Montag, 25. Juli 2011

Kapitel 10.2


Der nächste Morgen begann so schön und strahlend wie der vergangene Abend geendet hatte. Robin erwachte durch das Zwitschern und Pfeifen eines Stars, der sich in seinem Fenster niedergelassen hatte und nun mit vollem Einsatz seine Strophen trillerte. Eigentlich hatte Robin noch gar keine Lust aufzustehen, das Bett war wundervoll weich, und es war nach den letzten Wochen eine angenehme Abwechslung, sich nicht gleich mit Sonnenaufgang irgendwohin auf den Weg machen zu müssen. Der weiß gepünktelte Sänger unterbrach kurz sein Lied und schaute ihn mit schief gelegtem Kopf an. „Hallo, du Frühaufsteher“, murmelte Robin. „Ich hoffe, es stört dich nicht allzu sehr, wenn ich weiterschlafe.“ Er schloss die Augen wieder und war gerade dabei, einzuschlafen, als der Star von neuem loslegte. Diesmal schien er noch lauter geworden zu sein. Robin blinzelte wieder Richtung Fenster. Der Rahmen war leer, dafür saß der zutrauliche Vogel jetzt auf dem Stuhl mitten im Zimmer und schmetterte mit voller Kehle. Als er bemerkte, dass der Schläfer sich wieder regte, brach er den Gesang ab und ließ einen aufmunternden Pfiff hören. „Du meinst also der Morgen sei zu schön zum Schlafen?“ sagte Robin. „Vielleicht hast du sogar Recht.“
Ihm fiel gerade ein, dass dieser Morgen wahrscheinlich die Gelegenheit bringen würde, seinen schönen Rapphengst wieder zu sehen. Da konnte er gar nicht zu früh aufstehen. Der Vogel beobachtete ihn aufmerksam. Sobald er sah, dass sein Weckdienst Erfolg gehabt hatte, stieß er einen letzten freundlichen Trillerer aus und flog durch das Fenster davon.
Neben seinem Bett fand Robin neue Kleider bereitgelegt - am vorigen Abend hatte er sie gar nicht bemerkt -, die er nun mit Freude anlegte. Die alten hatten unter den Strapazen der letzten Wochen doch gelitten und hatten eine Wäsche dringend nötig. Er legte den Brustpanzer und den Schwertgürtel an, denn er nahm an, dass es von ihm als Ritter so erwartet werde. Den Schild ließ er allerdings zurück, der war nur für den Kampf notwendig. Als er fröhlich vor sich hinsummend in den Aufenthaltsraum trat, saß Béarisean, ebenfalls neu angekleidet, bereits am Tisch und frühstückte. Die Reste vom Abend waren abgeräumt und es war neu gedeckt worden. „Du meine Güte!“ sagte Robin. „Es ist maximal sechs Uhr. Mir scheint, ich bin von Frühaufstehern umgeben. Seit wann gehörst du zu dieser Sorte von Leuten, Béarisean?”
Béarisean lachte: “Ich bin meistens früher wach als du. Nun zugegeben, ich bin schon noch müde, aber ich möchte von der Zeit hier nichts verpassen. - Allmählich siehst du wirklich wie ein Ritter aus”, meinte er dann anerkennend.

