Sonntag, 4. September 2011

Kapitel 20.1


XX Gefährliche Wege

I’m waiting for the world to fall
I’m waiting for the scene to change
I’m waiting when the colors come
I’m waiting to let my world come undone
When I catch the light of falling stars my view is changing (me)
I’m waiting                                                                                                     Jars of Clay (2005)

Es kam zu heftigeren Diskussionen innerhalb der Familie Illaloe, wer am nächsten Morgen mit dem Regenten reiten würde. Wenigstens vermutete Ciaran das. Er zog sich schon früh zurück, und hatte noch das Zimmer nicht verlassen, als Connor vehement protestierte, auf der Burg bleiben zu sollen. Für ihn war es gleichgültig, wie sie entschieden. Er würde reiten, ob allein oder mit anderen. Vielleicht gelang es ihm noch, Patris aufzuspüren und etwas Übles zu verhindern. Ihm wäre es sogar recht gewesen, allein zu reiten. Dann war es einfacher, Auskunft von den Banditen zu bekommen. Viele würden ihn noch aus Arrin kennen. Er selbst war dankbar, ein paar Stunden für sich zu bleiben.

Als er am nächsten Morgen in der ersten Dämmerung sein Zimmer verließ, verwandelten sich wie in einer Flutwelle die Aktivitäten um ihn herum in hektische Eile. Er trat kaum auf den Hof, als schon sein Pferd vorgeführt wurde. Diesmal nicht von Ingal selbst. Der Fuchs war äußerst ungehalten über die Fremden um ihn, reagierte dann aber sofort auf die Stimme seines Reiters.
Lord Ingal eilte auf den Hof, seinen Schritt erst verlangsamend, als er Ciaran sah. Der Ritter schnallte gerade ruhig seine Satteltaschen fest. Er lächelte. „Seid unbesorgt, ich reite nicht allein. Wie sollte ich den Weg durch die Moore finden, ohne viel Zeit zu verlieren?“
„Ich vermute, das würdet Ihr auch zustande bringen“, sagte Ingal. „Wir reiten dieses Mal ohne Pferde zum Wechseln. Nur sechs Mann mit den schnellsten, die wir haben. Das wird uns etwas aufhalten. Aber es macht uns beweglicher, wenn wir in Gefechte geraten.“
„Und Eure Söhne?“
„Connor folgt uns, sobald er kann, mit mehr Männern nach Carrnarosc. Wir müssen von dort aus planen.“

Die Sonne kämpfte sich noch durch die Frühnebel, als sie die Moore verließen. Weite Wiesen und Felder, Äcker und Siedlungen lagen verstreut über die weiten Ebenen Roscreas. Es war ein grünes Land mit fruchtbarer Erde. Im Laufe des Vormittags zeigten sich jedoch immer mehr beunruhigende Anblicke. Brachliegende Felder, seit dem Vorjahr nicht gepflügt, kaum Vieh auf den Weiden, verbrannte Ruinen von Häusern, Gehöften, sogar kleinen Siedlungen.
„Viele sind in die Burgen und kleineren Städte geflüchtet“, sagte Ingal mit zornig zusammengepressten Lippen. „Wir konnten nur in dem Streifen direkt hinter der Grenze die Ordnung aufrechterhalten Das sind alles sinnloseste Zerstörungen. Von Beute kann nicht die Rede sein bei den Bauern hier. Besonders wenn es schon der fünfte oder sechste Überfall ist. Aber so wird die Aussaat und Bewirtschaftung verhindert.“
„Warum handeln die Lords von Roscrea nicht? Die Banditen sind bisher keine organisierten Kampfeinheiten.“ Ciaran betrachtete es kopfschüttelnd.
Der Lord schnaubte wütend. „Leider ist das hier Roscrea. Bis vor kurzem war das hier die friedlichste Provinz in ganz Abhaileon. Seit den Großen Kriegen hat es hier keine Auseinandersetzungen gegeben. Und die letzten Fürsten von Roscrea brachen ganz mit der Erziehung in allen außer den elementarsten Waffenfertigkeiten. Viele Lords taten es ihnen nach. Die meisten Festungen sind ohnehin sehr vernachlässigt.  Nur der Lord von Ceannacht ist von anderer Sorte oder war es. Jede andere Provinz hätte sich besser zur Wehr setzen können. Aber die meisten Krieger hier sind kaum besser als die Banditen. In der ersten Überraschung haben sie sich so gut es ging verschanzt, und den meisten war bald der Schneid abgekauft.“
„Was ist mit  Carrnarosc. Der Hauptsitz von Roscrea muss doch eine Besatzung haben?“ fragte Ciaran ungläubig. „Selbst wenn sie hauptsächlich Repräsentationszwecken dient. Und der Fürst braucht eine Wache, wenn er außer Landes muss. Überall sonst war es durchaus nicht so friedlich in den letzten Jahren.“
„Ja, sie haben ein paar brauchbare Leute in Carrnarosc“, gab Ingal zu. „Aber was sind hundertfünzig Mann gegen das, was hier hereinbrach.“
„Restac hat mehr als dreitausend Männer“, sagte Ciaran.
Ingal stöhnte und dachte nicht einen Augenblick daran zu fragen, woher der Regent das wissen mochte. In seinen Augen war der Ritter nur wenig unterhalb der Attribute allmächtig und allwissend einzustufen, nach dem, was er bisher gezeigt hatte. Sicherlich wusste man in Alandas über vieles besser Bescheid als in der kleinen und abgelegenen Provinz Sailean.

