Dorban blickte finster. Dennoch musste er einräumen, dass Barraid Recht hatte. Nach außen würde er Estohar unterstützen, vollkommen in seinem Sinne handeln – und das konnte die Entscheidung bringen in Bezug auf den Fürstentitel von Dalinie. Orla würde die Sache in Daliní inzwischen geklärt haben. Und Barraid hatte recht: wenn Durlong es geschickt anfing, würde er das Unterfangen heil überstehen. „Nun gut“, sagte er. „Ich breche übermorgen auf und werde es so durchführen.“
Barraid blickte ihn fast amüsiert an. „Du reitest morgen“, sagte er und wandte sich zum Gehen. „Um die dritte Stunde.“ Er wartete nicht einmal eine Antwort ab und verließ den Saal durch die Tür, die zu seinen privaten Räumen führte.
Dorban blieb zurück in dem nun sehr dunklen Thronsaal. Es war Nacht geworden während ihres Gesprächs, und die meisten der Fackeln waren nach dem Empfang gelöscht worden. Wütend schlug er mit der rechten Faust in seine linke Handfläche. Er wusste selbst, dass er morgen reiten würde. Denn etwas in ihm wagte es nicht, sich den Anordnungen Barraids zu widersetzen. Der Fürst bekam stets seinen Willen. Nun, fast immer. Zum zweiten Mal an diesem Abend glitten seine Gedanken zurück zu der Nacht des Drachen in Gleann Fhírinne: Schwacher Fackelschein unter einem dicht bewölkten Himmel. Ein dunkler Torbogen aus Fels. Und plötzlich Feuer. Der stolze schwarze Hengst des Fürsten zeichnete sich gegen das flackernde Licht in seiner ganzen wilden Schönheit ab, als es ihm gelang seinen Reiter abzuwerfen. Dann trabte er mitten in das Feuer hinein, das um ihn tanzte, scheinbar ohne ihn zu verletzen. Dorban gelang es sein entsetztes Pferd gerade lange genug zu zügeln, bis er sah, dass auch Barraid nicht in der Schlucht zurückbleiben würde. Ein Blick dieser dunklen Augen traf ihn ...
Dorban zuckte zusammen. Er wünschte, er hätte nie in diese Augen geblickt, damals noch länger zurück auf der Carrus. Er fürchtete diese Augen mehr als alles andere. Barraid drohte nicht. Ein Blick dieser Augen und ... Der Lord von Tairg schüttelte sich. Da er schon morgen reiten würde, sollte er seine Zeit nicht hier vergeuden. Die Männer mussten Bescheid haben. Und dann. Es gab einen brauchbaren Schnaps hier auf Carraig, gerade das richtige, um brennende Augen und Pferde, die durch Feuer galoppierten zu vergessen.
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Der nächste Morgen war neblig. Ein Wetter, das nicht dazu angetan war, Dorbans Stimmung zu verbessern, als er in der Morgendämmerung aufstand. Sein Kopf dröhnte – und er hatte nicht vergessen können, dass er es nicht gewagt hatte, dem Blick Barraids zu widersprechen. Er konnte natürlich noch an diesem Morgen erklären, dass er nicht reiten werde. Zum Teufel auch. Warum sollte er reiten? Aber er wusste, dass er reiten würde. Neben dem Zorn über diese Tatsache erschien sein Kater fast bedeutungslos. Immerhin, ein Gutes hatte das alles. Er würde schnell aus Carraig wegkommen und nicht so bald wieder mit einer solchen Niederlage konfrontiert werden.
Er ging übellaunig die Treppe zu dem Innenhof hinab, der in ihrem Teil der Burg lag. Carraig war eine gewaltige Festungsanlage. Barraid hatte, soweit Dorban wusste, zurzeit nur etwa zwei- oder dreihundert Männer hier, so dass die meisten der Gebäude leer standen. Der Lord schüttelte den Kopf. Sicherlich, es ritten stets Patrouillen zwischen Cardolan und Carraig. Dann waren Asrain und Fíanael noch mit Begleittrupps unterwegs, aber das würde die Gesamtzahl von Barraids Leuten vielleicht auf siebenhundert bringen. Carraig bot Platz für viele Tausende. Er war nie an diesem Ort gewesen, bevor Barraid ihn hierher hatte rufen lassen. Es hatte stets geheißen, die Festung sei nach den Großen Kriegen geschleift worden, und er hatte angenommen, dass die Jahrhunderte, die seitdem vergangen waren, nichts als verwitterte Felsen zurückgelassen hatten. Aber das musste ein Irrtum gewesen sein. Denn niemals hätte aus solch einer Ödnis in relativ kurzer Zeit und unbemerkt von allen, diese Festung erbaut werden können. Auch so war es rätselhaft genug, wie all dies hatte errichtet werden können.