Robin hielt sich nicht allzu lange mit dem Essen auf. Er hatte es eilig, nach den Ställen zu suchen. “Erinnerst du dich noch an den Weg nach draußen?”, fragte er, “Alifs freundliche Hinweise hatten auf mich leider eine sehr einschläfernde Wirkung, so dass ich nicht allzu genau darauf achtete, wo wir entlang gingen.“
Béarisean war sich nicht sicher. „Ich glaube, ich könnte den Weg zum Tor zurückfinden. Aber sicherlich treffen wir hier im Schloss jemanden, der uns den Weg zeigen kann. Es würde mich auch interessieren, die Pferde dieses Palastes zu sehen. Vielleicht sind noch mehr Prachtexemplare wie dein Rappe dabei. „
Sie brauchten nicht erst Ausschau zu halten, um einen Schlossbewohner zu finden, der ihnen den Weg hätte weisen können.  Sobald Robin die Tür öffnete, wurden sie schon von Alif, ihrem gestrigen Führer, mit einer tiefen Verneigung begrüßt. „Guten Morgen, meine Herren Ritter“, rief er fröhlich. „Der Fürst hat mir den Auftrag erteilt, Euch zu ihm zu bringen, sobald ihr bereit seid. Habt Ihr gut geschlafen?“
„Danke bestens“, antwortete Robin.

„Wir hatten nicht damit gerechnet, dass der Fürst uns so früh sprechen will“, sagte Béarisean. „Wir wollten gerade nach den Ställen suchen.”
Alif lächelte: „Dann seid Ihr es, der so gut mit diesem schwarzen Wildpferd zurande kommt? Meinen Respekt, kann ich da nur sagen.“
„Nein, das bin ich“, sagte Robin. ”Ich wollte ihn vor allem anderen besuchen. Aber natürlich geht das Gespräch mit dem Fürsten vor.”
“Er erwartet Euch nicht zu einem Gespräch”, sagte Alif. „Er gab mir jedoch den Auftrag, Euch zu ihm in die Säulenhalle zu führen, sobald Ihr bereit seid. Gewöhnlich darf ihn dort niemand stören. Ihr gehört zu den wenigen, denen diese Ehre zuteil wird.“

Alif ging ihnen wieder durch viele Gänge voran. Sie gelangten zurück in den Hauptbau des Palastes, stiegen eine Treppe hinauf in das obere Geschoss und begaben sich in dessen rückwärtigen Teil. Schließlich machte Alif vor einem breiten Holzportal halt. „Bitte, tretet ein. Ihr werdet den Fürsten hier finden“, sagte er und öffnete ihnen leise eine kleinere Tür in dem großen Portal. Er selbst blieb draußen zurück.
Die beiden Ritter betraten neugierig die Halle. Es war ein hoher, lichtdurchfluteter Raum, der ein wenig an eine gotische Kathedrale erinnerte, nur war er viel heller. Der Boden war mit großen, hellgrauen Fliesen ausgelegt. Den Namen Säulenhalle trug der Saal zu Recht. Er war vollkommen leer, bis auf viele hohe dorische Säulen, die aus demselben lichtgrauen Stein gefertigt waren wie die Steinplatten des Bodens. Im Deckenbereich wuchsen sie zu eleganten Spitzbögen zusammen. Doch die steinernen waren nicht die einzigen Säulen. In den oberen Teil des Raumes war auf drei Seiten und in die Spitzbögen vieler Säulengruppen ein verwirrendes Mosaik bunter Glasfenster eingelassen. Durch diese fiel das Licht in bunten Säulen auf den Boden. Manche Bereiche des Raumes waren ganz in blaues Licht getaucht, andere in rotes, wieder andere in grünes, gelbes oder violettes. In der Luft überkreuzten sich manche der farbigen Säulen aus Licht und schufen so neue Farbkombinationen. Es herrschte tiefe Stille.
Nach dem ersten Schritt in den Raum betrachteten sie zunächst nur staunend dieses Spiel des Lichtes. Am östlichen Ende des Raumes, gegenüber dem Eingangsportal, wölbte sich ein halbkreisförmiger Balkon nach außen, von dem aus es möglich sein musste, über das Land zu blicken. Er war von einem niedrigen steinernen Geländer umgeben, von dem vier schlanke Säulen nach oben stiegen, um die Kuppel über ihm abzustützen. Zwischen den Säulen hindurch drang das gleißend helle Licht des Tages in den Raum. Durch einen geheimnisvollen  Effekt war es jedoch nicht möglich durch diesen glänzenden Schleier von Licht nach draußen zu blicken. Fasziniert gingen die beiden Ritter langsam darauf zu. Es schien ein Sakrileg, die Stille dieses Raumes zu stören.
Als sie näher kamen, sahen sie dort am Fenster den Fürsten von Alandas. Heute war er ganz in Weiß gekleidet und trug einen silbernen Brustpanzer. Er kniete inmitten der hellen Lichtkaskaden des Erkers. Sein Blick war dem von oben hereinströmenden Licht zugewendet; die schalenförmig geöffneten Hände hielt er nach oben gestreckt, als wolle er das Licht wie Wasser auffangen.

