Ian stand immer noch breit grinsend da. „Was soll es sein, Restac?“ erkundigte er sich. „Hackfleisch oder soll er noch verhandlungsfähig sein danach?“
„Ganz wie es kommt“, sagte Restac.
Ciaran spürte wie sein Zorn mit jeder Sekunde anwuchs. Jeder hier schien davon auszugehen, dass er unterlegen sein würde. Er war unbesorgt. Niemand war bisher besser als er gewesen; wenige, die sich mit ihm messen konnten. Er zwang sich, ruhig zu atmen, während er seinen Mantel faltete und am Rande der freigemachten Fläche auf die Satteltaschen legte. Ein guter Kampf brauchte Gelassenheit. Sein Gegner war stark, sehr viel stärker als er, das ließ ihn gefährlich werden. Es sei denn, der andere kämpfte vollkommen unkontrolliert. Aber da er der beste hier in Arrin war, war es klüger davon auszugehen, dass er irgendeine Ausbildung hatte.
Die Schärfe seines Schwertes brauchte er nicht zu prüfen, das hielt er stets in Ordnung. Er ging in die Mitte der freien Fläche. „Wir können anfangen“, sagte er und ließ sein Schwert herausgleiten. Ian betrachtete ihn aufmerksam. Keine Prahlereien mehr. Die Klingen angriffsbereit begannen sie, einander vorsichtig zu umkreisen. Ian machte den ersten Ausfall, blitzschnell und dennoch nur ein Versuch, um die Stärke des Gegners herauszufinden. Ciaran parierte leicht, aber schon jetzt wurde ihm klar, dass es schwierig werden würde. Die Wucht des Schlages war gewaltig und die Technik gut. Er versuchte einen Gegenangriff. Das war nicht so einfach, der andere hatte eine viel größere Reichweite und ließ sich nicht unterlaufen. Ian parierte ohne Probleme.
Dann begann ein erster Schlagabtausch. Die Paraden gingen auf beiden Seiten leicht und flüssig, aber schon bald wusste Ciaran, dass er Schwierigkeiten haben würde. Woher auch immer, dieser Ian hatte eine bessere Ausbildung als er selbst. Er war ungeheuer schnell, und Ciaran fühlte, dass er nicht seine übliche Stärke besaß. Das Fieber machte seine Muskeln weich und ließ ihn schneller schwitzen als sonst. Das schlimmste war, dass der Gegner das auch erkannte. Er konnte es in den Augen des rothaarigen Kämpfers sehen, in seinem grimmigen Lächeln. Heftige Schlagabtäusche wechselten mit Finten.
Ciaran fühlte seine Arme lahm werden. Und beim nächsten Manöver geschah das Unglück, er rutschte auf dem nassen Boden aus, schlug schwer auf die Seite. Das Schwert behielt er in der Hand, aber der Griff hatte sich gelockert. Einen Augenblick sah er nichts, doch er verschwendete keine Zeit, rollte sich schnell vom Gegner weg und kam auf ein Knie. Gerade rechtzeitig, um den Angriff zu sehen, der ihn bedrohte. Statt versuchen zu parieren, wartete er bis zum letzten Sekundenbruchteil, warf er sich nochmals zur Seite. Aber dieses Mal nicht aufs Geradewohl. Es war ein Manöver das er oft geübt hatte und jetzt wurde es seine Rettung. Ian geriet durch seinen ersten fehlgegangenen Versuch etwas ins Wanken. Er hatte mit einer Parade gerechnet, nicht mit weiterem Ausweichen, und Ciaran nutzte diesen ersten und vielleicht einzigen Vorteil, den er diesem Kampf haben würde. Sein blitzschneller Vorstoß schlug dem Gegner die Waffe aus der Hand. Ians Gesicht war überrascht. Er versuchte nach seinem Schwert zu tauchen. Aber Ciaran war schneller. Seine Klinge blieb drohend genau an der Kehle Ians stehen.
´Töte ihn´, sagte eine kalte, glatte Stimme hinter ihm. Ciaran fühlte bei ihrem Klang einen Schauder über seinen Rücken laufen, seine Hand zitterte leicht, aber er widerstand dem Befehl.
´Nein´, protestierte auch schon Restacs rauheres Organ. ´Bei allem Respekt, Lord Fíanael. Ich gedenke nicht, meinen besten Schwertkämpfer für nichts und wieder nichts zu opfern.´
´Er hat versagt´, entgegnete sein Gast unbarmherzig.
