Montag, 25. Juli 2011

Kapitel 5.3


Dorban von Tairg war ein großer breitschultriger Mann mit dunklem Bart und dunklen Augen, die oft finster blickten. Wäre es nicht Nacht gewesen, hätte man gesehen, mit welch düsteren Blicken er die Dunkelheit zu durchdringen versuchte. Ihm missfiel der Auftrag, den er hier ausführen sollte. Hinter ihm folgten zehn seiner Leute, die zwei reiterlose Pferde mit sich führten. Sie wussten, wie mürrisch die Laune ihres Anführers in den letzten Tagen gewesen war, darum sprachen sie nicht untereinander. Dorban war gewöhnlich nicht ungerecht, aber einmal gereizt, konnte er sehr aufbrausend sein. Und Durlong, der ihn stets besänftigen konnte, war mit den anderen unterwegs.
Ohne einen Augenblick in seiner Wachsamkeit nachzulassen, hing Dorban seinen Gedanken nach: Er war von jeher Realist gewesen. Ihn interessierten materielle Vorteile, Landbesitz und Macht. Ihretwegen hatte er sich dem Fürsten von Winian angeschlossen und war bisher gut damit gefahren. Weniger gefielen ihm einige andere Dinge, die irgendwie Richtung Übernatürliches tendierten. Nicht dass er an so etwas glaubte. Bestimmt nicht! Es gab für alles eine natürliche Erklärung. Nur hatte er die für so ein paar Dinge, die mit dem Fürsten in Zusammenhang standen, noch nicht finden können. Und jetzt auch noch diese Sache mit den "Rittern des Königs". Dorban wusste ganz genau, dass es keinen König gab und folglich auch keine Ritter des Königs. Der Fürst war auch kein Freund von solchen Dingen. Was gingen ihn also zwei derartige Verrückte an? Aber der Fürst war ganz offensichtlich sehr erpicht darauf, diesen beiden "Rittern" zu begegnen.
„Würde mich nicht wundern, wenn ich meine Männer hier umsonst durch die Gegend scheuche“, murrte Dorban leise, als sie sich der Ruine der Herberge näherten. „Ich gebe keinen Pfifferling auf diesen Lord Fíanael und seine Sterndeuterei. Aber wenn sich Seine Hochwohlgeboren der Herr von Winian mit so etwas lächerlich machen muss, sei's drum.“ Er lächelte grimmig und begann sich auszumalen, wie er erfolglos zurückkehrte, um dem Fürsten mitzuteilen, dass sich Lord Fíanael geirrt hatte. Er knurrte eine Verwünschung über den Lord, den er auf den Tod nicht ausstehen konnte.

Die beiden Ritter und Dorbans Trupp wurden ungefähr gleichzeitig aufeinander aufmerksam, als die Entfernung zwischen ihnen nur noch etwa fünfzig Schritt betrug. Wie auf ein Kommando kam genau in dem Augenblick, als die beiden Ritter ihre gedämpfte aber angelegentliche Unterhaltung unterbrachen und Dorban überrascht sein Pferd am Zügel zurück riss, der Mond zum ersten Mal in dieser Nacht ganz hinter den Wolken hervor. Dorban fasste sich am schnellsten. „Gebt die Parole“, rief er, und dachte „Vermutlich hat der Ganove Restac hier einen kleinen Coup vor, und wir sind auf zwei seiner Leute gestoßen. Das würde uns gerade noch fehlen.“
Béarisean sah wie der Anführer des Reitertrupps die Hand zu seinem Schwert gleiten ließ, als befürchte er einen Angriff. Vor wem fürchtete sich dieser Hüne? Doch nicht vor zwei einzelnen Fremden? Er zögerte zu antworten. Doch Robin gab die Losung: „Daoine Rí“, rief er und hob grüßend die Hand.
Das Pferd des großen Reiters schnaubte, als dieser es ungestüm antrieb, um näher an sie heranzukommen. Seine Hand hatte den Schwertknauf wieder fahren lassen, wie Béarisean sah. Der Anführer winkte einem seiner Reiter, der daraufhin eine Fackel entzündete. Der Hüne ergriff sie und sprang vom Pferd. Die Zügel warf er einem anderen zu. Dann hielt er die Fackel so, dass er die Gesichter der beiden Fremden deutlicher erkennen konnte. „Daoine Rí, Leute des Königs“, wiederholte er, als missfielen ihm die Worte, und betrachtete die zwei Fremden eine Zeitlang schweigend. Der Blick des etwas größeren der beiden jungen Männer war verschlossen und misstrauisch. Der etwas kleinere mit den lockigeren Haaren, schien aufgeschlossener. „Mein Name ist Dorban“, stellte der Lord von Tairg sich schließlich vor. „Ich wurde von Fürst Barraid aus Dalinie hierher geschickt, um zwei Ritter zu treffen und sicher zu ihm zu geleiten. Gestattet Ihr, dass ich mich nach Euren Namen erkundige?“
Béarisean fühlte eine seltsame Unruhe in sich. Ihm war, als warne ihn etwas. Doch wovor? Dies waren offenbar die Männer, auf die sie hatten warten sollen. Es gab keinen konkreten Anlass, misstrauisch zu sein. Der Name des Boten war der erwartete. Der unfreundliche Klang seiner Stimme konnte darauf zurückzuführen sein, dass dieser ihnen misstraute.

