Dorban zögerte immer noch. Was, wenn dies doch keine Betrüger sondern die richtigen Ritter waren? Ein normaler Mensch konnte gar nicht so verrückt sein, sich waffenlos vor einen Drachen stellen zu wollen. Ein normaler Mensch konnte dabei auch nicht gelassen bleiben. Aber dieser Robin war kein Kämpfer – oder hatte er sich nur ungeschickt gestellt? Doch dann hätte er wohl ein Schwert genommen. Barraid hatte gesagt, die richtigen Ritter kämen an dem Drachen vorbei, aber er hatte das doch nicht ernst gemeint? Er hatte doch nur über Estohars Aberglauben gespottet. Was wenn doch nicht?
Er gab sich einen Ruck. Es gab keinen König und keine Ritter des Königs. Die zwei waren einfach vollkommen verrückt. Und Barraid würde genau das bekommen, was er gewünscht hatte. Er gab Befehl, das Tor weit genug zu öffnen, um die drei Männer hineinzulassen.
Die beiden seltsamen Fremden aus Croinathír gingen zuerst hinein. Dorban hielt Durlong kurz zurück. „Du hast jetzt ein Schwert und sie nicht“, murmelte er. „Nutze deinen Vorteil, wenn es denn sein muss.“ Durlong nickte missmutig und durchschritt mit grimmigem Gesicht die Öffnung.
Der harte Schlag von Metall auf Stein, mit dem der Riegel vor das Tor gelegt wurde, hallte noch lange nach zwischen den schmalen, steilen Felswänden. Robin sah sich neugierig um. Hier sollte es also zur großen Bewährungsprobe kommen. Bisher war nichts von einer Gefahr zu bemerken. Die grauen Kalkmassen rundum ragten wohl an die fünfzig Meter hoch auf. Der Fels war vom Regenwasser spiegelglatt gewaschen worden und schimmerte; nur in den untersten Bereichen hatte sich grauer Staub auf die glänzenden schwarzen und weißen, schlierenartigen Partien gelegt. Erst zwei Dutzend Meter weiter nach oben begannen sich Zinnen und Schroffen an der Wand abzuzeichnen. Die oberste Kante der Schlucht endete scharf, wie mit einem Messer abgeschnitten. Die Fläche hinter dem Stahltor, die sie betreten hatten, ähnelte einem Vorhof. Sie war mit kantigen weißen Geröllen unterschiedlicher Größe und herabgestürzten Felsbrocken bedeckt. Genau gegenüber dem Tor führte ein schluchtartiger Felsspalt weiter zwischen die Felsen hinein. Der Abstand von Wand zu Wand im Spalt betrug etwa drei Meter. Schon nach wenigen Schritt Entfernung änderte dieser Durchlass zwischen den Klippen seine Richtung, so dass nicht zu erkennen war, wohin er führen mochte. Der Boden der Schlucht, soweit sie eingesehen werden konnte, glich dem eines trocken gefallenen Flussbettes. Er war bedeckt mit vielen leicht abgerundeten, kleinen weißen Kalkgeröllen, wie sie zum Teil auch auf der Fläche hinter dem Tor vorhanden waren.
Die Stahltore selbst waren von etwa sechsfacher Mannhöhe und fugenlos. Beim Öffnen hatten die Ritter bemerkt, dass die hohen Torflügel die beachtliche Dicke von einem halben Meter hatten. Von innen sahen sie nun, dass auf dieser Seite das Metall in halber Höhe teils ganz geschmolzen war, teils in dicken, erstarrten Tropfen den unteren Bereich der Torflügel noch mehr verdickte.
„Eines steht fest“, sagte Béarisean, der die gleichen Beobachtungen gemacht hatte wie sein Freund. „Der einzige Weg hier heraus weiter auf unserem Weg und wohl auch der unbekannten Gefahr entgegen scheint durch diesen Felsspalt dort drüben zu führen. Keine Gämse und kein Steinbock könnte hier herausklettern, noch weniger dann wir.“
„Immerhin bekomme ich so meinen Aufenthalt in den Bergen“, bemerkte Robin gut gelaunt.
„Schön für dich“, sagte Béarisean ein wenig kühl. Konnte dieser Ardaner das alles nicht einmal ernster nehmen? „Immerhin für mich ist es Wunder genug, dass wir überhaupt noch leben. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, den Rest meines kurzen verbleibenden Lebens in diesem netten kleinen Verlies dort auf Carraig verbringen zu müssen.”