´Jeder kann einmal auf einen Besseren treffen´, erwiderte Restac energisch, ´und hier in den Felsen von Arrin führe immer noch ich das Kommando. Der Kampf ist beendet. Und du, Ian, hast etwas zu erledigen, wenn ich mich recht erinnere.´ Ciaran senkte erleichtert sein Schwert und trat zurück, ohne den besiegten Kämpfer aus den Augen zu lassen.
Ian sammelte sein Schwert auf und bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick, bevor er ging. „Aye“, sagte er in Restacs Richtung. Fíanael beachtete er nicht, aber in einiger Distanz drehte er sich noch einmal zu ihnen um, die Hand auf dem Schwertknauf, als er etwas zu jemand anderem sagte.
´Wie du willst´, sagte der Lord achselzuckend zu Restac. ´Ich wäre meinen Leuten gegenüber nicht so großzügig. Aber das ist deine Sache, Restac.´ Er wandte sich Ciaran zu: ´Komm her. Du willst in Restacs Dienst treten?´
Ciaran folgte der Aufforderung und bemühte sich, sich sein Widerstreben nicht anmerken zu lassen. ´In dieser Absicht bin ich hierher gekommen´, sagte er so ruhig wie möglich. Sein Atem ging noch heftig nach der Anstrengung des Kampfes.
´Eine löbliche Absicht´, sagte Fianael. ´Doch du mußt wissen, daß Restac selbst einem größeren Herrn untersteht, meinem Oberlord, dem Fürsten von Winian.´
Ciaran runzelte die Stirn. ´Ein solcher Fürst ist mir unbekannt´, sagte er. ´Ich habe noch nie von einer Provinz namens Winian gehört.´
´Winian´, sagte der Lord langsam - es überraschte Ciaran, daß er sich überhaupt bereit zeigte, ihm eine Antwort zu geben - , ´ist ein Land weit, weit im Osten von hier. Viele hundert Meilen weiter als der Ort, der einmal Cardolan in der Ostheide genannt wurde. So weit, daß sein Name hier im Herzen Abhaileons schon lange ins Vergessen geraten ist. Manche würden Winian wohl mehr als eine Lordschaft denn als Fürstentum bezeichnen. Dennoch hat der jeweilige Herrscher dieses Landes seit alters her das Recht, sich Fürst zu nennen. Viele hundert Jahre lang wurde davon kein Gebrauch gemacht. Doch jetzt hat mein Herrscher beschlossen, dieses Recht wieder in Anspruch zu nehmen. Er reiste hierher nach Westen und fand das Land in Unordnung. Recht und Gesetz werden von einer kleinen Clique mißbraucht, die in der Hauptstadt an der Herrschaft ist. So empfindest du doch selbst, nach dem zu schließen, was du vorhin gesagt hast. Nicht wahr?´
Ciaran war beunruhigt. Am liebsten hätte er alles, was er während der letzten Tage getan hatte, rückgängig gemacht, aber das war leider unmöglich. Seine einzige Chance, hier lebend herauszukommen und Botschaft nach Croinathír zu bringen, war weiter seine Rolle zu spielen. Also nickte er. Er hatte das unangenehme Gefühl, daß dieser Lord Fianael genau wußte, auf wessen Seite er wirklich stand. Klang da nicht Spott in seiner Stimme, als er seine wohlbedachten Sätze formulierte?
