Mittwoch, 7. September 2011

Kapitel 25.2


Robin gelang es nur zwei oder drei Stunden zu dösen, bevor der helle Tag angebrochen war. Er gab die Versuche zu schlafen mit dem Sonnenaufgang auf und wusch sich, um wacher zu werden. Er trat an den Tisch und strich mit der Hand traurig über sein Schwert, legte es jedoch nicht an. Stattdessen trat er auf den kleinen Balkon vor seinem Fenster und blickte über die Ebene, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen.

Seinen Erinnerungen war also wirklich nicht zu trauen. Seine Träume von Hibhgawl waren vielleicht wirklich nur Träume gewesen. So wie jener in der Nacht vor vielen Jahren, als er zu dem jungen Prinz von Ecrin sprach. Nur dass die Erkenntnis der Wirklichkeit dieses Mal um vieles schlimmer gewesen war. Doch in der Trauer wollte er nicht verweilen. Etwas, das er nie besessen hatte, konnte er auch nicht verlieren.
Mit einem anderen Teil der Träume und Erinnerungen jedoch musste er sich beschäftigen. Alandas und Ríochan. Er wünschte sich so sehr, dass alles Wahrheit war, wie er sich sehnte noch einmal die weiche Schnauze Hibhgawls in seiner Hand und an seiner Wange zu fühlen. Die Schönheit der Säulenhalle in seinen Träumen war untrennbar verknüpft mit Ritten im tanzenden Sonnenschein und dem Bild von Ríochans goldenem Haar, das über den Boden floss, als er sich vor dem König verneigte. Blau wie die Sommernacht waren die Augen Hibhgawls und blau wie der Frühsommerhimmel die des Fürsten von Alandas. Und über allem hatte ein Licht gelegen, das es weder in Abhaileon noch in Arda je gegeben hatte.

Er schüttelte den Kopf. Nur Traumbilder. Wo war die Wirklichkeit? War doch Wahrheit in all dem, was er bisher Lügen und Verleumdung genannt hatte? War Ríochan nur jemand gewesen, der ihm etwas vorspielte und alle Verklärung kam aus einer vagen Erinnerung? Diese etwas rätselhafte Angelegenheit mit Alif. Ein Mosaiksteinchen, das auch von der Rivalität zwischen Barraid und Ríochan erzählte, wie so vieles andere? Doch gab es überhaupt einen Grund, einem der beiden Fürsten in irgendeiner Weise zu trauen?
Er warf einen Blick zurück in sein Zimmer. Das Licht funkelte auf dem Gold und den Rubinen des Schwertes, aber was er jetzt brauchte war Wärme und Gemeinschaft, nicht kaltes Metall und Steine. Das Sonnenlicht zumindest war warm auf ihm. Ein wenig war es auch die Erinnerung an die Träume von Bailodia, die ihn leitete. Ríochan, der dort vor dem Balkon kniete. Ein Schluchzen wollte ihn schütteln. Er kniete nieder und lehnte den Kopf an den Stein. Nach all den Tagen und Wochen erwartete er nicht wirklich mehr eine Antwort, und dennoch ...


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Stille Trauer prägte die nächsten Tage. Robin hörte Asrain zu, fragte mehr nach als zuvor, aber sein Herz lag nicht darin. Am liebsten wollte er nur allein sein. Sein Training hatte er nur für einen Tag unterbrochen; nach der durchwachten Nacht war er ohnehin nicht in Form gewesen. Die Konzentration beim Gang mit den Schwertern war eine Hilfe, alles andere, was ihn bedrückte, zu vergessen. Er verzichtete jetzt aber darauf, sein Schwert zu benutzen. Stattdessen hatte er Asrain einen Übungspartner für sich finden lassen. Sie benutzten nur Übungsschwerter aus Holzstäben. Er nahm sein Schwert natürlich mit; er wollte es stets in seiner Nähe haben. Doch seit jenem traurigen Erlebnis in den Ställen hatte er es nicht mehr gezogen. Er sehnte sich danach, das Licht auf der Klinge zu sehen und fürchtete zugleich, dabei in Tränen auszubrechen, weil all das, woran es ihn erinnert hatte, vielleicht niemals Wirklichkeit gewesen war.

