr dahinter liegen muss, und dass wir durch eine Tradition gebunden sind, die uns alles kosten kann.“
Ciaran senkte den Kopf ein wenig und strich leicht über den Schwertknauf. „Treue und Mut können nicht getadelt werden“, sagte er nach einer Weile. Er konnte die Trauer nicht ganz aus seiner Stimme heraushalten. „Beides habt Ihr bewiesen.“ Lange ritten sie schweigend weiter.
Der Lord warf immer wieder einen Seitenblick auf den Regenten, aber dieser schien in Gedanken vertieft. Erst als die Dämmerung fiel, rang sich Ingal dazu durch, die Frage zu stellen: „Was ist es, das Euch betrübt, mein Regent?“
Ciarans Blick ging zu ihm hinüber, aber dann blickte er so lange schweigend auf den Weg vor ihnen, dass Ingal seine eigenen Worte ungehörig vorkamen. „Vergebt meine Indiskretion, Herr“, bat er. „Ich hätte keine derartige Frage stellen sollen.“ Inzwischen war es noch dunkler geworden, und einzelne Sterne schimmerten am Himmel.

Ciaran blickte wieder in seine Richtung. Es war zu dunkel, um Gesichtszüge klar ausmachen zu kommen. „Ich wollte Eure Frage nicht zurückweisen, Lord Ingal“, sagte er. „Aber ich habe wenig Übung darin, über die Dinge zu sprechen, die mein Herz so berühren. Ich bin nicht von so hoher Herkunft wie Ihr. Ich stamme aus einem kleinen Dorf tief in den dalinianischen Wäldern. Von dort ging ich nach Croinathír und wurde Gardeoffizier. Seit der Zeit, als ich die Geschichten über Colin von Donnacht las, habe ich mit ganzem Herzen an Alandas geglaubt und versucht, dem König zu dienen, wie Colin es tat. Vorhin dachte ich einen Augenblick lang, Euch hätte die gleiche Liebe getragen. – Es war seltsam schmerzlich, zu erkennen, dass das von mir Geliebte Eure Hingabe nicht ganz so hatte, wie es mir für ein paar Sekunden schien.“ Er holte tief Atem. „Euch gehört mein tiefster Respekt für das, was Ihr getan habt, Ingal. Ich sage Euch dies jetzt nur, weil weiteres Schweigen Euch genauso beleidigen könnte, wie diese Worte es vielleicht tun.“
„In Euren Worten liegt keine Beleidigung“, versicherte Ingal. Seine Stimme klang jedoch anders als bisher. Da war ein fast erstickter Unterton. Ciaran konnte nicht einordnen, was darin lag. Er hoffte, dass er keinen Fehler begangen hatte, dass das jetzt nicht verletzter Stolz war. Er unterdrückte ein Seufzen. Zum Regenten war er nicht geeignet. Gleich was bisher geschehen war, alle Loyalitätsbekundungen würden sich sicherlich auf Dorban übertragen lassen, oder wenn dieser ungeeignet sein sollte, dann auf Béarisean, den Nachkommen Colins. Béarisean war selbst ein Ritter des Königs, es würde keine Komplikationen geben. Für ihn selbst war das Schwert, das er an seiner Seite trug, alles, was er je wirklich begehrt hatte.

Sie sprachen kein Wort mehr, bis sie kurz vor Mitternacht Halt machten, um die Pferde zu tränken und  zu rasten und selbst ein wenig Schlaf zu finden. Feuer machten sie nicht. Die Pferde pflockten sie neben sich an. Es war zu dunkel, um es genau festzustellen, doch der Fuchs schien immer noch munter genug zu sein. „Du hast mehr Ausdauer als ich“, murmelte Ciaran in sein Ohr, als er ihm seinen Futtersack umhängte. Seine kaum verheilte Seite schmerzte wieder. Sie würden nur zwei Wachen lang an dem Ort bleiben. Lord Ingal selbst wollte die erste Wache übernehmen, einer seiner Männer wurde für die zweite bestimmt. Ciaran war erleichtert darüber, er brauchte den Schlaf dringender als ihm lieb war, und der Weg bis Ruandor war noch weit. Vielleicht war er bei der nächsten Rast wieder besser bei Kräften, so dass er seinen Anteil übernehmen konnte. Gerade jetzt erschien der Sattel kaum härter als das Kopfkissen in Burg Saile.
Als er wieder wach wurde, hatte der Fuchs sich neben ihn gelegt und döste. Er lächelte, das Tier war mehr als kontakthungrig. Von der Dämmerung war noch nichts zu sehen, aber die Sternkonstellationen, die er ausmachen konnte, verrieten, dass es bald Zeit war, weiterzureiten. Ingal und einer seiner Leute schliefen, der andere stand mit dem Rücken zu einem Felsen; leise Bewegungen verrieten, dass er alles im Blick behielt. Ciaran streichelte die Nase seines Pferdes und stand auf. Eine Gelegenheit, sich zu waschen, ohne dass jemandem die kaum verheilten Narben auffallen würden. In Verbindung mit dem Regententitel schienen diese erwachsene Männer in besorgte Kindermädchen zu verwandeln.