Er hatte vorgehabt, zu den Ställen zu gehen. Aber der Morgen war noch früh. So schlug er stattdessen den Weg zum oberen Burgfried ein. Zunächst war er verwundert, dass ihm niemand begegnete, doch dann sagte er sich, dass Barraid, wie es schien, tatsächlich jeden verfügbaren Mann losgeschickt hatte, um nach den echten Rittern zu suchen. Der Wind auf der Plattform des Turmes ließ seinen Kopf schnell klarer werden. Der Ausblick reichte hier weit über das Land, aber seine Augen blieben an der schwarzen Formation des Friedensrückens hängen. Keiner wusste mehr wie dieser Felsgrat bei Carraig zu diesem Namen gekommen war. Aber das interessierte ihn zurzeit nicht. Es war das Schwarz des Steins, das ihn festhielt. Ein Schwarz so tief wie das des Carrus-Felsens weit im Osten.
Das alles lag jetzt mehr als fünfzehn Jahre zurück. Nur wenige Monate vorher war sein Vater, Lord Devan von Tairg bei einem Kampf mit einer Gruppe von Wegelagerern getötet worden. Kurz darauf war sein Halbbruder Durvan bei einem Jagdunfall tödlich verunglückt – und er selbst war so unerwartet zum Herrn von Tairg geworden. Tairg war nicht reich aber groß. So hatte er beschlossen, sein Land genauer kennen zu lernen. Mit einem Dutzend Männer war er losgeritten, hatte die entlegenen Höfe besucht, sich in der Hauptstadt Daliní vorgestellt, und dort die Bekanntschaft Orlas von Fuacht gemacht, den alle nur den Fuchs nannten. Orla galt damals als der ambitionierteste der Lords. Man sagte, er sei jedermanns Freund, weil er suche, den Konsens zusammenzubringen, um einmal als Führer Dalinies anerkannt zu werden und er sei niemandes Freund, weil ihm die Macht über alles ging. Dorban hatte sich niemals auch nur im Geringsten für Politik interessiert. Aber er war praktisch veranlagt. Daher beschloss er, sich mit Orla über die dalinianischen Angelegenheiten zu unterhalten. Das war der Beginn einer Freundschaft geworden. Er war mit Orla zurück nach Fuacht geritten, um dessen in Dalinie schon legendäre Pferdezucht zu bewundern und in Ruhe einige der politischen Gegebenheiten diskutieren zu können. Dabei hatte er auch Orlas damals dreizehnjährige Tochter Livin kennengelernt, das einzige Kind des Lords von Fuacht. Dorban hatte es nie eilig gehabt zu heiraten, also war er ganz einverstanden, mit Orla die Abmachung zu treffen, dessen Tochter zu heiraten, wenn sie achtzehn werden würde. Das Mädchen sah ganz nett aus –er hatte bis dahin noch viel Zeit, sein Vergnügen zu suchen, wo er wollte. Und Orla als Schwiegervater schien eine exzellente Wahl.
Da er mit Fuacht schon sehr weit in den Osten gekommen war, hatte er beschlossen, auf dem Rückweg den Umweg über die Ostheide und den legendären Idrimsee zu machen. Der See lag am Fuße eines steilen schwarzen Felsausläufers der Nordberge, der Carrus. Hier sprudelte der Hauptzufluss des Sees, der Wildfluss, aus seiner engen Klamm hervor.
Als sie das westliche Seeufer nach Norden hin entlang ritten, bemerkten sie schon von weitem dort oben auf der Anhöhe die schwarze Silhouette eines Reiters. Reglos stand er dort oben und blickte nicht etwa auf die Ebene herab sondern in die Berge hinauf, wie es schien.
„Wahrscheinlich nur ein ungewöhnlich geformter Felsen“, meinte Durlong nach einer Weile.
„Oder einer von denen aus Alandas“, bemerkte einer der anderen Männer mit leiser Stimme. „Der Ort ist irgendwie unheimlich.“
„Alandas“, murrte ein anderer. „Die Gegend hier hat einen übleren Ruf als so etwas. Hier soll doch vor vielen tausend Jahren ein Zauberer ...“
Das war eine Herausforderung gewesen, der Dorban nicht hatte widerstehen können. Er unterbrach: „Alandas ist ein Märchen genau wie das andere“, erklärte er. Es muss einen Weg da hinauf geben.“ Er schickte seine Männer aus, um nach einem Aufstieg zu suchen.