Wortlos knieten die beiden Ritter hinter ihm nieder. Die Szene bedurfte keiner Erklärung, Fürst Ríochan sprach mit dem König. Sie fühlten die Gegenwart ihres Herrn und verbeugten sich tief vor seiner Majestät. Robin war sich später nie sicher, wie lange sie so verharrten. Er vergaß vollkommen die Zeit. Es schien ihm, als seien erst wenige Augenblicke vergangen, als sich der Fürst von Alandas verneigte und mit der Stirn den Boden berührte. Dann stand er auf und bedeutete seinen Gästen wortlos, mit ihm zu kommen. Bevor Robin, ihm folgend, dem  Balkon den Rücken zuwendete, bemerkte er, dass die Lichtstrahlen jetzt durchsichtiger zu sein schienen. Er erhaschte einen Blick auf die Häuser der Stadt, grüne Felder und die nahen Berge. Die Sonne stand schon hoch im Mittag, wie er verwundert feststellte.
Ríochan ging ihnen voraus, bis sie den Thronsaal erreichten. Sie folgten ihm, ohne ein Wort zu sprechen. Alif schloss sich ihnen an. Bemerkenswerterweise diesmal ohne zu reden. Alle, denen sie begegneten, traten ehrerbietig zur Seite und verbeugten sich vor dem Herrscher und seinen Gästen. Ein Diener öffnete ihnen die Tür des Saales. Der Fürst gab Alif eine leise Anweisung. Der Saal selbst war menschenleer. Der Boden war mit Teppichen ausgelegt. An den Wänden sahen sie Behänge mit vielen, bunten, kunstvollen Motiven. An den seitlichen Wänden standen Stühle und Diwane. Am Ende des Raumes führte eine Stufe zu einem Thronstuhl empor.

Ríochan setzte sich auf einen  Diwan, der in der Ecke links vom Thron stand und lud sie mit einer Handbewegung ein, bei ihm Platz zu nehmen. Eine Weile betrachtete er sie ernst und schweigend. “Gerne würde ich euch hier einfach als Gäste begrüßen”, sagte er schließlich. Er lächelte. “Zur Zeit der alten Regenten vor Fonntroda und in den Jahren Colins des Großen geschah das manchmal. Doch meistens kommen meine Gäste in Kriegszeiten, und die Ereignisse diktieren uns, was wir sprechen und tun. So auch jetzt.”
“Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass es solche Zeiten des Friedens gab in den ganzen endlosen Kämpfen”, sagte Robin.
“Du kommst aus Arda, Ritter Anno.” Der Fürst berührte kurz und mitfühlend seinen Arm. “Aber hier in Abhaileon gab es lange Zeiten des Friedens. Sei umso mehr hier willkommen, auch wenn es nur wenige Tage sein können.”
Alif kam in den Saal und brachte ein Tablett mit Tee. Als er es auf den niedrigen Tisch vor ihnen stellte, blickte er zu Ríochan auf und dieser dankte mit einem Lächeln. Béarisean sah ihm nach, als er wieder ging. “Was ist seine Aufgabe?” fragte er.
“Man könnte sagen, Alif ist mein Hofmeister”, sagte Ríochan. “Oder mein persönlicher Adjutant. Sollte euch je etwas vonnöten sein hier im Palast, wendet euch an ihn.”
“Er verehrt Euch”, bemerkte Robin.
“Du wirst hier vielen begegnen, von denen du diese Aussage machen könntest. Aber ich bin nichts als der Diener meines Herrn.”
Robin lächelte und strich mit der Hand über seinen Brustpanzer: “Viele verbeugen sich vor dieser Rüstung. Aber nur, weil die, die sie vor mir trugen, dem entsprachen, wofür sie steht.” Ríochan nickte.

