Montag, 25. Juli 2011

Kapitel 3.3


Als sie später allein auf ihrem Zimmer waren, sagte Robin in den dunklen Raum hinein: „Ich wünschte, ich wäre auch jetzt noch so zuversichtlich, wie ich es war, als wir mit Estohar sprachen. Jetzt kommen mir selbst die Zweifel.“
„Mir geht es nicht anders“, meinte Béarisean. „Ich habe auch einiges gesagt, über das ich mich jetzt verwundere. Dennoch waren es offensichtlich die richtigen Worte. Estohar hat neuen Mut gefasst, und das ist sicherlich sehr wichtig. Er ist nicht nur ein großartiger Kämpfer, sondern auch ein ausgezeichneter Diplomat und Politiker. Es ist mir immer noch unbegreiflich, was oder wer es nur dahin gebracht hat, ihn so in die Resignation zu drängen.“

„Hm“, sagte Robin nach einer Weile Schweigen. „Dieser Schwarze Fürst. Glaubst du, er ist wirklich schon zurückgekehrt?“
„Ich glaube schon“, sagte Béarisean. „In irgendeiner Form. Er wird es nicht wieder auf dieselbe Art und Weise versuchen wie damals. Kein kluger Mann macht zweimal den gleichen Fehler, und intelligent ist er zweifellos.“
„Wie war das damals? Warum traute man ihm?“
„Nach allem, was ich weiß“, sagte Béarisean, „sah er aus wie einer von uns. Wir wussten lange nicht, wer er in Wirklichkeit ist. Er beschäftigte sich mit Magie und Beschwörung hieß es, aber das taten auch schon andere vor ihm. Er war ein Fürst in Abhaileon und mächtig. Es waren unruhige Zeiten, in denen starke Führer gesucht waren. Aber es war immer etwas Unheimliches um ihn. Niemand wusste genau, woher er kam. Seine Kleidung war schwarz. Man sagt, auch sein Haar und seine Augen seien nachtschwarz gewesen, und dass niemand sich je an sein Gesicht erinnern konnte - nur an diese Augen.“
„Das klingt nach Sage“, meinte Robin.
„Mag sein“, gab Béarisean zu. „Es ist sicher nicht so wichtig. Die Hauptsache ist wohl: er hasst alles, was lebt. Er liebt es zu zerstören. Er kennt keine Freude und kein Mitleid.“ Seine Stimme wurde beim letzten Satz sehr leise.

„Du denkst wieder an Rilan“, sagte Robin sehr sanft und vorsichtig.
„Ja“, gab Béarisean zu. Robin hörte die Tränen in seiner Stimme und diese Nacht zögerte er nicht länger. Er setzte sich neben den Freund und legte den Arm um seine Schulter. „Sag nichts mehr“, flüsterte er. „Ich weiß, wie es ist, jemanden oder etwas zu verlieren, das man mehr liebt als das eigene Leben.“ Béarisean antwortete nichts und rührte sich nicht, doch er wandte sich auch nicht ab.
******
Als sich die Tür des Hauses in der Kupfergasse an jenem Abend hinter ihm geschlossen hatte, blieb Estohar noch eine Weile im Schatten des Portals stehen und ließ seinen Blick aufmerksam durch die stille Straße schweifen. Einsam und verlassen lag sie im Halbdämmer, kein Mensch war zu sehen. Weiter entfernt, mehr der Hauptstraße und dem Stadtzentrum zu erklangen Stimmengewirr und Musik. ´Eigentlich seltsam, dass niemand bis hierher kommt´, dachte er. ´Fast ist es, als sei dieser Teil der Stadt ausgestorben. Selbst in den Häusern ist keines der Fenster erleuchtet. ´ Er setzte die Kapuze auf und schlug den Mantel fester um sich, bevor er die drei Stufen zur Straße hinunter schritt. Kaum hatte er diesebetreten, da standen wie aus dem Boden gewachsen zwei Männer neben ihm. Es waren Ciaran und Neill. Wo sie sich wohl versteckt hatten, dass nicht einmal er sie bemerkt hatte? Es gab einfach zu viele dunkle Winkel hier, in deren Schatten man sich unsichtbar machen konnte.
Fragend blickte er Neill an. Der schüttelte den Kopf. ´Ein paar Burschen auf dem Weg zur nächsten Ausschankstube, zwei verliebte Pärchen, etliche Katzen´ berichtete er. ´Mehr haben wir in der ganzen Zeit nicht zu Gesicht bekommen. Wenn allerdings jemand hier auf der Lauer gelegen haben sollte, bevor wir hierher kamen, könnte er durchaus unbemerkt geblieben sein.´
´Ich habe einige der Hauseingänge und Winkel abgesucht´, fügte Ciaran hinzu, ´und konnte nichts Auffälliges entdecken.” Estohar runzelte leicht die Stirn. Es sah dem Dalinianer ähnlich, nicht nur einfach einem Befehl nachzukommen, sondern darüber hinaus zu gehen. Angesichts der Wichtigkeit der Geheimhaltung konnte er ihn kaum dafür tadeln. Also zuckte er nur mit den Schultern. ´Wenn jemand tatsächlich so gefährlich gut informiert sein sollte, dass er im Voraus wusste, dass ich hierher kommen würde, dann hat ihm mein Besuch auch nichts Neues verraten´, sagte er. Keiner der beiden fragte, was es gewesen war, das ihn hierher geführt hatte. Er erwog, eine Andeutung zu machen, dass es eine gute Nachricht war, unterließ es dann aber doch.