Es war wirklich noch sehr früh. Er nutzte die Gelegenheit, um ein paar Minuten allein zu sein und zu dem König zu sprechen. Nicht mehr als zwei oder drei. Vielleicht wurden es auch fünf; die Probleme, die sich am vorigen Abend aufgetan hatten, bedrückten ihn. Das war alles leichter gewesen, als er allein unterwegs war. Er wollte nicht noch mehr Erklärungen abgeben, die mit größter Wahrscheinlichkeit nicht verstanden wurden.
Als er zurückkam, waren bereits alle auf den Beinen. Jemand hatte seine Decke aufgerollt und zu seinen Satteltaschen geschnallt. Nächstens musste er das selbst gleich erledigen. Er hatte es nur unterlassen, um niemanden vorzeitig zu wecken. Alle nahmen frische Pferde. Ciaran ließ die anderen wählen, er war nur Gast hier. Doch es überraschte ihn nicht wirklich, als Ingal einen Befehl murmelte und einer der Männer ihm den Falben brachte, den er selbst als das beste der Reservepferde eingeschätzt hatte.
Es erwies sich als nicht möglich Orlas Fuchs mit den anderen Tieren an die Führleine zu nehmen. Er nahm es zum Anlass, sein nicht unbeträchtliches Temperament zu demonstrieren und beruhigte sich erst wieder, als Ciaran selbst seine Zügel übernahm.
„Orla hat ihn verwöhnt“, sagte Ciaran entschuldigend zu Ingal. „Er ist noch nicht vollständig trainiert. Orla hielt ihn fast wie ein Kind, und jetzt hat dieser Dickschädel sein Geselligkeitsbedürfnis auf mich übertragen, wie es scheint.“ Es war unmerklich eine Spur heller geworden. Genug um zu sehen, dass der Hengst die Ohren zurücklegte und nach dem Falbwallach schnappen wollte, der Ciarans Sattel trug. Der Ritter redete sanft auf ihn ein, und sofort stellten sich seine Ohren wieder. Wenigstens solange er Ciarans Aufmerksamkeit hatte. Doch sobald sich dieser dem Falben zuwandte, wieherte er wieder zornig und wollte den Rivalen angreifen.

Ingal sprang von seinem Pferd und fasste den Fuchs fest mit beiden Händen von vorn. „Steigt auf“, sagte er ruhig. Ciaran schwang sich sofort in den Sattel des Falben. Der Lord führte den empört schnaubenden und leicht steigenden Hengst zu ihm, wo sich das Tier wieder beruhigte. Ingal saß selbst wieder auf. „Er scheint mich zu einem gewissen Grad zu akzeptieren“, sagte er. „Vielleicht weil ich gestern ständig neben ihm war. Ich werde sein Führhalfter nehmen, dann kann er zwischen unseren Pferden laufen.“
„Ich bedaure sehr, Euch solche Unannehmlichkeiten zu machen, Lord“, sagte Ciaran.
Ingal lachte. „Ein Pferd wie dieses zu führen, ist nicht unbedingt nur eine Unannehmlichkeit“, lachte er. Einer seiner Männer murmelte zustimmend.
Ciaran konnte nicht widersprechen, aber in der ersten halben Stunde war der Lord tatsächlich vollauf beschäftigt, den Fuchshengst von dem Falben fernzuhalten. Erst dann wurde das Tier ruhiger. Immer noch legte es die Ohren an, wenn es auf den Wallach blickte, aber es gab es schließlich auf, nach ihm beißen zu wollen. Statt dessen war es bestrebt, immer eine Halslänge vor dem anderen zu laufen. Sie ließen ihm seinen Willen. Und nutzten die Gelegenheit für ein karges Frühstück im Sattel.
Gegen Mittag wechselten sie nach kurzer Rast wieder die Pferde. Ingal und seine Männer auf ein zweites Ersatzpferd, Ciaran zurück auf seinen Fuchs. Diesmal behielt er den Falben selbst am Führhalfter. Doitean – er hatte beschlossen, den Fuchs Doitean, Feuerbrand, zu nennen – war friedfertiger gegenüber Artgenossen, die ihm vertraut waren.
„Brand“, sagte Lord Ingal. „Warum Brand und nicht einfach Feuer? Ihr selbst seid doch das Signalfeuer für diesen Kampf, der uns bevorsteht.“
Ciaran lächelte. „Ihr habt es fast enträtselt, Lord Ingal. Nein, das Signal ist schon lange gegeben. Doch die Macht des Gegners hat sich schon ausgebreitet wie ein Steppenfeuer, das lange schwelt, bevor es auflodert. Hier brauchen wir ein ganzes Gegenfeuer.“

Abgesehen davon sprachen sie nicht viel. Gegen Abend verließen sie endlich die karge Hochebene nahe der Küste und kamen in bewaldeteres Land. Immer noch folgten sie keinem festen Weg, sondern schmalen Steigen durch unwegsames Gelände; Sailean war nicht sehr dicht besiedelt.
Ciaran war besorgt. Lord Ingal war weiterhin sehr schweigsam, wenn auch äußerst zuvorkommend und respektvoll. Er selbst wusste nicht, worüber er ein Gespräch hätte beginnen sollen. Vielleicht hätte er nur weitere Lücken in seiner Erziehung offenbart; er durfte in der Rolle als Regent nicht viele solcher Blößen zeigen. So konzentrierte er sich auf das Gelände. Wer mochte wissen, wann er noch einmal seinen Weg durch diese Gegend suchen musste. Doch allmählich wurde die Orientierung immer einfacher, und er war in Gedanken mehr bei den vor ihm liegenden Aufgaben und bei dem unerwarteten Gang der Dinge in Daliní und Saile, am liebsten jedoch kehrten seine Gedanken zurück nach Alandas.

Im Laufe des dritten Tages überwogen Wiesen und heideähnliche Landschaften. Gelegentlich passierten sie jetzt kleinere Dörfer. Einmal sahen sie in der Ferne eine Burg liegen.
„Yfra“, bemerkte Ingal kurz. „Caoimhians Festung.“
„Woher stammt Lord Rhodin?“ erkundigte Ciaran sich.
„Ihm gehört Ulan, weiter im Südwesten“, er runzelte die Stirn. „Er griff Euch hinterrücks an.“
„Etwas stimmt nicht mit ihm“, sagte Ciaran halb abgelenkt, weil Doitean, der am Halfter ging, gerade in jenem Augenblick eine kleine Herde Pferde weiter weg erspähte und aufgeregt zu tänzeln begann. Er fragte sich, warum er den Hengst überhaupt schonte. Das Tier war fast übermütig. „Jeder andere von Euch sah einen Schimmer von Alandas dort in der Halle, aber er blieb im Dunkel.“
„Ihr könntet recht haben“, murmelte Ingal. „Wir werden auf ihn achten müssen.“ Er verbeugte sich tief im Sattel. „Ritter des Königs.“
Ciaran war verwundert, aber zog es vor, das nicht zu kommentieren. In dieser Nacht hielt er es für angebracht, endlich auch einmal die Wache zu übernehmen. Es ging ihm besser, er war nicht mehr ganz so erschöpft. Aber kaum brachte er die Rede darauf, stieß er bei Ingal auf entschiedenen Widerstand.
„Ihr braucht die Rast, Regent; Eure Verletzungen machen Euch noch zu schaffen.“ Soviel zu seinen Bemühungen, nichts von den Narben sehen zu lassen. Es half nichts darauf hinzuweisen, dass auch Ingal müde aussah und seine Männer ebenfalls jede Minute der Ruhe gebrauchen konnten. „Illaloe erreichen wir morgen, aber Ihr habt noch einen langen Weg vor Euch.“
„Donal hat die erste Wache“, schloss Lord Ingal. „Die zweite habe ich.“

Leiser fügte er hinzu. „Wenn Ihr wie heute früher erwacht, könnt Ihr die Zeit wie immer ausnutzen. Auch, wenn Ihr mir dies gewähren wollt, würde ich gerne unter vier Augen mit Euch sprechen.“
„Ganz wie Ihr wünscht“, sagte Ciaran. Sie gingen ein paar Schritte vom Lagerplatz weg.
„Ich will Euch nicht lange aufhalten“, sagte Ingal. „Ich hätte die Zeit unterwegs dazu nutzen sollen, mit Euch zu sprechen. Doch es ist nicht einfach.“ Sein tiefes Atemholen klang fast wie ein Schluchzen. „Ich bin zutiefst beschämt durch Eure Worte vor zwei Tagen. Ich war so stolz auf die nie gebrochene Ehre Illaloes. Mit einem Satz habt Ihr meine Illusion entlarvt. Ich habe Eide gehalten, denen ich nie Leben gegeben hatte. Ich wusste nicht einmal, dass da etwas ist, das zu lieben sich lohnt. Begriffen habe ich es erst, als ich Eure Freundschaft verlor, von der ich nicht wusste, dass Ihr sie mir geschenkt hattet.“
„Ich habe Euch meine Freundschaft nie entzogen“, sagte Ciaran.
Er wollte weitersprechen, aber Ingal unterbrach ihn: „Herr“, sagte er, „Eure Freundlichkeit ist unverändert. Doch das Licht in Euch fand kein Licht in mir, um in gemeinsamer Flamme zu brennen, und seitdem bedrückt mich die Dunkelheit, die ich zuvor nicht wahrnahm.“
„Wie soll ich Euch helfen?“ fragte Ciaran. „In den Eiden, die Ihr ja haltet, liegt alles, was zu sagen ist, und Euer Herz kann ich nicht ändern.“
„Mein Herz fühlt sich an wie zerbrochen, seit ich Eure Worte hörte, und mein gegebenes Wort scheint leer. Würdet Ihr mir gestatten, es vor Euch neu zu beschwören? Jetzt?“
„Vor mir? Ich bin nur ein Mensch, nicht der Fürst von Alandas, vor dem ich Worte sprach, die mich immer binden werden.“
„Ihr seid ein Ritter des Königs. Was mehr an Autorität könnte ich verlangen?“
„Dann will ich Euch hören als Ritter des Königs und bei dieser Klinge, die ich in seinem Namen trage“, sagte Ciaran leise und ließ sein Schwert langsam aus der Scheide gleiten. Die Nacht war dunkel, nur wenig Licht schimmerte auf den Flächen der Waffe.
Ingal seufzte vor Erleichterung und sank auf beide Knie. Leise sagte er: „Ich, Ingal, Lord von Illaloe, schwöre bei meinem Leben und der Ehre meines Hauses, in allem und zu aller Zeit die Gesetze des Königs zu halten und zu befolgen und dafür einzustehen, kein Unrecht zu tun und mich in keiner Weise in den Dienst des dunklen Herrschers zu stellen, ihm keinen Raum zu geben in meinem Land und meinem Herzen, jetzt und alle Tage meines Lebens.“
„Ich habe Eure Worte gehört, Ingal“, sagte Ciaran genauso leise. „Der König, dem allein alle Ehre sei, gewähre Euch, sie stets zu halten.“ Er ließ sein Schwert zurückgleiten.
„Danke“, flüsterte Ingal. Er erhaschte Ciarans Hand, als sie den Schwertknauf los ließ und presste die Lippen darauf, bevor er sich wieder erhob.

