XI Partisan
Durlong war unterwegs nach Croinathír. Ein weiterer Bote ritt nach Fuacht. Dorban hoffte, dass Orla nicht gerade in Daliní war. Falls doch, spätestens Ende November – bevor der Schnee fiel – würde er sicher zurück sein. Jetzt galt es nur noch für eine Weile außerhalb von Barraids Zugriff zu bleiben. Aus diesem Grund mied er den üblichen Weg nach Osten wo immer möglich. Ganz konnte er es nicht vermeiden, Barraids Reitern zu begegnen. Aber sie beachteten ihn nicht weiter. Männer aus Tairg waren ein üblicher Anblick. Dorbans Plan war es, die Uibhne zu überqueren, dort das Lager aufzuschlagen und noch einen Boten auf den von dort relativ kurzen Weg nach Daliní zu schicken, um sicher zu gehen, dass Orla nicht noch dort war.
Alles ging nach Plan, bis sie das Lager aufgeschlagen hatten. Selbst von Barraids Patrouillen hatten sie seit zwei Tagen nichts mehr gesehen. Aber kaum standen ihre Zelte, kam ein größerer Trupp der Winianer geritten. Schlimmer noch, einer der winianischen Lords war dabei. Sie waren sich noch nicht oft begegnet. Akan war nur selten auf Carraig. Dennoch hatten sie einander schon gesehen.
“Wollt Ihr hier jagen, Herr Dorban?” erkundigte der winianische Lord sich, als er in das Lager geritten kam. Seine Männer hatte er einen Bogenschuss entfernt halt machen lassen. “Ich dachte schon, Restacs Banditen hätten sich hierher gewagt, bis ich das Wappen von Tairg sah.”
“Nein, ich warte nur die Rückkehr von ein paar Spähern ab, bevor ich weiter reite nach Daliní”, erklärte Dorban. “Aber letzthin sind mir tatsächlich Banditen weit im Norden begegnet. Gerade deshalb reite ich nicht geradenwegs sondern erkunde die Gegend gründlich.”
“Es ist schon spät, und wir reiten fast ohne Pause seit Cardolan”, meinte Akan. “Ihr habt sicher nichts dagegen, wenn wir bei Euch Lager machen?”
Dorban konnte das schlecht abschlagen. Mit Akan hatte es bisher auch weniger Probleme gegeben als mit den anderen winianischen Lords. Unter seinen Männern herrschte stets eine relativ hohe Disziplin. Er stimmte Dorbans Bitte zu, als dieser darum bat, ihre Gruppen getrennt zu halten.
Leider konnte er es Akan selbst nicht verweigern, in sein Lager zu kommen und höfliche Erkundigungen anzustellen. Zum Glück wusste niemand außer ihm selbst etwas von dem, was dort in Gleann Fhírinne wirklich geschehen war. Durlong war schon seit Tagen unterwegs. So erzählte er nur, was für einen Auftrag er ausgeführt hatte. Akan ging relativ früh wieder. Er sagte, er wolle am nächsten Morgen zeitig aufbrechen. Dorban sah jedoch, wie er sich, bevor er ging, noch mit einigen von den Männern aus Tairg, die er zu kennen schien, unterhielt.
Sobald die Winianer am nächsten Morgen aufgebrochen waren, gab Dorban Befehl, das Lager abzubrechen. Er beschloss, auf die Rückkehr des Boten aus Daliní zu verzichten und weiter nach Osten zu reiten. Im günstigsten Fall würde seine Botschaft Carraig am nächsten Tag erreichen und zehn Tage Ritt waren nicht Distanz genug für das, was dann wahrscheinlich drohte.
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Es ging jetzt tatsächlich alles besser. Nicht nur, dass sie eine richtige Mittagspause hatten. Rodil holte tatsächlich seine Harfe hervor. Er sang und spielte wundervoll. Aber Robin wäre es die ersten Tage schon einfach zufrieden gewesen, nur im Gras zu liegen. Er wusste auch, dass er gute Fortschritte machte. Manchmal gelang es ihm jetzt einen Waffengang mit Béarisean zu gewinnen. Gegen Norin oder Rodil hatte natürlich keiner von ihnen eine Chance.