“Dieses Verlies”, Robin wurde auf einmal sehr ernst. “Das war wirklich eine Erfahrung. Ich frage mich, wie lange ich an so einem Ort überleben könnte. Ein Glück, dass es so schnell vorbei war.”
“Ich habe jeden der letzten fünf Tage genossen, trotz einiger kleiner Unannehmlichkeiten.“ Béarisean rieb seine Handgelenke, die noch von den Fesseln schmerzten. „Erstaunlich, dass sie uns tatsächlich die Hände frei gegeben haben“, sagte er dann. „Und noch erstaunlicher, dass Dorban uns sogar Schwerter anbot. Noch dazu auf Barraids ausdrückliche Anweisung hin. Er muss sich sehr sicher sein, dass wir das hier nicht überleben.“
„Oder er gibt uns eine Chance zu beweisen, wer wir sind. Wie Dorban doch sagte, zwei Ritter des Königs müssen doch nach Alandas gelangen können.“ Er zuckte die Schultern. „Und zwei falsche Ritter werden es nicht schaffen. Das ist hart aber nicht ohne eine gewisse Gerechtigkeit gedacht.“
Béarisean blickte ihn scharf an. „Du glaubst immer noch nicht, dass er der schwarze Fürst ist.“
„Ich weiß es nicht“, sagte Robin. „ Es könnte auch einfach so sein, wie Dorban es sieht. Nämlich, dass Barraid ein sehr kompetenter, wenn auch möglicherweise skrupelloser Mann ist, der die Herrschaft in Abhaileon will. Der dazu aber trotz allem gern eine gute Legitimation hätte, und da er die Prophezeiung kennt, die Ritter des Königs auf seiner Seite sehen will.“
„Aber du warst doch auf Carraig! Du hast doch gesehen, dass es wahr ist!“ sagte Béarisean bestürzt.
„Béarisean! Carraig ist nur eine Festung, so groß sie auch ist. Barraid kleidet sich wie der schwarze Fürst es vielleicht tun würde. Er kokettiert damit. Aber er hat uns hierher bringen lassen. Hätte er nicht wissen müssen, wer wir wirklich sind, wenn er wäre, wer du meinst?“
„Das lag nur an dir“, sagte Béarisean. „Diese Sache mit dem Rotkehlchen, und dass du nicht richtig kämpfen kannst. Und etwas, das es scheinen lässt, als könntest du all das, was passiert, nicht ernst nehmen, als sei es nur ein Abenteuer, ein Spiel. Wenn ich nicht wüsste, dass du der richtige Ritter sein musst, ich könnte es selbst nicht glauben.“
„Ich weiß auch nicht, ob du den richtigen Ritter gefunden hast“, sagte Robin ernst. „Ich habe mir so etwas immer gewünscht, aber du siehst ja, ich gehöre nicht wirklich in das, was hier geschieht. Vielleicht stimmt es ja doch. Kurt war sich sicher, nicht wahr?“
Béarisean nickte. „Wenn du es genau wissen willst“, sagt er dann. „Ich bin mir auch manchmal nicht sicher, ob sich Estohar und die anderen in mir den richtigen Ritter ausgesucht haben. Colin der Drachentöter war ein exzellenter und furchtloser Krieger, ein Kämpfer dem niemand gleich kam. Und man sagt, Colin der Große habe stets ohne zu Zögern das Richtige getan – aber ich komme mir oft nur einfach verloren vor.“
Ihr mehr oder minder unfreiwilliger Begleiter unterbrach sie. „Verdammte Narren seid Ihr“, knurrte er von der Seite. „Ritter, dass ich nicht lache. Ha! Ritter des Königs! Lächerlich! Wenn ich wenigstens hierher geraten wäre mit zwei ordentlichen Männern, dann hätten wir vielleicht eine Chance gegen den Drachen gehabt. Aber Ihr müsst auch noch die Waffen ablehnen, die Euch angeboten wurden.“ Wütend trat er mit dem gepanzerten Fuß gegen einen der herumliegenden Steine, drehte sich um und setzte sich auf einen der größeren Steinbrocken, um düster den Boden anzustarren.
„O genau, der Drache“, sagte Robin. „Das lässt mich wirklich hoffen, dass doch alles läuft, wie es soll. Drachen sind doch sehr sagenhafte Tiere, nicht wahr? Du sagtest doch, es gäbe schon lange keine mehr, Béarisean.“
„Es hieß immer, Colin habe den letzten und mächtigsten der Drachen getötet“, sagte Béarisean. „Es gibt da auch noch so eine wirre Erzählung aus der Zeit des Regenten Fonntroda. Aber ich glaube, die gehört wirklich ins Reich der Legenden.“
„Erzählt, Herr Durlong!“ sagte Robin interessiert. „Habt Ihr ihn schon gesehen? Wie gefährlich ist er?“
Durlong warf ihm einen verächtlichen Blick zu und zeigte die Schlucht entlang: „Seht doch nach, wenn Ihr wissen wollt, wie er aussieht. Aber vorsichtig. Mir scheint, wir hatten bisher das Glück, dass das Vieh schläft, weckt es also nicht auf.“
Zu seiner Überraschung kamen die beiden dieser Aufforderung nach kurzer Überlegung sogar nach. Vorsichtig, versteht sich. Nachdem sie der Felsspalte, die bereits auf dieser relativ kurzen Strecke vielfach in sich schlangenartig windend, die Richtung geändert hatte, ungefähr fünfhundert Meter weit gefolgt waren, gelangten sie zu einem natürlichen Torbogen aus Fels, der etwa fünfzehn Meter vor ihnen aufragte. Hinter diesem "Tor" schien die Schlucht zu enden, denn durch den offenen Bogen hindurch erspähten sie schon von ihrem etwas tiefer gelegenen Standort aus Teile eines weiter entfernten Berghanges. Zwischen diesem und ihrem jetzigen Standort musste eine freie Fläche liegen. Kurz bevor die Felsschlucht diesen Felsbogen erreichte, stieg der Boden merklich an, so als müsse der Wall einer Burg erklommen werden. Der Eindruck, sich einer Burg zu nähern, verstärkte sich noch, als die Freunde im Näherkommen bemerkten, dass sich genau über der Mitte der Wölbung eine Inschrift zu befinden schien. Sie blieben stehen, um sie eingehender zu betrachten. Sie war offenbar schon vor längerer Zeit angebracht worden, denn die großen, in den Fels gemeißelten Buchstaben, waren stark verwittert und zum Teil kaum noch zu entziffern. Béarisean, dem natürlich das alte Alphabet Abhaileons besser vertraut war als Robin, hatte als erster Erfolg und las mit gedämpfter Stimme vor:
Trittst Du durch dieses Tor,
so wappne Dich mit einem Schild,
der im Feuer nicht vergeht,
sondern gehärtet wird.
„Seltsam“, sagte Robin nach kurzem Nachdenken. „Es scheint doch, dass dieser Drache erst vor einigen Monaten in dieser Gegend aufgetaucht ist. Diese Inschrift muss jedoch schon viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte alt sein.“
Béarisean sagte langsam: „Wir stehen vor dem Tor nach Alandas. Es ist alles genau so, wie es in den Sagen beschrieben wird. Nur dass niemand mehr wusste, was diese Inschrift besagt. Man sagt, hier in Gleann Fhírinne werde Unsichtbares sichtbar. Was auch immer das heißen mag. Wir dürfen nicht weiter, wenn die Sagen recht haben.“
„Warum?“ fragte Robin. „Wir wollen doch nach Alandas.“
„Schon“, sagte Béarisean. „Aber normalerweise sind die Zugänge bewacht. Und es scheint, um an diesem Wächter vorbeizukommen, brauchen wir diesen Schild. Aber sehen wir uns wenigstens einmal das Ungeheuer an, falls das möglich ist.“
Robin nickte. Sie näherten sich dem Torbogen noch etwas weiter und konnten sehen, dass sich die Schlucht in einen weiten, kahlen Steinkessel öffnete. Rundum stiegen die Felswände genauso steil empor wie in der Schlucht selbst, nur waren sie noch wesentlich höher als dort. Auch hier lagen über den Boden viele größere und kleinere Kalkbrocken verstreut und dazwischen zerschmolzene Rüstungen und Schwerter, verkohlte Kleiderfetzen, aber keine Spur von den Besitzern dieser Dinge. Der Blick durch den Torbogen war nicht völlig klar. Die Luft flirrte darin wie die Hitze über einer Asphaltstraße und lag wie ein feiner Schleier vor dem Blick auf das Tal.
