Mittwoch, 7. September 2011

Kapitel 25.3


Es dunkelte schon, aber Patris hatte kein Licht entzündet. Er hatte die Beine auf dem Tisch und schaukelte mit verschränkten Armen auf der Hinterkante seines Stuhles. Nicht einmal den Wein hatte er angerührt, wie Akan bemerkte, als er ohne zu klopfen eintrat. Das war außergewöhnlich. Es war ein guter Wein.
„Ich sehe hier drinnen ausgezeichnet“, bemerkte Akan. „Bei dir bezweifle ich das.“
Patris sah ihn nicht an. „Ich sehe mehr ,als mir lieb ist“, sagte er. „Du also. Ich rechnete schon halb mit dem Fürsten selbst. Andererseits, so groß ist der Unterschied ja auch wieder nicht.“
Akan schwieg nur und betrachtete ihn. Patris fühlte den Sog dieses Blickes auf sich. Er ließ den Stuhl langsam auf alle vier seiner Beine kippen  und wandte ihm den Kopf zu. „Dimail versuchte dich nachzuahmen. Anfangs gelang es ihm einigermaßen. Aber jetzt hat er wohl die Nerven verloren.“

„Es wartet eine wirkliche Herausforderung auf dich“, sagte Akan ruhig. „Soweit ich es verstehe, hast du die Gelegenheit, die Fähigkeiten aller auf Carraig anwesenden Lords von Winian und des Fürsten selbst in einen Bann einzubinden.“
„Welche Ehre“, sagte Patris uninteressiert. „Den Fürsten selbst, deine Wenigkeit und die anderen. Wollt Ihr Abhaileon aus den Angeln heben?“
„Fast“, antwortete Akan. „Der Ritter, der das Rubinschwert trägt, muss Verrat begehen.“
Patris lachte ihm ins Gesicht. „Versucht es lieber mit Abhaileon!“ Er nahm die Beine vom Tisch. „Oder bringt ihn um. Ich habe gesehen, dass ihr ihn habt. Er sah nicht nach Verrat aus. Etwas angeschlagen schon. Aber rein wie klares Wasser.“
„Wenn es nach mir ginge“, sagte Akan gleichmütig, „würde er sterben. Seine Hoheit wünscht es anders. Und seine Hoheit wünscht, dass du den genannten Fluch wirkst.“

Patris sah dem Lord direkt in die Augen. Ob er selbst dabei etwas sah, war eher zweifelhaft. Es war schon sehr dunkel geworden. „Ich weiß zuviel, um das zu glauben“, sagte er einfach. „Eure Macht kann die Macht des Königs nicht brechen. Wenn der Ritter nicht zum Verrat bereit ist, könnt ihr ihn mit nichts dazu zwingen.“
„Er wird den Verrat begehen, ohne sich darüber klar zu sein, was er tut. Dennoch wird es seine Entscheidung sein.“
Patris antwortete eine ganze Zeit lang nichts. „Ihr seid allesamt widerwärtig“, erklärte er dann.
„Zu was macht das dich?“ fragte Akan.
„Das ist das Schlimmste dabei“, stimmte Patris zu. „Ich denke, mich ekelt zu sehr davor, als dass ich das jetzt mitmache.“ Er lächelte. „Vielleicht sollte ich das mit dem Sterben hinter mich bringen, bevor ich an mir selbst ersticke.“
„Selbst da du weißt, was dich erwartet?“ Patris zuckte nur die Schultern.

Akan verschränkte die Arme und studierte ihn. Minuten glitten lautlos vorüber. Die reine Logik legte eine Vermutung nahe. „Du bist dem Ritter begegnet, der sich Ciaran nennt“, stellte er schließlich fest. Patris antwortete nicht. Klug von ihm. Wer nicht sprach, verriet nichts. Nicht klug genug, um Akan zu täuschen. „Du kennst ihn aus der Zeit, als er sich an uns gebunden hatte, auch ohne es zu wollen, und du weißt, was er jetzt ist.“ Noch immer keine Reaktion. „Offensichtlich hegst du Sympathien für ihn. Von Hauptmann zu Hauptmann oder wie auch immer. Du hast von Lassalle gehört. Vielleicht erwogst du, dass es auch für dich eine Möglichkeit gibt, die Seite zu wechseln. Aber – du hast es nicht getan. Stattdessen bist du hierher gekommen.“
„Seitenwechsel“, meinte Patris nachlässig. „Ich bin nicht Lassalle. Ich denke, ich ziehe es vor, mein eigener Herr zu sein. Ich bin hierher gekommen, weil ich das hier hinter mich bringen muss. Meine Kündigung, sozusagen. Ich war niemals feige.“