Am nächsten Tag erreichten sie Gerüchte, Carrnarosc werde belagert. Ciaran hielt das nur für einen Grund zu größerer Eile, aber Ingal beharrte darauf, die nächste der kleineren Festungen aufzusuchen, die an ihrem Weg lag. Er war besorgt, es könne sich um Truppen aus Eannas handeln.
„Lassalle ist alles zuzutrauen. Nicht einmal ich würde mich ihm entgegenstellen wollen“, erklärte er. Es stellte sich dann aber heraus, dass Belagerung eine deutliche Übertreibung gewesen war. Es schien, dass sich die Zahl der Banditenstreifen um Carrnarosc vermehrt hatte und die Verbindung mit dem Hauptsitz des Fürsten deswegen ganz zum Erliegen gekommen war. „Sie haben ein paar einzelne Reisende und Boten abgefangen“, murrte Ingal, als sie weiterritten. „Statt einen ordentlichen Trupp loszuschicken, verstecken sie sich wieder nur.“

Am dritten Tag stießen sie zum ersten Mal auf den Gegner. Es war gegen Mittag. Zunächst waren ihnen innerhalb einer Stunde zwei oder drei einzelne Reiter begegnet, die bei ihrem Anblick sofort zur Seite auswichen. Ciaran meinte: „Das könnten Späher sein.“ Ingal nickte und schickte zwei seiner Männer als Vorreiter, um einen direkten Hinterhalt zu vermeiden. Aber der Feind zeigte sich in größerer Stärke als erwartet. Bei einem Wäldchen verstellten ihnen an die zwanzig Reiter den Weg; auch hinter ihnen tauchte eine Gruppe von zehn Reitern auf. Sie hielten an.
Lord Ingal griff ruhig nach seinem Schwert: „Versuchen wir uns durchzukämpfen“, sagte er. „Es ist nicht mehr weit bis Carrnarosc“, fuhr er zu Ciaran gewandt fort. „Euer Pferd ist schnell genug, um Euch sicher dorthin zu tragen.“
„Nein“, sagte Ciaran. „Ich vermute, es wird zu keinem Kampf kommen. Wartet hier!“ Er hatte den Anführer der Banditen erkannt. Es war Lennard.
„Sir!“ protestierte Ingal. Ciaran blickte ihn nur an. „Wartet hier!“ befahl er nochmals und ließ sein Pferd langsam in Richtung der größeren Gruppe gehen.

