Mittwoch, 14. September 2011

Kapitel 30.1


XXX Mitternacht


 „Ihr seid ihm begegnet“, stellte der Regent fest, sobald sie für sich waren. „Wann und wo?“
„Ich weiß nicht, was Ihr wollt!“ empörte sich Dermot.
„Er war einmal in Corrugh“, sagte Ciaran und sah den Fürsten erblassen. „Vor vielen Jahren.“
„Woher …?“ begann Dermot, um sich dann zu verbessern. „Wer hat diese Behauptung gemacht?“
„Jemand, der ihm dort ebenfalls begegnete“, sagte Ciaran. „Nun, da ich selbst auch die Bekanntschaft dieses Lords aus Winian machte, vermute ich, dass Ihr Euch bedroht seht.“
„Das ... das ist alles nicht zutreffend“, stieß Dermot hervor.

Ciaran nickte nur, als jemand der das allzu gut begriff. „Die Mächte aus Winian sind beängstigend“, sagte er. „Sie verfügen über nicht unbeträchtliche Möglichkeiten. Allein sind wir ihnen gegenüber verloren. Mit der Hilfe von Alandas jedoch müssen sie vor uns weichen.“
„Alandas“, schnaubte Dermot. „Bis jetzt habe ich keine Spur von Alandas gesehen. Geschweige denn von seiner Macht.“
„Was habt Ihr getan, dass Winian Euch in der Hand hat?“ fragte der Regent.
Dermot starrte ihn an. „Das ist eine Verleumdung!“ brachte er dann heraus. „Wer hat das behauptet? Caillich? Ich bin rechtmäßiger Fürst von Corrugh! Es ist mein!“
„Der Fürst von Caillich hat nichts von Euch gesagt. Er ist der letzte, der heute eintraf. Fast zeitgleich mit Eurer Rückkehr aus dem Osten. Ich werde mit ihm sprechen. Es scheint, es gibt einige Gründe, den Prozess um Arnim von Ecrin wieder aufzurollen.“ Er hob die Hand. „Sprecht nicht, bevor ich zu Ende bin. Ich weiß nicht, wie sicher Eure Ansprüche auf Corrugh sind, wenn wirklich alles bekannt wird. Dennoch, ich werde Eure Ansprüche garantieren und Euch vor allen Unannehmlichkeiten schützen – falls Ihr heute abend unserem Bündnis zustimmt.“

Dermot zögerte. Das alles hatte eine zu unerwartete Wendung genommen. Der Regent wusste offensichtlich von seinen Abmachungen mit Fíanael und wie er Corrugh gewonnen hatte und drohte es bekannt zu machen. Er hatte Feinde in der Provinz. Es war nicht unmöglich, dass er sie verlor, wenn das alles vor Gericht kam. „Was ist mit Lassalle?“ fragte er schließlich vorsichtig.
„Er ist der neue Fürst von Eannas“, sagte der Regent. „Er wird keine Ansprüche gegen Euch stellen. Wenn Ihr Wert darauf legt, werden wir alle Verhandlungen im Stillen führen, so dass kein Schatten auf Euren Namen fällt.“
Dermot antwortete nicht sofort. Er schien nachzudenken, schwankend zu werden. Der Himmel hatte begonnen sich schwarz zu verfärben und das Licht begann zu schwinden. Etwas wie ein Schatten bewegte sich unter einem der nahen Bäume. Dermot erstarrte. Der Schatten hatte das Aussehen eines großen Wolfes. „Nein“, keuchte er, ohne den Regenten anzusehen. „Ich streite das alles ab. Kein Bündnis mit Alandas.“

Ciaran wandte sich um, um zu sehen, was der Fürst dort so entsetzt anstarrte. Er konnte jedoch nichts erkennen. „Dann wird es dunkel werden“, sagte er nur leise. „Wartet hier noch einen Moment.“ Er ging zu Dorban.
„Ist jetzt alles geklärt?“ erkundigte dieser sich sofort.
Ciaran schüttelte leicht den Kopf. „Wir brauchen Béarisean hier“, sagte er. „Vielleicht kann er das noch retten.“
Dorban nickte und ging, um sich darum zu kümmern. Ciaran wandte sich Ludovik zu, der am nächsten stand. „Die Entscheidung ist leider noch nicht gefallen“, teilte er mit. „Bittet die anderen, sich noch etwas zu gedulden.“
Langsam kehrte er zu dem Fürsten von Corrugh zurück. Dieser starrte wie gebannt auf eine Baumgruppe nicht weit von ihm. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. So konzentriert war er, dass er nicht einmal die Rückkehr des Regenten bemerkte.