Sie erreichten die Sümpfe um Illaloe am nächsten Nachmittag. „Wir werden vor dem Abend ankommen“, sagte Ingal. „Werdet Ihr auf meiner Burg übernachten, bevor Ihr weiterreitet nach Carrnarosc?“
Ciaran nickte. „Wie weit ist der Weg bis dorthin noch?“
„Etwa weitere drei Tage. Das Gelände ist viel einfacher. Reiches Ackerland und gute Straßen.“
„Und Ceannacht?“
„Vier bis fünf Tage hinter Carrnarosc zum mindesten.“
Ciaran seufzte: „Ich wünschte, ich bräuchte die längere Ruhe nicht. Aber es wäre nicht ratsam, den Gegnern dort vollkommen erschöpft gegenüber zu treten. Wir reiten morgen in aller Frühe und verfahren weiter wie bisher.“

Schon bald konnten sie nicht mehr nebeneinander reiten. Ingal übernahm die Führung entlang der gewundenen und kaum ausmachbaren Pfade zwischen den Morästen. Nicht alles war Sumpfland. Auf grasigen Hügeln weideten kleine Gruppen von Schafen und Ziegen. Sie kamen an einzelnen Hütten vorbei. Illaloe sahen sie schon eine Stunde, bevor sie es wirklich erreichten. Eine Zugbrücke führte über den weiten Graben, in dem Wasserlinsen wucherten. Nach der Torbefestigung ging der Weg in weiten Kehren den Felsen hinauf, bevor die eigentliche Festung erreicht wurde.
Ihre Ankunft war schon von weitem bemerkt worden. Sie wurden im Burghof erwartet. Stallknechte standen bereit, um die Pferde in Empfang zu nehmen. Ein etwa dreißigjähriger breitschultriger Mann eilte Lord Ingal entgegen.
„Vater! Welche Erleichterung dich wohlbehalten zurück zu sehen. Du gingst also doch nicht mit bis Saile?“
„Mein Sohn Reasan“, stellte Ingal vor. „Reasan, dies hier ist Ciaran von Firin, Ritter des Königs und Regent über Abhaileon. Wir kommen direkt aus Saile.“
„Regent!“ rief der jüngere Mann verwundert und verbeugte sich. „Das ist eine Art Wunder, Euch hier zu sehen.“
„Das ist es, und das war es in Saile“, bestätigte sein Vater. „Als ich dort ankam, hegte ich die Befürchtung, du werdest schon sehr bald der neue Lord von Illaloe sein. Aber jetzt steht Sailean mit Abhaileon, Roscrea erhält Hilfe, und wenn es der König will, wird uns der Fürst von Alandas zum Sieg verhelfen gegen den Schwarzen Fürsten auf Carraig.“

Ciaran unterbrach die sprachlose Stille: „Ich bringe dann meinen Fuchs in den Stall.“
Ich bringe Euer Pferd in den Stall“, entgegnete Ingal sofort. „Reasan!“
Sein Sohn besann sich: „Folgt mir, Herr. Und willkommen, willkommen auf Illaloe! Wie lange werdet Ihr bleiben?“
„Nur bis in die frühen Morgenstunden“, sagte Ciaran. „Ich muss eilig nach Carrnarosc und dann nach Ceannacht, solange es noch nicht gefallen ist.“
„Den Gerüchten nach steht es nicht gut“, sagte Reasan bekümmert. „Mein Bruder Connor sollte bald mit genauerer Nachricht aus Roscrea zurückkommen.“
Die Gerüchte fanden ihre Bestätigung noch am gleichen Abend. „Ceannacht ist gefallen“, sagte Connor, der noch in Rüstung in den Essenssaal gekommen war. „Details hörte ich noch nicht. Aber es heißt, Truppen aus Eannas waren im Spiel. Mehrere von Gearaids Lords heißt es. Jemand sprach von Reginald von Rina.“
„Dann hatte Lassalle die Hand mit im Spiel“, sagte Ingal düster. „Die beiden sind selten voneinander getrennt. Was geschah mit Efa und Eflin? Sind sie in Gefangenschaft?“
„Niemand wusste darüber Bescheid. Aber es hieß, sie seien noch lebend gesehen worden.“

„Wurden noch andere Namen erwähnt außer dem Rinas?“ fragte Ciaran.
„Bisher nicht.“ Connor blickte fragend. „Wer ...?“
Reasan stand auf: „Connor, wir haben einen unerwarteten Gast: der neue Regent Abhaileons befindet sich auf Illaloe,“ verkündigte er mit einem strahlenden Lächeln.
„Mehr als das“, sagte Ingal nachdrücklich: „Der Bote des Fürsten von Alandas und Gesandte des Königs selbst.“

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