Der Drache selbst war allerdings unübersehbar. Leicht links gegenüber dem Ausgang der Schlucht, war auf der anderen Seite des Kessels ein schwarzes Loch zu sehen, bei dem es sich wohl um den Eingang zu einer Höhle handelte. Vor dieser Höhle stand der Drache. Durlongs Vermutung, dass er schlafe, war ganz offensichtlich falsch. Stattdessen blickte er - Robins Meinung nach allzu interessiert - in Richtung der Schlucht. Ob er durch ihr vorheriges Gespräch auf sie aufmerksam gemacht worden war? Er und Béarisean hofften beide still, dass sie nicht bemerkt worden seien. Dafür bestand eine gewisse Chance, da sie, als sie den Hang hinauf gestiegen waren, beim ersten Anblick des Drachen in Deckung gegangen waren und nun nur vorsichtig über die Steine weg in das Tal hineinspähten.
Aus sicherer Entfernung betrachtet, war der Drache geradezu hübsch. Sein Panzer war von grünlichbrauner Färbung und erinnerte, runzlig wie er war, an die Haut eines Elefanten. Der Bauch war hellbraun und bestand aus ringartigen Schuppensegmenten. Sein Kopf war länglich wie der eines Pferdes, das Maul und die weite Nase, aus deren Nüstern er wohl das Feuer spie, waren allerdings deutlich abgesetzt. Auffallend waren die großen weißen Hornbrauen, die fast wie aufgemalte Hörner über seinen schwarzen Augen hervorragten. Vom Kopf bis zur pfeilförmigen Schwanzspitze verlief ein Grat von Dreieckszacken. Den Schwanz hatte er elegant um seine Hinterfüße gelegt, wie ein Fuchs seine Rute. An den Schultern sprossen ihm zwei nicht sehr imposant aussehende Flügelchen. Robin bezweifelte sehr, dass er damit fliegen konnte. Vielleicht war er noch sehr jung und daher gar nicht gefährlich.
Die letztere Annahme zumindest war ein Irrtum, wie sich unmittelbar darauf herausstellte. Als habe er den Gedanken gehört, blies der Drache nämlich fast genießerisch zwei meterlange Feuerstrahlen aus seinen Nüstern, die sogar den Fels vor ihm zum Schmelzen brachten.
„Wir gehen besser zurück und machen uns Gedanken, was zu tun ist.“ flüsterte Béarisean.
Zuerst vorsichtig auf dem Bauch, in größerer Entfernung dann auf Zehenspitzen und erst in gehöriger Distanz und nach ein paar Biegungen des Felsspaltes wieder mutiger auftretend, begaben sie sich zurück zum Tor.
Durlong saß noch immer auf seinem Felsblock und starrte finster vor sich hin. Béarisean legte ihm freundlich die Hand auf die Schulter. „Was ist hier eigentlich in der letzten Zeit geschehen?“ erkundigte er sich. „Woher kam der Schlüssel zum Tal?“
„Habt ihr ihn gesehen?“ fragte Durlong statt einer Antwort zurück. „Schläft er?“
„Er ist wach“, sagte Béarisean. „Er ist in dem Kessel dort hinten am anderen Ende der Schlucht, jenseits des Torbogens. Ein junges Tier übrigens, wie es aussieht, seine Flügel sind nicht ausgewachsen.“ Er warf einen Blick auf das Tor. „Mich wunderte schon die ganze Zeit, wie das ihn hatte aufhalten können. Andererseits, ich war mir auch nicht ganz sicher, ob Drachen tatsächlich Flügel haben.“
„Jemand hat versucht, den Torbogen zu durchqueren, nicht wahr“, sagte Robin. „Wer war es? Dorban?“
„Nein, nicht Dorban“, schnaubte Durlong. „Nun ja, er war dabei. Aber es war Barraid, der es heraufbeschwor. Er hatte den Torschlüssel. Und der Teufel weiß woher. Seit dreihundert Jahren war das Tor nicht mehr geöffnet worden. Seit der Sohn des Fürsten von Roscrea wegen einer Wette Gleann Fhírinne betrat und niemand jemals wieder eine Spur von ihm fand. Er war ein großer Krieger und trug, so heißt es, eine Rüstung aus Alandas-Stahl, den angeblich kein Pfeil durchdringen kann und kein normales Schmiedefeuer schmelzen kann. Das wird jedenfalls in der Sage behauptet. Ich schätze in Wirklichkeit gibt es so etwas nicht. Seine Rüstung half ihm jedenfalls nichts, denn man sagt, ihn habe das Drachenfeuer verbrannt. Auch wenn damals niemand einen Drachen zu Gesicht bekam. Danach sorgte der Fürst von Roscrea dafür, dass die Tore geschlossen blieben. Es hieß, die Schlüssel seien verloren gegangen.“