„Ich bin Herr Alan und dies ist Herr Robert“, antwortete er.
„Herr Alan von woher?“, fragte Dorban.
„Weit von hier“, erwiderte Béarisean knapp.
Ein paar Sekunden lang musterten sich die beiden stumm. Dorban blickte Robin an. “Herr Robert von wo?”
“Aus Fernen Landen?” schlug Robin vor. “Und Ihr seid Herr Dorban von was? Ich fürchte, mir entging es, als Ihr Euren vollen Namen nanntet. ”
“Dann also keine Namen.”  Dorban drehte sich zu seinen Männern um. “Gebt ihnen die Pferde. Wir haben keine Zeit zu verschwenden.”
Robin schwang sich sofort auf das Reittier, das ihm gebracht wurde. Aber Béarisean zögerte. “Was nun?” fragte Dorban ungehalten.
“Ihr wolltet eine Losung von uns”, sagte Béarisean. “Aber womit weist Ihr Euch uns gegenüber aus?”
“Es ist alles wie abgemacht.”
“Ihr seid nicht der einzige, der in dieser Nacht unterwegs ist. Wohin reiten wir?”
“Nach Dalinie”, gab Dorban unwillig Auskunft.
“Dalinie ist im Osten”, bemerkte Robin. “Die Richtung stimmt also, Alan.”
Béarisean nickte widerwillig. “Wir werden ja sehen”, sagte er und saß auf. “Ich nehme an, Ihr seid kein Ritter des Königs, Herr Dorban?”

Dorban lachte auf. “Sicherlich nicht. Aber Fürst Barraid teilte mir mit, dass Ihr Euch so nennt. Und ihm scheint dringend an einem Treffen mit Euch gelegen.”
„Wir kommen im Namen des Königs“, sagte Béarisean reserviert.
“Was auch immer das heißen mag”, sagte Dorban mit Sarkasmus in der Stimme.
Béarisean konterte sofort. “Was für eine Art Fürst Herr Barraid auch sein mag.”
Einige der anderen Reiter tauschten leise Bemerkungen aus. Dorban warf einen Blick nach hinten, der sie sofort verstummen ließ. “Ich schlage vor, Ihr diskutiert das von Königsritter zu Fürst, sobald Ihr Euch gegenübersteht”, sagte er kühl. “Kommt Ihr jetzt?”
“Wie schon gesagt, wollen wir nach Osten”, sagte Béarisean. “Alles Weitere werden wir sehen.”

