Montag, 25. Juli 2011

Kapitel 12.3


Der Wind heulte um die festen Mauern Escails und warf Regenschwaden auf die metallenen Dächer. Lassalle schwenkte nachdenklich den Becher mit rotem Wein in seiner Hand, während er durch eines der Fenster nach draußen sah. “Der Herbst kommt spät. Aber das wird der härteste Winter, seit ich in Eannas bin. Ich spüre den Schnee.”
“Schnee?” Reginald lachte rauh. “Das wird einmal etwas anderes für die verpäppelten Südländer hier!” Er warf den Kopf zurück und heulte schauerlich. “Lang her, dass ich die Wölfe über das Eis jagen hörte.”
“Schnee?” Wilgos verzog einen Mundwinkel. “Wirst du alt, Lassalle, dass du deine Knochen fühlst, wenn der Wind ein wenig pfeift? In Escail gibt es keinen festen Schnee.”
Reginald musterte ihn finster. “Arnim hat die Gabe”, sagte er. “Wenn er sagt, es gibt Schnee, wird es schneien.”

Lassalle würdigte Wilgos keiner Antwort, sondern nahm einen Schluck von seinem Wein. “In Eannas gibt es viele Leute, die nicht alt werden”, bemerkte er dann leichthin zu Elgin, der neben ihm stand.
“Das mit dem Schnee, den es hier nicht gibt, stimmt nicht ganz”, warf Gearaid lässig ein. “Gelegentlich liegt hier Schnee. So alle paar hundert Jahre oder so. Was sagst du, Ingvar? Du kennst dich doch gut aus mit der Geschichte.”
“Der letzte harte Winter, von dem wir sicher wissen, war hier vor fast tausend Jahren.” Ingvar zögerte. “Es war das Jahr, in dem Corachon an den Schwarzen Fürsten fiel. Damals heulten Wolfsrudel über den Ruinen der alten Burg Escail.”
Gearaid lachte. “Und, Lassalle, wie steht es mit unseren Mauern hier für diesen Winter?”
“Sie dürften sicher sein”, sagte der Lord trocken. “Wollt Ihr Ros Hilfe schicken, wie er erbittet? Ich schätze seinen Burgen wird es nicht ganz so gut gehen in diesem Winter.”

Gearaid bleckte seine weißen Zähne zu einem Lachen. “Glaubst du, er verliert Carrnarosc?”
“Das nicht, aber einige der kleineren Burgen könnten gefährdet sein.”
“Auch Ceannacht?”
“Wollt Ihr es angreifen? An dieser Festung beißen sich die Banditen die Zähne aus, gleich wie hart der Winter ist.”
Gearaid blickte ihn überlegend an. “Wie stark war Ecrin?” erkundigte er sich. “Eine durchaus feste Burg, hieß es immer.”
“Nur wenig schwächer als Ceannacht”, entgegnete Lassalle, “aber es brauchte keinen Frontalangriff, dazu kannte ich seine Schwächen zu gut.”
“Jede Burg kann fallen, wenn der Feind hinter die Mauern kann”, sagte Reginald abschätzig. “Doch wer wird schon gemeinsame Sache mit den Banditen machen?”