„Der Fürst von Roscrea?“ unterbrach Béarisean. „Ich hätte die Schlüssel wenn schon eher im Besitz von Tairg oder Fuacht oder allenfalls auch Saldyr vermutet. Was hat Roscrea dort im Süden mit Gleann Fhírinne zu tun?“
Durlong blickte ihn erst unwillig dann nachdenklich an. „Ich habe bisher nie darüber nachgedacht. Aber es gibt so eine uralte Sage, in der es heißt, ein Fürst von Roscrea sei der beste Freund Fonntrodas gewesen. Und Fonntroda ließ das Eisentor bauen.“
„Das ist diese Sage mit dem Drachen, oder?“
„Ja. Fonntroda hatte wohl wirklich einen guten Grund damals, dieses Tor zu errichten. Es hat seinen Zweck wunderbar erfüllt, bis dieser Barraid auf die Idee verfiel, herauszufinden, ob es hier wirklich einen Durchgang nach Alandas gibt. Und das alles in einer rabenschwarzen Nacht. Er, etliche seiner Männer und auch Dorban ritten in die Schlucht – und dann ging wohl nichts mehr nach Plan. Barraid verlor dabei seinen Rapphengst, ein prächtiges Tier, aber schon immer sehr unberechenbar, und es heißt, er sei noch Wochen danach vollkommen außer sich gewesen vor Wut. Dorban machte jedenfalls eine ganze Weile einen großen Bogen um ihn und Carraig. Er wollte nie erzählen, was dort geschah. Und wir hatten auch genug zu tun. Ich weiß nicht genau, was los war. Keiner will darüber reden. Das Biest tobte wohl den Siron herunter, wie es aussieht, aber dann muss es doch hierher zurückgekehrt sein, so dass das Tor verschlossen werden konnte.
„Dorban sagte, du könnest uns sagen, wie wir von hier aus weiter nach Alandas gelangen“, erinnerte Robin.
„Immer gerade aus durch. Am Drachen vorbei und durch seine Höhle“, sagte Durlong lakonisch, ohne wirklich etwas zu wissen.
„Das hatte ich auch schon vermutet“, gab Béarisean zu. „Aus dem Talkessel dort hinten geht einfach kein anderer Weg hinaus.
„Ihr habt wirklich vor, es zu versuchen“, stellte Durlong fest.
„Dazu sind wir schließlich hier“, sagte Béarisean.
„Warum bist du eigentlich in unserer Gesellschaft?“ erkundigte sich Robin.
„Jemand muss Barraid gesteckt haben, dass ich versuche Dorban zu überzeugen, mit ihm zu brechen. Und er mag es nicht, wenn man behauptet, er sei wirklich der schwarze Fürst aus den Sagen.“ Er lachte bitter. „Dabei gibt er sich äußerste Mühe, genauso zu erscheinen.“
„Kann er zaubern?“ erkundigte sich Béarisean ernst.
Durlong zuckte die Schultern. „Er versteht es zumindest sehr gut, Leute dazu zu bringen, das zu tun, was er will und was sie eigentlich nicht wollten. Jeder fürchtet ihn, selbst Dorban, obwohl er es nicht zugeben will. Und es gibt da so ein paar Ungereimtheiten. Carraig, das so plötzlich wieder aufgebaut war. Dinge, die er weiß, ohne dass eine Quelle ersichtlich ist. Aber ich kann es nicht ausschließen, dass es natürliche Erklärungen für alles gibt. Mir ist er einfach unheimlich.“
„Ich dachte immer, Dorban schätze dich sehr. Warum spielt er da mit?“
„Nun, ich bin eigentlich nur als Beobachter mit – nach Dorbans Meinung. Ich vermute schon, dass Barraid es darauf anlegt, dass ich hier mit euch sterbe.“
„Mach dir keine Sorgen“, sagte Béarisean. „Wir werden nach Alandas gehen. Wir haben nur ein kleines Problem. Wir brauchen einen feuerfesten Schild. Und der muss hier zu finden sein.“ Er ließ den Blick über die Felsen streifen.. „Vielleicht in der Schlucht“, vermutete er und suchte dort weiter.