Die Räuber hielten ihre Waffen bereit. Lennard lehnte sich im Sattel zurück. „Wenn Ihr als Unterhändler kommt, solltet Ihr Signal geben“, rief er ihm spöttisch entgegen. „Ihr könntet schon tot sein, mein Lord. Doch ich vermute, Ihr wollt ein angemessenes Lösegeld bieten?“
„Nichts dergleichen, Lennard“, sagte Ciaran. „Aber du behinderst die Ausführung meiner Aufträge.“
Der andere stutzte, und runzelte die Stirn. „Cormac?“, sagte er dann zögernd. Sein Blick verdüsterte sich. „Es hieß, man habe dich nach Carraig gerufen.“
„Ich erkannte dich schon von weitem“, bemerkte Ciaran. „Ich wurde nach Carraig gerufen. In den letzten Wochen bin ich weit geritten.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass Fíanaels Protektion soviel einbringt“, höhnte Lennard. In seinen Augen blitzte Neid. „So hübsche Kleider und ein Ring? Was hast du dafür getan? Erzähl mal!“
Ciaran verzog keine Mine. „Fíanael“, sagte er leichthin. „Ich habe ihn nicht mehr gesehen seit dem Herbst. Meine Protektion kommt von höherer Stelle.“
„Der Fürst selbst“, sagte Lennard flach. „Aber glaube nicht, dass du deswegen sicher im Sattel sitzt. Es sind schon andere wieder abgestürzt. Pat konnte auch nie genug das Maul aufreißen. Aber ich habe selbst gesehen, wie er da bei Ceannacht vor Dimail geduckt hat.“

Ciaran runzelte die Stirn. „Ich muss mit Botschaften meines Fürsten zu Ros.“ Einer von Lennards Begleitern murmelte halblaut wiederholend „meines Fürsten“ und schüttelte den Kopf. Dann legte er eine Hand auf den Arm seines Anführers und flüsterte ihm etwas zu. Lennards Blick verfinsterte sich. „Doch da du gerade von Pat sprichst; ich hätte da auch eine Nachricht für ihn. Ist er noch hier?“
„Das wäre nicht der erste Befehl aus Carraig vor dem Pat auf Tauchstation geht“, bemerkte Lennard höhnisch. „Das ging so den ganzen letzten Sommer, bis Asrain ihn erwischt hat. Sehe ich aus, als sei ich in die Pläne von euch hohen Herren eingeweiht?“ Ein anderer Begleiter Lennards, der links neben ihm hielt, murmelte ebenfalls etwas Warnendes.
Ciaran sagte sehr ruhig. „Wenn du weiter Streit suchst, könntest du ihn finden. Pat sprach von dir.“ – Der Bandit an Lennards linker Seite zischte seinem Anführer ingrimmig etwas zu. Lennards Pferd begann, sich unruhig zu bewegen. Ciaran fuhr fort: „Ich vermute, von den Herren auf Carraig hat dich bisher niemand näher beachtet, doch ich frage mich, ob es ihnen gefiele, wie du von ihnen sprichst. Wo ist Pat?“
„Wag es, mich anzuschwärzen!“ zischte Lennard. „Pat ritt mit Dimail. Lord Dimail aus Winian, Herr Cormac. Nach Norden, soweit ich weiß. Er schien nicht sonderlich glücklich darüber.“
„Mehr wollte ich nicht wissen“, sagte Ciaran kühl. „Du könntest mir und meine Begleitern jetzt den Weg frei geben.“
„Sehr wohl, Euer Durchlaucht“, fauchte Lennard mit zusammengebissenen Zähnen und verbeugte sich übertrieben im Sattel. „Wie könnte ich es wagen, Euer Wohlgeboren zu behindern.“ Er winkte dem anderen Trupp zu und lenkte sein Pferd wieder in die Bäume. Einige seiner Leute warfen Ciaran beunruhigte Blicke zu, bevor sie ihm folgten.

Ciaran wartete, bis Ingal und seine Männer herankamen, bevor er sein Pferd wieder in Schritt fallen ließ. „Wir werden keine weiteren Schwierigkeiten von dieser Seite haben“, sagte er.
Ingal warf ihm einen neugierigen Blick von der Seite zu. „Was habt Ihr ihnen gesagt?“ erkundigte er sich dann.
„Sie glaubten, ich komme von Carraig“, antwortete Ciaran. „Es sind nicht die ersten, die sich darin irren.“
„Das sind sie nicht“, bestätigte Ingal.
„Da sind schlechte Nachrichten“, fuhr Ciaran fort. „Dort bei Ceannacht war auch einer von den Lords des Schwarzen Fürsten. Ich konnte nicht mehr fragen, ohne dass sie begonnen hätten, meine eigene Position in Frage zu stellen.“
Ingal atmete tief. „Wir können gar nicht früh genug nach Carrnarosc kommen“, sagte er. „Wollt Ihr immer noch nach Ceannacht?“
„Nein. Das hätte jetzt keinen Zweck mehr, fürchte ich. Und ich frage mich, welches Willkommen ich wohl in Escaile finde.“