Am nächsten Morgen schickte Gearaid eine kleine Eskorte mit Ros’ Boten. Keiner der Lords, die sich in Escaile aufhielten, ließ es sich entgehen, ihren Abschied unter dem einen oder andern Vorwand zu beobachten. Einige hatten Wetten abgeschlossen gehabt, dass Ros’ Boten allein zurückkehren würden.
Elgin von Edrin war mürrisch. Er hatte einiges Geld bei der Wette verloren. “Ist da jemand in Ungnade gefallen?” knurrt er Ingvar zu. “Die Handvoll wird nicht zu viel taugen in dem Chaos dort.”
 “Wenn Ros klug ist, schickt er sie wieder zurück, so schnell er kann”, bemerkte Lassalle, der unerwartet gerade auch auf den Hof trat.
Lord Elgin blickte ihn erstaunt an. “Es sind nur zwanzig Männer. Aber Ros würde auch zehn nehmen, wie es bei ihm steht. Und er hat darum gebeten. Was meinst du?”
Lassalle erklärte nichts. Aber Ingvar runzelte nachdenklich die Stirn. “Gearaid versteht es nicht ganz so gut zu schweigen, wie du”, sagte er zu Arnim, so dass keiner der anderen es verstehen konnte. Lassalle antwortete mit einem anerkennenden Nicken. Die anderen lachten gerade laut.
“Na, das siehst du doch”, hatte Reginald als Antwort auf Elgins Frage gerufen, “das sind welche von Wilgos Leuten. Wolltest du dir von denen den Rücken frei halten lassen?” Otho lachte zuerst, laut und dröhnend. Elgin und Rieken, der sonst mit ihnen nicht viel gemeinsam hatte, aber auch kein Freund von Wilgos und Renad war, stimmten ein. Drei Wochen später begannen die Schneefälle.
******
Es regnete immer noch. Es regnete unaufhörlich. Einzig die Intensität des Regens wechselte gelegentlich etwas. Das Laub über ihnen bot schon lange keinen Schutz mehr. Im Gegenteil, gelegentliche Windstöße schüttelten Kaskaden von Wasser auf sie herab. Der Boden war weich, schlammig und rutschig geworden.
Mißmutig musterte Robin den Abhang, der noch vor ihm lag. Es war nicht der erste Steilhang, den sie auf dem Weg von den Bergen zu den Ebenen weiter im Süden hinabklettern mußten. Das hügelige Waldland südlich der Nordberge senkte sich in sanften Wellen zum Fluß Uibhne hin ab. In kleinerem Maßstab betrachtet, erwies es sich, daß die sanften Wellen sich aus zahllosen jähen Steilhängen zusammensetzten. Selbst die Flächen dazwischen waren zerklüftetes Hügelland, in das sich Bäche tief eingegraben hatten. Hätten sie den annähernd Nord-Süd verlaufenden Senken folgen können, wäre der Weg um einiges schneller zu bewältigen gewesen. Aber in den Niederungen flossen die Bäche, die meist von Sumpf und Morast oder von dichten Dornengestrüppen umgeben waren und sich in Wasserfällen über kleine Klippen ergossen. Ein Versuch, diesen Wasserläufen zu folgen, hatte sich als zu mühselig und zeitraubend erwiesen. Also hielten sie sich an die Hügelkämme. Leider mußten so auch noch mehrmals am Tag kleinere Seitentäler überquert werden. Das hieß jedesmal einen jähen Abhang auf der einen Seite zu bewältigen, einen mühsam zu erkämpfenden Weg durch Schlamm und Dornendickichte auf dem Grund des Tales in Kauf zu nehmen und einen steilen Aufstieg auf der anderen Seite hinter sich zu bringen. Während des vergangenen Tages war das Gelände zu ihrer Erleichterung dann immer mehr verflacht. Béarisean meinte, daß sie sich nun wohl bald der Uibhne näherten, die so weit östlich schon zu einem mächtigen Strom angeschwollen war.
Regen, Regen und nochmals Regen. Auf die Dauer wirkte sich die Nässe mehr und mehr demoralisierend aus. Die Stimmung wurde gereizt. Die beiden Freunde sprachen kaum noch ein Wort miteinander. Robin dachte wehmütig an seinen schwarzen Hengst. Wenn er wenigstens hätte reiten können! Dann wäre der Ärger mit dem Regen leichter zu verschmerzen gewesen, und es wäreauch möglich gewesen, ein Zelt mitzunehmen, um zumindest nachts vor dem Wetter geschützt zu sein. Ein Trost blieb: noch hatte er sich nicht erkältet.

