Mittwoch, 7. September 2011

Kapitel 25.4


Lùg kehrte zurück. „Er schläft.“
„Es ist an der Zeit“, sagte Barraid. „Asrain!“
Der Lord lächelte grimmig und eilte hinaus. Er brauchte nicht lange, um die beiden Ardaner zu finden. Der Ritter saß mit zurückgelehntem Kopf und geschlossenen Augen in einer der Fensteröffnungen, die auf den Außenhof hinaus gingen. Seine Kusine stand besorgt neben ihm. „Ihm ist nicht gut“, sagte sie.
„Es geht schon“, sagte der Ritter und öffnete die Augen. „Es war eine Art Schwächeanfall. Nichts Schlimmes. Ich musste mich nur setzen. Es ist schon vorüber.“
„Seid Ihr sicher? Fürst Barraid schickt nach Euch. Es wäre ärgerlich, ihm ausrichten zu müssen, dass Ihr verhindert seid. Dennoch, Euer Wohl geht vor.“
Robin stand auf, um seine Worte zu bekräftigen. Da war immer noch ein seltsames Gefühl, das er nicht richtig einordnen konnte, aber der Kreislauf schien wieder vollkommen in Ordnung zu sein. „Der Fürst? Warum auf einmal?“
„Es hat sich Wichtiges ergeben. Wir können die Entscheidungen erst treffen, wenn Ihr dabei seid.“
Robin lachte. „Seid wann fragt Ihr nach meiner Meinung bei Euren Entscheidungen.“
Asrain blickte ernst. „Bisher wurden noch keine Entscheidungen über Abhaileon getroffen. Jetzt ist es nötig. Ihr wisst, Euer Schwert ...“
„Wir werden sehen“, antwortete Robin neutral.

Isabell wollte sie allein lassen, aber der Lord hielt sie zurück. „Ihr könnt auch mitkommen, Lady Isabell. Falls es Euer Wunsch ist.“
„Ja. Gerne“, sagte sie überrascht. „Aber ich habe kein bedeutendes Schwert.“
„Nicht nur Schwerter haben hier Bedeutung“, sagte der Lord. „Auch Ihr seid wichtig für Abhaileon. Ich dachte, Ihr wüsstet davon.“
„Nicht wirklich“, sagte Isabell vorsichtig. „Könnt Ihr es mir näher erklären?“ Insgeheim hoffte sie, dass es etwas mit Elianna und ihrer Bedeutung für Abhaileon zu tun hatte.
„Vielleicht wird es bei der Besprechung erwähnt“, antwortete Asrain. „Ansonsten erzähle ich es Euch später gerne. Nur sollten wir jetzt den Fürsten nicht warten lassen.“

Sie eilten durch viele Gänge in einen Teil der Burg, den Robin noch nie zuvor betreten hatte. „Die Zimmer des Fürsten“, erklärte Asrain auf seine Frage hin. „Das Treffen ist in seinem privaten Arbeitszimmer.“ Die Tür, die er öffnete, führte in einen hell möblierten Raum mit hohen Fenstern an zwei Wänden. Etwas abseits der Mitte, im Winkel zwischen den zwei Wänden mit Fenstern stand ein Tisch. Akan, Lùg und Dimail saßen bereits daran. Fíanael stand an einer der blinden Wände. Er hatte allen den Rücken zugewandt und schien ein Detail in einem der Bilder, einer Moorlandschaft, intensiv zu studieren. Obwohl er das Gesicht abgewandt hatte, fiel Robin sofort auf, dass er anders als sonst wirkte. Die elegante Geschmeidigkeit der Bewegungen fehlte, die Haltung war weniger stolz und selbstsicher als sonst. War er krank? Dennoch war immer noch eine Aura von Gefahr und Bedrohung um ihn.
Der Fürst hatte ihnen auch den Rücken zugewandt. Er stand an einem der Fenster und blickte nach Südwesten über die weiten Ebenen dort. Von hinten gesehen wirkte er sehr schlank in seiner schwarzen Kleidung. Seine guten Proportionen verbargen, dass er mehr als mittelgroß war. Robin bemerkte zum ersten Mal, dass in den nicht sehr langen dunklen Haaren ein Ansatz von Locken zu sehen war. Es bestand tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Ríochan.
Schon wieder wollten seine Gedanken aus irgendeinem Grund zu jenem Gespräch mit Asrain über Alandas gleiten. Der Fürst drehte sich um, als Asrain an ihn herantrat. Wirklich, die Gesichtszüge der beiden Fürsten hatten eine Ähnlichkeit, nur dass die Farbe der Augen so vollkommen anders war. Statt einem Blau wie ein strahlender Frühsommerhimmel war da bei Barraid das Dunkel einer sternenglänzenden Nacht.  Man versank darin und tauchte man wieder daraus auf, war es unmöglich, etwas anderes aus dem Gesicht zurück ins Gedächtnis zu rufen als diese Augen.