“Was ist nun unsere Aufgabe?” wollte Béarisean wissen.
“Unser Feind in diesem Kampf ist Fürst Barraid, der Schwarze Fürst. Ihr konntet ihn ja bereits kennen lernen – zumindest so viel er euch sehen lassen wollte. In Abhaileon, wie auch auf Arda, deiner Heimat, Robin, hat er großen Einfluss.”
Robin nickte. “Mir ist klar, wer er ist. Aber ich will mehr wissen über die besonderen Regeln, die hier in Abhaileon gelten, für das, was er tun kann.”
“Darauf kommen wir noch”, sagte Ríochan. ”Er strebt zurzeit danach, zunächst ganz Abhaileon unter seine Kontrolle zu bringen. Wenn ihm Abhaileon gehört, müssen wir Alandas aufgeben. Bisher ist ihm der Eintritt durch die Tore des Landes verwehrt. Mit Hilfe Hibhgawls versuchte er bereits durch Gleann Fhírinne einzudringen, überschätzte jedoch seine derzeitige Macht und verlor mit dem Pferd den Schlüssel zum Zugang.”
“Was bezweckte er damit überhaupt?” fragte Béarisean. “Er kann doch wohl zurzeit nicht ernsthaft an einen Angriff auf Bailodia denken?”
“Er wollte lediglich Gleann Fhírinne – und mir nebenbei demonstrieren, wie machtlos ich gegen ihn bin. Gleann Fhírinne ist derzeit der einzig gut passierbare Weg von Abhaileon nach Alandas. Viele der anderen sind vollkommen in Vergessenheit geraten oder nur sehr schwer passierbar. Hätte er Gleann Fhírinne gehalten, wäre es für Euch sehr schwierig gewesen, hierher zu kommen.”

“Aber wie kam nun der Drache ins Spiel? Nach dem, was Ihr dort in den Bergen sagtet, kann er nicht aus Alandas gekommen sein.”
“Die anderen Zugänge werden bewacht. Aber Gleann Fhírinne bewacht sich gewissermaßen selbst. Jeder, der versucht, diesen Torbogen zu durchschreiten, wird mit der Wahrheit über sich selbst konfrontiert – das ist etwas, dem nur wenige standhalten können. Und Barraid und die reine objektive Wahrheit sind zwei Prinzipien, die nicht mit einander vereinbar sind. Aber er weigert sich, das zu glauben und war sicherlich überzeugt, man könne den Weg erzwingen, wenn man nach Alandas gehöre oder dort einen Auftrag habe – und der Rappe gehört hierher.”
“Ich fand das, was im Tor geschah, nicht besonders erschreckend”, meinte Robin. “Es war eine unangenehme Wahrheit, sicherlich, aber ...”
“Ich kann das immer noch nicht verstehen”, murmelte Béarisean mit gerunzelter Stirn. “Wieso war das die Wahrheit über mich?”
“Ich kann dir darauf nicht antworten”, sagte Ríochan. “Ihr selbst müsst es verstehen lernen. Aber ihr habt den Weg hindurch gefunden.”
“Es war das Schwert”, sagte Béarisean. “Ich hatte es fast vergessen, aber als ich es berührte, erinnerte ich mich an den König  und ...”
“Das war ganz ähnlich bei mir!” rief Robin. “Ich vergaß alles andere – und schon war ich durch dieses Tor durch.”
Ríochan nickte ernst. “Bedenkt Euer Erlebnis gut und lernt daraus!”