Robin schüttelte den Kopf. Es musste etwas anderes sein. Die Inschrift war eine Art Rätsel. Wenn man das Rätsel löste, fand man den Schild. Da war etwas in seiner Erinnerung. Er setzte sich in Durlongs Nähe um nachzudenken. Nach einer Weile kam Béarisean erfolglos zurück und setzte sich dazu. Durlong warf immer öfter besorgte Blicke zum Eingang der Schlucht. Manchmal griff er nach dem Knauf seines Schwertes, zog dann aber die Hand zurück, als habe er sich verbrannt und warf wütende Blicke auf die beiden. Es half nichts, dass Robin meinte, der Drache würde erst wieder angreifen, wenn jemand versuchte, den Felsbogen zu durchqueren.
Schließlich holte Robin seine Harfe hervor und strich gedankenverloren über die Saiten. Durlong fuhr hoch, wie von einer Tarantel gestochen: „Bist du des Wahnsinns?“ zischte er, „du lockst den Drachen an!“
„Vielleicht mag er Musik“, sagte Robin freundlich.
Durlong schnaubte nur.
Béarisean lachte. „Wieder die rätselhafte Harfe!“
Robin berührt weiter leicht die Saiten.
„Ich kann einfach nicht glauben“, sagte Béarisean auf einmal, „dass wir umsonst hierher gekommen sind, dass uns der König gerufen hat und uns noch dazu aus Carraig heraus rettet, damit wir hier, noch bevor wir etwas tun können, so einfach scheitern. Wenn wir für ihn kämpfen sollen, sollte er für unsere Waffen sorgen.“
Robin hielt inne. Waffen des Königs. Das war es. Der halb vergessene Text war wieder gefunden. Er stand auf und zitierte mit leuchtenden Augen: "Darum greift zur Waffenrüstung des Königs, damit ihr am bösen Tage Widerstand leisten und, wenn ihr alles überstanden habt, bestehen könnt. So tretet denn an: eure Hüften umgürtet mit der Wahrheit, angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit, die Füße beschuht mit der Bereitschaft für die Botschaft des Friedens. Vor allem ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr alle feurigen Pfeile des Bösen löschen könnt. Nehmt auch den Helm des Heiles und das Schwert des Geistes."
Béarisean blickte hoffnungsvoll auf: „Das kommt mir bekannt vor. Wer hat das gesagt oder geschrieben, Robin?“
Robin lächelte. „Einer der wirklich großen Ritter aus Arda, Béarisean, ein großartiger Kämpfer. Ich glaube, wir sind genau dorthin gekommen, wo wir hinmussten. Wir müssen nur durch das Tor hindurchgehen, und alles wird sich regeln. – Du weißt doch noch? Das Lied, dass die verschlossene Tür durchschritten wird?“
Sie sahen sich eine Weile schweigend an.
„Eine echte Feuerprobe, wer wir jetzt sind“, bemerkte Béarisean dann.
Robin packte auf seinem Felsblock sitzend die Harfe ein und nickte. „Es gibt Schlimmeres, als durch einen Drachen umzukommen. – Bereit? Für eine Chance, nach Alandas zu kommen?“
Ein Lächeln stahl sich auf Béariseans Lippen: „Ich war schon immer bereit, dafür zu sterben, wenn es nötig ist. – Ein sonniger Tag dafür.“ Er hielt Robin die Hand hin und zog ihn hoch.
Noch einmal sahen sie sich fest in die Augen, dann hoben sie ihre Satteltaschen auf und gingen auf die Schlucht zu. Durlong starrte ihnen ungläubig nach: sie waren wahnsinnig! Robin wandte sich noch einmal zu ihm um. „Wenn du wissen willst, was geschieht, solltest du besser mitkommen“, sagte er zu ihm. „Aber lass deine Waffen lieber hier. Sie helfen nichts gegen den Drachen, und ich weiß nicht, was er tut, sobald wir vorbei sind.“
Durlong zog es vor den letzten Rat nicht zu beherzigen. Er fühlte sich sicherer mit seinem Schwert und einem Minimum an Rüstung. Aber er folgte ihnen in vorsichtigem Abstand. Vor dem Torbogen hielten sie noch einmal inne.
Béarisean drehte sich zu Durlong um. „Sag Dorban, ich bin tatsächlich Béarisean von Sliabh Eoghaí“, sagte er. Dann holte er tief Luft, senkte den Kopf und ging unter den Felsbogen.
„Und ich bin, trotz allem, Anno von Arda“, erklärte Robin. Er bekreuzigte sich langsam und folgte Béarisean.
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