In der zweiten Woche begannen sie mit dem Kampf zu Pferd und das machte ihm auch mehr Freude. Besonders wenn er Hibhgawl ritt. Mit dem Hengst wurde alles sehr einfach. Er schien die Aktionen des Gegners vorherzusehen und wich von selbst aus. So einfach war es, dass Rodil schließlich darauf bestand, dass er für die meisten Übungen ein anderes Pferd nahm.
Rodil forderte ihn auch auf, einmal seine Harfe mitzubringen. Als er sie sah, lächelte er. “Wo hast du sie gefunden?” fragte er. “Sie gehörte einmal Elianna von Saldyr.”
Robin erzählte ihm alles. “Elianna war fasziniert von Musik”, sagte Rodil dann. “Aber ich glaube, sie hat nie gelernt, die Harfe wirklich gut zu spielen. Es war wohl mehr die Erinnerung an unsere wilde Flucht aus Corachon in den Osten.” Fast zärtlich strich er mit der Hand über die Saiten. Dann sagte er: „Pass gut auf dieses Instrument auf, Robin. Dann kann es unter Umständen eine mächtigere Waffe sein als dein Schwert. Lass es dir eine Warnung sein, wenn die klare Stimme dieser Saiten brüchig wird oder wenn sie gar reißen.“
„Vor was wird es mich warnen?“ fragte Robin.
„Vor falschen Wegen“, antwortete Rodil. „Das wirst du schon selbst merken. Komm, sing uns etwas vor.“
“Ihr kanntet sie alle drei?” fragte Béarisean nach einem der Lieder. “Colin, Mharig und Elianna?”
“Ja”, sagte Rodil. “Damals war die Ausgangslage noch viel verworrener. Ríochan konnte Alandas überhaupt nicht verlassen, seit Fonntroda offiziell mit ihm gebrochen hatte. Die Pässe waren gesperrt und das Heer des Schwarzen Fürsten hatte schon mehr als das halbe Land überrannt, als ich in Arda auf Colin und Mharig traf. Es war ein hartes Stück Arbeit, sich nach Alandas durchzuschlagen. Aber Elianna war noch ein schwierigerer Fall. Sie hatte dem Schwarzen Fürsten an die Macht geholfen und war wild entschlossen, nicht nach Alandas zu gehen.”
“Aber sie hat doch Colin den Bogen gebracht und den Kampf mit dem Schwarzen Fürsten geführt”, wandte Béarisean ein.
“Das hat sie, aber es hat eine längere Vorgeschichte.”
“Wieso waren Colin und Mharig auf Arda? Und waren sie damals schon so große Helden?” wollte Robin wissen.
“Nun, Colin war ein Außenseiter in der Gesellschaft und Mharig war seit einem Streit mit seinem Vater nicht mehr in Ruandor gewesen – aber das führt alles zu weit. Unsere Pause ist bald zu Ende. – Sie waren nicht mehr oder weniger Helden als ihr auch.” Mehr bekamen sie über die Geschichte der Großen Kriege nicht zu hören.
„Gibt es nichts, das ich von dir mitnehmen könnte, als Erinnerung, dass wir uns wirklich getroffen haben?“, fragte Robin einmal Hibhgawl. „Ich fürchte mich vor dem Tag, ab dem ich dich nicht mehr sehe, mein Freund. Ich weiß, dass es richtig ist zu gehen, aber ich würde so gerne etwas in den Händen haben, das mir dann noch sagt, dass das alles wahr ist.“ Der Rappe gab ihm mit seiner weichen Pferdenase einen feuchten Kuss und schnaubte traurig.
