Montag, 25. Juli 2011

Kapitel 7.2


Das Bachbett des Fraoch, das sie nun erreichten, war trocken. Der Pfad daran entlang war nur eine schmale Felsleiste. Es war später Nachmittag, als sie endlich das innerste Burgtor passieren konnten. Während des Aufstiegs, bei dem sie den größten Teil des Weges von den Pferden steigen und diese am Zügel führen mussten, durchquerten sie zahlreiche Tore und Wehrgänge. An diesen Passagen hielten Krieger in schwarzen Rüstungen  mit schwarzen Helmen und Mänteln die Wache. Das Wappenmotiv auf ihren Umhängen war eine silberne mehrzackige Krone. „Allein diese Krone ist schon eine Kriegserklärung gegen uns und alles wofür wir stehen“, murmelte Béarisean grimmig.
Robin nahm es neutraler auf. In der ardanischen Heraldik gab es viele Arten von Kronen, nicht nur Könige führten sie.
Als sie den innersten Burghof erreicht hatten, gaben sie ihre Pferde in die Obhut einiger Stallburschen, die sie dort bereits erwarteten. Lùg gab Anweisung, die Gäste auf ihre Zimmer zu bringen. „Seine Hoheit wird Euch bald möglichst sprechen wollen“, sagte er. „Dennoch werdet Ihr es wohl nach der langen Reise schätzen, zunächst einmal etwas rasten zu können. Ihr werdet alles vorfinden, was Ihr als nötig erachten könntet.“

Robin hatte sich umgesehen. Einer der Türme fiel ihm auf. „Ist das eine astronomische Warte?“ fragte er.
Lùg warf einen Blick in die angegebene Richtung. „Ihr scheint gebildeter als die meisten Abhaileoner“, erwiderte er dann. „Nun, mein Spezialgebiet ist es nicht gerade, aber Lord Fíanael verbringt beträchtliche Zeit mit der Beobachtung der Gestirne, wenn er hier ist. – Wenn Ihr mich nun entschuldigt?“ Er verbeugte sich kurz und verschwand im Hauptgebäude der Burg. Robin sah, wie Dorban ihm mit dem Blick folgte, dann schnell ein paar Worte mit Durlong wechselte und ihm hinterher eilte. Den beiden Freunden blieb nichts übrig als dem Diener zu folgen, der sie in ihre Räume führen wollte.
 Lùg hatte nicht zuviel versprochen. Die Zimmer, in die sie geführt wurden, waren geräumig. Es stand Waschwasser und Essen bereit. Sogar Kleidung war ausgelegt worden. „Sollen wir uns umziehen für den Staatsempfang?“, fragte Robin. „Was wir dabei haben, lässt sich mit dem hier nicht vergleichen.“
Béarisean schüttelte den Kopf. „Ich verstehe zwar nicht, was hier gespielt wird. Aber ich gedenke nicht mitzuspielen. Dieser Barraid hat sich zum Fürsten von Carraig gemacht. Aus irgendeinem Grund will er, dass wir mit ihm zusammenarbeiten. Denn hätte er uns einfach unschädlich machen wollen, wäre ihm das schon lange möglich gewesen. Warum eine Eskorte schicken, wenn es ein einfacher Mord getan hätte?“
Robin nickte: „Ich habe auch nachgedacht. Jener „Feind“ auf Arda wusste nicht, wo er uns finden sollte. Sobald wir in Abhaileon waren, schienen unsere Schritte bekannt zu sein, bevor wir sie machten. Ist dieser Fürst Barraid also nicht der Feind? Sondern ein anderer Protagonist? Steht er auf unserer oder der anderen Seite oder treibt er sein eigenes Spiel?“ Er ging zu einem der Fenster und betrachtete nachdenklich die Astronomiekuppel. Sie war groß. Was war daran so seltsam ... Die Sonne ging jetzt unter und ein erster heller Stern leuchtete am Horizont auf.

Béarisean ging mit rastlosen Schritten durch das Zimmer. „Ich frage mich auch, wieso wir hier in Abhaileon keinen Schritt machen konnten, ohne dass irgendjemand darüber Bescheid zu wissen schien. Zuerst Dikar, dann das in Croinathír ...“
„Du sagtest, Abhaileon sei keine Welt wie Arda“ unterbrach ihn Robin.
Béarisean blieb stehen und zog die Augenbrauen zusammen. „Was soll das jetzt?“
„Nun, ich frage mich, wie ihr euch hier die Sterne erklärt.“
Béarisean warf einen kurzen Blick zum Himmel. „Gar nicht. Sie sind eben da. Sie sind ganz nützlich für die Orientierung. Und sehen hübsch aus. Ansonsten gehen sie uns nichts an.“
„Aber es gibt auch Planeten, na du weißt schon, Wandelsterne, die nicht fix stehen, sondern sich relativ zu den andern bewegen. Und ich weiß, dass ich hier schon Sternschnuppen gesehen habe. Und es gibt einen Mond. Und der bewegt sich auch relativ zu ...“
„Astrologie ist eines der schlimmsten Verbrechen hier“, sagte Béarisean.
„Ich rede eigentlich von Astronomie.“
„Die Grenze dazwischen ist manchmal schmal.“ Béarisean warf einen Blick aus dem Fenster. „Das hier wäre also noch einmal ein Hinweis, uns mit niemand auf Carraig einzulassen.“

„Mag sein“, Robin wollte jetzt nicht streiten. Béarisean konnte sehr dogmatisch sein, wenn es um irgendwelche rätselhaften abhaileonischen Gesetze ging. „Es ist aber auch ein Hinweis, wie Barraid die Prophetien möglicherweise ergänzt hat. Die Geschichte ist an den Himmel geschrieben.“
Béarisean blickte auf. „Wie genau? Weißt Du etwas darüber?“
„Ich glaube, es hängt davon ab, wie gut man es lesen kann. Es ist wohl sehr komplex. – Nun, heute Nacht wird niemand viel am Himmel ablesen können. Siehst du, die Wolken die dort aufziehen?“
„Wir sollten etwas essen“, sagte Béarisean, „wer weiß, wann die nächste Gelegenheit besteht. Und dann sollten wir in andere Reisekleidung wechseln.“

Es dauerte nicht lange, bis sie zu Fürst Barraid gerufen wurden. Er erwartete sie in einer Art Thronsaal. Alles war mit Fackeln und Feuern gut ausgeleuchtet. Dennoch erschien das Licht gedämpft. Der Saal war länger als breit. Sie passierten ein Spalier von dunkel gekleideten Wachen und gelangten vor einen leicht erhöhten Thronstuhl aus dunklem Hartholz der mit hellen Intarsien in seltsamen Mustern gestaltet war. Neben ihm stand Lord Lùg. Dorban sahen sie etwas weiter entfernt im Saal unter den Leuten des Fürsten. – Fürst Barraid war offensichtlich bestrebt, sie von seinem Wohlwollen zu überzeugen. Freundlich lächelnd stand er von seinem Sitz auf und kam ihnen ein paar Schritte entgegen. Er breitete begrüßend die Hände aus.
Er war ein schlanker, gut aussehender Mann von etwa vierzig Jahren, wie Robin schätzte. Die Bezeichnung Schwarzer Fürst wäre treffend gewesen für ihn. Seine Augen waren dunkel und voll Feuer, so dass wie glühende Kohlen wirkten. Die Gesichtszüge insgesamt erschienen Robin auf den ersten Blick angenehm. Seine kurz geschnittenen Haare waren ebenfalls leuchtend schwarz. Seine Kleidung aus schwarzer Seide war mit winzigen Splittern von Diamanten und Rubinen bestickt. Das Auffallendste jedoch war aus irgendeinem Grund ein schmaler goldener Reif, den er um die Stirn trug. Ein verzierungsloser goldener Reif, der dennoch den Blick auf sich zog, als glänze er herrlicher als die Edelsteine, ein wenig als scheine ein Licht aus ihm heraus. Es verwirrte Robin, und er konnte kaum den Blick davon abwenden.
Der Fürst lächelte immer noch, als er sagte: „Es ist mir eine große Freude, in meinem Haus die Diener des Königs begrüßen zu können. Darf ich Euch bitten, mir Eure Namen zu nennen, werte Ritter?“ Der Ton der Frage sagte deutlich, dass sie als Aufforderung zu verstehen sei.
Robin und Béarisean verbeugten sich knapp aber dennoch höflich. „Man nennt mich Alan“, sagte Béarisean dann, „und mein Begleiter hier trägt den Namen Robert.“
Der Fürst schien amüsiert. „Und wer seid ihr wirklich?“ erkundigte er sich.
„Nun, diese Frage möchten wir auch stellen“, sagte Béarisean. „Wir folgten einer Nachricht, die wir erwartet hatten. Aber Ihr scheint nicht der zu sein, zu dem uns die Nachricht eigentlich führen sollte. Ihr habt Carraig wieder aufgebaut und scheint zu wollen, dass man Euch den schwarzen Fürsten nennt.“