Mit einer leichten Handbewegung forderte der Fürst sie auf, Platz zu nehmen. Er selbst ließ sich auf einem Sessel am Kopfende des Tisches zwischen den Fenstern nieder. Irgendwie ergab es sich, dass Robin ihm genau gegenüber saß. Auch Fíanael nahm endlich Platz. Seine Bewegungen waren ungewöhnlich steif. Die Gesichtsfarbe wirkte eher graubleich. Den dunklen Ringen unter seinen Augen nach, hatte er auch nicht viel geschlafen in den letzten Tagen.
Isabell setzte sich rechts neben Robin. Damit saß sie Akan gegenüber, der ihr ein flüchtiges aber freundliches Lächeln schenkte, bevor er sich aufmerksam dem Fürsten zuwandte. Neben ihr saß Fíanael. Sie achtete darauf, dass ihr Stuhl nicht zu nahe an dem seinen stand. Er war unheimlich, schien es ihr.
Barraid blickte Robin an: „Bevor wir Entscheidungen treffen können, schulden wir Euch ein paar Erklärungen, Herr Anno.“

Robin blickte ihn reserviert und abwartend an. Unwillkürlich berührte er das Heft des Schwertes an seiner Seite mit einer Seite der linken Hand. Er bezweifelte, dass die Bewegung für die anderen wahrnehmbar war. Da der Fürst auf eine Antwort zu warten schien, sprach er schließlich widerstrebend. „Lord Asrain hat mir bereits zahlreiche Erklärungen gegeben.“
Der Fürst lächelte flüchtig. „Es scheint, Ihr habt ihm nie ganz Glauben schenken wollen.“
„Das ist richtig“. Robin wich seinem Blick nicht aus. „Wie sollte ich das auch? Zwischen Euch und dem König, dem ich diene, ist kein Frieden.“
„Sollte Asrain das gesagt haben?“ erkundigte sich Barraid höflich.
„Nein, mein Fürst“, protestierte der Lord sofort. „Als wir darauf zu sprechen kamen, sagte ich nur, dass wir das in Winian alles ein wenig anders sehen. Außerdem wies ich Herrn Anno darauf  hin, dass gerade sein Schwert, da es durch den König selbst gegeben ist, in keiner Weise Alandas oder vergleichbaren Mächten untersteht.“
„Vielleicht ist es an der Zeit, gerade diese Frage zu klären“, sagte Barraid ruhig. „Meine Lords, was habt Ihr dazu zu sagen?“
Akan lächelte glatt. „Wie Asrain schon sagte, hier in Abhaileon ist es unmöglich zu ignorieren, dass der König selbst Regeln vorgegeben hat, die wir nicht brechen können. Jedenfalls nicht ohne größte Unannehmlichkeiten.“
„Ich kann anmerken, dass es durchaus auch einige Unannehmlichkeiten mit sich bringt, sich an diese Regeln zu halten“, warf Lùg ein. „Aber ich kann behaupten, dass wir es bisher weitgehend getan haben.“
„Worauf ich höchsten Wert lege“, bemerkte der Fürst sanft.
„Aber das ist gar nicht die Frage“, wandte Robin ein. „Es gibt Gründe genug Regeln zu halten, ohne dass ...“ Er hatte Schwierigkeit den richtigen Ausdruck zu finden für das, was er in sich spürte. Seine Hand schloss sich fester um den Schwertgriff. „Die einzig relevante Frage ist, ob Ihr ihm dient.“ Er holte tief Luft. „Dies ist die Frage, die ich jedem Einzelnen hier stelle: Dienst du dem König? Schwört es auf dem Schwert, das ich trage und ich werde anfangen, Euch zu glauben.“