Diese Sondersitzung war das letzte, worauf er jetzt Lust verspürte. In ihm war so viel Kraft und Freude, die drängte, einen Auslass zu finden. Als die Hand des ardanischen Ritters auf seiner Schulter gelegen hatte, war ihm gewesen, als durchdringe ihn ein Feuer. Besser gesagt, eine Welle der Wärme, die alle Müdigkeit, alles Unwohlsein wegspülte.
´Wir sollten uns beeilen´, bemerkte Neill höflich. ´Im Palast wird man Euch sicher bald vermissen. Diese seltsame Sonderbesprechung wird schon bald beginnen und Ihr müsst Euch noch umziehen.’
´Du hast recht´, stimmte Estohar zu. Hier stand er noch immer und starrte auf die Tür des Hauses.  ´Bringen wir es hinter uns. Es kann nichts Gutes bedeuten, wenn Donnacha auf eine geheime Sitzung dringt. Ich bin sehr gespannt, zu erfahren, was er im Schilde führt. Aber er soll sich getäuscht haben, wenn er denkt, er könne uns endgültig ins Abseits drängen. Andererseits kann es so schlimm gar nicht werden. Turgan ist nicht in der Stadt.” Er zog seine Kapuze tiefer.
Neill nickte: “Turgan ist bei weitem gefährlicher als dieser Wichtigtuer Donnacha.” Er war ein wenig überrascht, dass Estohar so viel von seinen Gedanken mitteilte. Meist war er seinen Offizieren gegenüber eher kurz angebunden.

Ciaran blickte aufmerksam auf den Lord von Tarim, neben dem er herschritt. Seine Stimme hatte so ruhig und entschieden geklungen wie schon lange nicht mehr. Was mochte er beim alten Thomas erfahren haben, das ihm die Unsicherheit nahm, die er während der letzten Monate hatte erkennen lassen? Sie hatten sich alle schon große Sorgen gemacht. Sie, das waren die jüngeren von Estohars Freunden, die sich noch nicht damit zufrieden geben wollten zu resignieren.
Mit gedämpfter Stimme sagte er: ´Sir, es wird mir eine Freude sein, für unsere Sache zu kämpfen. Ist es endlich soweit?´
´Du bist noch jung, Ciaran´, antwortete Estohar, der aus seinen Gedanken aufgeschreckt wurde, fast automatisch. ´Das zeigen deine Worte deutlich. Du solltest nicht so viel ans Kämpfen denken. Ein klarer Kopf und ruhige Überlegung sind wichtiger als Geschick mit Waffen.´ Dann grübelte er weiter darüber nach, wie er wohl alles Weitere am besten arrangieren könne. Es galt, die Freunde zu einer geheimen Sitzung zusammenzurufen. Auf irgendeine Art und Weise musste es auch veranlasst werden, dass der Rat eine Mobilmachung des Heeres beschloss. Falls es wirklich stimmte, dass der Schwarze Fürst seine Rückkehr plante, würde das dringend nötig sein. Die letzte Heerschau lag Jahrzehnte zurück. Es gab so vieles zu bedenken.