Die Stimmung auf Carrnarosc war gedrückt. Die Wachen erkannten den Lord von Illaloe schon von weiten, so trafen sie auf geöffnete Tore. Der Hauptmann kam selbst zur Begrüßung. Die Mitteilung, dass bald noch dreißig weitere Reiter aus Illaloe kämen, stieß auf erfreute Resonanz. Aber als Ingal nach dem Fürsten fragte, schüttelte der Hauptmann den Kopf. „Er ist nicht zu sprechen, seit der Bote gestern kam.“
„Welche Nachricht brachte dieser Bote?“ fragte Ingal.
„Ich weiß es nicht, mein Lord. Er war schwarz gekleidet und verlangte, den Fürsten allein zu sprechen. Er wurde empfangen, und seitdem haben wir Ros nicht mehr gesehen.“
„Er wird mich sprechen“, sagte Ingal still. Er befahl allen zu warten und nur die Pferde zu versorgen und wandte sich an Ciaran. „Kommt mit. Ich werde ihn zu finden wissen.“

Der Lord kannte sich gut aus in der Festung, aber selbst er musste suchen. Sie fanden Fürst Ros in einem Zimmer hoch oben im Westturm der Burg. Zwei Diener hielten Wache vor der Tür und wollten sie nicht vorlassen. Doch als Lord Ingal die Stimme hob, kam ein leiser Befehl von drinnen, und sie durften hinein. Ciaran blieb an der Tür stehen, Ingal trat weiter in das Zimmer hinein. Der Fürst stand am Fenster und blickte hinaus. Er drehte sich nicht zu ihnen um. „Was führt Euch zu mir, Ingal?“ sagte er leise. „Wie viel habt Ihr schon gehört?“
„Nichts als halb bestätigte Gerüchte“, sagte der Lord. „Ceannacht sei gefallen. Der Lord von Rina soll dort gesehen worden sein und Männer aus Carraig, auch Erendar und welche von den Banditen.“
„Ceannacht ist gefallen“, bestätigte der Fürst mit der gleichen leisen ausdruckslosen Stimme. „Ich weiß nichts von Erendar. Aber ich hörte von Gearaid. Im Herbst war ich in Escail und bat ihn um Unterstützung.  Nach dem Fall von Armas im letzten Winter schien jede Festung in Gefahr. Er ließ sich letztendlich überreden eine kleine Schutzmannschaft zur Verstärkung von Ceannacht zu schicken. Ich hätte auf Lassalles Warnung hören sollen.“ Er lachte tonlos auf. „Lassalle hat mich gewarnt. Ich weiß auch nicht, warum ausgerechnet Lassalle. Er hielt nie viel von mir. Nicht dass er von irgendjemandem je viel hält. Er hat mich gewarnt. Zweimal. Nicht direkt, aber deutlich genug. Das war im Sommer, als ich mit Eflin in Escail war. Gearaid war verreist, und Lassalle hatte die Regierungsgewalt. Eflin überredete ihn, mit uns auf den Vulkan zu reiten. Eflin mochte ihn. Sie sagte, er sei ein guter Ritter ...“

„Ros. Was ist passiert?“ unterbrach Ingal den monotonen Dialog des Fürsten.
Ros drehte sich langsam, müde zu ihnen um. Er war noch jung, keine vierzig Jahre. Ciaran hatte ihn ein paar Mal gesehen in Croinathir. Gut aussehend und sanftmütig, das hatte ihn am besten charakterisiert. Aber jetzt wirkte er alt und gebeugt. Da war kein Glanz in diesen Augen. „Steht Illaloe noch?“ fragte er, ohne dass eine Spur mehr von Leben in seine Worte kam, „oder kommst du aus den Ruinen deiner Festung? Wenn ja, kehre besser um. Ich habe nachgedacht, Ingal, und habe begriffen, was dahinter steht. Sie werden dich genauso vernichten wie mich. Wir waren immer verletzbarer als die Löwen in Ruandor. Aber dieses Mal ist es das Ende. Die Drachen hat es schon vor langer Zeit ereilt, und auch Ruandor wird nicht mehr lange stehen.“
Ingal trat ganz an ihn heran, griff nach den Schultern des Fürsten, wie um ihn zu schütteln. „Ros, Ihr fabuliert. Sagt mir, was geschehen ist!“
Ros blickte ihn nur an, aber es war nicht klar, ob er ihn wirklich sah. „Wir sind verraten, Ingal. Wir haben Eide geschworen, die wir nicht brechen können und werden. Und dafür hasst er uns. Aber der, dem wir geschworen haben, hat uns vergessen.“
„Wer hasst uns?“ Ingals Griff wurde fester. Seine Stimme war rau. „Gearaid?“

„Bearisean von Sliabh Eoghai lebt.“ Diese Stimme war so lebendig wie ein Strahl von Sonnenlicht, der machtvoll durch die Risse von Ruinen bricht und klar wie frisches Wasser aus einem Felsen in der Wüste. „Das Drachenbanner wird stehen, wenn es zum Kampf kommt. Ruandor wird in den Krieg reiten. Der König hat Abhaileon nicht vergessen. Der Fürst von Alandas wartet nur darauf, dass wir seinen Beistand wollen.“
Ros Blick bekam mehr Fokus. Stirnrunzelnd wandte er sich in Richtung dieser Stimme. Ingal wandte sich mit ihm um. Da war mehr Licht in diesem Raum, als er gedacht hatte. Die Sonne musste draußen hinter den Wolken hervorgetreten sein. Sie fiel jetzt durch die seitlichen Fenster. Strahlen brachen sich in Wirbeln von feinem Staub, und einen Augenblick schien es ihm, als stünde dort ein schlanker weiß gekleideter Ritter mit schulterlangem blondem Haar und Augen leuchtend wie der Frühsommerhimmel. Ein goldener Reif schimmerte auf seiner Stirn. Sein Blick richtete sich auf Ingal. Es lag eine unglaubliche Autorität darin. Die Vision verklang in Sekundenbruchteilen. Der Ritter der dort stand, war nicht so groß, seine kurz geschnittenen Haare waren dunkel, aber in seinen Augen lag etwas von dem gleichen Glanz.

„Wer seid Ihr?“ Die Stimme des Fürsten von Roscrea war unwirsch. Doch selbst das war ein willkommener Wechsel zu der vorherigen Klanglosigkeit.
„Dies ist Ciaran von Firin, Regent von Abhaileon, Ritter des Königs und Gesandter des Fürsten von Alandas“, sagte Ingal.
„Alandas“, sagte Ros bitter. „Wo wart Ihr, Herr Ciaran, als es Hilfe von Alandas gebraucht hätte? Doch was mache ich Euch Vorwürfe. Es sind nur stolze Titel, die Ihr tragt.  Ihr kommt ohne Heer, ohne Macht, ohne wirkliche Hoffnung. Worte so leer wie die Worte meiner Eide.“
„So solltet Ihr den Regenten nicht empfangen, Fürst“, sagte Ingal leise. „Sein Kommen hat schon Gutes genug gebracht. Mein Leben hat es vermutlich gerettet. Und Fürst Culath wird Euch nun Truppen zu Hilfe schicken. Alles wird sich ändern.“
Das Gesicht des Fürsten zog sich wie in Schmerz zusammen. Dann aber verbeugte er sich leicht in Ciarans Richtung. „Regent. - Ich brauche nicht nach Eurer Legitimation zu fragen. Wenn Culath Euch anerkannte, wird es stimmen. Roscrea kann Euch leider nicht viel bieten. Ich habe weder Truppen, Waffen, noch sonst etwas, das ich Euch zur Verfügung stellen könnte.“ Ein trockenes Schluchzen oder Auflachen schüttelte ihn. „Ich habe nichts mehr.“ Er wandte sich wieder ab.