„Du denkst, du erhältst einen Freibrief von der anderen Seite?“
„Es ist zumindest einen Versuch wert. Vielleicht. Und vielleicht gefällt es mir dann freiwillig dort besser. Wer weiß?“
Akan lachte leise. „Du weißt es auf jeden Fall nicht. Ich weiß mehr. – Nun, kommen wir also endlich zum Geschäft.“
„Keine Geschäfte mehr für mich“, erklärte Patris gleichgültig.
 „Dieses schon. Lass es mich dir erklären.“
„Ich höre.“ Patris betrachtete desinteressiert die Wand.
„Wenn du nicht einwilligst, stirbt der Ardaner notgedrungen sofort. Damit hat sein Schwert nichts mehr zu bedeuten. Wir werden dennoch die Übermacht behalten. Und wir werden die beiden anderen Ritter dabei finden. Lassen wir den Nachfahren Colins außer acht, er ist dir ohnehin gleichgültig. Aber dieser Ciaran hat sich durch einen Schwur an uns gebunden. Fíanael nahm ihn entgegen. Nur Barraid selbst hat das Recht ihn daraus zu entlassen. Warum sollte er das getan haben? Ein Schwert aus Alandas und das Siegel mag er tragen. Doch solange wir ein Recht auf ihn haben, wird es auf die Dauer sein Schwert zerbrechen und alles, was er wirkt, zu unseren Gunsten verkehren. Da du so auf ihn baust, sollst du Zeuge all dessen sein, was mit ihm noch geschehen wird. Wir werden viel Zeit haben, wenn Abhaileon erst einmal gefallen ist. Du sollst sehen, was aus ihm wird, bevor du deine Rechnung begleichen musst.“ Er machte eine Handbewegung und Funken tanzten auf dem Tisch zwischen ihnen: „Ich spreche wahr: ein Schwur, wie er ihn machte, führt unaufgehoben zu diesen Folgen.“ Er lächelte und ließ die Funken ersterben. „Du siehst, es ist wahr.“

Patris’ Blick war bitter geworden aber er schwieg. „Nun, mein Angebot“, fuhr Akan fort. „Du tust, was verlangt wird, bis hin zum Fall Abhaileons. Das wird sein, wenn der Ardaner dem Fürsten sein Rubinschwert zu Füßen legt. Wir geben dafür die Garantie, dass alle Schwüre, die dich und diesen Ciaran an uns binden, ab diesem Zeitpunkt nichtig sind und dass ihr frei seid zu gehen, wohin auch immer. Sogar seinen Siegelring mag er behalten. Wir verpflichten uns weiterhin, sollte er das wählen, ihn als Regenten Abhaileons anzuerkennen. Auch soll von unserer Seite kein bewusster Versuch gemacht werden, ihm oder dir an Leib und Leben zu schaden. Im Gegenteil, wir werden uns bemühen, ihn und dich unbeschadet zu halten. Der einzige Vorbehalt ist, dass weder er noch du unseren Plänen in Bezug auf das Rubinschwert direkt in den Weg kommen.“
Patris schwieg lange. In seinen Augen lag tiefer Hass und Abscheu. „Mit dem Siegel des Fürsten selbst“, sagte er dann gepresst. „Ich werde es gründlich prüfen, bevor ich zustimme.“
„Mit dem Siegel des Fürsten selbst“, bestätigte Akan. „Du wirst keinen Grund finden, es abzulehnen.“

Als Akan seinen Bericht beendet hatte, blitzten die Augen des Fürsten wie ein dunkles Wetterleuchten. „Er gibt uns also alles für nichts“, sagte er. „Und keine Scherereien mit ihm, bis er weiß, was er sich da erkauft hat.“
Ein Mundwinkel des Lords zuckte in einem angedeuteten Lächeln. „Ich würde es nicht darauf ankommen lassen, ihn unter Asrains Befehl zu stellen. Erendar verspricht nicht, auf seine Unverschämtheiten zu verzichten.“
Barraid schwieg kurz. „Wie steht es mit Ingro?“
„Er wird am Ende der zwei Wochen den von Euch geforderten Ansprüchen genügen. Voll ausgebildet wird er Asrik bei weitem übertreffen.“
Der Fürst nickte. „Du kannst ihn am Ende der zwei Wochen behalten. Sobald die Entscheidung in Abhaileon gefallen ist, bekommst du Asrik zurück. Und du darfst in Dankbarkeit für diese Großmut den Boden küssen.“
Akan kam dem Befehl ruhig nach, bevor er an seine anderen Arbeiten zurückkehrte. Er hatte fast acht Stunden verloren und war von keiner seiner Pflichten entbunden worden.

******

Robin wusste nichts von all dem. Isabells Auftauchen hatte ein wenig Licht in seine Trauer gebracht. Sie unterhielten sich viel. Manchmal konnte er darüber seinen inneren Schmerz vergessen, aber nur damit dieser wieder mit neuer Heftigkeit hervorbrach, wenn sie auf ein Gebiet kamen, über das er nicht sprechen konnte. Isabell begleitete ihn zum Kampftraining und war beeindruckt. „Du hast viel gelernt“, sagte sie.
„Ja“, stimmte Robin zu. „Nur zurzeit komme ich noch bei weitem nicht an das heran, was ich schon einmal beherrscht habe. Willst du es auch ausprobieren?“
„Nein“, sagte sie nach kurzem Überlegen, „ich glaube diese Schwerter sind mir zu schwer. Aber du wolltest doch einen Bogen für mich finden.“
„Wir werden Asrain danach fragen müssen“, sagte er.

„Asrain“, Isabell zögerte. „Du bist gern mit ihm zusammen?“
„Nein“, seufzte Robin. „Ich habe mich nur damit abgefunden, dass er nicht dazu zu bewegen ist, von meiner Seite zu weichen. Und da er dauernd darauf besteht, mir behilflich sein zu wollen, darf er ruhig auch einmal wirklich etwas tun, wenn ich es brauche.“
„Er ist widerlich“, erklärte Isabell.
„Entdeckst du doch noch eine Abneigung gegenüber den Winianern?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nur gegen ihn. Ich mag es nicht, wie er mich ansieht.“
„Vielleicht gefällst du ihm?“ schlug Robin vor.
Isabells Augen blitzten auf. „Ich finde das gar nicht witzig! Niemand hat ein Recht, mich so anzusehen.“
„Du siehst noch besser aus, wenn du wütend bist“, lachte Robin. „Ist ja gut. Ich werde mit ihm reden.“
„Wage es nicht!“ rief Isabell noch empörter. „Sonst bildet er sich noch ein, ich interessiere mich für ihn. Das wäre typisch.“
„Du scheinst Erfahrung zu haben“, bemerkte er.
„Das ist wohl kaum vermeidbar“, antwortete sie. „Selbst du meinst ja, ich sehe gut aus.“
„Selbst ich“, lachte Robin. „Was soll das denn heißen? Dass ich sonst für so etwas blind bin?“
„Nein, du Dummkopf! Dass ich deine Kusine bin. Fast eine Schwester.“ Aber sie lachte auch.

„Dieser Akan missfällt dir also nicht?“
„Er scheint ganz in Ordnung zu sein. Es war spannend, mit ihm zu reden. Er weiß unglaublich viel.“
„Ich habe ihn nur einmal gesehen bisher“, sagte Robin. „Er bot mir an, ein Instrument bei ihm auszuleihen. Das war kurz, nachdem er hier ankam. Aber irgendwie hatte ich eine Abneigung gegen ihn. Was ist mit den anderen?“
„Du bist ganz schön neugierig“, scherzte Isabell.
„Ich versuche nur, etwas zu verstehen“, wehrte Robin ab, „und das hat nichts mit dir zu tun.“
„Ach, dieser Lùg ist ein Schönling, und seine ständigen seltsamen Witze gehen mir auf die Nerven. Lillian kann ich  nicht ausstehen. Und sonst habe ich noch keinen von nahem gesehen.“
Robin blieb stehen. „Blond scheint nicht deine Farbe zu sein.“
„Ich glaube nicht, dass es an der Haarfarbe liegt“, meinte sie knapp.
„Ich frage mich, was du zu Ríochan gesagt hättest. Ich habe noch nie zuvor so goldene Haare gesehen.“
„Eine Art Märchenprinz?“
„Das trifft es nicht“, sagte Robin nachdenklich. „Von unglaublicher Schönheit. Aber zugleich war auch etwas Erschreckendes darin. Nein, ich glaube, das ist das falsche Wort. Etwas Unirdisches, das es unmöglich machte zu vergessen, dass er anders ist.“
„Ich dachte, du erinnerst dich kaum noch an diese Dinge.“
„An manches schon“, murmelte Robin.