“Dennoch”, wandte Robin ein. “Der Drache dort schien mir nicht sehr erschreckend. Er sah sehr schön aus. Sicher war er auch gefährlich. Aber er konnte uns nichts anhaben. Er wies uns sogar den Weg. Wenn das die Wahrheit über Barraid wäre.”
Ríochan lachte. “Ah, das ist ein interessanter Punkt. Welchen Weg seid ihr gekommen? Denn ihr wart weit ab vom eigentlichen Pass.”
“Nun, durch die Höhle. Dort lag ein gewaltiger Schatz. Es war eine lange Wanderung durch die Gänge. Dann kamen wir in eine steile Schlucht, die wir hinaufkletterten bis wir eine Bergwiese ein gutes Stück im Westen von dem Tal erreichten, in dem wir uns begegneten.”
“Der direkte Weg ist weniger als einen Kilometer durch eine Schlucht bis auf die andere Seite des Passes”, sagte Ríochan.
“Ich gestehe, wir waren so auf den Drachen fixiert, dass wir gar nicht richtig suchten. Ich war ganz erpicht darauf, mit ihm zu kämpfen”, sagte Béarisean. “Und auf den ersten Blick war nur diese Höhle zu sehen.”
“Es sind die wenigsten, die den besten Weg finden, und es gibt viele Wege auf die andere Seite”, sagte Ríochan. “Doch zum Glück fragen die allerwenigsten dazu einen Drachen um Rat. Es ist offensichtlich, dass ihr seinen Schatz nicht angerührt habt. Aber selbst so war es ein schwerer Weg hinaus.”

“Es war mein Fehler”, sagte Robin niedergeschlagen. “Ich dachte, man könne ihm glauben. Und fast habe ich etwas aus seinem Schatz mitgenommen.” Niedergeschlagenheit übermannte ihn. Er glitt von seinem Sitzplatz auf die Knie und fasste die Hände des Fürsten: “Ríochan, hilf mir! Ich werde diese Aufgabe nie bewältigen können. Alle sagen, ich muss den Kampf gegen Barraid gewinnen, aber weder kann ich mit dem Schwert umgehen noch meinen Weg finden. Ich fürchte, an mir wird alles scheitern. Vielleicht wenn Hibhgawl mit mir kommt, dass es mir dann gelingt.”
“Ich würde ihn gerne mit dir schicken”, sagte Ríochan bekümmert. “Es würde alles viel einfacher machen. Aber er wird für anderes gebraucht. Du wirst deinen Weg allein finden müssen. Ich kann dir nur eines versprechen: den entscheidenden Kampf wirst du nicht ohne ihn führen müssen – und, wenn du Barraid gegenüber trittst, wirst du kämpfen können. Ich selbst werde dein Lehrmeister sein in der uns verbleibenden Zeit. Und ich werde Rodil bitten, das zu ergänzen, wozu mir keine Zeit bleibt.”
Robin blickte Ríochan eine Zeitlang in die Augen. Er fühlte den Schmerz in sich brennen, dass er Hibhgawl so bald wieder verlieren würde, die Angst zu versagen, die ihm fast die Tränen in die Augen trieb. Doch mit Ríochans Worten war auch Hoffnung dazu gekommen. “Ich danke dir “, sagte er schließlich, “das ist mehr als ich je erhoffen konnte.” Er beugte sich auf die Hände, die er noch immer umfasst hielt, hinab und küsste sie.
“Du wirst es also versuchen?” fragte Ríochan ernst.
“Mit aller Kraft und allem Vermögen”, sagte Robin. “Es ist das, wofür ich bisher gelebt habe und weiter leben will. Aber ich fürchte mich.”
Ríochan nickte. “Daran tust du gut. Dein Weg wird schwer sein. Aber ich werde dir allen Segen mitgeben, den ich geben kann. Und jeden Einsatz zahlen, der nötig ist, damit du dein Ziel erreichst.”
Robin ließ die Hände des Fürsten los und setzte sich wieder.