Es war Durlong, der einen Steig fand. Und es gab Spuren, dass er vor nicht allzu langer Zeit benutzt worden war. Die meisten seiner Männer zeigten keine große Lust, Dorban nach oben zu begleiten. Also gab er ihnen Anweisung, unten am See das Lager für die Nacht aufzuschlagen und ritt gefolgt von dreien, darunter Durlong, hinauf. Die Serpentinen waren steil aber dennoch gut gangbar für die Pferde. Sie erreichten die Klippenfläche auf der Ostseite des Felsens etwa zweihundert Meter von dem Reiter entfernt. Der Fremde war, wie es schien, so in Gedanken versunken, dass er sie nicht wahrnahm. Erst als Dorban nur noch einen Steinwurf von ihm entfernt sein Pferd zügelte und auch seinen Männern ein Zeichen gab, anzuhalten, ließ der Unbekannte sein Pferd zu ihnen herumtänzeln.
Bis dahin hatten sie ihn nur im Gegenlicht der Nachmittagssonne ausmachen können. Jetzt, da er ihnen ein paar Schritte entgegenkam und dann wieder schweigend anhielt, sahen sie, dass Pferd und Reiter von pechschwarzer Farbe waren. Das Pferd war ein prächtiger Rapphengst, dessen Fell schimmerte, als sei das Licht aller Sterne darin gefangen. Schweif und Mähne waren lang und dicht, die Bewegungen geschmeidig wie die eines Raubtiers. Dorban wusste auf den ersten Blick, dass Orlas beste Tiere gegen diesen Hengst Ackergäule waren. Das Auffälligste an dem Hengst waren seine Augen, ein tiefes Blau wie eine sternklare Nacht. Dorban war sich sicher, noch nie etwas Derartiges gesehen zu haben. Das Zaumzeug war des edlen Tieres würdig, aus schwarzem Leder, mit Gold beschlagen und Rubinsplittern besetzt, der Sattel mit tief weinrotem Samt ausgelegt.
Noch fremdartiger als das Pferd war sein Reiter. Er war ganz in Schwarz gekleidet, hatte schwarzes knapp schulterlanges Haar und trug eine Maske aus dunklem Holz vor dem Gesicht. An seiner linken Hand blitzte ein Diamantring, eine goldene Schnalle hielt seinen Reitmantel. Unaussprechlich elegant und hochmütig saß er dort und blickte auf sie herab. Dorban hörte eines der Pferde hinter sich nervös schnauben und konnte die Unruhe seiner Begleiter spüren. Er glaubte ein Flüstern zu hören, dass sich wie “schwarzer Fürst” anhörte, und das brachte ihn genau so auf wie die vorherigen Bemerkungen über Alandas. Seine eigene Furcht verdrängte er entschlossen. Ein forschender Blick offenbarte, dass der Fremde offensichtlich keine Waffe trug.
„Wer seid Ihr?“ sagte Dorban grob. „Warum tragt Ihr eine Maske? Ist Euer Gesicht verunstaltet?“
Der Fremde lachte leise. „Es scheint, dir wird nicht ohne Grund eine große Zukunft vorausgesagt“, sagte er dann. „Alte Geschichten scheinen dich nicht so zu erschrecken wie deine Begleiter. – Ich habe dich erwartet, Dorban.“
„Woher Ihr auch meinen Namen kennt, zeigt mir Euer Gesicht und nennt mir den Euren“, forderte Dorban.
„Wie du willst“, antwortete der Fremde. Er nahm die Maske ab und hängte sie an den Sattelknauf. Seine Züge waren nicht unangenehm, aber sein Alter schwer einzuschätzen. Vielleicht lag es daran, dass es schwer war, sich auf anderes zu konzentrieren als seine dunklen brennenden Augen und den goldenen Stirnreif, der wie mit einem eigenen Feuer auf seiner Stirn schimmerte.
Wider Willen wich Dorban etwas zurück. „Wer seid Ihr?“ wiederholte er. Er hatte seiner Stimme einen harten Klang geben wollen, aber sie hörte sich nur rau an.