Eines Nachmittags kam Asrain mit einer Art triumphierendem Lächeln zu ihm. „Ihr habt Besuch!“ verkündete er.
„Besuch?“ Robin blickte ihn verwundert an und schüttelte dann den Kopf. „Ich wüsste nicht, wer das sein sollte. Es sei denn, auch der Lord von Sliabh Eoghai ist in Eure Hände geraten.“
Asrain seufzte demonstrativ. „In unsere Hände geraten? Ist es denn so furchtbar hier für Euch?“
Die ehrliche Antwort darauf wäre ein klares „Ja“ gewesen. „Solange ich Carraig nicht verlassen will, werde ich als Gast behandelt“, sagte er gleichgültig. „Wenn ich befähle, mir ein Pferd zu satteln, wie weit würdet Ihr mich gehen lassen?“
„Nicht durch die Tore von Carraig“, gab der Lord zu. Er klang bedauernd. „Mit Eurem Schwert ...“ Er schüttelte den Kopf. „Ihr könntet damit erstaunliches  Unheil anrichten.“
Robin wandte sich halb ab. „Dann tötet mich!“ sagte er müde. „Ich bin in Eurer Hand. Ich werde den Herrn, den ich liebe, nicht verraten. Was soll das Hinhalten?“
„Ich denke, Ihr solltet Euren Besuch empfangen“, entgegnete Asrain mit Geduld in der Stimme. „Vielleicht vertreibt er diesen Anflug von Schwermut. Es ist eine äußerst gut aussehende junge Dame.“
„Ich lege keinen Wert darauf sie zu sehen!“ erklärte Robin. „Verschont mich!“
„Ein Kompromiss“, schlug Asrain vor. „Ich lasse sie herein, und wenn Ihr dann noch wollt, dass sie wieder geht – ganz, wie Ihr wollt.“
„Ich kann Euch kaum hindern, ‚Gast’, der ich hier bin“, sagte der Ritter bitter und ging ans Fenster, so dass er der Tür den Rücken zuwandte.

„Ich hatte mir die Begrüßung eigentlich etwas anders vorgestellt“, sagte kurz darauf eine bekannte Stimme hinter ihm.
Robin drehte sich ungläubig herum. „Isabell?!“ Da stand sie. In einem langen abhaileonischen Reitkleid, die langen Haare nur leicht zurückgesteckt und ein schelmisches Lächeln auf den Lippen. Asrain hatte Diskretion genug besessen, die Tür hinter sich zu schließen.
Robins Gesicht erhellte sich, er machte ein paar Schritte auf seine Kusine zu. „Es ist wie ein Wunder, dich zu sehen!“ Dann hielt er inne und sein Blick wurde besorgt. „Doch das heißt, sie haben auch dich in ihren Händen.“
Isabell lachte. „Du siehst eigentlich nicht aus wie ein Gefangener mit dieser Kleidung und einem so noblen Schwert!“ Sie warf einen neugierigen Blick in Richtung der Schwertscheide. „Und ich muss zwar zugeben, dass mein Abschied von Arda Elemente eines Krimis hatte. Doch seit ich in Abhaileon bin, kann ich mich nicht gerade beschweren.“ Sie trat an den Balkon und blickte über das Land. „Eine beeindruckende Burg. Hast du hier die ganzen drei Wochen verbracht, die du vor mir gingst? Oder brauchten die Männer des Fürsten länger, um dich zu finden?“
„Was weißt du von ihm und ihnen?“ erkundigte Robin sich leise.
„Im Grunde nicht viel. Aber sie haben mich hierher geholt und damit haben sie sich durchaus meine Sympathie verdient.“