´Wie das Schicksal es wollte, traf mein Fürst mit Restac zusammen´ fuhr der schwarzgekleidete Fremde fort. ´Sie stellten fest, wie sehr sie beide am Wohlergehen des ganzen Landes interessiert sind und beschlossen zusammenzuarbeiten. Das heißt, Restac hielt es für klug, unter der Schutzherrschaft meines Fürsten zu agieren. Du siehst also sicherlich keinen Hinderungsgrund, meinen Fürsten als Lehnsherrn anzuerkennen? Es ist eigentlich eine rein formelle Sache aber unabdingbar notwendig. Wo würde uns das auch hinführen, wenn jeder kleine Anführer (in Restacs Augen spiegelte sich ein Schatten von Unwillen) nach seinem eigenen Gutdünken handelte? Bist du bereit, das Versprechen zu geben?´
Seine bernsteinfarbenen Augen hielten Ciarans Blick wieder fest gefangen. Der junge Hauptmann fühlte, daß es ihm sehr schwer fiel, noch klar zu denken. Das mußte eine Folge des wilden Duells sein, das ihm alles abverlangt hatte. Er hatte nicht die geringste Lust, diesen Fürsten von Winian als Lehnsherrn anzuerkennen. Es war etwas Falsches daran. Das spürte er genau. Aber es wollte ihm kein Grund einfallen abzulehnen, der triftig genug war, um ihn gegenüber jenem Lord vorzubringen. Alles, was ihm in den Sinn kam, schien dafür zu sprechen, daß er die einmal aufgenommene Rolle weiterspielte. Es war die Chance, mehr über die Räuber und alle Umtriebe gegen den Rat zu erfahren. Er durfte jetzt auch nicht so lange mit der Antwort zögern. Schließlich ging es nicht nur um sein eigenes Leben, sondern auch um Abhaileon. Andererseits würde dieses Versprechen von Anfang an ein Meineid sein. Schon bei dem Wort wurde ihm flau im Magen. Aber er war in einer Zwangslage und sie würden wohl auch kaum von ihm verlangen, daß er im Namen des Königs schwor. Das würde er jedenfalls auf keinen Fall tun. Und schließlich war es ja nur irgendein unbedeutender Fürst von Winian, gegen den selbst er vielleicht nie würde kämpfen müssen, wenn er mit den Truppen des Rates wiederkam. ´Ich verspreche, den Fürsten von Winian als meinen Lehnsherrn anzuerkennen´, sagte er und wußte im gleichen Augenblick, daß er einen wirklich schwerwiegenden Fehler begangen hatte.
Lord Fíanael lächelte. Ciaran schauderte, als er dieses Lächeln sah. Es hatte keine Freude in sich, nur Grausamkeit. ´Dein Ehrenwort genügt mir´, sagte der Lord, als kenne er Ciarans Vorbehalte. ´Es wird für meinen Herrn eine große Freude sein, einen solch mutigen und gewandten Krieger für sich gewonnen zu haben. Er wird sich deiner gewiß erinnern, wenn er dich gebrauchen kann. Denn er weiß Stolz, Ehrgeiz und die Fähigkeit, sich über veraltete Konventionen großzügig hinwegzusetzen, sehr zu schätzen.´
Die letzten Sätze dröhnten in Ciarans Ohren wie eine furchtbare Drohung. Er wünschte sich weit weg. Er wünschte, er hätte nie den Ehrgeiz besessen, mehr als ein Hauptmann der Palastgarde zu sein. Am liebsten hätte er seine Worte sofort widerrufen, aber er wagte es nicht.
Die Anführer entließen ihn jetzt, um sich zu einer weiteren Beratung über Diriacs Neuigkeiten zurückzuziehen. Niemanden schien es mehr zu interessieren, wohin er sich wandte. Er gehörte jetzt anscheinend dazu. So ging er immer noch wie betäubt mit Diriacs zwei Begleitern zum Lagerfeuer. Doch während die beiden sich über das Essen hermachten, konnte er keinen Bissen herunterbringen.
Bob klopfte ihm schließlich freundschaftlich auf die Schulter: ´Was hast du denn, Kamerad?´ fragte er. ´Es sieht aus, als würdest du einer von den ganz Großen unter uns werden können. Du bist den hohen Herrschaften offenbar sehr angenehm aufgefallen. Unseren großen Schwertmeister Ian zu besiegen! Ich hätte keinen Pfifferling mehr für dein Leben gegeben. Damit hast du sogar diesen hochgestochenen Lord schwer beeindruckt. Ein Lob aus Fíanaels Mund! Freu dich und iß! Du wirst sicher bald Arbeit genug bekommen.´