„Fürst Ros“, Ciaran bemühte sich vorsichtig zu formulieren. Der Verdacht lag nahe, was geschehen sein musste. „Als ich in Saile hörte, worum es in Ceannacht geht, haben Lord Ingal und ich uns kaum Ruhe gegönnt, um noch dorthin zu gelangen, bevor es zu spät ist...“
„Ich habe den Weg noch nie in weniger als sechs Tagen zurück gelegt“, warf Ingal ein. „Und nicht ich habe das Tempo gesetzt, so sehr auch mich die Sorge trieb.“
„Vielleicht ist es mir möglich, mit Eannas zu vermitteln“, die letzten Worte des Ritters waren eher eine Frage.
Die Hände des Fürsten verkrampften sich hinter seinem Rücken. „Es ist zu spät“, sagte er. „Ich erhielt ein Ultimatum im letzten Winter. Ich hätte mir Frieden erkaufen können, hätte ich den Preis dafür an den Fürsten auf Carraig gezahlt. Ich war nicht so kurzsichtig, den Versicherungen von dort zu glauben. Ich weiß zu gut, was die Folgen wären, würde jemand die Eide von Illaloe brechen. Zweihundert Jahre lag damals der Fluch auf Illaloe für Farins Verbrechen. So habe ich die Gerechtigkeit und die Ehre bewahrt. Aber mir bleibt nur Asche.“
Ingal sagte ruhig: „Zu Farins Zeit wurde Ruandor fast ausgelöscht, weil sie dort zu ihrem Wort standen. Heute ist Ruandor wieder mächtig. Es wird Frucht tragen.“ Er seufzte.

Dann fuhr er behutsam fort. „Das heißt wohl, dass Efa und Eflin nicht mehr am Leben sind.“
Der Fürst nickte wortlos. Ciaran senkte den Kopf.
„Wie sicher ist die Nachricht?“ fragte Ingal nach.
Die Stimme des Fürsten wurde wieder furchteinflößend neutral: „Der Bote gestern brachte einen Brief mit Gearaids Siegel. Eannas steht offen zu Carraig. Er gewährt mir eine letzte Chance zur Kapitulation.“
Ingals Blick fiel auf einen Tisch an der Seite. Zwei schnelle Schritte brachten ihn dorthin. Er überflog das Schreiben und reichte es an Ciaran weiter. „Er schreibt darin nichts von deiner Familie.“
„Das war nicht nötig“, sagte Ros. „Der Bote brachte noch etwas mehr. Er ließ einen kleinen Kasten zurück – für den Fall, dass ich noch mehr brauche, um überzeugt zu werden.“
Ingal brauchte Zeit, um sich dazu zu bringen, weiter zu fragen. „Der Inhalt?“
„Ihre Köpfe“, sagte Ros leise. „Ich brauchte Zeit, um sie überhaupt zu erkennen. Aber ...“ Er warf den Kopf zurück wie in einem stummen Schrei.

Ciaran fühlte sich wie benommen. „Noch nie hörte ich von so viel Bosheit“, sagte er. Seine Stimme klang ihm selbst fremd. „Nicht seit der Zeit der Großen Kriege.“ Die Welt schien wild zu kreisen. Er hörte noch einmal Ríochans letzte Worte an ihn:  ‚Dein Weg geht bis ins Herz der Dunkelheit; nur jenseits davon kann Abhaileon wieder ins Licht gelangen.’ Bisher war es wie der Frühling um sie herum gewesen, ein Weg ins Licht. Carraigs Einfluss gebrochen in Daliní und Sailean. Aber jetzt sah er mehr, sah das Dunkel wie einen heulenden Sturm von Schreien und Waffenklirren, und es war fast zuviel, um es ertragen zu können. Er glitt auf die Knie, zog sein Schwert und stellte es vor sich. Die Klinge war licht wie stets. Langsam ließ das Brausen nach. Jetzt erst trat wieder in sein Bewusstsein, wo er war. Er blickte auf, erwartete verwunderte Blicke, aber Ros stand immer noch abgewandt. Ingal hatte den Kopf gesenkt, und es waren Tränen auf seinen Wangen.
Ciaran stand auf, die Hände immer noch um den Schwertknauf gelegt. „Der Krieg hat begonnen“, sagte er. „Es ist erst der Beginn der Dunkelheit.“
Der Lord von Illaloe wischte mit der Hand die Tränen ab. „Jedenfalls werdet Ihr jetzt nicht weiter nach Eannas reiten.“
Ciaran lächelte traurig. „Daran hat sich nichts geändert. Mein Weg geht durch Eannas.“
„Regent“, Ingal streckte bittend die Hand aus. „Wir brauchen Euch. Gearaid wird Euch ermorden lassen!“
„Fürst Ríochan trug mir auf, nach Eannas und Ruandor reiten. Abhaileon wird keinen Vorteil haben, wenn ich es nicht tue“, Ciaran war ganz ruhig. „Und das Herz der Dunkelheit ist nicht in Eannas. – Ich werde mit Gearaid sprechen und verlangen, dass er umkehrt und Wiedergutmachung leistet.“
„Das wird er niemals tun“, sagte Ingal düster.
Ciaran nickte. „Das vermute ich auch. Aber es gibt keinen anderen Weg.“ Er erwartete mehr Widerspruch. Aber der Lord verbeugte sich nur stumm