„In Abhaileon ist über ein halbes Jahr vergangen seit meiner Ankunft“, sagte er und trat neben sie. „Das jetzt ist mein zweiter Aufenthalt auf Carraig. Ebenso wie der erste ist er nicht freiwillig.“
„Ich fürchte, das wirst du mir näher erklären müssen“, sagte sie überrascht. „Über ein halbes Jahr? Und was heißt das, ‚nicht freiwillig?“
„Das wird nicht einfach zu erklären sein“, seufzte Robin. „Setzen wir uns lieber.“ Selbst sein auf das Wesentlichste beschränkter Bericht dauerte fast eine volle Stunde mit allen Erklärungen, die nötig waren. Er erwähnte den Rapphengst mit keinem Wort und blieb möglichst neutral mit allem, was Alandas betraf.
Danach folgte Isabells viel kürzerer Bericht. „Weißt du“, sagte sie am Schluss nachdenklich. „Was die Winianer sagen, klingt gar nicht so falsch.“
Robin wandte gequält das Gesicht ab. „Es scheint so in manchem“, gestand er ein. „Doch zu was macht das Ríochan und Alandas?“
Isabell zuckte mit den Schultern. „Nicht notwendig zu etwas Schlechtem, würde ich sagen. Vielleicht steht das wirklich auf einem Fuß mit Barraid und Winian. Beide Parteien mit nicht ganz guten und nicht ganz verdorbenen Absichten. Vielleicht sogar beide entschlossen, sich zum Wohl von Abhaileon einzusetzen. Und es scheint, die Winianer können es derzeit effektiver, da sich die Alander schon lange hinter ihre Berge zurückgezogen haben und sich kaum um das kümmern, was hier geschieht.“

Robin stand auf und ging wieder zum Balkon. „Bei all diesen ‚natürlichen’ Erklärungen bleibt immer noch die Angelegenheit mit meinem Schwert“, sagte er unwillig. „Alle scheinen sich einig, dass es vom König selbst kommt.“ Er legte seine linke Hand wie schützend um das Heft der Waffe.“
„Von magischen Schwertern war auch auf Arda schon die Rede“, wandte seine Kusine ein. „Nicht zuletzt in den Artussagen. Warum sollte es sie nicht geben in Abhaileon, wo Drachen Wirklichkeit sind?“
„Nenne es nicht Magie“, sagte Robin heftig. „Es ist der letzte Rest von Wirklichkeit, den ich noch greifen kann.“
Isabell runzelte verwirrt die Stirn. Etwas war mit ihrem Cousin nicht wie früher. Doch sie wollte jetzt nicht über Kleinigkeiten streiten. Wenn es ihm so wichtig war, dann war es eben kein magisches Schwert. „Darf ich es näher ansehen?“ erkundigte sie sich.
Robin nickte. Er löste die Waffe von seinem Schwertgürtel und legte sie behutsam auf den Tisch.
„Es ist wunderschön“, sagte Isabell. Sie folgte mit dem Finger den goldenen Einlegearbeiten auf Scheide und Heft. Dann schloss sie die Hand um den Knauf, um die Klinge hervorzuziehen.
„Nicht!“ rief Robin heftig und hielt ihre Hand auf. „Das ist etwas Heiliges!“ Sie blickte überrascht und verwundert auf. „Ríochan lehrte es uns“, fuhr Robin leise fort. „Ich weiß nicht, ob es wirklich so war. Es ist alles so unklar, was diese Zeit angeht. Aber ich werde das nicht brechen.“ Er ließ die Klinge selbst heraus gleiten. „Ehre dir, mein König!“ sagte er immer noch leise aber mit tiefer Überzeugung und legte die blank gezogene Waffe wieder auf den Tisch. „Jetzt kannst du es anfassen, wenn du willst.“