Doch Ciaran fühlte keine Spur von Freude in sich. Er grübelte vor sich hin. ´Dieser Lord Fíanael´, sagte er schließlich zögernd. ´Ich bin noch niemals so jemandem begegnet. Er wirkt furchteinflößend.´
´Das kannst du laut sagen´, bestätigte Bob. ´Nur nicht zu laut. Hier gehen ihm alle aus dem Weg, wenn es sich irgendwie machen läßt, und alle sind heilfroh, wenn er nicht im Lager ist. Er hat die unangenehme Gewohnheit, einen für die kleinsten Nachlässigkeiten und Vergehen oder, was er dafür hält, bitter büßen zu lassen.´
´Aber dieses Lager in den Felsen von Arrin untersteht doch Restac´, wandte Ciaran ein. ´Warum kann sich da ein Abgesandter dieses Fürsten von Winian soviele Freiheiten herausnehmen, als sei er der Befehlshaber dieses Lagers?´
´Das mußt du Restac schon selbst fragen´, meinte Bob. ´Im übrigen gilt hier der Grundsatz, daß Streitigkeiten zwischen Einzelnen jederzeit ausgetragen werden können, soweit dabei nicht das Leben im Lager erheblich gestört wird. Selbst ohne seinen Einfluß wäre dieser Lord ein übler Gegner, mit dem sich niemand hier anlegen würde. Sei froh, daß er nicht auf die Idee kam, selbst im Kampf gegen dich anzutreten. Du hättest keine Chance gehabt, obwohl deine Fertigkeiten wirklich bewundernswert sind. Niemand, den ich kenne, kann es sonst mit Ian aufnehmen. Sein Lehrer war der berühmteste Fechtmeister der Westprovinzen, heißt es. Aber dazu ist dieser Fíanael natürlich zu nobel, als daß er sich mit einem namenlosen Krieger duelliert. Man sagt, er sei einer der engsten Vertrauten des Fürsten. Was wohl wahr sein mag, da selbst die anderen Reiter Barraids, die sich sonst einen Dreck um Autoritätsansprüche und Rechte anderer Leute scheren, einen Riesenrespekt vor ihm haben.´
Ciaran zuckte zusammen, als er diesen letzten Satz hörte. ´Was für einen Namen hast du eben genannt?´ stieß er hervor. ´Wer ist dieser Barraid?´
´Na, du bist gut´, sagte Bob erstaunt. ´Du solltest doch eigentlich wissen, wen du deinen Herrn nennst: Barraid, Fürst von Winian, Cardolan und Carraig. He, was hast du?´
Ciaran war leichenblaß geworden. ´Ich glaube, das sind die Folgen dieses Duells´, brachte er hervor. “Und ich bin etwas krank. Das gibt sich sicher gleich wieder.´ Seine Gedanken rotierten. Wie hatte er dies nicht bedenken können? Hatte er nicht selbst den Verdacht gehabt, daß hinter den Räubern die Machenschaften des Schwarzen Fürsten steckten? Aber solange ihn dieser verfluchte Fíanael so fixiert hatte, war der Gedanke ganz aus seinem Kopf entschwunden gewesen. Das, was er getan hatte, war Hochverrat! Dem ärgsten Feind die Treue schwören.
Aber es gab noch eine Möglichkeit. Er würde sofort zu diesem Fíanael hingehen und sein Versprechen widerrufen. Gleich, was das für Konsequenzen für ihn hatte. Sollten sie ihn doch erschlagen. Vielleicht konnte er den Lord selbst zum Kampf herausfordern und ... Doch jetzt keine Tagträume, er mußte ihn sofort sprechen, um das rückgängig zu machen. Er ließ den verwunderten Bob einfach stehen und eilte zum Höhleneingang.
Diriac kam ihm auf halbem Wege entgegen. ´Wohin so eilig?´ fragte er.
´Ich muß sofort noch einmal Lord Fíanael sprechen´, sagt Ciaran. ´Es ist dringend.´
´Da hast du Pech, Cormac´, sagte Diriac. ´Der Lord ist bereits in einer dringenden Angelegenheit aufgebrochen und wird nicht vor dem Frühjahr wiederkommen. Aber du hättest tatsächlich allen Grund, dich bei ihm zu bedanken. Er hat sich dafür eingesetzt, daß Restac dir ein eigenes Kommando übergibt und schien überhaupt sehr von dir eingenommen. Unter diesen Umständen steht dir wohl eine glänzende Laufbahn bevor. - Na Junge, was ist denn? Du schwankst ja. Dein phänomenaler Sieg über Ian war wohl wirklich hart erkämpft. Komm, ich bring dich zurück zum Feuer.´
´Vielleicht sollte ich versuchen, dem Lord zu folgen´, beharrte Ciaran. ´Es ist etwas wirklich Wichtiges, das ich ihm zu sagen habe.´
´Dann kannst du damit auch zu Restac gehen´, erwiderte Diriac.