Asrain machte eine Bewegung, als wolle er aufstehen. Er murmelte etwas, das weder Robin noch Isabell hörten.
Barraid verstand es. „Ich werde Erendar auf der Stelle den Hals umdrehen!“ Der Fürst legte eine Hand auf die des Lords und dieser erstarrte in der halben Bewegung, bevor er wieder seine alte Stellung einnahm.
„Und wie wolltet Ihr wissen, dass es keine Lüge wäre, was immer wir beschwören würden?“ erkundigte Dimail sich.
Akan, der alles amüsiert beobachtet hatte, warf einen Blick auf den Fürsten: „Wünscht Ihr, dass ich unserem Gast erkläre, was er gerade vorgeschlagen hat?“
„Tut es, Lord Akan!“ gab Barraid seine Einwilligung.
„Nun, Herr Anno“, begann Akan. „Ich bin mir nicht ganz sicher, was Ihr uns Lords von Winian und seiner Hoheit selbst eigentlich unterstellt. Eure bisherigen Andeutungen waren wohl immer recht vage, wenn auch von einer gewissen Feindseligkeit durchdrungen. Aber gerade habt Ihr ein Angebot gemacht, das uns – vorausgesetzt wir wären Euch so feind, wie Ihr es manchmal erscheinen lasst – alles in die Hand geben könnte, was wir begehren. Wir dachten, Ihr hättet verstanden, welche Bedeutung Euer Schwert hat.“
„Lord Asrain sagte, es gebe mir Autorität, über das Schicksal ganz Abhaileons zu entscheiden.“
Akan nickte. „Das tut es. Alles, was der Fürst jetzt tun müsste, wäre Euch aufzufordern, ihm Euer Schwert zu reichen. Ob er nun den Schwur leisten würde oder nicht. Ihr hättet es ihm übergeben. Ihr versteht?“
„Nein“, sagte Robin zögernd. „Es wurde mir doch auch in Cardolan genommen. Meine Kusine hatte es in der Hand, als ich es ihr zeigte.“

Akans Stimme zeigte äußerste Geduld. „In Cardolan wurde Euch Euer Schwert genommen, Ihr habt es nicht übergeben. Und Eure Kusine ist eine äußerst faszinierende junge Dame, aber sie ist weder Fürst von Winian noch Fürst von Alandas. Winian und Alandas stehen beide bereit Anspruch darauf zu erheben. Beide können alte und neue Rechte geltend machen. Aber Ihr werdet entscheiden, wer das Recht hat, über Abhaileon zu herrschen und dem derzeitigen Zustand ein Ende zu setzen. Legt Ihr Euer Schwert in die Hände des Fürsten von Winian ist eine schwerwiegende Entscheidung gefallen.“
Robin sah verwirrt aus. „Bearisean legte sein Schwert in Fürst Ríochans Hände, als er schwor, seinen Auftrag auszuführen“, sagte er wie in Trance. „Ich versprach ihm nur in seine Hände, den Kampf gegen ...“ Er verstummte.
„Den Kampf gegen mich aufzunehmen?“ vollendete Barraid behutsam. „Das sähe ihm durchaus ähnlich. Du hast möglicherweise gehört, dass die Feindschaft zwischen uns alt ist und tief geht.“