Isabell schüttelte innerlich etwas den Kopf, aber begann kommentarlos die Klinge näher zu betrachten. Sie schimmerte bläulich  „Es sieht sehr scharf aus“, sagte sie.
„Das ist es“, bestätigte Robin, „und es wird nie schartig. Ich glaube, es kann nicht zerbrechen.“ Er schwieg. „Aber es kann entehrt werden. Ich weiß nicht, was dann geschieht.“ Er blickte traurig auf die Klinge. „In einer meiner Erinnerungen, die vielleicht nur Träume sind, legten wir unsere Schwerter vor uns hin und ....“ Er unterbrach sich. Kaum hörbar fuhr er fort. „Ríochan kehrte von einer Reise zurück an diesem Tag, und Hibhgawl ...“ Er unterbrach sich ganz und blickte in eine vergangene Zeit.
„Wer ist – was war das für ein Name?“
Robin zuckte fast zusammen. „Es ist unwichtig. Es waren nur Träume. Es wäre besser, ich spräche nicht darüber. Nicht hier auf Carraig. Deine Gegenwart ließ es mich halb vergessen. Deine Gegenwart und es hier.“ Er nahm das Schwert wieder auf und verwahrte es behutsam. „Die Träume erscheinen wirklicher, wenn sich das Licht in ihm bricht fast wie damals.“

Isabell betrachtete ihn nachdenklich. Dann sagte sie zögernd. „Etwas stimmt nicht mit dir, Robin.“
„Es sind wohl noch die Nachwirkungen von Cardolan“, sagte er. „Ich wünschte, ich könnte ein paar Worte mit Bearisean wechseln. Er war bei all dem dabei, das nicht mehr klar ist in meinem Gedächtnis. - Ich war ein Narr, jemals von anderen Welten zu träumen.“
Seine Kusine verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich verstehe allmählich, warum es wichtig ist, dass ich hier bin“, sagte sie. „Du bist dabei, deine Aufgabe nicht zu erfüllen. Du hast dieses Schwert bekommen, weil du etwas sehr Wichtiges für Abhaileon tun musst. Aber du hängst nur unerfüllbaren Träumen nach, statt dich dem zu stellen, was nun einmal ist.“
Robin antwortete nichts darauf. Diese Worte sprachen das aus, was er selbst befürchtete. Es ausgesprochen zu hören, noch dazu von Isabell, machte alles nur noch schlimmer. „Du hast bisher ausschließlich mit den Winianern gesprochen“, gab er schließlich zu bedenken. „Ich weiß, sie erwecken den Anschein gutwillig zu sein. Doch es gibt keinen Beweis dafür. Wenn sie sind, was Bearisean sagte, dann ist das alles Lüge. Dann stehen wir hier inmitten eines Netzes aus Täuschungen und Illusionen. Bedenke das!“
„Wir können zumindest vorsichtig sein“, räumte Isabell ein.
Robin nickte. „Gib ihnen nach Möglichkeit keine Information preis, die sie nicht schon haben. Besonders nicht über mich, Bearisean und Alandas.“
„Da wäre ohnehin nicht viel, was ich sagen könnte“, meinte sie. „Wie wäre es, wenn du mir jetzt ein wenig mehr von diesem Carraig zeigst?“