Ciaran blickte auch in die Schatten dort. Bis Béarisean kam, gab es ohnehin nicht viel zu sprechen. Manchmal schien es, als rege sich dort etwas im Halbdunkel. Es erinnerte ihn merkwürdig an den Talkessel über dem Siron. „Seid Ihr letzthin Wölfen begegnet?“ erkundigte er sich leise.
Dermot fuhr zusammen. „Wölfe? Wie kommt Ihr darauf? Da ist nichts. Nur Schatten.“
„Ich hatte einmal einen Zusammenstoß mit einem Wolf, der kein Wolf war“, sagte der Regent. „Damals verfinsterte sich auch der Himmel. Auch ich hatte ein unkluges Abkommen geschlossen. Doch mir wurde beigestanden. – Ich verstehe, dass Ihr Garantien braucht. Deshalb habe ich nach Herrn Béarisean schicken lassen.“
„Ich will nichts mit ihm zu tun haben“, erklärte Dermot sofort.
„Er kann Euch die Garantie geben, die Ihr braucht“, sagte Ciaran.
„Ich brauche keine Garantien.“
„Ich versuche, Euch zu helfen“, sagte der Regent. „Was immer Euch versprochen wurde. Sobald Ihr Euren Zweck erfüllt habt, wird Winian Euch fallen lassen.“
„Winian geht mich nichts an“, sagte Dermot heiser.
„Das bezweifle ich“, entgegnete Ciaran.

Endlich kam Béarisean mit den ersten Windstößen des Gewitters. Dermot wich vor ihm zurück, als habe er eine ansteckende Krankheit, während er immer wieder hastige Blicke auf das Gebüsch warf, das er nun schon so lange studierte. Ciaran erklärte Béarisean kurz die Lage.
„Darum geht es überhaupt nicht!“ erklärte Dermot brüsk, kaum dass Ciaran geendet hatte. „Wenn Ihr es unbedingt wissen möchtet. Ich werde mit einem Mörder wie Lassalle nicht kooperieren. Mein Vater und zwei meiner Brüder kamen damals in Corrugh um.“
„Führtet Ihr nicht den Rachefeldzug nach Lassalle?“ erkundigte Béarisean sich.
„Das ist gleichgültig. Er ist es, der zu zahlen hat!“
„Streite nicht mit ihm darüber“, warf Ciaran ein. „Béarisean, biete ihm die Garantie an!“
„Ihr habt Sie, Fürst Dermot“, sagte Béarisean knapp. „Ruft heute nach Alandas um Beistand, und Ihr sollt ihn haben. Was war, kann vergessen sein.“
„Wer sagt, dass ich vergessen will?“ schnaubte Dermot. „Was wisst Ihr schon, was es bedeutet seine Familie zu verlieren?“
„Das ist etwas, über das ich sehr viel weiß“, sagte Béarisean kühl. „Vielleicht erinnert Ihr Euch?“
„Und was würdet Ihr tun, wenn Ihr der Mörder habhaft werden könntet?“ forderte Dermot.
„Nichts, was den Interessen Abhaileons und Alandas widerspricht“, sagte Béarisean entschlossen.
„Vielleicht“, sagte Dermot ein wenig ironisch. „Ich höre da jedenfalls auch anderes in Eurer Stimme. – Doch gleich, wie dem sei. Corrugh wird an diesem Krieg nicht teilnehmen.“
„Das wird Folgen haben, sobald der Krieg vorüber ist“, sagte Ciaran höflich.
„Wir werden sehen welche“, antwortete Dermot so gleichgültig er konnte und ließ sie stehen.