Ciaran schüttelte den Kopf. ´Es hat nichts mit Restac und euch allen hier zu tun.´
´Tut mir leid für dich. Da wirst du bis zum Frühjahr warten müssen. Nicht einmal Restac weiß, wohin sich der Lord jetzt gewendet hat. Ob nach Carraig, nach Cardolan, in eines der Fürstentümer oder sogar nach Winian - das weiß wohl allein der Fürst auf Carraig außer Fíanael selbst.´
Ciaran erinnerte sich später nur noch nebelhaft an den Rest dieses Tages. Er versank in tiefer Verzweiflung und Ratlosigkeit. Diriac betrachtete ihn ab und zu besorgt. Es sah aus, als habe sich der Held des Tages irgendeine Krankheit zugezogen. Das war nicht unwahrscheinlich, wenn er die langen Tage des Rittes im strömenden Regen in Betracht zog. Die Ausrüstung Cormacs war nicht ausreichend gewesen für das schlechte Herbstwetter. Er hatte wohl wirklich Hals über Kopf fliehen müssen.
Diriacs Verdacht auf eine Krankheit fand während der folgenden Nacht Bestätigung. Den frischgebackenen Unterführer befiel über Nacht ein heftiges Fieber, das auch während des nächsten Tages nicht weichen wollte. Aber er weigerte sich zunächst energisch, Hilfe anzunehmen. Er sei schon seit seiner Kinderzeit nicht mehr ernsthaft krank gewesen, könne sich auch nicht erklären, was ihn da jetzt wohl erwischt habe und brauche nur etwas Ruhe, behauptete er. Es sei lediglich eine kleine Grippe. Als es damit auch die nächsten Tage nicht besser sondern so schlimm wurde, daß Ciaran schließlich sein Lager nicht mehr verlassen konnte, sorgte Diriac trotz seines Protestes dafür, daß einer der Männer zu ihm kam, die etwas von Heilkunde verstanden. Der stellte eine verschleppte Lungenentzündung fest.
Diriac hatte seine Sympathie für den jungen Kämpfer entdeckt. Er fühlte sich durch ihn an seinen ein gutes Dutzend Jahre jüngeren Bruder Jack erinnert, der bei der Pockenepidemie gestorben war, die auch Restacs Gesicht so entstellt hatte. Dieselbe widerspenstige schwarze Stirnlocke, dieselben Augen, dieselbe Waghalsigkeit. Der Junge war erst sechzehn gewesen. Jetzt würde er etwa im Alter dieses Cormac sein. Nein, Diriac war selbst nicht imstande, sich genau Rechenschaft über seine Gefühle zu geben, aber irgendwie hatte er diesen fremden jungen Mann ins Herz geschlossen. Es mußte während des Rittes nach Arrin begonnen haben, obwohl er während dieser Zeit kaum ein Wort mit ihm gewechselt hatte.
Er machte sich große Sorgen um seinen neuen Schützling. Ausgerechnet jetzt, da das Wetter kalt und immer schlechter wurde, mußte der sich so eine Krankheit holen. Es waren schon genug Leute an so etwas gestorben. Diriac war entschlossen, um das Leben des Jungen, wie er ihn nannte, zu kämpfen. Restac, der wußte, wie sehr Diriac an ihrem Bruder gehangen hatte und dem auch Fíanael eingeschärft hatte, gut auf den geschickten Kämpfer zu achten, stellte Diriac von seinen sonstigen Pflichten frei, so daß er sich ganz der Krankenpflege widmen konnte.
Diriac tat sein Bestes, aber Ciaran hatte allen Lebensmut verloren. Er wünschte sich in seinen kurzen klaren Momenten den Tod herbei. Immer länger blieb er in den wirren Fieberträumen, sah Estohar und die anderen vor sich, die ihm schwere Vorwürfe machten. Doch schließlich wurden auch diese Bilder immer unklarer.
Diriac war am Verzweifeln. Es wurde immer schlimmer mit seinem Patienten. Besonders diese Angelegenheit, wegen der er die Hauptstadt hatte verlassen müssen, schien ihm schrecklich zuzusetzen. Es war wohl wirklich ein unglücklicher Fall von Totschlag gewesen. Immer wieder murmelte der Kranke im Fieber: ´Ich habe es nicht gewollt. Ich habe das nie gewollt.´ Aber schließlich sagte er gar nichts mehr, und das war noch schlimmer.
Als es schon aussah, als gebe es keine Hoffnung mehr für den Hauptmann der Palastgarde, da träumte er einen neuen Traum. Noch einmal war er in Croinathír und begegnete den beiden Rittern des Königs. Doch als der Ritter aus Arda sagte: ´Es tut gut zu sehen, was für mutige Kämpfer sich in Estohars Garde finden´, da erwiderte er: ´Wie könnt Ihr mich loben, Ihr müßt doch auch wissen, daß ich ein Verräter bin an allem, wofür Ihr steht.´
Der Ritter sagte: ´Dann wären wir uns hier nicht begegnet. Der größte Verrat, den du zur Zeit begehst, ist deine Verzweiflung.´
´Wie sollte ich nicht verzweifelt sein´, sagte Ciaran. ´Ich sehe keinen Ausweg mehr für mich als den Tod.´
´Darüber zu befinden, hast du kein Recht´, sagte der Ritter aus Arda. ´Dein Leben gehört nicht einfach dir. Du hast noch einen großen Auftrag zu erfüllen. Willst du dich ihm verweigern, bevor du ihn kennst?´
´Ich will alles tun. Aber ich sehe keinen Weg aus diesem Unglück heraus´, sagte Ciaran verzweifelt. ´Wie soll ich ihn finden?´
´Folge uns´, sagte der Ritter und wandte sich zum Gehen.
´Wartet!´ rief Ciaran. ´Wie und wohin soll ich Euch denn folgen?´
Aber er erhielt keine Antwort mehr. Die Ritter gingen fort, und er blieb zurück in der Finsternis und konnte sich nicht rühren. ´Helft mir!´ rief er ihnen nach. ´Warum hilft mir denn niemand?´
´Keine Angst, Junge´, sagte eine andere Stimme beruhigend. ´Ich bin bei dir.´
Ciaran versuchte die Augen zu öffnen und einen schrecklichen Augenblick lang schien es, als könne er es nicht mehr und müsse ewig im Dunkeln leben. Doch schließlich wichen die Nebel vor seinen Augen zurück. Er blickte auf in Diriacs halb vertrautes Gesicht und stellte erstaunt fest, daß dieser beschützend den Arm um ihn gelegt hatte. ´Diriac´, flüsterte er. ´Was ist geschehen? Warum ...?´
´Schscht´, sagte Diriac und legte den Finger auf die Lippen. ´Du warst lange schwer krank, und jetzt scheint es dir endlich etwas besser zu gehen. Du mußt jetzt schlafen, damit du wieder gesund wirst. Niemand wird dich behelligen können.´
´Es ist lange, sehr lange her, daß jemand für mich gesorgt hat´, sagte Ciaran verwundert, und er schlief wieder ein.
Während der nächsten Tage ging es mit ihm stetig bergauf. Mit Erstaunen stellte er fest, daß es in der Zwischenzeit tiefer Winter geworden war. Der Schnee lag hoch und es herrschte ein bitterer Frost.
´Wie lange war ich krank?´ fragte er seinen neuen Freund.
´Fast zwei Monate´, erwiderte Diriac. ´Ich war schon daran, die Hoffnung aufzugeben, daß du noch über den Berg kommst. Diese Lungenentzündung hatte dich schwer erwischt. Aber du bist offenbar ein zäher Brocken. Nicht nur ein großer Kämpfer mit dem Schwert.´
´Und all die Zeit hast du dich um mich gekümmert?´ fragte Ciaran. ´Warum? Ich habe dir nie irgendeinen Gefallen erwiesen. Siehst du nicht mehr in mir den eventuellen Spion? Oder den vermutlichen Rivalen in der Konkurrenz um Macht und Einfluß, nachdem ich plötzlich unter so glänzender Protektion stehe? Du hast keinen Grund mir solche Freundschaft zu erweisen.´
´Vielleicht möchte ich der Freund eines künftigen großen Führers sein´, sagte Diriac. ´Du hast gute Chancen, es viel weiter zu bringen, als ich es jemals vermöchte. - Aber, ehrlich gesagt´, er blickte etwas verlegen zu Boden, ´ist es, daß du mich an meinen kleinen Bruder erinnerst. Er starb mit sechzehn an den Pocken.´
´Ich habe auch schon lange keine Familie mehr“, sagte Ciaran. „Ich verstehe. Aber du solltest dich nicht mit mir einlassen. Du könntest es bereuen.“
Diriac grinste. „Ehrenhaft wie immer, Cormac. Gerade das gefällt mir an dir. Auch wenn ich dir immer noch nicht in allem über den Weg traue.
Ciaran lachte, ein wenig erleichtert. „Das ist gut. Aber auf eines gebe ich mein Wort. Ich werde dir nie vergessen, was du in den letzten Wochen für mich getan hast.“
´Nie ist ein großes Wort´, sagte Diriac. ´Aber ich würde mich freuen, wenn du an mich denkst, wenn du mächtig geworden bist.´
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