´Wo bleibst du denn, Béarisean?´ rief er seinem Freund zu, der mit vorsichtigen Schritten und sich an den Zweigen der Bäume haltend, näherkam. Im Laufe des Vormittags waren sie auf einen Steilabfall gestoßen, der sich kilometerlang quer zu ihrer Marschrichtung hinzuziehen schien. Er war charakterisiert durch unpassierbare Felsabbrüche, wie sie sie schon seit den Nordbergen nicht mehr gesehen hatten. Dazwischen war der Hang mit Geröll bedeckt, das nicht allzu fest auflag und unter Belastung sofort zu rutschen begann. Nach einer Stunde Suche hatten sie die Hoffnung aufgegeben, die Geländekante umgehen zu können und den Abstieg begonnen. Die Kletterei hatte sich als genauso rutschige und schwierige Angelegenheit erwiesen, wie sie es von Anfang an befürchtet hatten.
´Warum hast du es denn so eilig?´ Mit grimmigem Blick fixierte Béarisean die Tanne, die ihn soeben mit einem Schwung kalten Wassers übergossen hatte. ´Hast du dort unten etwa ein heimeliges Wirtshaus gesichtet?´
´Gibt es hier denn so etwas?´ In Robins Stimme schwang mehr Resignation als Hoffnung.
´Nicht daß ich wüßte´, stellt Béarisean mit Bedauern fest. ´Wer verirrt sich schon in diese traurige Gegend außer ein paar Verrückten wie uns. Leider gibt es hier nach meinen Informationen nur Wald, Wald und noch mehr Wald. In der Nähe der Uibhne gibt es ein paar kleine Siedlungen. Leider weiter westlich. Ich frage mich, was Dorban hierher getrieben haben mag. Die Grenze Tairgs verläuft ein tüchtiges Stück weiter südlich. Dieses Land hier gehört niemandem, und es gibt hier auch absolut nichts zu holen. Wenn wir nicht Order hätten in diese Richtung zu gehen, hätte ich es sowieso ganz und gar nicht eilig, jetzt in diese Flußniederungen zu gelangen. Das Land ist dort sehr sumpfig und nach diesen Regenfällen ist zu vermuten, daß der Fluß über die Ufer tritt.´ Er hatte Robin erreicht und betrachtete mißtrauisch den Hang, der noch vor ihnen lag.
„Heute sollen wir ihn erreichen“, sagte Robin. „Wir müssen da runter.“

 Ein Klang wie das Rollen leerer Fässer auf Pflastersteinen ließ beide aufhorchen. ´Hast du das auch gehört?´ Verwundert blickte Béarisean zum Himmel auf. ´Das hörte sich an wie Donnern.´
Auch Robin hatte das Grollen gehört, wollte seinen Ohren aber nicht trauen. ´Ich kann mir nicht vorstellen, daß es ein Gewitter geben kann, nachdem es schon tagelang so gießt. Noch dazu in dieser Jahreszeit. Es muß jetzt Ende November sein.´
´Ich kann es mir auch schlecht vorstellen´, gab Béarisean zu und studierte weiter den Hang. ´Sieht ja gräßlich aus,´ stellte er kurz darauf fest. Vor ihnen lag eine sehr rutschig aussehende, baumlose Lehmfläche. ´Vielleicht sollten wir es weiter seitwärts probieren.´
Robin warf noch einmal kurze Blicke nach rechts und links. ´Du hast die Wahl zwischen Weißdorn mit Brombeeren links, den Felsen rechts und dem Wiederaufstieg, um es oben weiter seitlich zu versuchen.´
´Es gibt Augenblicke, in denen ich es bedauere, nicht fluchen zu dürfen´, stöhnte Béarisean.

Das Dickicht links war augenscheinlich zu dicht und verfilzt. Zu einem Wiederaufstieg hatte auch Béarisean keine Lust. Besonders da das keine Garantie dafür gewesen wäre, einen besseren Weg nach unten zu finden. Er schlug vor, es mit den Felsen zu versuchen. Sie fielen ihm 40-Gad-Winkel  nach unten ab, und er erwartete sich auf ihnen mehr Halt als auf dem schmierigen, aufgeweichten Lehm. Aber Robin erklärte nach dem ersten Metern: ´Vergiß es. Siehst du diese schwarze Fläche, die wir überqueren müßten? Das sind wieder diese schrecklichen Flechten. Die sind in diesem nassen Zustand schlimmer als Schmierseife. Ich habe keine Lust mir die Knochen zu brechen.´ Auch Béarisean waren die schwarzen Flecken mittlerweile vertraut, nachdem er einmal haltsuchend seinen Fuß darauf gesetzt hatte und beinahe abgestürzt war.
Sie beschlossen also, es mit dem Lehmhang zu versuchen. Während der vergangenen Viertelstunde hatten sie immer wieder das dumpfe Grollen gehört und jetzt, mitten auf dem Lehmhang, brach tatsächlich ein Gewitter über sie herein. Es regnete nicht mehr, es goß wie aus Kübeln. Blitze zuckten und der Donner dröhnte ihnen in den Ohren. Es war nicht verwunderlich, daß Robin schließlich bei der Bemühung, so schnell wie möglich die freie Fläche zu verlassen, auf dem Lehm ausrutschte und gegen Béarisean stieß, der ohnehin mühsam um seinen Halt kämpfte. Alle Versuche, dann noch die Fahrt aufzuhalten, waren zwecklos. Den Rest des Hanges rutschten sie hinab. Zu allem Überdruß endete die Rutschpartie nach  kurzem Fall in einem Tümpel am Fuße einer Klippe.

Robin war bis dahin der Überzeugung gewesen, er könne unmöglich noch nässer werden, als er es ohnehin schon war. Wie man sich täuschen konnte! Das unfreiwillige Bad in dem kalten, schlammigen Wasser war tatsächlich noch eine Steigerung. Zudem waren sie jetzt noch von oben bis unten dreckverschmiert. Das Wasser des Tümpels half nicht, diesen Zustand zu ändern,  denn es war trüb und gelblich. Spuckend und vor sich hin schimpfend rappelte sich Robin aus der Brühe auf und watete ans Ufer. Wütend brüllte er in das tobende Unwetter: ´Es reicht. Zum Teufel mit diesem Wetter! Diese verrückte Angelegenheit steht mir bis hierhin.´ Er hielt die Hand in Augenhöhe. ´Wie sollen wir in dieser unendlichen Wildnis Dorban überhaupt finden können?´
Béarisean hätte ihm am liebsten zugestimmt. warf ihm aber nur einen tadelnden Blick zu. Der Donner grollte fast unablässig. Sturmböen peitschten ihnen den Regen ins Gesicht und rissen ihnen die Worte vom Mund weg.

´Schau dahin!´ Robin folgte mit den Augen der Richtung, in die Béariseans Finger wies. Die Tannenschonung war kein bequemer Unterschlupf aber besser als nichts. Sie krochen unter die dichten, niedrighängenden Zweige der jungen Bäume, um dort abzuwarten, bis das Unwetter sich ausgetobt hatte. ´Kaum zu begreifen, wo das viele Wasser nur herkommt´, dachte Robin. ´Seit Tagen schon schüttet es. Langsam müßte sich der Himmel doch leergeregnet haben.´ Doch das Gewitter hatte es nicht so eilig, sich auszutoben. Manchmal schien es kurze Zeit, daß der Donner sich entfernte und der Regen nachließ. Doch sobald sie den Entschluß faßten, nun weiterzugehen kehrte das Unwetter mit Gewalt zurück. Die Blitze zuckten wie ein riesiges, himmlisches Feuerwerk direkt über ihnen. Sie hatten vorsichtshalber die Brustpanzer ihrer Rüstungen ausgezogen und mitsamt den Schwertern weiter entfernt in ein Gestrüpp gelegt, damit das Metall nicht etwa die Elektrizität anzog.
´Für den Rest des Tages haben wir wohl frei´, bemerkte Béarisean lakonisch in einer der "Pausen", während derer die Verständigung leichter fiel. ´So etwas habe ich noch nie erlebt. Das ist jetzt bestimmt die dritte Stunde die das hier dauert.´

Erst gegen Abend schien es ein wenig aufzuklaren. Robin und Béarisean beratschlagten gerade, ob es sich überhaupt noch lohnen würde, weiterzugehen oder ob sie gleich in der Nähe nach einem akzeptablen Nachtlager Ausschau halten sollten. Da hörten sie plötzlich ein Geräusch. Unwillkürlich duckten sie sich noch tiefer unter die Tannenzweige. Etwas näherte sich zwischen den Bäumen weiter rechts. Wenige Augenblicke später saher sie einen Reiter auf die kleine Lichtung bei dem Tümpel reiten. Suchend schaute er sich um, als erwarte er jemanden oder etwas Bestimmtes zu sehen. Der Regen fiel nur noch schwach. Als er sein Gesicht dem Tannendickicht zuwandte, hielt Béarisean den Atem an. Das war einer aus Dorbans Trupp, der sie von Croinathír bis Gleann Fhirinne begleitet hatte. Er spürte, daß Robin seinen Arm berührte. Er hatte also auch Cristaver erkannt. Robins fragender Blick sagte: ´Sollen wir ihn nicht ansprechen, damit er uns zu Dorban führt?´ Béarisean legte zur Antwort den Finger auf die Lippen.
Der Reiter, ein bärtiger Mann von etwa vierzig Jahren, ließ sein Pferd zweimal an dem Weiher entlanggehen. Dabei spähte er nach frischen Fährten auf dem Boden und zwischen den Bäumen. Er konnte aber anscheinend nichts entdecken. Offenbar hatte das heftige Unwetter die Spuren von Robins und Béariseans unfreiwilliger Rutschpartie wieder zum größten Teil verwischt und was davon zurückgeblieben war, schien keinen Verdacht zu erregen.

Cristaver knurrte mürrisch etwas in seinen Bart, stieg vom Pferd und suchte den Schutz eines hohen und dichtbelaubten Baumes auf. Es war unverkennbar, daß er auf etwas wartete. Auf der Jagd war er sicherlich nicht. Aber wen um alles in der Welt konnte er hier treffen wollen? Mitten in einem Unwetter in dieser verlassenen Gegend.
Es verging eine knappe halbe Stunde, in der sich die beiden Ritter in ihrem Tannengestrüpp kaum zu rühren wagten, bis endlich erneut Hufschlag näherkam. Cristaver horchte auf und erhob sich. Unter den Bäumen kam ein weiterer Reiter hervor. Sein schwarzer Mantel mit der silbernen Krone verriet, daß es sich um einen der Männer des Fürsten Barraid handelte. Als er den Wartenden erblickte, ließ er sein Pferd den Schritt verlangsamen und blickte sich mißtrauisch um.
´Es ist niemand hier´, rief ihm Cristaver unwillig entgegen. ´Ich hatte lange genug Gelegenheit das festzustellen, da du mich hier verdammt lange warten ließest. Pünktlichkeit scheint bei deinem Herrn nicht angesagt zu sein.´

´Irgendetwas beunruhigt mich´, sagte der Fremde und fuhr fort, sich umzublicken. ´Bist du dir auch wirklich sicher, daß dir niemand gefolgt ist?´
´Absolut´, erwiderte Dorbans Mann. ´Als ich aufbrach, war das Gewitter auf seinem Höhepunkt. Ich vermute, niemand hat auch nur mitbekommen, daß ich weg bin. Nur ein Verrückter ware da freiwillig rausgegangen.´
´Wird dein Fehlen dann nicht erst recht auffallen?´ fragte der schwarze Reiter beunruhigt.
´Keiner weiß, wann ich weg bin. Wenn jemand fragt: Ich habe eben Lust bekommen, ein paar der von mir ausgelegten Schlingen zu kontrollieren, sobald das Unwetter nachließ´, erwiderte Cristaver und wies auf ein Kaninchen, das an seinem Sattelknauf hing. ´Da wird niemand etwas dagegen haben.´
´Wir wollen hoffen, daß dem so ist´ sagte der schwarze Reiter. ´Doch nun zur Hauptsache: Wo ist das Lager des Verräters?´
´Wo ist meine Belohnung?´ fragte Cristaver zurück.
Der Schwarzgekleidete lachte auf. ´Die kommt, sobald wir Dorban haben. Keinen Augenblick eher. Du wirst alles bekommen, was du verdienst. Oder glaubst du dem Wort nicht, daß ich dir im Namen des Fürsten gebe? - Wo ist Dorban?´
´Eine Anzahlung wäre trotzdem nicht schlecht´, murrte der Reiter Dorbans. ´Ich habe gelernt, keinem zu trauen, sei es nun ein Fürst oder ein Bettler.´
Der andere griff in die Tasche an seinem Gürtel und zog einen kleinen Beutel hervor, den er mit einer geringschätzigen Bewegung Cristaver zuwarf. Der fing ihn auf und öffnete ihn schnell. Es schimmerte ihm daraus golden entgegen. Zufrieden steckte er ihn ein. ´Wir hatten Glück, als damals dieser Treffpunkt vereinbart wurde´, sagte er dann. ´Wir haben unser Lager nur zwei knappe Reitstunden von hier aufgeschlagen. Leicht waldeinwärts, ein paar hundert Meter, bevor die Uibhne in das Fenn fließt. Es sind nur zwei Wachen aufgestellt, die sich im Zweistunden-Turnus abwechseln. Ich vermute, daß sie nicht allzu sorgfältig achtgeben. Keiner rechnet im Ernst mit einer Begegnung, geschweige denn mit einem Angriff. Die Gegend ist zu abgelegen. Dorban beabsichtigt, hier zu warten, bis der Bote zurückkommt, den er zu seinem Freund, Lord Orla, geschickt hat. Vermutlich will er über Winter zu ihm. Hier könnten wir uns wohl kaum halten, wenn der Schnee erst einmal fällt. Orlas Antwort wird binnen der nächsten Tage erwartet.´