„Sollten wir ihn aufhalten?“ fragte Ciaran.
„Du könntest ihn festhalten lassen“, meinte Béarisean. „Doch das würde den Zwist in unser Lager hineintragen.“
„So trägt er ihn vielleicht mit sich“, gab Ciaran zu bedenken.  „Bricht es das Gebot, dass wir seine freiwillige Zustimmung benötigen, wenn wir nach der Verweigerung gegen ihn vorgehen?“
„Ich bin mir nicht sicher“, sagte Béarisean. „Die Freiheit muss gewährleistet sein. Aber wenn er mit dem Gegner paktiert ... Haben wir klare Beweise?“
„Ich fürchte nicht“, antwortete Ciaran. „Lass uns andere den Bund schließen. Auch wenn es nicht ausreicht, vielleicht kann es doch etwas bewegen, wenn kein anderer sich versagt.“ Er wandte sich zum Gehen und hielt wieder inne. „Was ist?“ erkundigte er sich plötzlich auf der Hut.
Beariseans Blick hing geistesabwesend in der Luft. Die ungefähre Richtung, in die er starrte, vermutlich ohne irgendetwas zu sehen, zeigte dieselben Sträucher, denen schon Dermot hastige Blicke zugeworfen hatte. Er schien die leise Frage nicht einmal zu hören und zuckte leicht zusammen, als Ciaran ihn vorsichtig an der Schulter berührte und fragte: „Hast du dort etwas gesehen?“
„Nein.“ Bearisean schüttelte leicht den Kopf, eher als wolle er etwas verscheuchen. „Es war etwas anderes. Als streifte mich etwas, das ... Ach, ich weiß nicht. Von einem Augenblick zum andern stiegen plötzlich Dinge auf, die ich längst vergessen glaubte.“ Sein abwesender Ton wurde wieder fest. „Nichts, was mit uns hier zu tun hat.“

Kurz entschlossen ging Ciaran näher an das Gesträuch heran, um dann jedoch den Kopf zu schütteln. Dort konnte sich nichts verbergen. Andererseits war aber auch damals in Gleann Fhírinne der Verfolger lange unbemerkt geblieben. Er berührte das Schwert an seiner Seite. „Im Namen des Königs“, begann er leise. Es war, als bewegten sich Schatten dort, wo nichts war und danach war er sich sicher, dass er nichts finden werde, auch wenn er weiterging.
„Der Feind hat ebenfalls Späher ausgeschickt“, sagte er leise zu Béarisean, der ihm gefolgt war. „Einer muss hier gewesen sein.“
Béarisean betrachtete ihn zweifelnd. „Hier? Mitten im Lager?“
Ciaran zuckte mit den Schultern. „Sei vorsichtig, Bruder“, sagte er. „Ich selbst konnte nichts ausmachen. Doch etwas dort hat Dermot erschreckt und dich betroffen.“
„Aber dich nicht?“ Béarisean lachte ein wenig.
„Ich glaube, in mir fand es keinen Widerhall“, antwortete Ciaran unwillkürlich. „Damals, als ich ...“ Er unterbrach sich, als ihm aufging, was er da gesagt hatte. „Was ich sage, ist unsinnig“, stellte er fest. „Du bist der Gesandte für Alandas. Es ist wohl nur diese merkwürdige Stimmung vor einem Gewitter, die uns allen Streiche spielt.“
„Wahrscheinlich“, stimmte Béarisean zu. Seine Hauptreaktion war Erleichterung, dass Ciaran nicht die Absicht hatte, dieses Thema zu vertiefen.