Barraid lächelte wieder. „Und Ihr seid der Herr von Sliabh Eoghaí vermute ich.“ Er musterte Béarisean intensiver. „Die Ähnlichkeit mit Colin ist nicht sehr groß“, stellte er dann fest. „Weder mit Colin dem Drachentöter, noch mit Colin von Donnacht. Nur die graue Augenfarbe scheint die gleiche zu sein.“
„Wollt Ihr uns wirklich glauben machen, Ihr hättet beide bekannt?“ erkundigte sich Robin mit freundlicher Stimme. „Ist dies ein Test wie gutgläubig oder naiv wir sind?“
Der Fürst ließ seinen unergründlichen Blick auf ihn fallen. „Ihr stellt also Ritter Anno vor. Und dies ist Euer Schwert?“ er warf einen geringschätzigen Blick auf die Waffe an Robins Seite. „Die Waffe mit der Ihr das Dunkel besiegen wollt?“
Jemand regte sich weiter hinten im Saal. Der Fürst blickte auf. „Was ist, Dorban?“
„Er ist einer der schlechtesten Schwertkämpfer, die ich je gesehen habe“, sagte der Lord von Tairg barsch.
Barraid nickte und betrachtete sie weiter forschend. „Es könnte dennoch sein, dass ihr seid, was ihr vorgebt zu sein. Und dass ich der bin, den ihr sucht. Worte sind wie Wind und besonders die Worte von Prophetien sind trügerisch.“ Er sah Robin an. „Und auch die Sterne sprechen nicht immer deutlich. Was wir hier brauchen, sind Zeichen.“

Er winkte. Einer der schwarz gekleideten Soldaten ging durch eine Seitentür hinaus und kehrte mit einem großen, schmalen Gegenstand zurück, der in schwarzes Tuch gehüllt war. Er kniete nieder, als er ihn dem Fürst und seinen Gästen darbot. Barraid schlug das Tuch zurück. Es war ein Eibenlangbogen. Das Holz war mit Schnitzereien verziert. Das Mittelstück funkelte, als sei es ganz aus Smaragd gemacht. Am oberen und unteren Ende blitzten ein paar einzelne grüne Steine. Der Köcher, der dabei lag, war ähnlich gearbeitet.
Béarisean sagte langsam: „Ist dies der Bogen Colins des Drachentöters? Hieß es nicht, er sei seit dem Brand von Sliabh Eoghaí verschwunden?“
„Es könnte irgendein Bogen sein“, sagte Robin. „Jeder weiß, wie er aussehen soll. Aber der ursprüngliche Bogen muss schon seit Jahrhunderten verrottet sein.“
„Dies ist kein gewöhnlicher Bogen“, sagte Fürst Barraid leise. „Er kam aus Alandas.“
„"Die Pfeile dieses Bogens werden das Herz der Finsternis durchbohren"“, zitierte Béarisean aus der Sage. Er streckte die Hand danach aus, ließ sie über die Waffe gleiten, ohne sie zu berühren. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich werde ihn nicht spannen. Das sollte nur der nächste Regent tun.“
„Er ist in die Verwahrung von Sliabh Eoghaí gegeben.“
„Sliabh Eoghaí ist eine verbrannte Ruine, und es heißt der letzte Lord sei seit langem tot.“
„Wirklich?“ bemerkte Barraid ironisch. „Willst du leugnen, es zu sein?“
Béarisean blickte in die schwarz glühenden Augen und konnte den Blick nicht mehr senken. Etwas hielt ihn dort gefangen. Und er wusste auf einmal mit Sicherheit, dass er sein Gegenüber nicht würde täuschen können.

Aber da erklang Robins Stimme: „Bringen wir es hinter uns“, sagte er. „Den Prophezeiungen und meinetwegen auch den Sternen muss wohl Genüge getan werden. Wie es scheint, verlangen sie, dass sich hier der schwarze Fürst und die Ritter des Königs begegnen. Nun, Ihr habt Euren Part exzellent vorbereitet, Herr Barraid. Er warf einen Blick auf die Umgebung. Uns ist es nicht ganz gelungen. Wie Ihr wohl wisst, fehlen uns die richtigen Schwerter und Pferde.“ Barraids Blick löste sich von Béarisean und wandte sich Robin zu. Dieser fuhr fort: „Wir hatten natürlich gedacht, wir sollten einem Repräsentanten von Alandas begegnen, aber unsere Informationen sind sehr unvollkommen, wie wir selbst wissen. Es ist allgemein bekannt, dass Béarisean und Rilan von Sliabh Eoghaí schon als Kinder ermordet wurden, womit diese Familie ausgestorben war. Aber es musste eine Lösung geben, damit sich die Prophezeiung erfüllen kann, nicht wahr? Nun, mein Freund hier zögert, Euch dies alles mitzuteilen, weil Euer Auftreten als Schwarzer Fürst sehr glaubhaft wirkt.“
„Robin“, sagte Béarisean, der begriff, was der Freund da versuchte, „wer immer dies hier ist. Er ist kein Freund Estohars!“
„Das mag sein“, erklärte Robin. „Aber Estohar ist dein Freund, nicht meiner. Ich bin hier, weil ich überzeugt bin, dass wir eine Lösung für diese Sache mit der Prophezeiung finden müssen. Und vielleicht irrt sich ja Estohar in Bezug auf das eine oder andere. Jedenfalls. Das hier ist Béarisean, und sein Vater hieß Eoghan und mehr verlangt die Prophezeiung nicht. Und ich heiße nicht Anno, sondern Robin – eigentlich Robert. Nun, und ich wäre schon immer gern ein Ritter gewesen –das reicht doch nun wirklich aus, um dieser Prophezeiung genüge zu tun.“

„Ich hatte mir so etwas schon gedacht“, ließ sich Dorbans Stimme vernehmen. „Ich sagte ja schon, dieser Robin ist kein Schwertkämpfer, jedenfalls kein geübter. Von Ritter kann da keine Rede sein. Aber wir waren uns doch von vornherein klar, dass es sich um eine Scharade handelt, die von Estohar arrangiert wurde. Genauso wie diese Inszenierung mit den angeblichen Boten aus Alandas.“
Bei diesen Worten schien der Fürst alarmiert zu sein. „Boten aus Alandas? Die mit diesen beiden zu tun hatten?“
„Ach nein!“ rief Dorban ärgerlich. „Das war eine ganz andere Gruppe. Ich habe versucht sie zu stellen, aber es misslang.“
Béarisean warf währenddessenRobin einen zornigen Blick zu. „Du siehst, das hier sind Feinde Estohars. Ich sagte es schon die ganze Zeit unterwegs. Wir sind der falschen Botschaft gefolgt.“
In Barraids Augen glomm ein gefährlicher Funke auf. Er blickte kurz auf Dorban sprach dann aber Robin an. „Welche zweite Botschaft gab es denn?“
„Nun, es war etwas Verschlüsseltes. Die anderen sangen davon. Etwas über ein Tor im Osten. Wir standen auch vor einem Rätsel. Aber Dorban sah und hörte die Boten ja auch, wie es scheint.“
„Lùg!“ befahl der Fürst, der das Interessen an ihnen fast völlig verloren zu haben schien. „Schicke Patrouillen aus! Gib unverzüglich Nachricht an Akan, er soll das gleiche tun. Er selbst soll sofort nach hier aufbrechen. Und sieh zu, dass Fíanael so schnell wie möglich zurückkehrt.“ Der Lord fragte zurück: „Was ist mit Asrain?“ Barraid winkte ab. „Er sollte morgen hier eintreffen, und ich brauche ihn für anderes.“ Lùg verbeugte sich tief und eilte davon.

 Barraid wandte sich wieder Robin zu. „Du bist also kein Ritter?“
„Nur in dem Sinne, dass ich dem König diene“, sagte Robin „Und dem Vogel dessen Namen ich trage, mache ich schon Ehre.“
„Dem Adler in Anno?“ meinte Barraid trocken.
„Nein, dem Rotkehlchen wie Robin. Ich bin ein guter Sänger. Und es heißt doch, dass auch in Alandas gute Musik sehr geschätzt würde. Man sagt, die Harfen von dort hätten nicht ihresgleichen.“
„Harfe spielen kann er übrigens“, bemerkte Dorban trocken.
Barraid winkte seinen Leuten: „Nehmt diese beiden vorgeblichen Ritter in sicheren Gewahrsam. Ich werde später darüber entscheiden, was mit ihnen zu geschehen hat. Und bringt mir seine Harfe!“
Vier der schwarz gekleideten Wachen ergriffen Robin und Béarisean und gingen mit ihnen hinaus.

„Und nun zu dir, Dorban. Was für Boten aus Alandas waren das?“
Mehr hörten sie nicht mehr. Ihr Weg führte durch etliche lange Gänge. Dort wurden ihnen die Waffen abgenommen. Sie selbst wurden in eine dunkle Zelle gestoßen. Eine Fackel wurde nicht zurückgelassen. Béarisean stolperte. Beim Abstützen auf dem Boden fühlte er, dass der Untergrund nass, kalt und schleimig war.
Robin hatte sich schon weiter getastet. „Besonders groß ist das hier nicht“, meinte er. Und dann angewidert: „Sogar die Wände sind nass. Glaubst du, sie wollen uns hier sterben lassen?“
„Wahrscheinlich“, meinte Béarisean, „es fragt sich wohl nur wann.“ Dann lachte er: „Rotkehlchen! Aber ich wünschte, du hättest deine Harfe hier.“
„Was er wohl damit will?“
„Vielleicht prüfen, ob sie nicht doch aus Alandas ist.“
„Weißt du“, Robin war nachdenklich. „Sie ist schon etwas ungewöhnlich. Was wenn sie tatsächlich aus Alandas wäre?“
„Du und diese Harfe!“ Béarisean senkte nicht nur die Stimme. Er trat an ihn heran und hauchte ihm ins Ohr. „Ich kann nur hoffen, dass nicht. Denn momentan scheint es zumindest klar zu sein, dass wir nicht die richtigen Ritter sind. Mit denen hat Barraid offensichtlich ganz besondere Pläne.“ Lauter fügte er hinzu. „Dann hätte der Händler wirklich einen zu niedrigen Preis verlangt. Es scheint, wir sind jetzt in heftigen Schwierigkeiten.“
„Ja“, stimmte Robin zu. „Eines hieße: wie sollen wir hier drin schlafen?“
„Ich glaube, wir beginnen mit etwas Vordringlicherem“, sagte Béarisean. „Wir sollten beten.“
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Dorban hatte seinen kurzen Bericht über die seltsamen Geschehnisse bei Croinathír beendet. Er war allein mit Barraid, der seine Männer weggeschickt hatte, sobald die beiden Ritter abgeführt worden waren. Der Fürst war zornig, das war unverkennbar.
„Du bist dir sicher, dass diese anderen nicht mit den beiden gesprochen haben?“ vergewisserte er sich.
„Völlig sicher. Meine Männer verfolgten die anderen da schon.“
„Und du hast nichts von diesem Gesang verstanden?“
Dorban schüttelte den Kopf. „Keiner von uns.“
„Du hast mir die falschen Ritter gebracht“, stellte Barraid hart fest.
„Sie waren am vereinbarten Ort und kannten die Losung“, entgegnete Dorban genauso kühl. „Wenn es einen Fehler gab, dann beging ihn der Bote, der sie ihnen bekannt gab. Aber weshalb seid Ihr Euch überhaupt so sicher, dass es die Falschen sind. Ihr sagtet doch, es sei Estohars Plan, zwei Männer als Ritter des Königs auszugeben, um die Unterstützung des Rates und der Bevölkerung für seine Pläne zu bekommen. Nun, hier sind sie. Sie haben selbst all das zugegeben.“
„Béarisean von Sliabh Eoghaí lebt“, sagte Barraid. „Und der zweite Ritter wird aus Arda stammen. Die Prophezeiungen können nicht umgangen werden. Und Ritter Anno wird kämpfen können.“
Dorban zuckte mit den Schultern. „Dann ist das jedenfalls nicht der gesuchte Ritter. Wir mussten die beiden unterwegs vor einer Handvoll Räuber retten. Eine Gefahr, in die sie nur durch Leichtsinn gerieten. Glaubt Ihr, die anderen sind mit Estohar zusammengetroffen?“
„Möglicherweise. Aber er wird sie vorerst nicht einsetzen können, wie es scheint. Ich vermute, sie wollen zuerst nach Alandas.“
„Ihr glaubt also, dass etwas an diesem Gerede von der anderen Botschaft dran ist?“

Barraids Blick verdüsterte sich noch etwas mehr. Doch in diesem Moment brachte einer seiner Männer Robins Harfe. Der Fürst winkte ihm zu warten und betrachtete das Instrument dann lange nachdenklich. Schließlich strich er vorsichtig über die Saiten, schlug eine kurze aber komplizierte Melodie an.
„Ihr spielt gut“, sagte Dorban überrascht. „Ich hätte nie vermutet, dass Ihr Euch für Musik interessiert.“
Barraid warf ihm einen undeutbaren Blick zu und legte die Harfe zur Seite. „Bringe sie zu dem übrigen Gepäck der beiden“, befahl er dem Diener. „Lass alles wieder in ihre Satteltaschen packen. Sie werden morgen mit Dorban reiten.“ Zu dem Lord gewandt bemerkte er. „Es ist eine sehr alte Harfe. Aber in Abhaileon gefertigt. Und wenn der Feind sie je gebraucht hat, ist es sehr lange her.“
„Ich hatte nicht vor, morgen bereits wieder aufzubrechen“, erklärte Dorban unwirsch. Er fragte sich, was das mit der Harfe sollte.

Barraids unergründlicher Blick studierte ihn, so dass er sich am liebsten abgewandt hätte. „Du wolltest doch für eine Weile zurück nach Tairg? Ist dem nicht mehr so?“
Dorban trommelte mit den Fingern ungeduldig – oder nervös? – auf seiner Schwertscheide. „Ich muss nach Tairg. Und dann weiter. Ich kann die dalinianische Politik nicht ganz sich selbst überlassen. Aber es war ein weiter Ritt in die Hauptstadt und zurück. Meine Männer und die Pferde können einen weiteren Ruhetag gut gebrauchen. Und dann – was sollen die zwei Betrüger oder was sie auch sind in Tairg?“
Barraids Blick verriet keine Regung. „Ich möchte, dass du sie zur Drachenschlucht bringst.“
Dorban runzelte die Stirn. „Ihr könntet Eure eigenen Leute damit beauftragen. Es liegt nicht gerade auf meinem Weg.“
Barraid nickte. „Ich weiß. Aber gerade jetzt kann ich keinen meiner Leute abkommandieren. Ich muss die richtigen Ritter finden, die auch schon hier in der Gegend unterwegs sein könnten. Und offensichtlich sind nur meine Leute imstande, diese Aufgabe zu bewältigen. Nun, und sollten sie wider Erwarten schon gleichzeitig mit dir die Schlucht erreichen, hast du Gelegenheit, deinen Wert zu beweisen.“ Er zögerte. „Ich werde selbst noch eine Wache dahin abkommandieren. Sobald alle Wege unter Kontrolle sind.“
„Sie könnten schon im Osten sein, wohin auch immer sie wollen.“
„Gleann Fhírinne ist der einzige Ort, der in Frage kommt. Aber hier im Norden ist niemand durchgekommen. Und falls sie die Teach Reasa im Süden umreiten, verlieren sie viel Zeit.“
„Ich begreife immer noch nicht, warum der Umweg über die Drachenschlucht notwendig sein soll. Ihr könntet Euch hier um sie kümmern.“
Barraid lächelte kalt. „O nein. Estohar soll hören, dass zwei Ritter dorthin gekommen sind. Denn es werden die einzigen sein, die dorthin gelangen. Er wird glauben, seine Pläne gelingen. Und je länger er das fälschlich glaubt, desto besser für uns.“
„Wie sollten sie gelingen können, wenn sie dort sterben?“
„Zwei Ritter des Königs? Durch einen Drachen, der den Eingang nach Alandas bewacht? Estohar weiß so gut wie ich, dass der Drache die echten Ritter nicht aufhalten würde.“

Dorban sah Barraid mit gerunzelter Stirn an. Eine Frage lag ihm auf der Zunge. Der Fürst blickte kühl zurück. „Hieße das dann nicht ...“ Er zögerte. Er dachte an die Nacht vor ein paar Monaten zurück, in der der Drache plötzlich aufgetaucht war. Eine Nacht, die niemand seitdem in der Gegenwart des Fürsten erwähnt hatte. Dorban selbst wollte sich nicht gerne an diesen Alptraum erinnern. „Ich meine, der Drache ... Und Ihr wollt diese Ritter gefangen nehmen ... Ich soll sie gefangen nehmen nötigenfalls. Aber Ihr ...“ Er blickte zur Seite. „Ich verstehe nicht ganz.“
„Du wirst eine Wahl treffen müssen“, bemerkte Barraid. „Und dann wirst du die Konsequenzen ziehen müssen. Versprich mir Gefolgschaft und du wirst verstehen.“
„Wir haben ein Bündnis“, sagte Dorban gereizt. „Gleichberechtigt. Eure Unterstützung für meine Unterstützung.“
„Wie du willst. Ein Bündnis zwischen uns, jeder zu seinem Vorteil. Da wir gerade davon sprechen. Einer deiner Leute verbreitet immer wieder unkluge Gerüchte. Wir waren doch übereingekommen, solches Gerede gar nicht erst zu tolerieren, oder?“
Widerwillig wandte sich Dorban ihm zu. „Wer soll es denn sein?“
„Mir ist zu Ohren gekommen“, sagte der Fürst, „dass einzelne deiner Leute mit meinem und deinem Führungsstil nicht ganz einverstanden sind. Ein gewisser Durlong, insbesondere.“
„In der Tat habe ich Durlong ein-, zweimal in seine Schranken weisen müssen. Er ist einer meiner besten Kämpfer und mein Waffenmeister, wie Ihr wisst, aber er liebt es zu nörgeln und wenn der Alkohol ihm die Zunge lockert, vergreift er sich manchmal mit den Themen seiner Ausführungen.“
„Ich hörte, er hält mich für den richtigen Schwarzen Fürsten. Vielleicht glaubt auch er dann an richtige Ritter des Königs.“
„Es ist nur dummes Geschwätz.“
„Sicher. Aber es muss aufhören. Und ich habe eine Kur dafür vorzuschlagen: Du schickst ihn mit den beiden falschen Rittern in die Schlucht. Damit er sieht, wie wenig solche Märchen taugen.“ Dorban öffnete den Mund, um zu protestieren. „Wenn er nicht ganz dumm ist, überredet er die beiden, selbst zu dem Drachen zu gehen und beobachtet alles aus sicherer Entfernung. Wenn er nicht klug genug dazu ist, wird er auch nie wissen, wann er besser den Mund hält.“
„Warum schickt Ihr nicht einen Eurer eigenen Männer? Ihr traut Ihnen doch ohnehin mehr als den meinen.“
„Weil wir Estohars Spiel weiterspielen werden. Dorban von Tairg, der künftige Fürst von Dalinie, wird die Ritter des Königs mit den besten Waffen versehen und einen seiner besten Leute mit ihnen schicken, um ihnen den Weg nach Alandas zu weisen.“

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