Ciaran war nicht mehr ganz bei der Sache. Während sein Blick routinemäßig die dunklen Hofeinfahrten erfasste und näher kommende Passanten misstrauisch prüfte, wie es seine Aufgabe als Beschützer des Vorsitzenden verlangte, brannte in ihm der Schmerz, den der leichte Tadel Estohars verursacht hatte. Er hatte doch nur ausdrücken wollen, dass er bereit war, mit aller Kraft und aller Liebe für den Ritter von Tarim und all das, wofür er stand, zu kämpfen. Und, ja, er hatte gehofft, dass Estohar ihm vielleicht auch einmal freundschaftlich auf die Schulter klopfen würde, wie er es bei Neill und den anderen manchmal tat und sagen würde: "Es ist gut, Leute wie dich zu haben." Schließlich war Estohar einmal einer der größten Kämpfer Abhaileons gewesen. Ein Lob aus seinem Mund hätte dem jungen Offizier viel gegolten. Doch das schien unerreichbar. Was hatte er nur wieder falsch formuliert, dass Estohar ihn tadelte? Denn es war ein Tadel gewesen. Er wusste nur zu gut, dass Estohar ihm Unbesonnenheit vorwarf.

Estohars Haus lag nicht auf dem Weg zum Palast. Aber er musste den Umweg machen. So wie er war, konnte er nicht die Sitzung leiten. Er bat die beiden Hauptleute mit herein. Ein Diener erstattete ihm gleich Meldung. “Herr Alan war vor kurzem hier und verlangte Euch zu sprechen.”
“Sagte er, was er wollte?” Estohar war ungehalten. Schon wieder dieser Alan. Während der Feier war er schon dauernd um ihn herumgeschlichen. Aber als er dann mit ihm sprach, hatte er nichts als Belanglosigkeiten geäußert.
“Er sagte, es sei wegen der Sitzung. Doch als ich ihm mitteilte, Ihr könnet jetzt niemand empfangen, drückte er nur sein Bedauern aus und ging wieder.” Es konnte also nichts Wichtiges gewesen sein. Estohar machte sich sorgfältig zurecht. Besser er erregte etwas Aufsehen indem er zu spät kam – das konnte er noch immer auf die Unpässlichkeit schieben, als dass er seine Erregung über das gerade Erlebte verriet.
Hauptmann Ciaran hatte etwas bemerkt. Wie sonst hätte er diese Frage stellen können. Er hatte scharfe Augen, dieser Dalinianer. Auch seine Intelligenz war unzweifelhaft. Dennoch konnte er sich nicht für ihn erwärmen. Trotz aller kämpferischen und organisatorischen Fähigkeiten hätte er ihn damals vor zwei Jahren nicht zum Hauptmann gemacht, aber Airen hatte darauf bestanden. Sie war sehr begeistert von ihm gewesen. Ihr gefiel genau die Hitzköpfigkeit, die ihm negativ aufstieß. Eifer nannte sie es.
Aber hier stand er schon wieder und sinnierte. Es war Zeit, zu der Sitzung zu gehen. Die beiden Hauptleute warteten ruhig auf ihn. Neill hatte sich gesetzt und ein Glas Wein genommen. Aber Ciaran stand aufrecht und bereit da. “Niemand soll von heute Abend erfahren“, bestimmte Estohar. Beide nickten.

                                                                        ******

„Hier bist du!“  Alan hielt Donnacha am Ärmel fest.
Der stellvertretende Ratsvorsitzende wand sich etwas, warf einen Blick um sich. „Ich muss mich um alles kümmern. Meine Kusine ist schwer erkrankt, und wie sähe es aus, wenn ich als ihr nächster Verwandter nur an unsere Sitzung dächte.“
„Was ist denn mit der Lady?“ erkundigte sich Alan, ohne eine Miene zu verziehen. „Hoffentlich nichts zu Ernstes.“
„Die Ärzte sind sehr besorgt.“ Donnacha blickte wieder gehetzt um sich. „Ich muss mich noch um die Garde kümmern. Das heißt, da du schon hier bist, kannst du dich überzeugen, ob der neue Dienstplan“ er betonte das Wort, „auch eingehalten wird.“
„Ich war gerade in der Nordhofstraße. Ich wollte mit Estohar noch über eine kleine Angelegenheit sprechen“, sagte Alan. „Aber man ließ mich nicht vor. Er sei unpässlich.“
Donnacha unterdrückte nur mit Mühe ein zufriedenes und zugleich erleichtertes Lächeln. Es gab zu viele Zeugen hier. „Bist du dir sicher, dass du alles exakt vorbereitet hast?“ fragte er dringlich.
Alan lächelte. „Ich habe mich persönlich von allem überzeugt. – Deine Wachen stehen übrigens auch schon. Alles hier im Palast ist in bester Ordnung.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen