Samstag, 10. September 2011

Kapitel 27.3


Sie erreichten den Rastplatz, und Dorban war erleichtert, dass das alle Gespräche zunächst beendete. Die Fürstin von Imreach nahm Béarisean mit sich, während Fürst Ludovik Anweisungen erteilte, den Lord von Tairg mit allem zu versorgen, was er wünschen konnte. Es war mehr als angenehm, wieder standesgemäße Kleidung zu tragen. Und ganz besonders, endlich wieder ein Schwert an der Seite zu fühlen. Das Essen, das sie dann teilten, war in keiner Beziehung extravagant. Doch die einfachsten Dauerwaren erschienen wie Luxusartikel nach den langen Wochen in der Wildnis; der Wein brannte fast wie Feuer beim ersten Schluck.
Dorban fühlte den Blick des Regenten des öfteren auf sich. Der Ritter sprach wenig an diesem Abend, aber seine stahlblauen Augen waren scharf und forschend. Sie beunruhigten Dorban. Er fragte sich, ob hier über sein Schicksal befunden wurde. Der Regent hatte ihn vorhin so gut wie freigesprochen für seine Rolle bei Barraids Etablierung in Abhaileon. Doch so gut wie war noch kein sicher. Und er hatte da einiges an Verantwortung auf sich geladen.
Der andere Dalinianer war so anders als er selbst! Überrascht stellte er irgendwann fest, dass auch sein Blick immer wieder zu ihm hinwanderte, rätselnd, misstrauisch, ein wenig verbittert, dass er den Fürstenthron an diesen Mann verlieren würde.

„Ihr seid sehr ernst und ruhig“, bemerkte er schließlich.
Ein leises Lächeln glitt auf das Gesicht des Ritters, funkelte in seinen Augen. „Es ist nur die Verantwortung“, sagte er. „Noch vor wenigen Monaten wurde mir gesagt, ich sei zu sprunghaft und hitzig.“
Fürst Ludovik schüttelte langsam den Kopf. „Ich weiß nicht, wer das behauptete. Aber ich sah Herrn Ciaran dort in Croinathír. Er fiel mir auf durch seine Disziplin, seinen Verstand und seine Zuverlässigkeit.“
Das Licht in den stahlblauen Augen vertiefte sich. „Die Tadel bezogen sich nie auf meinen Dienst“, sagte er ruhig. „Doch jetzt kenne ich nur noch Dienst. Ich habe ein Wort zu halten, das mir alles bedeutet.“
Dorban schüttelte den Kopf. „Ihr seid Regent“, wandte er ein. „Euer Wort ist Gesetz in Abhaileon. Das ist Macht.“
„Ich weiß gut, was für eine Macht das beinhaltet“, stimmte Ciaran zu. „Ich habe sie oft genug eingesetzt auf dem Weg bis hierher. Aber sie gehört nicht wirklich mir.“
„Wem sonst?“ wollte Dorban wissen.
„Das ist eine Antwort, die Ihr selbst finden müsst“, entgegnete der Ritter. „Es könnte sehr wichtig für Euch sein.“

Dorban war zunächst verärgert. Er wollte klare Auskünfte. Andererseits hatte Béarisean nie mit klaren Auskünften gespart, und es hatte ihm genauso wenig gefallen. „Manchmal wünsche ich mir wirklich, Ritter Anno wäre hier bei uns“, murmelte er.
„Erzählt mir von ihm“, forderte der Regent ihn auf. „Ich traf ihn nur sehr kurz, und würde gerne mehr über ihn wissen.“
„Ja, erzählt es uns“, stimmte Ludovik ein. „Wir werden leider nicht allzu viel von Herrn Béarisean sehen in den Tagen bis Corimac, wie ich vermute. Erzählt, wer der Ritter ist, der das Rubinschwert trägt!“
„Er ist Ardaner“, begann Dorban. „Doch das wisst Ihr. Als ich ihm begegnete, beachtete ich ihn wenig. Ich konnte nicht glauben, dass er wirklich ein Ritter war. Er hatte eine Harfe dabei, und meine Männer rissen sich darum, ihn singen zu hören. Er lachte viel, sang viel und schien nichts so ganz ernst zu nehmen, und es war ganz offensichtlich Herr Béarisean, der das Kommando zu haben schien unter beiden. Ich dachte, er sei so eine Art Gaukler, bis zu dem Augenblick, als er es bei Gleann Fhírinne ablehnte, Waffen anzunehmen, um sich dem Drachen dort zu stellen. Er machte irgendeinen Witz, dass er dem Ungeheuer genauso gut etwas vorspielen könne und ging.“ Er schüttelte den Kopf, wie so oft, wenn er an einen der Ritter dachte.
„Wie gesagt, traf er selten Entscheidungen. Doch wenn er es tat, war es Lord Béarisean, der ihm folgte. Auch später. Beide halfen mir am Uibhnefenn, den Verfolgern zu entkommen, die Barraid auf mich angesetzt hatte. Es war damals, dass ich Herrn Anno zuerst kämpfen sah und begriff, dass er ein Krieger ist unter all der leichten Art, die er nach außen hin zeigte.“
„Er hatte ein Licht in seinen Augen“, sagte Ciaran leise. „Es machte Dunkelheiten hell.“

Dorban betrachtete ihn stirnrunzelnd. „Mag sein“, gab er dann schließlich zu. „Es war manchmal, als halte er all das Dunkle für unvorstellbar. Oft schien es dadurch unwirklicher zu werden. Ich frage mich, was aus ihm geworden ist, dort auf der Ostheide.“
„Das war im Winter“, sagte Ciaran sich noch einmal vergewissernd. Dorban nickte. Der Ritter fuhr fort. „Ich habe darüber nachgedacht, nachdem Béarisean mir von den Ereignissen auf der Ostheide erzählte. Was auch immer geschehen ist, ich glaube, er ist noch am Leben. Denn ich bin mir sicher, Fürst Ríochan hätte es gewusst, wäre er tot, als ich ihn in diesem Frühjahr sprach.“
„Das solltet Ihr Herrn Béarisean bald möglichst mitteilen“, sagte Dorban. Ciaran nickte. „Was sonst sagte der Fürst von Alandas?“

Er hätte sich diese Frage auch sparen können. An sachlichen Informationen erhielt er daraufhin fast nichts. Stattdessen führten der Regent und der Fürst von Ruandor ein ausgesprochen animiertes Gespräch über den Fürsten von Alandas, dessen wirklicher Inhalt dem Lord von Tairg ein Rätsel blieb. Es ging um Licht und Sommer und andere unwesentliche Dinge. Sie sprachen immer noch darüber, als Dorban sich verabschiedete und bald darauf  den Luxus mehrerer weicher Decken genoss. Es blieben noch Abende genug, an denen er Gespräche an den Lagerfeuern führen konnte. Diese erste Nacht in Sicherheit wollte er einfach in Frieden schlafen, etwas, das er seit dem Fenn der Uibhne nicht mehr gekannt hat. Die dortigen Alpträume waren nur abgelöst worden von halb durchwachten Nächten voller Bedrohung, Kälte oder Schmerzen. Sicherheit und Wärme hatte es lange nicht gegeben. Der Wein tat nach langen Monaten der Abstinenz sein Übriges; er schlief tief und traumlos.

Ciaran erwachte wie meistens früh, als der größte Teil des Lagers noch schlief. Er flüsterte einen Segen für Ludovik, der dafür gesorgt hatte, dass er ein eigenes Zelt hatte. Inmitten dieser Armee, die an die zwanzigtausend Bewaffnete zählte, wäre es sonst kaum möglich gewesen, auch nur ein paar Minuten für sich zu bleiben, und er zog es einfach vor, allein zu sein, wenn er zu dem König sprach. Er hatte es klar gemacht, dass niemand, auch kein Diener, Zutritt hatte, bevor er das Zelt verließ. Die Wache, die Ludovik ihm zugeteilt hatte, sorgte dafür, dass das Gebot nicht durchbrochen wurde. Diese kurze Zeit allein wurde ihm immer lebenswichtiger. Sobald er hinausging, hatte er kaum noch eine Minute, in der er seine Aufmerksamkeit nicht der einen oder anderen Sache zuwenden musste. Dabei gab es immer mehr, über das er nachdenken musste.
Er nahm sich auch etwas Zeit, um sich danach um Doitean zu kümmern. Der Hengst hatte nun einen eigenen Pfleger, mit dem er sich ganz gut angefreundet hatte. Doch Ciaran legte Wert darauf, Orlas Freundschaft zu ehren, indem er das Pferd nicht nur diesem überließ. Der Fuchs schätzte es sehr, morgens von ihm selbst gestriegelt zu werden. Er wartete an jedem Tag schon mit aufmerksam gespitzten Ohren darauf, ihn aus seinem Zelt treten zu sehen. Als er an diesem Morgen zum Abschluss die Mähne des Tieres gekämmt hatte und der Bursche anfing, den Hengst zu satteln, sah er auf und bemerkte in der Nähe den Lord von Tairg, der ihn mit einem seltsamen Blick betrachtete. Er ging zu ihm hinüber.

„Livin hatte Haar von gleicher Farbe“, sagte Dorban unvermittelt, als er ihn erreichte. „Ich musste schon stets daran denken, wenn ich den Fuchs sah. Sie trug es meist nur locker zusammengebunden. Ich sah es oft vom Wind zerzaust, besonders als sie noch ein Kind war.“
„Lord Orlas Tochter?“ fragte Ciaran behutsam.
Der Lord nickte. „Sie war meine Frau.  Aber meist denke ich an sie als Orlas Tochter. Orla sprach immer mit solchem Stolz von ihr. Schon als sie noch ein Kind war.“
„Er muss Euch sehr geschätzt haben, dass er sie Euch zur Frau gab.“
„Das war wohl so“, Dorban hatte immer noch diesen eigenartigen Ausdruck im Gesicht. „Doch bis ich angefangen hatte zu lernen, sie wirklich zu schätzen, verlor ich sie. Sie war so vertrauensvoll zu mir, wie ich es jetzt mit Euch und dem Fuchs sah. Aber ich habe mich nie so um sie bemüht. Ich betrachtete es anfangs mehr als Ärgernis, verheiratet zu sein, statt jede Freiheit zu haben. Ich nahm sie hauptsächlich, weil mir an Orlas Unterstützung lag.“
Er senkte den Blick und schloss: „Ich trauerte, als ich sie verlor. Doch erst heute beginne ich, die Tiefe meines Verlusts wirklich zu begreifen.“ Er wandte sich ab und ging.
Es war offensichtlich, dass er sich nicht weiter unterhalten wollte.

Ciaran ging zu Doitean zurück und schwang sich in den Sattel. Er fand Béarisean bei Fürstin Halis und ließ sich zum Frühstück mit einladen. Es gab dort wie üblich einen einfachen Brei aus Getreidekörnern mit Gewürzen aus Imreach. Der Lord von Sliabh Eoghaí hatte sein Erscheinungsbild sehr verändert. In Blau, Weiß und Silber und mit dem nun offen getragenen Brustpanzer sowie dem ohnehin prachtvollen Schwert mit den Einlegearbeiten sah er sehr wie ein Herrscher aus.
Ciaran erzählte gleich von seiner Vermutung bezüglich des Ritters aus Arda. Béarisean nickte. „Fürst Ríochan hätte es sicher gewusst, wenn er nicht mehr lebte“, stimmte er zu. „Dennoch. Es mindert meine Sorge nicht. Wäre er nach Dalinie gekommen, hättet Ihr dort in Daliní sicherlich das eine oder andere Gerücht über ihn gehört. Vor Wintereinbruch konnte er allenfalls noch Cruagh oder Fuacht erreichen.“
„Es ist sicher, dass das nicht der Fall war“, sagte Ciaran.
„Dann gibt es nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder geriet auch er irgendwie nach Arda. Etwas, das ich kaum für möglich halte. Oder er ist in der Hand des Feindes.“