Der schwarze Reiter verzog das Gesicht zu einer Grimasse. ´Dorban wird keinen Bedarf mehr für eine solche Nachricht haben. Meine Kameraden warten nicht weit von hier. Wir werden noch diese Nacht zuschlagen. Hast du selbst diese Nacht Wache?´
´Nein, erst morgen. Aber ich könnte problemlos mit Celin tauschen, der ab Mitternacht dran ist. Er hat heute morgen darüber gestöhnt, daß es ihm nicht besonders gut gehe. Mit ihm hat Jack Wache, und der steht auf unserer Seite.´
´Gut´, der schwarze Reiter schien zufrieden. ´Das wird alles recht einfach machen. Wir kommen eine halbe Stunde nach Beginn deiner Wache. Nun laß uns die Einzelheiten durchgehen.´
Sie besprachen noch ein paar Details des geplanten nächtlichen Überfalles. Dann trennten sie sich und ritten zurück in die Richtungen, aus denen sie jeweils gekommen waren. Währenddessen hatte sich der Himmel mehr und mehr aufgeklart, und der Regen hatte fast aufgehört.

Robin schüttelte den Kopf ´ Ob Ríochan das auch schon eingeplant hatte? Was wenn wir den Abstieg nur ein paar hundert Meter weiter rechts oder weiter links versucht hätten? Was wenn wir trotz des Regens weitergegangen wären?´
´Ich glaube nicht, dass er das wusste´, sagte Béarisean, während er sich unter den Tannen hervorschob. “Immerhin, es ist der sechste Tag. Ganz wie er sagte.  Wir können es anscheinend gerade noch rechtzeitig schaffen, Dorban zu warnen. Es dauert keine zwei Stunden mehr, bis es dunkel wird, und zu Fuß werden wir noch einige Zeit mehr bis zu diesem Lager benötigen. Wie wäre es mit einem kleinen Dauerlauf?´
´Einfach großartig diese Idee. Das ist genau das, was mir für diesen herrlichen Tag noch gefehlt hat´, sagte Robin ohne große Begeisterung. ´Aber seltsam. Wieso ist Dorban auf der Flucht vor Barraids Leuten oder warum wollen sie ihm an den Kragen? Meinst du unser Entkommen in Gleann Fhírinne könnte daran mit schuld sein?´
´Frag mich etwas Leichteres´, erwiderte Béarisean, sein Schwert umschnallend. ´Aber es wird unsere Aufgabe hoffentlich etwas erleichtern, daß unser Freund Dorban ernsthafte Probleme mit seinem derzeitigen Dienstherrn zu haben scheint. Um so mehr, falls wir ihm aus diesem Schlamassel heraushelfen können. Auf geht´s!´
******
Rodil verlor keine Zeit, als sie losliefen. Mit Dorban würden die beiden Ritter schon zurechtkommen. Dies hier jedoch war eine unerwartete Bedrohung. Er hatte Asrik auf den ersten Blick erkannt. Einer von Akans Männern, einer der wenigen, die er von Arda mit nach Cardolan gebracht hatte. Wenn Akan selbst hier sein sollte ... Er hatte kein Reittier dabei, aber Asrik hatte es nicht allzu eilig, und Rodil war ein guter Läufer. Trotz der Vorsicht, die er walten lassen musste, konnte er leicht mit dem Reiter Schritt halten.