Béarisean konnte die Augen nicht mehr von Ríochan wenden. Dieser blickte ihn abwartend an. Lange gelang es ihm nicht zu sprechen. “Du bist doch so viel mehr als wir”, entrang es sich ihm schließlich. “Ich wusste, ich glaubte, dass der Fürst von Alandas ungeheuer mächtig und Ehrfurcht gebietend ist, dass ihm meine Treue und mein Gehorsam gehören müssen, weil er der Statthalter des Königs für Abhaileon ist. Aber du, Ríochan. Ja, du bist all das. Und doch. Alles, was mein Herz jetzt sehen kann, ist dass du ein Ritter bist wie wir und dass ich noch nie solche Freundschaft gefühlt habe, wie hier. Alles, was ich  noch wollen kann, ist in diesem Kampf neben dir zu stehen und an deiner Seite das Schwert zu ziehen.”
Ríochan blickte ihn ernst an: “Die Farben von Alandas trägst du, dein Schwert sollst du ziehen und im gleichen Kampf werden wir kämpfen. Aber jeder von uns muss seine Aufgabe an dem ihm gesetzten Ort erfüllen. Die deine wird es sein, den künftigen Regenten von Abhaileon zu begleiten und zu beschützen, bis er seine Aufgabe wahrnehmen kann.”
“Wer ist es?” fragte Béarisean.
Ríochan lächelte und sagte: “Es ist Dorban von Tairg.”

Béariseans Gesichtsausdruck zeigte wahres Entsetzen.  Zum zweiten Mal in kurzer Zeit verschlug es ihm die Sprache. “Wenn Dorban Regent sein soll”, begann er schließlich mühsam, “dann muss er nicht nur glauben, dass es den König gibt, sondern bereit sein, ihm zu dienen und dich als seinen Statthalter anzuerkennen.”
“Das muss er in der Tat”, stimmte Ríochan zu.
Béarisean stöhnte leise. “Ich glaube, ich würde mich lieber mit dem Schwarzen Fürsten duellieren”, sagte er schwach. “Ríochan, er hat irgendein Bündnis mit Barraid, hat ihn bisher bei allen seinen Machenschaften unterstützt.”
“Ich weiß”, sagte Ríochan.
“Dies ist der Wille des Königs?” fragte Béarisean resigniert.
“Dies ist der Wille des Königs”, bestätigte Ríochan.
Béarisean war bleich, aber er kniete nieder, zog sein Schwert, legte den Knauf in Ríochans Schoß und umschloss die Klinge mit den Händen. Leise aber deutlich sagte er: “Ich schwöre bei meiner Ehre, meinem Leben und meinem Rang als Ritter, dass ich Dorban von Tairg begleiten und mit meinem Leben beschützen werde, bis zu dem Tag, an dem er Regent von Abhaileon wird. Ich werde alles, was mir zur Verfügung steht, dafür einsetzen, dass es dazu kommt.” Er küsste die Klinge und steckte das Schwert wieder in die Scheide. “Möge mir der König gnädig sein”, sagte er dann. “Das kann dazu führen, dass ich in den Augen aller, die mir etwas bedeuten, als Verräter dastehe.”
“Nicht in meinen”, entgegnete Ríochan. “In meine Hand hast du geschworen. In meiner Hand halte ich deinen Schwur. Sollte deine Aufgabe unmöglich werden, werde ich dich ihrer entbinden und du wirst es wissen.”
“Danke!” rief Béarisean erleichtert und küsste seine Hand. Dann lächelte er ein wenig und sagte: “Für das würde ich den Boden vor dir küssen, aber ich vermute, das würdest du nicht erlauben.”