Ciaran fühlte, wie ihm bereits bei dem Gedanken daran kalt wurde. „Fíanael hätte auch mich einfach töten lassen können dort in Arrin“, sagte er. „Ich war damals noch kein Ritter des Königs, aber er wollte mich lebend auf Carraig.“
Béarisean nickte. „Auch ich und Ritter Anno hätten unsere Schwerter nie gesehen, hätte Barraid einfach unseren Tod um jeden Preis gewollt. Das Logischste wäre gewesen, uns beim ersten Verdacht sofort beseitigen zu lassen. Aber er hatte irgendwelche anderen Pläne. Er versuchte, uns für sich einzunehmen. Dorban hatte er überzeugt mit seinen angeblichen Absichten. Es war nicht unplausibel dargelegt. Mich konnte es nicht täuschen. Aber Ritter Anno schwankte etwas. Es schien ihm nicht unlogisch.“ Er seufzte. „Es gibt Dinge, die für Ardaner schwer zu sehen und zu verstehen sind. Erst als wir nach Alandas kamen, änderte er seine Meinung. Ich war mir nie ganz sicher, was ihn überzeugte. Ich kann nicht ausschließen, dass es letztendlich der Rappe war.“
„Ein Pferd?“ sagte Ciaran. Er dachte an ein schwarzes Pferd, schöner als jedes andere, das er je gesehen hatte.
„Kein gewöhnliches“, sagte Béarisean. „Und offensichtlich ein sehr begehrtes. Barraid selbst will es um jeden Preis, und es hieß, er müsse es wohl zurückerhalten.“
„Ein Preis, der in diesem Krieg gezahlt werden muss“, sagte Ciaran leise. „Er ist gezahlt worden.“ Und er hatte eine Vermutung für was.
Béarisean nickte. „Robin – Anno – liebte dieses Pferd, und es liebte ihn. Nun, ob es der Rappe oder Ríochan selbst war, Anno hatte danach keine Zweifel mehr, wer Barraid war und er schien mehr über ihn zu wissen, als ich selbst. Es machte ihn sehr besorgt, dass er ihm noch im Kampf gegenüber stehen sollte, wie es die Prophezeiung verlangt.“
„Was wusste er?“
„Weder Fürst Ríochan noch Anno wollten darüber sprechen, so ließ ich alle Fragen. Mein eigener Auftrag beschäftigte mich auch mehr als genug.“

„Ihr meint also, Ritter Anno könne jetzt als Gefangener auf Cardolan oder Carraig sein?“ erkundigte sich Fürstin Halis.
„Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit“, antwortete Béarisean bedrückt. „Ich hoffe sehr, dass es ein Irrtum ist. Denn was sollte man dort wollen mit einem lebenden Ritter des Königs, der doch nur eine Bedrohung für alles, was dort ist, darstellen kann?“
Es gab eine Antwort. Sie war so dunkel und kalt, dass selbst ihre Gedanken versuchten, ihr auszuweichen.
„Niemand trägt das Rubinschwert ohne Grund“, sagte Halis. „Seine Treue muss groß sein. Mharig trug es. Er hatte alles aufgegeben, um sein Wort nicht zu brechen.“
„Der höchste Preis“, sagte Ciaran, „die höchste Verantwortung, die höchste Vollmacht.“
„Wie hoch?“ fragte Béarisean.
„Mharig war sich nicht ganz sicher“, antwortete Halis. „Er schrieb, Fürst Ríochan habe gesagt, dass wer diese Schwerter trüge an Rang ihm gleich oder überlegen sei und dass mit diesen Schwertern sogar Alandas Schaden zugefügt werden könne. Es heißt sogar, Fürst Ríochan zögerte, Elianna von Saldyr ihr Schwert zu geben, da die Gefahr bestand, sie könne es für den Feind einsetzen.“
„Das Saphirschwert“, sagte Béarisean betroffen. „Ich habe es Fürst Ríochan zugeschworen.“ Er legte schützend die Hand um das Heft. „Aber könnte der Gegner nicht einfach die Schwerter an sich zu bringen versuchen?“
„Er hätte wenig davon“, sagte Ciaran. „Weder Schwert noch Träger sind für sich bedeutungsvoll.“ Er schauderte. „Ich wollte nicht dort auf Carraig sein. Es ist so leicht, einen Fehler zu machen, der viele andere nach sich zieht.“
Béarisean nickte düster. „Ich begreife nicht, wie eine Lüge Halt finden sollte, nach dem was wir in Bailodia sahen und erlebten. Und vielleicht sollten wir dankbar sein, dass der Feind es dennoch glaubt, sonst wäre Anno bereits nicht mehr am Leben, doch sein Lage muss schlimm sein.“
„Elianna ritt lange mit dem Feind“, versuchte Halis zu trösten. „Sie entging ihm sehr überraschend. Herr Anno ist nicht freiwillig dort, falls er überhaupt in Carraig ist.“
„Wir wollen hoffen“, stimmte Béarisean zu.
Ciaran sagte nichts mehr, doch er dachte an Ríochans Worte, dass der Weg durch das Zentrum der Dunkelheit ging.
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