Sie kehrten zu der wartenden Versammlung zurück. „Fürst Dermot wird sich uns nicht anschließen“, gab Ciaran bekannt.
„Dieser Verräter!“ sagte Dorban grimmig.
Sean von Caillich nickte. „Man sagt, er habe schon lange ein Bündnis mit den Mächten dort auf Carraig.“
„Gerüchte“, beschwichtigte Ludag von Parain sofort, als alle aufhorchten. „Ich hörte sie auch. Damals vor vielen Jahren.“
„Spricht das jetzt nicht laut genug?“ entgegnete Fürst Sean. „Kehrte er nicht gerade erst aus dem Osten zurück?“
„Er kann nicht bis Carraig gewesen sein“, warf Fürstin Halis ein. „Dazu war er nicht lange genug abwesend. Wir haben, wie es scheint, keine klaren Beweise gegen ihn. Oder habt Ihr die, Fürst Sean?“
„Nein“, gestand dieser widerstrebend ein. „Klare Beweise gibt es nicht.“

„Ist nun alles gescheitert?“ fragte Donal von Tireolas nüchtern.
„Nicht alles“, sagte Ciaran. „Doch Alandas wird uns für das erste nicht unterstützen können. Wir sollten dennoch offiziell ein Bündnis schließen.“ Die Zustimmung schien allgemein zu sein.
„Und da ist noch etwas das heute abend beschlossen werden sollte“, fügte Béarisean hinzu. „Wir müssen eine offizielle Erklärung nach Carraig schicken.“
„Wir sandten Botschaft aus Croinathír“, wandte Lord Dereisha ein. „Der Bote kehrte nie zurück.“
„Ein weiter Weg“, meinte Fürst Donal. „Der Gegner könnte behaupten, dass ihn jene Botschaft nie erreichte. Eine Gesandtschaft von hier wäre etwas anderes.“
„Wir brauchen ein offizielles Ultimatum“, stimmte Fürst Ludovik zu. „Eine Aufforderung an den Herrscher auf Carraig Abhaileon zu verlassen.“
„Aber wen sollten wir senden?“ fragte der Regent. „Bei diesem Gegner können wir nicht darauf vertrauen, dass er freies Geleit garantiert. Es widerstrebt mir sehr, dem auch nur einen Mann zu opfern.“

„Vielleicht versucht er noch einen Schein zu wahren und verhandelt“, sagte Dorban. „Da ich Fürst von Dalinie bin und Carraig auf dalinianischem Boden liegt, dürfte die Aufgabe meine Pflicht sein.“
„Auf keinen Fall!“ erklärten Béarisean und Ciaran fast gleichzeitig. Dorban runzelte ärgerlich die Stirn.
„Kein abhaileonischer Fürst darf in seine Hände geraten“, fuhr Ciaran allein fort. „Der Herrscher auf Carraig wüsste es sonst sicherlich zu seinen Gunsten zu nutzen.“
„Ich könnte Tíogar schicken“, schlug Halis vor. „Er hat Erfahrung genug mit Hinterhalten.“
„Nein, besser jemanden mit einem höheren Rang, der zugleich hier entbehrlich ist“, sagte Estohar fest. „Mich.“
Ciarans erster Impuls war zu protestieren. Er sah, dass es einigen anderen ähnlich ging. Doch Estohars Vorschlag war die beste Lösung, die er sich denken konnte.  Es widerstrebte ihm nur, zu bestätigen was der Lord von Tarim selbst gesagt hatte, dass er entbehrlich war.

„Ich sollte gehen“, brach Béarisean als erster das nachdenkliche Schweigen. „Mein Schwert gibt mir mehr Schutz als alles andere es vermöchte.“
„Dieses Schwert darf ebenfalls nicht in die Hände des Feindes fallen“, entgegnete Ciaran ruhig, aber er war verwundert, das ausgerechnet Béarisean einen so unklugen Vorschlag machen sollte. „Genausowenig wie das meine. Wäre es anders, ich würde selbst versuchen, die Verhandlungen zu führen. Lord Tíogar soll Euch begleiten, Herr Estohar. Über Eure weitere Eskorte entscheidet selbst. Die besten Männer sollen Euch gehören, wenn Ihr danach fragt.“
„Ich werde alle sorgfältig auswählen“, sagte Estohar. „Wir brechen noch vor dem Morgengrauen auf.“
„Abhaileon wird Euch das nicht vergessen“, sagte Ciaran und verbeugte sich respektvoll.
Estohar nickte knapp als Anerkennung.
„Dann lasst uns dies hier zu Ende bringen“, sagte Béarisean. „Diese Nacht wird noch Arbeit genug mit sich bringen.“

Die ersten Sturmböen des herannahenden Unwetters fegten über den Platz, als Ciaran den Text des Corimac-Bündnisses verlesen lies. Als die letzten der Fürsten unterzeichneten, begann der Platzregen. Béarisean steckte das Dokument schnell in eine wasserdichte Hülle. Alle bis auf ihn und Ciaran verließen fluchtartig den Platz.
Der Regent blickte nach Nordosten, wo Carraig lag und weit dahinter auch Bailodia. Er breitete die Arme aus und rief: „Höre, Ríochan, Fürst von Alandas. Es ist mir verwehrt geblieben, dich im Namen aller Fürsten dieses Landes um Hilfe zu rufen. Aber sieh, wie knapp es gescheitert ist. Ich bitte dich uns beizustehen, so gut es uns möglich ist.“
Der Regen peitschte ihnen ins Gesicht und das Donnergrollen erstickte die meisten seiner Worte. Dennoch blieben sie beide dort eine Weile stehen.
„Lass uns ins Zelt gehen“, rief Béarisean schließlich über das Toben hinweg. „Uns bleibt immer noch genug zu tun.“
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Sie hatten es gewagt, ihm die Hände auf den Rücken zu fesseln. Gearaid konnte es immer noch nicht fassen. – Verrat nun auch auf Burg Asterne! Alain, Wilgos Verwalter, hatte noch einen Anschein an Formen gewahrt und ihm – nach seiner Festnahme – mit sichtbarer Verlegenheit und vielen Verbeugungen erklärt, dass er sich hierzu gezwungen sehe, wolle er eine völlige Zerstörung der Festung und den sinnlosen Tod der ihm Untergebenen verhindern.
„Verräter“, war das einzige, das Gearaid ihm kalt entgegnet hatte. Er würde sich rächen, sobald Renad zurück war, der Unterstützung aus dem Norden holen würde.
Alain führte selbst die Delegation an, die sich mit den Unterhändlern der Belagerer traf. Gearaid saß auf einem seiner besten Pferde, sein Schwertgürtel hing am Sattelknauf. Es war die einzige Waffe in dieser Gruppe, abgesehen von Alains Schwert. Einer der Unteroffiziere aus Asterne führte die Zügel von Gearaids Reittier. Die Gruppe ritt schweigend. Keiner wagte es, den ehemaligen Herrscher über Eannas anzusehen, die meisten hielten den Blick gesenkt. Nur Gearaid selbst saß kerzengerade den Blick stolz nach vorn gerichtet.

Kein frischer Morgen. Kein heller Mittag. Die Sonne stand schon relativ tief im Westen. Der Himmel war verhangen, und ein unangenehmer Wind zerrte in Böen an ihren Mänteln. Aber sie hatten keinen weiten Weg zurückzulegen.  Der Treffpunkt lag in Sichtweite von Burg Asterne. Dort wurden sie bereits erwartet. Die Rebellen trugen Überwürfe in den Farben von Eannas, um ihren Anspruch auf Rechtmäßigkeit zu unterstützen. Doch zur Unterscheidung von Gearaids Gefolgsleuten hatten diese zwanzig Reiter ein Band in Eisblau und Silber um den linken Oberarm gebunden. Eisblau und Silber. Auch Riam, der diese Bande anführte, trug es. Gearaid ballte vor Wut die Hände zur Faust. Die Farben verkündeten lauter als alles andere es vermocht hätte, wer hinter all dem stand.
„Lord Arcoir!“ Alain hatte sie Halt machen lassen. Er kannte Riam gut genug. Noch vor gar nicht langer Zeit war auch dieser auf Asterne aus und ein gegangen. „Asterne wird alle Bedingungen erfüllen, die der Bund an uns stellt. Dafür stehe ich als Verwalter von Asterne ein.“
„Ich bin ermächtigt, Euren Treueid auf den neuen Regenten von Abhaileon anzunehmen, Herr Alain“, entgegnete Riam von Arcoir kühl.
Alain senkte mit zusammengepressten Lippen den Kopf, schwang sich dann aber vom Pferd und warf die Zügel einem seiner Begleiter zu. Riam tat es ihm nach. Der Lord von Arcoir blickte so unentwegt nach vorn, dass es offensichtlich war, dass er versuchte den Blick seines ehemaligen Lehnsherren zu meiden. Mit unbewegter Miene wartete er ab, dass Alain vor ihn trat, sich auf ein Knie niederließ und ihm sein Schwert darbot, während er die Worte des Eides sprach.  Riam akzeptierte mit der Hand auf dem dargebotenen Schwertheft.

Grimm lag auf seinem Gesicht, als er dann aufblickte und sagte: „Nach Eurer Rückkehr auf Asterne werdet Ihr die Tore öffnen, Herr Alain! Lord Raleigh wird dort den Befehl übernehmen, bis Lord Orthaí eintrifft. Doch zuvor ist noch in anderer Sache Wiedergutmachung zu leisten. Es wurde Hochverrat gegenüber Abhaileon und dem Regenten begangen. Der Schuldige hielt sich auf Asterne auf. Übergebt ihn uns, Herr Alain!“
„Fürst Gearaid ...“, begann Alain zögernd.
„Es gibt keinen Fürsten dieses Namens“, unterbrach Riam harsch. „Gearaid von Escail ist des Hochverrates angeklagt. Liefert Ihr ihn aus?“
„Ich ... wir ... erfüllen alle uns gestellten Bedingungen“, zwang Alain sich zu sagen. „Der Fürst ... der ... er ist in Eurer Hand.“
Riam nickte knapp. Er winkte einem seiner Begleiter, die Zügel von Gearaids Pferd zu übernehmen. Er selbst vermied es weiterhin, auch nur die Augen in diese Richtung streifen zu lassen. Er stieg auf sein Pferd und ließ es in Richtung des Feldlagers des Bundes von Ecrin gehen, sobald er seinen Befehl ausgeführt sah. Alain und seine Begleiter hatten es eilig zurückzukehren. Sie gingen wortlos.

Gearaid sagte kalt: „Arcoir!“
Riam zuckte nicht zusammen, aber seine Haltung wurde sichtbar noch steifer. Dann ließ er sein Pferd etwas zurückfallen, bis er neben Gearaid ritt. Langsam wandte er ihm den Kopf zu. „Was wollt Ihr?“ fragte er neutral. „Meine Aufgabe ist es lediglich, Euch zum Kommandanten zu bringen.“
„Löst meine Fesseln!“ befahl Gearaid so kühl wie zuvor.
Riam starrte wieder nach vorn. „Ich bin Euch lange gefolgt“, sagte er abrupt. „Aber es ist vorbei. Mein Siegel ist auf der Proklamation, die Lassalle zum Fürsten erhebt.“ Er sah Gearaid doch noch an. „Ich kapitulierte um meines Vorteils willen“, er verzog den Mund, „doch seitdem habe ich gelernt, was es heißt einen Führer zu haben, dem ich folgen will.“ Er holte langsam und tief Luft. „Ich kann nicht sagen, dass es mir leid tut.“ Dann stieß er seinem Braunen die Fersen in die Flanken und setzte sich wieder an die Spitze der Reiter. Er behielt den Abstand bei, auch als sie das Zelt der Oberbefehlshaber des Bundes erreichten. Schweigend sah er zu, wie man Gearaid vom Pferd half und ihn ins Zelt führte.

Gearaid wusste, dass Lassalle nicht dort sein würde, aber er hatte zumindest Rensdal erwartet. Statt dessen standen Lesick und Raleigh mit ein paar Adjutanten über den Kartentisch gebeugt und diskutierten.
„Der Gefangene“, meldete der Leutnant, der ihn hineinbegleitete.
Rieken sah auf. „Kümmern Sie sich um Ihre Aufgaben, meine Herren“, sagte er ruhig. Er warf einen kurzen Blick auf Gearaids Schwert, das ihm gereicht wurde und befahl es sorgfältig wegzupacken. Die meisten der anderen Anwesenden gingen. Niedere Chargen, dachte Gearaid verächtlich, als er studierte, wer zurückblieb.
„Was jetzt?“ erkundigte Gearaid sich ironisch.
„Ihr werdet nach Escail eskortiert und dort vor Gericht gestellt“, sagte Rieken distanziert und korrekt.
„Warum lasst ihr mich nicht gleich hier ermorden, Verräter und Rebellen, die ihr allesamt seid?“ wollte Gearaid wissen.
„Wir könnten Euch hier den Prozess machen“, sagte Niko von Raleigh düster. Nun, er war schon immer groß in finsteren Blicken und Äußerungenen gewesen, dachte Gearaid „Fürst Arnim besteht darauf, dass wir uns mehr Umstände machen. Ihr werdet letztendlich nach Croinathír übrstellt werden.“
„Fürst Arnim“, stellte Gearaid spöttisch fest. „Lassalle hat wahrhaft keine Zeit verloren. – Wo ist Rensdal?“
„Ihr werdet ihn in Escaile sehen“, sagte Rieken. „Den Oberbefehl hier im Norden habe ich. – Fürst Arnim ist unser aller erste Wahl, um Eannas wieder zu Ehren zu bringen.“

Gearaid konnte nicht anders, er lachte laut auf. „Welche Farce!“ brachte er hervor. „Ehre! Zeit, ein paar Wahrheiten zu bringen. Du, Raleigh! Blau und Silber auch an deinem Ärmel? Vielleicht interessiert es dich zu wissen, was damals bei Craghain wirklich passiert ist.“
„Es ist mir bekannt“, sagte Niko mit verschränkten Armen aber nicht ohne Hitze in der Stimme. „Fürst Arnim teilte es mir zu Beginn des Edrinbündnisses mit.“
„Ach wirklich?“ fragte Gearaid spöttisch und ungläubig. „Hat er alles mir zugeschoben? In anderen Dingen hat er sich durchaus nicht so exakt an meine Befehle gehalten und Möglichkeiten gefunden, andere zu verschonen. Nicht damals. Er muss beträchtliche eigene Interessen gehabt haben, die beiden zum Schweigen zu bringen.“
Raleighs ohnehin schon dunkle Augen verdüsterten sich noch mehr. „Ich höre in der Tat Neues“, sagte er.
Gearaid lächelte, bis Lesick leise sagte: „Er erwähnte nie Euren Anteil daran. Er nahm es ganz auf sich.“
Ein grimmiges Lächeln war auf Raleighs Lippen getreten. Er zog langsam sein Schwert und setzte Gearaid die Spitze der Klinge auf die Brust. „Als ich das Eingeständnis von Lassalles Lippen hörte, verboten mein Eid an den Regenten und unsere Lage mir die direkte Rache. Ihr aber habt nach allen Gesetzen, denen wir folgen, den Tod verdient.“

Lesick sprach wieder ruhig. Seinem Tonfall nach war kein Schwert gezogen. „Zum Glück für Euch, Gearaid, widerspricht es unseren neuen Verpflichtungen, Selbstjustiz zu üben. Lord Raleigh und ich selbst haben uns entschieden, nach dem Beispiel Fürst Arnims unsere eigenen Belange zurückzustellen, um dem König besser zu dienen.“
„Lange Frist wird es Euch nicht verschaffen“, sagte Raleigh und steckte sein Schwert wieder ein. „Mein Bedauern, dass du mit diesem Abschaum reiten musst, Rieken. Ich ertrage ihn keinen Moment länger.“ Er verließ das Zelt.
„Dem König?“ wiederholte Gearaid höhnisch. „Hat Riam da draußen auch schon den Verstand verloren?“
Aber Rieken antwortete ihm nicht mehr. Er befahl, den Gefangenen sicher unterzubringen und gut zu bewachen.
„Ihr werdet alle noch bezahlen für das hier!“ schrie Gearaid in ohnmächtiger Wut, als er abgeführt wurde. „Carraig wird bald über Euch sein.“

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