******

Lùg nahm den angestrengten Zug um Akans Augen nur deshalb wahr, weil er ihn mittlerweile sehr gut kannte. Für jeden anderen war der Lord nur kontrollierte Gleichmut und Zielstrebigkeit. Der Fürst trieb ihn mehr als hart an, wusste Lùg. Manchmal fragte er sich, warum der andere sich so dabei verausgabte. Gleich ob er die übertriebensten Anforderungen erfüllte oder nicht – gewöhnlich vollbrachte er wahre Wunder -, Barraid würde ihn härter maßregeln, als Lùg selbst es für gescheiterte Aufträge befürchten musste. Flüchtig fragte er sich, ob sich dabei nicht doch irgendwann ein Riss in Akans perfekter Maske auftun würde, den er ausnützen konnte. Doch jetzt war keine Zeit für solche Spielereien. „Sofortiger Kriegsrat!“ verkündete er. „Nachricht aus Eannas.“
Akan warf ihm einen dunklen Blick zu aber antwortete nichts. Er erteilte seinen zwei Begleitern nur ein paar leise knappe Befehle, bevor er mitkam.
„Wir haben noch nicht geredet, seit du zurück bist“, meinte Lùg unterwegs.
„Wann auch?“ entgegnete Akan kühl. „Was willst du wissen?“
„Nichts“, sagte Lùg. „War das eben nicht Ingro?“ Er war sich ziemlich sicher, dass es der ehemalige Unterführer von Cardolan gewesen war, auch wenn er in seinem miserablem Zustand kaum zu erkennen war. „Was hat er eigentlich getan, um das zu verdienen?“
„Er hat keinen Versuch gemacht, Urkha zu hindern, unseren hochgeschätzten Gast aus Arda zu malträtieren. Wie du mit Sicherheit weißt.“
„Da hätte er ohnehin keine Chance gehabt“, sagte Lùg gleichgültig. „Ich hörte, Asrik versuchte es, und er heult nun auch schon seit Tagen in den Verliesen.“ Er schüttelte den Kopf und maß Akan mit einem Seitenblick. „Asrik versuchte Asrain aufzuhalten im letzten Herbst beim Uibhnefenn! Ich konnte gerade noch seine Haut retten.“
„Er wird bald ein neues Kommando haben“, sagte Akan, ohne auf die unausgesprochene Frage einzugehen. Oder hatte er es mit dieser Antwort getan? Nicht einmal Lùg konnte ihn immer ganz deuten.
„Und Ingro?“
„Lernt oder stirbt.“ Akan zuckte die Schultern. „Ich würde sagen, er lernt.“ Daran hatte er mittlerweile keinen Zweifel mehr. Ingro kämpfte nicht nur um sein Überleben; er unterwarf sich allem mit einer unverkennbaren Begierde zu lernen. Eine bemerkenswerte Qualität unter den Umständen. Er würde soviel Potential nur ungern vergeuden.

Am Ende eines Ganges erhaschte er einen Blick auf den Ardaner und seine Kusine. „Wie geht es unserem Gast?“
„Er ist so gut wie verloren. Er weiß es nur noch nicht.“
Wenig später waren sie am Ziel. Sie waren die letzten. Nach einem Blick auf den Fürsten beschränkte sich Akan auf eine knappe wortlose Verbeugung. Asrain sah äußerst gut gelaunt aus. Er lernte wohl nie, dass schlechte Nachrichten schlechte Nachrichten für sie alle waren. Auch wenn dieses Mal Fíanael den ersten Teil der Rechnung zu zahlen hatte, wie es aussah.
Der sonst so raubtierhaft bedrohliche Lord kniete mit gesenktem Kopf vor dem Fürsten. Er machte einen selten geduckten Eindruck. Ein heftiger Fehlschlag also. Barraid war stets erbarmungslos, wenn man es mit ihm allein zu tun hatte; doch gewöhnlich ließ er seine Lords in der großen Runde das Gesicht voreinander wahren.

Der Fürst bedeutete Dimail zu sprechen. Der Lord wirkte auf der Hut; auch er hatte letzthin im Süden gearbeitet. „Ríochan hat vor ein paar Wochen den Regentenring an einen Dalinianer gegeben, der auch das Smaragdschwert trägt. Ein Ciaran, früher Offizier in Croinathír. Diesem ist es innerhalb von etwa zwei Wochen gelungen fast ganz Dalinie gegen uns zu mobilisieren, Sailean zur Rebellion gegen unsere Absprache zu bewegen, in Roscrea einen Statthalter aus Illaloe zu etablieren, der die Lords zum Krieg aufruft, und Gearaids Festung Escail in Trümmer zu legen.“
Der ganze Südosten im Aufruhr. Das war mehr als beachtlich selbst für einen Ritter des Königs, aber ganz offenbar noch nicht der Grund für Fíanaels missliche Lage. Akan wartete ab.

„Das ist noch nicht alles“, sagte der Fürst sanft. Er richtete den Blick auf den knienden Lord.
Fíanael bewegte sich keinen Millimeter. „Arnim von Lassalle führt den Aufstand gegen Gearaid in Eannas“, sagte er ohne aufzusehen. „Er hat sich offen für den König erklärt. Es sieht so aus, als würde er die Provinz bald ganz in der Hand haben.“ Er räusperte sich, seine Stimme war immer belegter geworden. „Es gibt Anzeichen, dass andere der Lords von Eannas seiner Entscheidung folgen werden. – Ich habe Maßnahmen ergriffen ...“ Barraid unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
Lassalle also. Akan fühlte Barraids Augen auf sich, aber sie blieben nicht auf ihm haften. Der Fürst wusste, dass es schlichtweg unmöglich war, ihm gleichzeitig hier und im Süden die Hauptverantwortung aufzulasten. Jemand aber musste in den Süden, um Lassalle zu beseitigen. Letztendlich würde Fíanael wohl selbst den angerichteten Schaden in den Griff bekommen müssen. Lassalle war immer sein Projekt gewesen.

Lùg versuchte einen Scherz. „Wir sollten Vorsorge treffen, dass dieser Ciaran nicht hierher kommt“, sagte er. „Sonst verlieren wir unseren Ardaner auch noch.“ Meistens kam er mit so etwas durch. Dieses Mal nicht. Der Fürst schlug ihm ins Gesicht, dass er zu Boden taumelte.  Blut floss ihm aus der Nase, als er sich wieder aufrappelte. Er zog ein Taschentuch heraus und presste es dagegen.
Barraid beachtete ihn nicht weiter. „Fíanael wird das richten“, sagte er sehr sanft. Er sprach, als sei der Lord nicht selbst anwesend. „Er reitet in drei Tagen, bis dahin werden wir alle zusammen noch ein Treffen mit unserem Ritter hier auf Carraig haben. Ihr werdet alle eure Kräfte mit einsetzen, damit er ein paar notwendige Dinge erkennt.“
„Das könnte Schwierigkeiten geben, Euer Hoheit“, warf Dimail sehr vorsichtig und sehr unterwürfig ein. Alandas lag hinter dem Horizont wie ein lauernder Löwe; sie selbst konnten keinen Zauber und keinen Fluch in der nötigen Größenordnung einsetzen, ohne die Regeln so zu verletzen, dass es zum offenen Krieg kam.
„Ich nehme an, wir haben Erendar“, bemerkte Akan genauso vorsichtig. Er sprach nur in Dimails Richtung.
„Wir haben Erendar“, bestätigte Dimail sauer.
„Und manchmal frage ich mich, ob das nicht schlimmer ist, als ihn nicht zu haben“, knurrte Asrain. „Er ist aufsässig, widerspenstig und unverschämt.“

„Er wird seine Arbeit tun“, sagte Akan leidenschaftslos. „Mehr braucht es nicht.“
„Und wer darf ihn dieses Mal dazu bewegen?“ erkundigte Dimail sich betont höflich. „Er fürchtet immer weniger. Ich werde allmählich ratlos, womit ich seine Kooperation noch erzwingen soll.“ Ein bisher ungehörtes Zugeständnis aus seinem Mund.
„Deine Aufgabe“, sagte Barraid und nickte in Akans Richtung. Lùg glaubte wahrzunehmen, dass der Lord zum ersten Mal, dass er ihn kannte, ein wenig die Miene verzog, während er sich Gehorsam bekundend verbeugte. Nur die Andeutung einer Andeutung, natürlich, dieses Missvergnügen. Andererseits, bei Akan konnte selbst das Berechnung sein.
„Die beste Lösung wäre, ihm den Hals umzudrehen“, murrte Asrain nochmals.
„Darum können wir ein Los werfen“, sagte Dimail, „sobald du brauchbaren Ersatz für ihn besorgt hast.“ Darauf antwortete niemand mehr; sie wussten alle exakt, wie aussichtslos das war in Abhaileon. Das Problem war, Erendar wusste das auch.
„Ihr werdet alle noch genauere Anweisungen erhalten“, entließ der Fürst sie. Sie gingen leise und unter Verbeugungen. Bis auf Fíanael, der weiterhin mit gesenktem Kopf im Zimmer kniete.

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