„Nun“, sagte der Fremde, „du kannst mich Barraid, Fürst von Winian, Herrscher auf Carraig und Lord über alles Land um Cardolan sowie nördlich und östlich des Toirseach nennen.“
Dorban lachte auf. „Carraig ist eine Ödnis, Cardolan ein Märchen. Von Winian habe ich noch nie gehört, und das erwähnte Land um den Toirseach gehört seit Jahrhunderten zu Tairg und damit mir. Was soll diese Posse?“
Der Fremde zeigte sich unbeeindruckt. „Das Land um den Toirseach gehört zu Carraig – und ich bin zurückgekehrt. Du magst der erste sein, der es erfährt, aber du wirst bei weitem nicht der letzte sein. Das Land wirst du nicht vermissen, Tairg hat Wälder genug. Dennoch, ich biete Dir ein Fürstentum als Wiedergutmachung dafür.“
„Welches?“ fragte Dorban mit Hohn in der Stimme. „Dieses Winian? Oder andere Märchenländer?“
Der dunkle Fremde sah ihn eine Weile schweigend an, und Dorban fühlte plötzlich eine seltsame fast panikartige Furcht in sich aufsteigen. Wer immer dieser Wahnsinnige war, er war vielleicht doch gefährlich. Dann sprach der Fremde: „Winian ist mein und niemand deinesgleichen kann es auch nur betreten, aber ich könnte dir zu dem Thron von Dalinie verhelfen.“ Er lächelte. „Ich werde dich in zwei Monaten auf Tairg treffen. Dann werden wir alles Weitere besprechen.“ Er machte eine kurze Pause. „Es sei denn, du lehnst das Angebot von vornherein ab.“
„Warum nicht hier?“ wollte Dorban wissen.
„Jetzt ist nicht die Zeit und die Stunde dafür“, sagte der Fremde. „Wirst du mich auf deiner Burg willkommen heißen?“
Dorban zuckte die Achseln. „Wie Ihr wollt. Seid willkommen, vorausgesetzt Eure Eskorte beträgt nicht mehr als fünf Leute.“
„Gut“, sagte der Schwarzgekleidete. Er spornte seinen Rappen an, ohne Dorban und seine Männer weiter zu beachten. Dorban, der sich erst jetzt zu Durlong und den anderen umdrehte, sah, dass sie alle die Hand an den Schwertern hatten. Aber jetzt wichen sie zurück. Nur Durlong wollte sein widerstrebendes Pferd nach vorn drängen, um dem Fremden den Weg zu versperren. Doch als ihn der Blick des Fremden traf, erstarrte er in der Bewegung und riss dann abwehrend die Hände hoch. Erst als der schwarze Reiter das Klippenplateau verlassen hatte, rührten sie sich wider. Es war, als hätten sie unter einem Bann gestanden.
„Verdammt!“ fluchte Durlong. „Du hast den schwarzen Fürst selbst nach Tairg eingeladen!“ Die anderen murmelten zustimmend.
„Mach dich nicht lächerlich“, schnaubte Dorban. „Wir leben nicht in Sagen und Märchen.“ Nachdenklich fügte er hinzu: „Aber irgendwie wirkt dieser Fremde auch nicht wie ein einfacher Verrückter. Vielleicht ist es jemand der erkannt hat, wie man den Aberglauben, der in Abhaileon so verbreitet ist, für seine eigenen Zwecke nutzen kann. Es kann nichts schaden, mehr von seinen Plänen zu hören.“ Erst jetzt fiel ihm auf, dass er dem Fremden gegenüber stets die höfliche Anrede gebraucht hatte, während dieser eher von oben herab zu ihm sprach.
„Du machst einen Fehler“, sagte Durlong. „Als er mich anblickte, da war da nur noch nachtschwarze Finsternis.“
Vielleicht hatte Durlong recht gehabt, sagte sich Dorban, als er so auf dem höchsten Turm Carraigs stand und auf die schwarzen Klippen des Friedensrückens starrte. Dann blickte er überrascht über sich selbst auf. Was war nur in ihn gefahren? Barraid hatte sich als gewiefter Politiker erwiesen. Und wo immer sein Fürstentum Winian lag – irgendwo östlich Cardolan nahm Dorban an – er schien tatsächlich über mehr Krieger zu verfügen als irgendein Fürst Abhaileons. Ihr loses Bündnis hatte sich ausgezahlt, bald würde er Fürst von Dalinie werden. Und wer weiß, Barraid hatte Pläne, den Rat zu entmachten und die Herrschaft in Abhaileon zu ergreifen. Vielleicht würde Dalinie noch nicht das Ende für Dorban sein.