Ríochan lachte auch. “Du hast vollkommen recht”, sagte er.  Dann blickte er auf. “Willkommen, Rodil”, sagte er.
Erst jetzt bemerkten Béarisean und Robin, dass noch jemand in den Saal getreten war. Es war ein großer Krieger mit dunklen schulterlangen Haaren, silbernem Brustharnisch und dunkelblauem Mantel. Das Emblem auf dem Harnisch war eine Lilie. Einen Augenblick schien es Robin, als trüge auch er einen goldenen Stirnreif, aber als er genauer hinsah, war da nur ein Band aus dunkelblauem Leder. Über der Schulter trug er an einem Riemen eine Hülle, in der Robin eine Harfe vermutete.
Rodil nahm sich Zeit, sie alle der Reihe nach anzusehen. “Das waren sehr hohe Einsätze, die hier gerade eben gemacht wurden”, sagte er dann. Die beiden Ritter waren überrascht, wie melodisch seine Stimme war. “Gibt es etwas, das ich dazu beitragen kann?”
“Für das erste brauchen unsere Gäste Unterricht im Schwertkampf”, sagte Ríochan. “Ich selbst werde dafür Sorge tragen, doch wollte ich dich um deine Unterstützung bitten.”

Rodil lächelte. “Dein Wort ist mir Befehl, mein Fürst.” Er verbeugte sich leicht vor Ríochan. Dann wandte er sich den beiden Rittern zu. “Mein Name ist, wie Ihr schon hörtet, Rodil, und meine Aufgabe hier könnte man in etwa als die des ersten Offiziers beschreiben.”
Ríochan schüttelte lächelnd sacht den Kopf: “Dies ist mein Freund Rodil, der mächtigste Schwertkämpfer, der sich zur Zeit in Alandas aufhält, und auf dessen wertvolle Hilfe ich stets vertrauen kann.”
Robin zitierte: “Mächtig ist Tal, der Sieger über Alim; Groß ist Giredas, der Raban bezwang; keiner wie Eldanas den Bogen je spannte; doch vor Rodils Schwert zittern die Fürsten der Welt.”
“Ein altes Lied aus Arda”, bemerkte Rodil. “Ihr kommt von dort, Herr Ritter?”
Robin stand auf und verbeugte sich: “Anno von Arda, genannt Robin. Ihr kennt Arda?”
“Ich war lange dort”, antwortete Rodil.

Béarisean stand ebenfalls auf und stellte sich vor. Rodil lächelte wieder. “Ihr seid also aus Colins Haus”, sagte er mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. “Das heißt, das wilde Drachenblut von Tireolas fließt in Euren Adern?”
“Ich fürchte, ich habe nicht viel von ihm geerbt”, sagte  Béarisean.
Rodil bemerkte seine Verlegenheit und sagte entschuldigend: “Vergebt einem Barden, Herr Béarisean. Sänger haben ein besonderes Gedächtnis für solche Ausdrücke.” Er lächelte. “Und in Colin von Donnacht floss das Drachenblut heftig. Nebenbei bemerkt, der größte aller Kämpfer in dieser Runde bin nicht ich. Das ist der Fürst dieses Landes selbst.”
Nun war es Robin, der verlegen wurde. “Ich hoffe, ihr seid euch alle darüber klar, dass ich kaum weiß, wie ich ein Schwert richtig halten soll. Wie es momentan steht, würde ich besser meine Hoffnung darauf setzen, dass sich Barraid für ein Duell per Harfe entscheidet. Musikinstrumente sind das einzige, mit dem ich einigermaßen gut umgehen kann.”
“Du solltest ihn auch in diesem Bereich nicht unterschätzen”, bemerkte Ríochan. “Er ist ein wahrer Meister der Musik.”
“Auf jeden Fall”, ergänzte Rodil, “schließt die Meisterschaft auf dem einen Gebiet nicht die auf dem andern aus.”

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