Er fühlte es sofort, als sie sich dem Feind näherten und blieb stehen, um sich zu vergewissern, ob es wirklich Akan war. Wenn dieser noch nichts ahnte, konnte er sich vielleicht noch rechtzeitig zurück ziehen, bevor er selbst erkannt wurde. Viel mehr würde aber ausgeschlossen sein. Er lauschte mit allen Sinnen, und dann war seine Erleichterung groß. Akan war nicht in der Nähe. Statt dessen – vorsichtig näherte er sich der Gruppe von Reitern zwischen den Bäumen – schon von weitem erkannte er den Klang der Stimme wieder. Asrain fürchtete, wie es schien, keine Späher. “.... Wir reiten sofort!” hörte er den Befehl. Rodil seufzte leise. Das war nicht nur gefährlich für den Erfolg von Asrains Trupp, das konnte noch gefährlicher für die beiden Ritter werden.
Würde Asrik es wagen zu protestieren? Dort stand er vor dem Lord, hielt sein Pferd am Zügel. Er wirkte, als zögere er. Es konnte tödlich sein, einem Lord von Winian in irgendetwas zu widersprechen. Rodil überlegte blitzschnell.  Das war Akans Mann dort. Geschult auf jede Kleinigkeit zu achten. Wohl vertraut mit den Wünschen seines mächtigen aber stets im Hintergrund arbeitenden Meisters und den Folgen, die eine Mißachtung seiner Anweisungen haben konnten. Außerdem war es kein großes Geheimnis, dass Asrain und Akan sich zutiefst verabscheuten und verachteten, eine Haltung, die sicherlich auf ihre engeren Mitarbeiter abfärbte.
Die Vögel schwiegen hier, obwohl der Regen nun aufgehört hatte und der Himmel etwas aufklarte. Sie fühlten die Gegenwart einer anderen Dunkelheit. Dennoch schien keinem der Reiter etwas aufzufallen, als plötzlich das Lied einer Amsel laut zwischen den Bäumen hervordrang. Keinem, nur Asrik zuckte sichtlich zusammen. Rodil atmete auf. Akan hatte sehr klare Anweisungen gegeben, wie es schien, und das Lied des verborgenen und unscheinbaren aber mächtigen Sängers, erinnerte seinen Mann, dass er nicht nur den Zorn des Lords vor ihm zu fürchten hatte.
“Verzeiht, Hoheit”, Asriks Stimme war unterwürfig, aber seine Hand hielt Asrains kastanienfarbenen Hengst am Zaumzeug zurück. “Wenn wir jetzt angreifen, besteht ein Risiko, dass wir bemerkt werden und jemand durch Zufall entkommt. Und dieser eine könnte Dorban sein.”
Asrain schlug seine Hand mit einem harten Hieb seiner Reitpeitsche fort. “Was erdreistest du dich?” brüllte er.
Asrik war auf die Knie gesunken. Mit der linken umklammerte er das rechte Handgelenk. “Der Verräter könnte entkommen, wenn wir das Lager nicht ordentlich umstellen”, beharrte er.
Asrain holte zu einem neuen Schlag aus. Doch ein anderer blonder Reiter war herangeritten und legte eine Hand auf seinen Arm. Leise sagte er etwas. Asrain nickte schließlich widerwillig. “Wir rücken im Schritt bis zu dem Teich vor. Dort warten wir die Dämmerung ab, bevor wir das Lager umstellen”, gab er bekannt. Der blonde Reiter warf prüfende Blicke ins Unterholz während sie weiterritten, aber Rodil hatte sich schon zurückgezogen.

Lùg war also auch hier. Es war ungewöhnlich, dass Barraid ihn aus seiner Umgebung wegschickte. Das machte die ganze Angelegenheit noch schwieriger. Rodil lächelte. Es war fast wie damals, als diese beiden ihn und Elianna quer durch Abhaileon jagten.

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