Robin fühlte sich wie mit dem Rücken zur Wand. Es war unsinnig. Keiner der Lords blickte ihn auch nur direkt an. Lediglich Barraid sah ihm in die Augen. Doch er fühlte sich, als wolle ihn etwas ersticken und die einzige Möglichkeit, dem zu entkommen, sei, sein Schwert herauszureißen und den Kampf aufzunehmen. Eine vollkommen irrationale Tat in seiner derzeitigen Situation.
Seine Gedanken irrten umher, durchsuchten seine Erinnerung nach Argumenten. Etwas in ihm schrie wie am Ersticken, dass er diese Argumentation nicht verlieren durfte, dass dies alles nur Schein war und die Wahrheit verschleiert wurde. Seine Augen und sein Verstand nahmen anderes wahr. „Fürst Ríochan ist ein treuer Diener des Königs“, sagte er. „Ríochan von Alandas ist ...“ Er suchte nach Worten, schließlich bot sich etwas seinen irrenden Gedanken an: „Er ist ein Engel des Lichts.“ Er hatte diesen Ausdruck noch nie zuvor für Ríochan gebraucht, doch jetzt schien er sich aufzudrängen. Er nahm wahr, dass Isabell ihm einen merkwürdig kritischen Blick zuwarf.
„Ein Engel des Lichts“, wiederholte Fürst Barraid immer noch sehr sanft. „Interessant, dass du es so ausdrückst. Soweit ich weiß, sind auf Arda gewisse Assoziationen mit dieser Bezeichnung verbunden.“
Robin schüttelte den Kopf. „Nicht er!“ Er bemerkte, dass seine Stimme unsicher klang. Er musste standhalten, er musste. Tief in sich wusste er es. Etwas würde seine Welt zerstören, wenn er nicht standhielt.

„Ich weiß, das ist jetzt sehr hart“, entgegnete Barraid mitfühlend. „Würdet Ihr uns alle einen Moment allein lassen, meine Lords. Und auch Ihr, Lady?“
Alle erhoben sich leise und gingen hinaus. Isabell warf ihm noch einen bekümmerten Blick zu und berührte seine Hand kurz, bevor sie seine Seite verließ.
Als sie allein waren, stand der Fürst auf. Robin erhob sich fast automatisch ebenfalls und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Seine linke Hand verkrampfte sich noch immer auf dem Schwertheft. Er nahm es erst jetzt wahr und löste mit einer Willensanstrengung den Griff. Barraid kommentierte es nicht. Er blieb einen Schritt vor ihm stehen. „Eure Loyalität gehört dem König, nicht Fürst Ríochan“, sagte er dann. „Bedenkt das. Ein Wort, das Ihr gegeben hat, weil Ihr über die Wahrheit hinweggetäuscht wurdet, ist nicht gültig. Oder wollt Ihr jetzt Euer Schwert gegen mich ziehen? Wir sind allein.“
Robin wusste nicht, was er antworten sollte. Sein Atem ging heftig.