„Fürst Ros“, sagte der Ritter. „Eure Sorge ist groß, aber bald schon mag es nötig sein, dass Roscrea in Waffen steht gegen einen Angriff aus Eannas.“
Ros lachte bitter auf. „Seht Ihr nicht, wie es hier aussieht?“ Er drehte sich endlich um. Lange betrachtete er den Ritter vor sich. „Ein Schwert aus Alandas“, sagte er schließlich. „Das Licht spielt darin, wie es die Sagen behaupten. Nun, Ihr könnt dort berichten, dass ich mein Wort gehalten habe. Aber ich habe keine Kraft zu mehr in mir. Roscrea soll in Waffen stehen, sagt Ihr? Ihr sollt haben, was Ihr wollt, Regent. Ich übertrage den Oberbefehl an Lord Ingal von Illaloe.“
„Das solltet Ihr nicht tun!“ protestierte der Lord.
„Ihr seid mein nächster lebender Verwandter“, entgegnete der Fürst ruhig. „Meine Männer werden Euch folgen.“ Er ging zu einem Schreibtisch. Mit fließender Schrift schrieb er die Vollmacht aus und besiegelte sie. Als er sie Ingal reichte, sagte er: „Schickt meinen Kommandanten zu mir; er soll es persönlich hören. Und jetzt, lasst mich allein.“
„Eure Eide sind gehalten“, sagte Ciaran. „Das wird nicht unvergessen bleiben. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Rechenschaft zu fordern für Ceannacht.“ Ros nickte nur schweigend.
Ingal verbeugte sich, bevor er ging. Sobald sich die Tür hinter ihnen schloss, richtete er sich gerade auf: „Ich habe den Oberbefehl auf Carrnarosc übernommen“, erklärte er laut vor den Dienern. „Der Fürst wünscht den Kommandanten zu sprechen. Und ich brauche ein paar Schreiber im Arbeitszimmer des Fürsten. “ Einer der Männer lief eilig davon. Dann gingen die beiden Ritter langsam hinab auf den Burghof.

„Ihr müsst gut auf ihn achten“, sagte Ciaran. „Er will nicht mehr leben.“
Ingal nickte: „Ich werde tun, was ich kann. Sobald Connor hier ist, kann ich ihm einen Teil übertragen. Jetzt muss ich sofort daran gehen, Roscrea aus dem Niedergang herauszuholen“. Er seufzte. „Roscrea hat vierzehn Lordschaften. Ihr würdet mir sehr helfen, wenn ihr mir ein paar besiegelte Urkunden zurücklasst, die ich an die Lords schicken kann. Vielleicht reißt ein Aufruf des Regenten sie aus ihrer Lethargie.“
Ciaran nickte. „Was ist der beste Weg, um unbemerkt nach Eannas hineinzukommen? Wenn Gearaid zu früh von mir hört, könnte das von Nachteil sein.“
„Ich werde versuchen, einen Führer für Euch zu finden“, sagte Ingal. „Aber schwer dürfte es nicht sein. Große Teile der Grenze sind bewaldet. – Da ist noch etwas, das ich Euch fragen möchte: Der Fürst von Alandas, Ríochan nanntet Ihr ihn vorhin, wie sieht er aus? Ein Krieger mit blauen Augen und goldenen Haaren?“
„Das beginnt kaum, ihn zu beschreiben. Aber Ihr wisst mehr, als ich noch vor kurzer Zeit wusste. Es scheint Illaloe hat viele Überlieferungen bewahrt.“
„Keine Überlieferungen“, sagte Ingal. „Ich hatte ... eine Art Vision ... als ihr dort im Turm zum ersten Mal spracht. Nur für einen Augenblick. Da war dieser weiß gekleidete Ritter. Er trug einen goldenen Stirnreif. Sein Blick traf mich. Noch nie zuvor bin ich solcher Macht begegnet.“
„Es scheint, Ihr habt ihn gesehen“, sagte Ciaran leise.
„Etwas von ihm ist in Euch“, sagte Ingal.
„Ich hoffe es“, Ciarans Stimme war voller Intensität. „Ich hoffe es von ganzem Herzen.“

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