Es war seltsam. Er hatte diesen Gedanken noch nie verfolgt, seit Asrain die Verdächtigungen damals geäußert hatte.  Unirdisch hatte er gerade jetzt gesagt. Vielleicht war es auch eine Art Unnahbarkeit gewesen. Was wenn all die Freundlichkeit wirklich nur eine Maske gewesen war, um sein Vertrauen zu gewinnen? Er dachte schon mehrere Sekunden darüber nach, bevor er sich darüber klar wurde. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Ríochan diente dem König, er verbrachte Tage und Nächte dort in der Säulenhalle, um mit ihm zu sprechen ... Wusste er das wirklich? Es war ihm gesagt worden. Das wenige, das er gesehen hatte, konnte ihm auch nur vorgespielt worden sein.
Aber nein, ihre Schwerter auf dem Gras, als sie niederknieten und Hibhgawl eifrig seine Nase zwischen sie schob ... Doch Hibhgawl war nur ein Traum gewesen, dann vielleicht auch der Rest der Erinnerung? Er fühlte sich wie schwindlig und griff sich an die Stirn.
„Was ist das?“ sagte er.
„Was ist mit dir?“ rief Isabell. Als er wieder klar sah, hatte sie ihn fest gepackt und sah besorgt zu ihm auf. „Du sahst aus, als würdest du ohnmächtig“, sagte sie dann erleichtert, „aber jetzt scheint es wieder besser zu sein.“

******

Patris stand der Schweiß auf der Stirn. Nicht nur auf der Stirn. Jeder Faden seiner Kleidung klebte ihm am Leib. Der Schweiß schien aus jeder Pore zu rinnen und brannte ihm in den Augen. Er konnte ihn nicht wegwischen. Müdigkeit und Erschöpfung wollten ihn überwältigen. Es schien, als schmerzte jeder Muskel, doch er musste bis zum Ende durchhalten. Noch nie hatte er mit derartigen Mächten gearbeitet. Der Zauber war ungeheuer komplex und verlangte enorme Aufmerksamkeit. Wie ein Spinnennetz fing er an sich durch die ganze riesige Festung zu weben und fand schließlich sein wichtigstes Ziel, grub sich in es und würde es nicht mehr verlassen, solange es sich in der Festung aufhielt. Er war sich nicht sicher. Vielleicht würde es auch noch außerhalb der Burg wirken, so machtvoll, wie es war. Die Worte waren ihm vorgegeben worden. Er selbst verstand nur Bruchstücke davon.
„Es ist getan“, sagte er angestrengt. Barraids gewaltige Gegenwart schüttelte seine Berührung ab wie eine lästige Fliege. Patris schwankte von der Erschütterung. Die Lords lösten sich einer nach dem anderen achtlos aus der Verbindung. Nur Akan wartete bis zum Schluss und entzog sich ihm langsam. Keine Freundlichkeit, das wusste Patris nur zu gut, sondern er wurde noch zu mehr gebraucht. Es war immer noch schlimm genug, dass er in die Knie brach. Mühsam stützte er sich auf die Hände und blickte auf; er konnte immer noch etwas von dem sehen, was er da entfesselt hatte, aber bald würde die Wahrnehmung vergehen. Besser so. Er fühlte Bedauern für den Ritter, der diesem da nun ausgeliefert war. „Kann ich jetzt gehen?“ flüsterte er.
„Deine Arbeit ist für das erste getan“, stimmte Barraid zu. „Lùg bring ihn, wohin er will!“
Der hellhaarige Winianer half ihm auf die Beine. Patris wollte nur zurück auf seine Zimmer. Lùg musste ihn den ganzen Weg mehr tragen als stützen. Er half ihm aufs Bett und brachte ihm Wasser. „Sonst noch etwas, das ich tun kann?“ fragte er durchaus höflich.
„Nur Schlaf“, stieß  Patris hervor. „Geh!“
Lùg nickte. „Das könnte jetzt schwierig sein ganz ohne Hilfe. Es war keine schlechte Arbeit für einen wie dich“, sagte er und berührte ihn an der Stirn. Patris versank sofort in tiefer Bewusstlosigkeit.
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