Der Fürst wandte sich wieder von ihm ab, ging an eines der Fenster, drehte ihm den Rücken zu. „Winian und Alandas“, sagte er dann ruhig. „Dachtet Ihr, das sei wie Hölle und Himmel? Nein, mein Bruder Ríochan ist nicht der Fürst der Finsternis oder welche Bezeichnungen Ihr auch sonst noch auf Arda haben mögt.“ Er lachte leise. „Dazu ist er bei weitem nicht mächtig genug.“ Er blickte über die Schulter. „Dachtet Ihr, ich sei es?“ Er schien amüsiert. „Vielleicht sollte ich mich gewissermaßen geehrt fühlen.“
Wieder wandte er sich ab und sah hinaus über die Ebenen. „Ríochan. So strahlend schön mit seinen blauen Augen und den goldenen Haaren. Es ist nur ein Bild, das er Euch zeigt. Seit es zu jenem Bruch zwischen uns kam, ist er absolut unerbittlich, was mich angeht. Habt Ihr nie bemerkt, dass da stählerne Härte ist unter seinem angenehmen Äußeren?“ Robin wusste, dass Ríochan Strenge und Autorität gezeigt hatte, doch er wollte nicht antworten. Barraid zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wart Ihr dazu nicht lange genug bei ihm. Ihr zieht es ja vor, nicht darüber zu sprechen. Oder erinnert Euch auch nicht mehr ganz daran wegen dieser widrigen Episode auf Cardolan. - Ich wäre der Letzte, der Euch das nachtragen dürfte, Ihr seid dort fast umgebracht worden. – Was ich sagen wollte: Wir stehen seit jenem Bruch in steter Konkurrenz. Es gibt genug Beispiele dafür.“

Wieder wandte er sich um. „Als Ihr in Alandas wart, saht Ihr dort meinen Rapphengst?“
„Ihr meint den, der jetzt in Euren Ställen ist. Wunderschön, aber sehr wild?“ fragte Robin unsicher zurück.
„Wild!“ Barraid lachte. „Er ist nicht ungefährlich, aber ich habe keine Probleme mit ihm. Nun, saht Ihr ihn dort? Ein solches Pferd solltet Ihr nicht vergessen haben.“
Robin zuckte hilflos die Schultern. „Ich glaube, mich an einen Rapphengst zu erinnern. Aber das ist alles extrem unklar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dieser war.“ Er konnte die Niedergeschlagenheit nicht aus seiner Stimme heraushalten.
Barraid betrachtete ihn schweigend eine Weile. „Ich kann in Euren Worten keinen Versuch sehen, mir auszuweichen oder mich zu täuschen. – Warum solltet Ihr auch? Wie auch immer. Es war Ríochan gelungen, das Pferd an sich zu bringen. Nicht, dass er es reiten könnte. Es ging ihm mehr um meinen Verlust. – Oder, vielleicht seid Ihr jemand namens Alif begegnet?“
„Ja, das bin ich wohl“, antwortete Robin  zögernd. „Lord Asrain sagte, Ihr liebtet es nicht, diesen Namen zu hören.“
„Da hat er recht“, sagte der Fürst grimmig. „Ich hätte nichts dagegen, diesem Verräter allein mit einem Schwert in der Hand gegenüber zu stehen!“ Seine Augen funkelten wild. Er beherrschte sich sichtlich. „Ihr habt damit wirklich nichts zu tun. Alif war mir einmal ein verlässlicher Gefolgsmann. Ich konnte nie genau erfahren, was dann geschah. Aber ich weiß, dass Ríochan mit ihm sprach, bevor er mich und meine Sache verriet. Besser, wir lassen dieses Thema fallen.“

Er ging ein paar Mal mit wütenden Schritten auf und ab. „Kommen wir zurück auf Abhaileon. Ríochan hat überhaupt nicht die Macht, es zu halten und zu beherrschen. Ich muss es wissen. Ich habe mir das lange genug angesehen, ohne selbst einzugreifen. Er will es mir nicht gönnen, aber selbst wartet er nur ab, dass sich alles von selbst dort regelt. Und was ist geschehen? Das Land steht vor dem Abgrund. Bürgerkriege. Unruhen. Banditenunwesen. Ich habe meine ganze Macht jetzt nach Carraig geworfen, um ein Gegengewicht bieten zu können. Ich hoffte, langsam das Vertrauen der Fürsten zu gewinnen und alles stabilisieren zu können. Doch was ist daraufhin geschehen? Bis Mittsommer wird vermutlich ein Heer auf Corimac, nicht weit von hier, stehen, um mich zu vernichten! Alles dank der Intrigen Ríochans.“
Der Fürst holte mit einem ingrimmigen Seufzer Luft. „Er hat mit dem Ritter gesprochen, der das Smaragdschwert trägt, und dieser ruft im ganzen Land gegen mich zum Kampf auf, ohne zu begreifen, was hier geschieht. Das Schwert hat den niedrigsten Rang unter den drei Schwertern, doch es ist das einzige, das derzeit in Abhaileon zu sehen ist. Ihr wisst nicht doch, was mit Bearisean von Sliabh Eoghaí geschehen ist?“
„Nein“, sagte Robin. „Ich wünschte, ich wüsste es. Es gibt kaum etwas, das ich sehnlicher wünsche, als mit Bearisean sprechen zu können.“
„Ihr sagtet ja auch schon, dass Lord Sliabh Eoghaí sein Schwert Ríochan zugeschworen hat“, sagte Fürst Barraid missmutig. „Selbst sollte er wieder in Erscheinung treten, wird er wohl gegen mich stehen. – Ihr seid meine einzige Möglichkeit, diese verfahrene Situation noch bereinigen zu können.“

„Was erwartet Ihr eigentlich von mir?“ fragte Robin sehr vorsichtig. Er fühlte sich mittlerweile nicht mehr verunsichert. Es war mehr, als versuche er sich in einem vom Sturm gepeitschten Ozean an ein Stück Treibholz zu klammern, während das Land schon seit Tagen außer Sicht war.
„Es steht noch nicht ganz fest, was Ihr tun könnt“, sagte der Fürst. „Doch ist meine Bitte, dass Ihr mir helft, das Land vor einem Krieg zu bewahren. Erscheint Euch das annehmbar?“
„Ich denke schon“, Robin zögerte immer noch. „Ist das wirklich alles?“
„Euer Versprechen, das zu tun, wäre mir viel wert“, entgegnete Barraid. „Doch Ihr traut mir wohl immer noch nicht. Allerdings, ich kann Euch nicht eine derart strahlende Präsentation bieten, wie Ihr sie wohl in Bailodia gesehen habt. Meine Lords sind allesamt sehr fähig aber nicht unbedingt die besten Freunde untereinander. Ihr habt sicherlich schon einiges von den Animositäten beobachten können.“ Robin nickte. „Und ich selbst. Nun, es braucht manchmal Härte, um meine Lords im Zaum zu halten. Es braucht Härte, wenn es um Leben und Tod eines ganzen Landes geht. Ich greife durchaus zu Mitteln, die Ihr mit Euren hohen ethischen Ansprüchen nicht gut heißen könnt. Die Wirklichkeit lässt oft gar keine andere Wahl. – Ihr seht, ich versuche gar nicht erst, es vor Euch zu verbergen. Die Frage ist: Wollt Ihr mir dennoch glauben oder sogar gerade deswegen? Oder wollt Ihr an dem Bild festhalten, dass Ihr Euch von Alandas und Ríochan gemacht habt?“

Robin war gequält. Etwas in ihm wehrte sich immer noch verzweifelt dagegen, auch nur ein Wort von dem zu glauben, das er hier gehört hatte. Etwas anderes drängte genauso heftig, sich der Wucht der Argumente zu beugen. Und dann war da noch die Frage des Anstandes. Wenn er den Fürsten nach Worten wie diesen einfach zurückwies, war es diesem gegenüber rücksichtslos und verletzend. Vielleicht gab es einen Kompromiss.
„Ich bin einverstanden, mit Euch zusammenzuarbeiten, um den Frieden in Abhaileon zu erhalten“, sagte er schließlich. „Ich sehe mich diesem Ziel auch verpflichtet. Ich weiß nicht, ob man das Vertrauen nennen kann, aber ich werde Euch auch nicht ohne Grund misstrauen. Es wäre sicherlich ohnehin das Beste, wenn ich weitgehende Neutralität halte.“
Barraid lächelte. „Eure Hand darauf?“
Robin zwang sich einzuschlagen. Er hätte es lieber vermieden.
„Dann wollen wir alle zusammen weiter beraten“, erklärte der Fürst. „Würdet Ihr die anderen hereinbitten, Ritter Anno?“
******