Aber er hatte zuviel Zeit vertan mit seinen Erinnerungen, die Sonne war schon um einiges höher gestiegen. Bald schon musste es Zeit sein aufzubrechen. Wahrscheinlich warteten Durlong und die anderen schon im äußeren Burghof. Er eilte nach unten und weiter durch die Festungsanlagen. Als er gerade oberhalb eines der inneren Höfe entlangkam, hörte er Pferde und die Stimmen von Männern. Unwillkürlich hielt er inne und blickte über die Balustrade nach unten. Barraids Reiter waren meistens disziplinierter als das, was da an Geräuschen zu ihm hinaufdrang, aber Barraid hatte außer Dorbans Leuten gewöhnlich keine anderen Gäste auf Carraig. Auf den ersten Blick schien es, als habe er sich getäuscht. Er sah die unverkennbare Gestalt Fíanaels, der in die Burg hineineilte. Offenbar hatte ihn die Botschaft erreicht, dass Barraid ihn sofort sprechen wollte. Nichts anderes hätte ihn zu solcher Hast nötigen können. Ein paar weitere von Barraids Reitern waren mit den Pferden und der Ausrüstung beschäftigt. Er wollte sich schon wieder abwenden, doch dann hörte er eine aufgebrachte Stimme: „Was soll das heißen?“ Die Stimme gehörte einem Neuankömmling, der die Kapuze seines schlichten Reisemantels tief ins Gesicht gezogen hatte. Seine zwei Begleiter, die auch sehr unauffällig gekleidet waren, versuchten ihn offensichtlich vergeblich zu beschwichtigen. „Kommt zurück, Herr Fíanael, und erklärt mir, warum ich mich hier in solcher Gesellschaft finde!“
Dorban beugte sich etwas weiter vor, um zu sehen, wohin der andere blickte. Dort war ein breitschultriger, bulliger Mann mit blondem Haar gerade abgesessen. Dorban erkannte das ihm wohlbekannte narbige Gesicht Restacs, des Banditenhauptmannes. Wer auch immer der andere war, er begriff seine Indignation. Diesen Verbrecher hätte er hier nicht erwartet gehabt, es sei denn als Gefangenen. Doch Restac war offensichtlich nicht als Gefangener gekommen. Er grinste frech in Richtung des zornigen Mannes, hob grüßend die Hand und rief: „Nur keine Aufregung, Kamerad!“ Dann kam Lord Asrain ins Blickfeld und Dorban begriff. Die Trupps der beiden Lords waren ungeplanterweise gleichzeitig eingetroffen. Dorban kannte sich nicht gut aus bei den Winianern, aber dass sich diese beiden Lords nur mehr oder weniger feindselig begegneten, war kein Geheimnis. Dabei schien es Asrain zu sein, der die höhere Stellung besaß.
Asrain winkte einem seiner Leute, Restac in die Burg zu führen und wandte sich dem Mann in dem Kapuzenmantel zu. Er trug sein liebenswürdigstes Lächeln, und Asrain konnte äußerst liebenswürdig sein. „Würdet Ihr es vorziehen, seine Hoheit, gleich zu treffen? Oder möchtet Ihr, dass Euch zuerst Eure Gemächer gezeigt werden? Der Fürst würde sich sehr geehrt sehen, wenn Ihr ihm gleich Zeit für eine Unterredung schenken würdet, wie ich höre. Aber er nimmt natürlich auf Eure Wünsche Rücksicht.“
„Ich ziehe es vor, zuerst meine Zimmer aufzusuchen“, erklärte der andere mit schneidender Stimme. „Ich kann nur hoffen, Euer Herr weiß es wirklich zu schätzen, dass ich ihn hier aufsuche. Ich wünsche Herrn Fíanael sobald wie möglich wieder zu sehen. Der Empfang hier entspricht nicht dem, was ich erwartete.“
„Eitler Dummkopf“, dachte Dorban. Barraid will Fíanael vor dir sprechen, und Asrain weiß das genau. Barraid wird dich zu sich zitieren, genau wie es ihm passt.“ Als der Fremde in die Burg trat, warf er die Kapuze zurück und blickte noch einmal in den Hof. Dorban erstarrte. Dieses Gesicht hatte er schon einmal gesehen, wenn auch nur flüchtig. Die wilde blonde Haarmähne, der sorgfältig gestutzte Bart, das überhebliche Lächeln und die spöttischen Augen waren unverkennbar – das war Fürst Gearaid von Eannas.
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