Robin atmete auf, als sie sich endlich in Bewegung setzten. “Musstest Du ihn so herausfordern?” fragte er leise, sobald sich die Gelegenheit bot.
Bevor Béarisean antwortete, ging er sicher, dass die Reiter vor und hinter ihnen zu weit weg waren, als dass sie ein leises Gespräch hören konnten. “Es gibt keinen Fürsten von Dalinie und keinen anderen Fürsten der Barraid heißt. Etwas ist hier mehr als dubios.”
“Ein Versteckspiel”, meinte Robin. “Wir verraten unsere Identität nicht ganz. Sie verraten die ihre nicht. Wer weiß, wer sich in Wirklichkeit hinter dem Fürsten verbirgt?” Er lachte. „Barr airde – sehr hoch, nicht der schlechteste Deckname für einen Fürsten.“
“Was gibt es noch zu verraten?” entgegnete Béarisean bitter. “Dorban hat uns selbst Königsritter genannt, auch wenn er nicht zu glauben scheint, dass wir es wirklich sind. Das passt einfach alles nicht zusammen.”
“Vielleicht ist er nur ein Bote, der in nichts eingeweiht ist”, schlug Robin vor. “Was er nicht weiß, kann er nicht anderen verraten.”
“Und dann weiß er, dass wir als Ritter des Königs auftreten?”
“Ich durchschaue es auch nicht”, meinte Robin achselzuckend, “immerhin reiten wir nach Osten, wie du wolltest.”
“Das ist das einzig Gute daran”, erklärte Béarisean düster.
Robin lachte. “Lass es gut sein für jetzt. Genießen wir den Ritt durch die Nacht und das Abenteuer.”
Béarisean schlug seinen Mantel fester um sich. „Die Nacht ist kühl. Und du solltest das ernster nehmen. Das hier ist kein Abenteuer.“ Dann ließ er sein Pferd zurückfallen. Er fragte sich, ob sie in dieser Gruppe mehr Gäste oder Gefangene waren. Reiter vor und hinter ihnen, aber keiner so nahe, als bewache man sie. Andererseits hatte er ja erklärt, dass sie nach Osten wollten ... Er schüttelte den Kopf. Wirklich nichts passte hier richtig zusammen.
******
Morgen würde sie nach zu Hause zurückfahren. Zwei Tage hatte Isabell jetzt gewartet, ob Robin und dieser Béarisean, den sie kaum hatte richtig kennen lernen können, zurückkamen. Noch länger wäre nun wohl Zeitverschwendung. Es war schon früher Abend, aber wenigstens noch einmal wollte sie den Graben aufsuchen, an dem für Robin das Abenteuer begonnen hatte. Immerhin hatte es aufgehört zu regnen.
Bis sie den Ort erreichte, war es dunkel geworden. Unter der Weide am Graben blieb sie stehen und sah auf das Wasser, das schwach schimmerte, hinab. Es war so ungerecht! Sie hatten immer geplant, ein solches Abenteuer zusammen zu bestehen. Aber für sie hatte sich das Tor nach Abhaileon nicht geöffnet. “Ich will auch ein Ritter sein”, sagte sie leise und trotzig in die Nacht hinein.
Vielleicht, vielleicht, wenn sie es noch einmal versuchte. Sie spähte vorsichtig in die Dunkelheit. Niemand zu sehen. Dann kletterte sie hinab. Der Versuch war genauso erfolglos wie alle ihre bisherigen. Sie hatte gerade wieder die Brücke erreicht, als eine Stimme von dort herab klang: “Kann ich Ihnen helfen?”

Isabell erstarrte. Hätte sie es nur gelassen! Eine Ausrede, sie brauchte schnell eine Ausrede. “Ich habe nur etwas hier unten gesucht. Ich stand vorher auch auf der Brücke und dachte, vielleicht finde ich es, obwohl es dunkel ist.” Sie kämpfte sich durch die Büsche nach oben.
Der Fremde, der dort stand, musterte sie, wie es schien, belustigt. “Ich kenne wenige Menschen, die nachts in einen Graben klettern würden, weil ihnen etwas hinab gefallen ist. Vielleicht könnte ich auch suchen helfen, wenn es so wertvoll war?”
“Nein”, wehrte Isabell ab. “Nein, es war nicht wirklich wertvoll. Und ich fürchte, es ist wirklich unauffindbar. Ich weiß auch nicht, wieso ich überhaupt hinterher geklettert bin.”
“Schade”, sagte der Fremde, von dem sie kaum etwas erkennen konnte. “Ich hatte schon gedacht, Sie seien jemand, der nicht ganz so schnell aufgibt. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, ein wichtiges Ziel zu erreichen.”
Isabell starrte ihn verblüfft an. Aber er hatte sich schon abgewandt  und war weitergeschlendert.
******
Dorban hatte es offenbar eilig, die Umgebung der Hauptstadt zu verlassen. Sie ritten im schnellen Trab durch die Dunkelheit. Dabei folgten sie nicht der Hauptstraße, sondern durchquerten auf schmalen Pfaden die Wälder, die die Hauptstadt umgaben. Ihr Führer, einer von Dorbans Männern, schien die Gegend gut zu kennen und hielt kein einziges Mal an, um sich zu orientieren. Schließlich begann es zu dämmern. Die Reiter machten immer noch keine Rast, ließen die nun müden Pferde nur lange Strecken im Schritt gehen. Erst am späten Vormittag ließ Dorban das Lager aufschlagen. Sie hatten eine kleine Anhöhe erreicht, die von einer Felsengruppe gekrönt wurde. Das Gestein bildete genau in der Mitte der Kuppe einen natürlichen Torbogen. In einer nahe gelegenen kleinen Senke entsprang eine Quelle. Das Wasser sammelte sich etwas weiter hangab in einem kleinen Weiher, bevor es weiter dem Avraig, einem Nebenfluss des Terin, zufloss.
Nachdem Dorban seinen Leuten ein paar Anweisungen gegeben hatte, gesellte er sich zu seinen beiden Gästen. „Wir bleiben für ein paar Stunden hier an den Wächterfelsen“, teilte er ihnen mit. “Wir müssen auf ein paar meiner Leute warten, die sich gestern Abend von uns trennten. Sowie auf ein paar Kundschafter. Selbst für eine Gruppe Bewaffneter sind die Wege unsicher geworden. Wir werden gegen Nachmittag weiterreiten und dabei in etwa dem alten Ostweg nach Dalinie folgen.”

Es wurde kein Feuer entzündet, so dass sich alle mit einer kalten Mahlzeit begnügen mussten. Nach einem kurzen Frühstück, streckten sich die meisten der Männer auf dem Boden aus, um zu schlafen. Wahrscheinlich waren sie die ganze Nacht unterwegs gewesen. Da es Béarisean und Robin nicht viel besser ergangen war, beschlossen sie, es ihnen gleich zu tun.
Béarisean wachte um die Mittagszeit auf. Ein Blick auf Robin zeigte, dass er wie die Reiter Dorbans noch tief und fest schlief. Nur oben auf den Felsen  stand ein Mann auf Wache. Dorban selbst war nirgends zu sehen. Béarisean konnte nicht umhin, der Ausdauer dieses Ritters Bewunderung zu zollen. Er fühlte sich immer noch unausgeschlafen. Am besten wäre es wohl gewesen, sich wieder hinzulegen und die verbleibende Zeit zu  ruhen. Aber er hatte Durst und wollte auch die Gelegenheit nutzen, sich zu waschen. Er ging hinunter zum Weiher.
Als er erfrischt wieder zum Lager zurückkehren wollte, hörte er weiter unten im Wald ein Pferd wiehern. Da der Wächter keinen Alarm gab, war das wohl der zweite Trupp, auf den Dorban wartete. Béarisean begann quer über den Hang zurück nach oben zu steigen. Er hatte etwa den halben Weg zurückgelegt, als er hinter sich Hufschlag und Stimmen hörte. Unwillkürlich ging er hinter einem Gesträuch in Deckung. Als sich die Reiter näherten, erkannte er Dorban, der im Gespräch mit einem älteren Krieger begriffen war. Dorban sah nicht sehr erfreut aus.

Kurz bevor sie Béariseans Versteck erreichten, hielt er sein Pferd an und sagte:  „Hier sind wir ungestört und können ohne unerwünschte Zeugen reden. Ihr habt sie also nicht erwischt?“
„Nein“, antwortete der andere knapp. „Ich bin nicht einmal sehr unglücklich darüber. Ich möchte mit dem ganzen Zauberkram nichts zu tun haben.“
„Zauberei!“ Dorban spuckte verächtlich aus. „Wer redet denn von Zauberei! Das waren gewöhnliche Menschen wie du und ich, die sich nur etwas herausgeputzt hatten. Du weißt, einige Leute vom Obersten Rat sind schwer daran interessiert, dass das Gerede vom Fürsten von Alandas und seinen Boten und die ganzen Mythen über den König geglaubt werden, um daraus Nutzen zu schlagen. Es wäre für uns von großem Interesse gewesen, zu erfahren, wer diesmal der Drahtzieher ist. Ihr müsst euch ganz schön ungeschickt angestellt haben, dass sie euch zu Fuß entkommen sind. Das war eine einmalige Gelegenheit, diesen Umtrieben auf die Schliche zu kommen.“
Der Ältere war beleidigt. „Du solltest mich besser kennen, Dorban. Da muss Zauberei im Spiel gewesen sein. Als wir sie fast eingeholt hatten, hatten sie bereits den Avraig überquert. Obwohl wir kein Boot entdecken konnten. Du weißt, wie schwierig die Stromschnellen dort sind. Zum Glück gab es eine nahe gelegene Furt. Wie dem auch sei, zwei Stunden nach Mitternacht hatten wir den Ring um sie geschlossen.  Wir konnten sie noch hören. Doch als meine Männer auf sie zuritten, waren diese seltsamen Fremden plötzlich verschwunden, als seien sie in den Boden versunken. Wir suchten die ganze Umgebung ab. Keine Spur mehr. - Das gefällt mir nicht, Dorban. Genauso wenig wie die ganzen Machenschaften dieses Barraids. Ich glaube, er vergreift sich in seinen Machtgelüsten, wenn er sich mit ... ‘ er zögerte, dann fuhr er mit Nachdruck fort, ‘Alandas einlässt.“