Fíanael ging eiligst, sobald die vorgebliche Besprechung beendet war. Die Dinge, die vorgebracht wurden, waren sorgfältig ausgewählt gewesen. Natürlich war es nicht um wirkliche Entscheidungen gegangen. Eine Gruppe von Reitern und ledigen Pferden erwartete den Lord bereits mit seinem gesattelten Pferd im Außenhof. Er schwang sich unverzüglich in den Sattel und ließ sein Tier noch auf dem Hof in Trab fallen. Selbst auf dem steilen und gefährlichen Pfad den Fraoch entlang setzte er das Tempo kaum herab. Umso überraschter war er, als kurz nach dem Abstieg Akan zu ihm aufschloss. Er musste sein Pferd den Pfad geradezu hinunter gehetzt haben. Das war ungewöhnlich für ihn. Er warf ihm einen fragenden Blick zu.
„Ich muss mich auch um die Truppen aus Cardolan und Winian kümmern, das heißt wir haben ein kurzes Stück gemeinsamen Weg“, meinte Akan. „Das von dir angeschlagene Tempo ist mir recht. Dort oben habe ich schon wieder mehr Zeit verloren, als mir lieb sein kann.“

Fíanael setzte den Schritt nicht herab, aber er winkte seinem Trupp zu, voran zu reiten. Sobald sie allein waren, sagte er: „Was ist es, das du wissen willst?“
„Zwei Dinge“, antwortete Akan. „Ich vermute, es läuft auf eines hinaus. Doch ich hätte gerne Sicherheit. Wie ist dieser Ciaran uns entkommen? Und wie ist der Rappe zurückgekehrt?“
„Erwartest du ernsthaft, dass ich darüber rede?“ schnaubte Fíanael.
„Unsere Wege trennen sich in fünf Minuten“, sagte Akan gleichgültig. „Ich erwarte nichts von dir. Warum sollte ich?“

Fíanael wartete, bis sie in einer Senke außer Sichtweite von Carraig waren. Dann senkte er den Kopf ein wenig und beugte sich eine Ahnung nach vorn im Sattel. Nach ein paar Sekunden begann er leise zu sprechen. „Barraid hat den Hengst bei Ríochan gegen den Ritter eingehandelt. Der Mann schien nicht besonders gefährlich zu sein: naiv und impulsiv, mehr Mut als Verstand. Es schien ein Tausch zu unserem Vorteil, Barraids Vorteil jedenfalls.“ Er führte die rechte Hand an die Stirn als störe ihn etwas, ließ sie herab gleiten und einem Moment an seinem Mund verharren, als er sich räusperte und schnippte in Höhe seiner linken Brust eine Faser von seiner Uniform. Dann richtete er sich wieder ganz auf. „Sinnlos mich zu fragen.“
„Es war einen Versuch wert“, bemerkte Akan leichthin. Dann setzte er hinzu: „Ich habe dich gehört.“ Das letzte waren unverfängliche Worte in der Sprache, die sie benutzten, aber es war die direkte Übersetzung der Entlassungsformel des Fürsten von Azarad gegenüber einem seiner Lords.
Er trieb ohne einen weiteren Blick auf Fíanael sein Pferd mehr an, um das Lager zu erreichen, in dem er zu tun hatte. Er hatte Fíanaels seltene und kaum merkbare Andeutungen bisher immer ignoriert. Doch dieses Mal war sein ehemaliger Heerführer noch weiter gegangen als sonst. Er war wohl besonders erbittert über das Geschehene. Seine Loyalität war durch die Umstände beschränkt, aber er hatte sie inzwischen schon vielfach unter Beweis gestellt. Es mochte nützlich sein, ihn wissen zu lassen, dass er tatsächlich gelegentlich einen Anspruch darauf erheben würde.

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