„Alandas ist ein Märchen“, knurrte Dorban. „Und herauszufinden, wer die Unruhestifter im Obersten Rat sind, liegt in meinem ureigensten Interesse. Deshalb habe ich dich hinter diesen Leuten hergeschickt, als sie so plötzlich auftauchten. Das war kein Auftrag des Fürsten.“
„Dorban, dieser Barraid. Warum versteckt er sich auf seiner Burg und nimmt keinen Kontakt mit den anderen Fürsten und dem Rat auf? Das sieht doch ein Blinder, dass irgendetwas an der Sache faul ist“ gab der andere zurück. „Selbst seine Leute sind unheimlich. Wir sollten uns nicht mit ihm einlassen und wieder auf eigene Faust arbeiten wie in den alten Zeiten.“
„Das zu beurteilen, Durlong, wirst du mir überlassen müssen“, entgegnete Dorban eisig. „Ich will von diesen Ammenmärchen nichts mehr hören. Das wäre noch mal so schön, wenn ihr eure Unfähigkeit mit so etwas entschuldigen könntet. Barraid ist ein genialer Feldherr und Krieger und dieses Land braucht einen neuen Herrscher. Meine zwei "Königsritter" sind übrigens, wie es scheint, auch ganz normale Menschen. Na, das ist die Sache des Fürsten. Schließlich will er so dringend mit ihnen sprechen. Wir reiten in zwei Stunden weiter, sobald die Kundschafter zurück sind.“
„Das ist knapp bemessen“, wandte Durlong ein. „Wir waren die ganze Nacht unterwegs.“
„Nimm es als Strafe für euren Misserfolg und seid froh, dass ihr so glimpflich davonkommt.“, gab Dorban zurück. „Du kannst es den anderen gleich beibringen, dass ich kein weiteres dummes Gerede in dieser Angelegenheit und über den Fürsten dulden werde.“ Er wandte sich ab, hielt aber wieder inne und fügte ruhiger hinzu: „Ich würde den Leuten gerne mehr Ruhe gönnen, aber wir müssen so schnell wie möglich aus der Nähe der Hauptstadt fort, bevor die andere Seite Wind davon bekommt, zu welchem Zweck wir hier waren. Zwei Stunden sind genug, dass die Pferde wieder einigermaßen beieinander sind. Wir werden zwei Tage Rast machen, um Kundschafter auszuschicken, wenn wir an den Toirseach kommen.“
Sie führten die Pferde weiter hangauf.

Béarisean wartete, bis sie außer Sicht- und Hörweite waren, bevor er selbst zum Lager zurückkehrte. Er musste mit Robin über das Gehörte beraten.
Die Gelegenheit dazu ergab sich, sobald sie weiter ritten. Niemand hinderte sie, sich an das Ende der Truppe zurückfallen zu lassen. Robin nahm die Sache auf die leichte Schulter. „Sicher“, sagte er, „Dorban ist ein Pragmatiker und glaubt nur an das, was er begreifen kann. Aber das entschuldigt ihn auch dafür, dass er die Gruppe aus Alandas verfolgen ließ. Er versuchte, wie du ja selbst erzählst, einem geschickten Schachzug eines der Mitglieder des Obersten Rates auf die Schliche zu kommen. Aus seiner Sicht der Dinge kann ich das durchaus verstehen. Es hätte ja auch sein können, dass Gegner Estohars etwas in Szene setzen, das die Geschichten über Alandas vollkommen in Misskredit gebracht hätte. So etwas in der Richtung scheint schon gelaufen zu sein: Du weißt doch, wie Thomas reagierte, als wir sagten, wir kämen im Namen des Königs. Erzählte er außerdem nicht, dass im Rat einige Leute sitzen, denen nicht zu trauen ist?“
„Schon“, sagte Béarisean. „Doch er meinte Estohars Gegner. Dorban schien mir von Estohar und seinen Freunden als den Gegnern zu sprechen. Daran, dass dieser Fürst Barraid zu uns gehört, habe ich inzwischen starke Zweifel. Warum hält er sich irgendwo in der Wildnis versteckt?“
„Warum reiten wir nicht offen durchs Land und erzählen allen, wer wir sind? Er kann gute Gründe dafür haben.“ Dem konnte Béarisean kaum widersprechen.

Dorban ritt heran und bat darum, sie möchten dichter aufschließen und sich mehr in der Mitte des Trupps aufhalten, da er für ihre Sicherheit verantwortlich sei. Sie folgten der Aufforderung, denn sie hatten ohnehin nicht viel Lust, sich weiter zu unterhalten. Béarisean wurde von dunklen Vorahnungen umgetrieben. Robin hatte andere Sorgen. Er schickte leise Stoßgebete zum Himmel, dass nur ja alle Räuberbanden einen großen Bogen um sie machen möchten, damit es keine Anlässe für den Gebrauch seines Schwertes gab. Jemand der sich Ritter des Königs nannte, musste besser kämpfen können, darüber war er sich vollständig im Klaren.

Unter Dorbans Reitern erfreute sich Robin bald großer Beliebtheit. Als das erste Nachtlager aufgeschlagen wurde, war es für Dorban offenbar nicht mehr so notwendig wie vorher, keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Vielleicht weil die Hauptstadt schon weit hinter ihnen lag. Spione von dort schien er mehr zu fürchten als Banditen. Jedenfalls wurde ein Lagerfeuer entzündet. Nach dem Essen saßen die Männer beisammen und unterhielten sich. Diejenigen zumindest, die nicht zu Durlongs Trupp gehört hatten. Letztere waren froh, endlich ausruhen zu können. Einer der Männer hatte während des Rittes Robins Harfe erspäht, die dieser in einer Hülle bei sich trug.
„Wie wär's, Herr Ritter“, rief er ihm zu. „Kennt Ihr nicht ein Lied, mit dem Ihr uns den Abend angenehmer gestalten könntet?“
„Lass die Herren in Ruhe“, knurrte Dorban. „Sie sind nicht bei uns, damit du dich besser amüsieren kannst, Andri.“
Béarisean lachte: „Sorgt Euch nicht, Herr Dorban. Es wird Herrn Robert eine Freude sein, sein Instrument hervorzuholen. Manchmal habe ich den Verdacht, er wäre lieber Barde als Ritter geworden.“
Alle lachten. Robin, der bereits die Harfe aus ihrem Schutzumschlag befreite, sagte fröhlich: „Das ist nur der blanke Neid, Alan, weil du selbst mit diesem Instrument nicht umgehen kannst. Ich versichere dir, dieser Mangel wird dir stets bei den jungen Damen einen Nachteil einbringen.“
„Gut gekontert“, rief Andri. „Doch Ihr kennt hoffentlich auch ein paar Lieder, die nicht nur für junge Damen geeignet sind.“
„Sicher“, sagte Robin. Er strich prüfend über die Saiten, stimmte kurz nach und stimmte ein Schwertlied an:
Heil dir, Cerbhalls Schwert! Oft warst du in gewaltigen Kriegen,
Oft hast du Schlachten geliefert und hohe Fürsten enthauptet.
Oft bist du in den Händen weise richtender Herrscher auf Raub ausgezogen,
Oft hast du die Beute mit einem trefflichen Krieger, der deiner würdig, geteilt.
Oft bist du in einer weißen Hand unter den Kämpfern aus Dalinie gewesen,
Oft warst du bei Fürsten, oft bei gewaltigen Heeren.
Oft trankst du das Blut der ruchlosen Feinde und gesetzloser Männer,
Oft spiegelte sich auf deiner leuchtenden Klinge die Sonne des Sieges ...

Dorbans Leuten gefiel das lange Loblied auf das Schwert, auf die Kämpfe und auf die Krieger, die es führten. Sie gaben ihrem Beifall laut Ausdruck, als Robin endete. Béarisean beugte sich zu ihm und flüsterte: „In der Version, die ich kenne, ist aber nicht von den Kämpfern aus Dalinie die Rede.“
„So etwas aber auch“, flüsterte Robin zurück. „Sollte ich mich da so vertan haben?“
Zur Freude aller stellte sich heraus, dass der junge Ritter noch etliche Balladen und Trinklieder kannte. Robin war ganz in seinem Element. Béarisean hielt sich währenddessen stets im Hintergrund. Bedrückung und böse Vorahnungen wollten auch während der nächsten Tage nicht von ihm weichen.

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