„Du meinst also, es geht nicht, dass ich eine Erinnerung an dich mitnehme“, sagte Robin ebenfalls traurig. „Vielleicht später einmal. Aber wird es je ein Später geben? - Du hast ja Recht. Das steht nicht in unserer Hand. - Immerhin hat Béarisean dich auch gesehen und wird mir bestätigen können, dass es dich gibt. Das ist schon etwas.“
Am achten Tag kehrte Ríochan zurück. Es war in der Mittagspause. Norin hatte sich schon nach dem Vormittag entschuldigt. Robin, dessen Kondition gewaltige Fortschritte machte, war unterwegs. Béarisean döste gerade im Schatten eines Baumes – die Nächte reichten kaum aus, um sich von Rodils Training zu erholen – als er mit dem Gefühl wach wurde, es sei heller Tag geworden. Er blickte auf und sah Ríochan in strahlendem Weiß und Silber auf seinem Goldfalben. Rodil ging ihm entgegen. Ríochan schwang sich vom Pferd und sie umarmten sich zur Begrüßung.
“Was sagte er?” wollte Rodil wissen.
“Er hätte gerne, dass du zurück nach Arda gehst. Akan scheint immer wieder kurze Zeit dort zu sein und stiftet Unfrieden. Roean ist ganz außer Gefecht gesetzt. Aber Michael hat so viel zu tun, dass er nur gelegentlich selbst eingreifen kann. Es war nicht einfach zu ihm durchzukommen. “
“Er ist immer im dichtesten Kampf.”
“Diesmal war es besonders übel. Was wirst du tun?”
“Was wir entschieden haben. Es überzeugt mich nur noch fester davon. – Und Akan wird hier sein, sobald es zur Entscheidung kommt.”
Ríochan löste die Kette, die seinen pelzbesetzten weißen Mantel hielt und legte ihn über den Sattel. “Wie steht es mit unseren Rittern?”
Rodil lächelte: “Wir machen gute Fortschritte. Aber du wirst dich selbst davon überzeugen wollen. Da kommt Robin.”
Robins Gesicht strahlte auf, als er Ríochan sah. Er sprang vom Rappen, mit dem er die Mittagspause verbracht hatte, und umarmte den Fürsten. “Ich fürchtete schon, wir müssten aufbrechen, bevor du wiederkommst.” Der Rappe kam heran und versuchte seinen Kopf zwischen sie zu drücken. Sie lachten beide und streichelten ihn.
“Nein”, sagte Ríochan scherzend. “Am Ende war Rodil nicht energisch genug mit euch, und ich könnte mein Wort dir gegenüber nicht halten! Komm!” Er legte den Arm um Robins Schulter und sie gingen in leiser aber ernster Unterhaltung ein Stück zur Seite. Der Rapphengst folgte ihnen wie ein Hund dicht auf den Fersen.
Béarisean fühlte Eifersucht in sich aufkommen, aber dann bemerkte er Rodils Blick auf sich und errötete. “Ich wünschte, ich könnte so einfach mit anderen Freundschaft schließen”, sagte er. “So ohne nachzudenken.” Jetzt waren die beiden stehen geblieben, legten ihre Schwerter vor sich und knieten nieder.
Rodil kam zu ihm und hockte sich neben ihn. “Es ist einfacher, als du denkst”, sagte er. “Du musst den anderen nur lieben für das, was er ist. Dann bist du sein Freund. Und wenn der andere dich auch liebt für das, was du bist, dann ist es Freundschaft. Und wenn du dann aufhörst, über dich nachzudenken – dann ist die Unbefangenheit da.”
“Es ist nicht einfach, alle Ängste, Unsicherheiten und Sehnsüchte so zu vergessen”, sagte Béarisean.
Rodil nickte. “Es ist nicht einfach, aber du wirst es lernen.” Er ließ sich auf ein Knie nieder und zog Béarisean zu sich. “Es ist so viel Schmerz in dir. Lass ihn los!”
Etwas in Béarisean zerbrach plötzlich und er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Er überließ sich den starken Armen Rodils und weinte, bis er nur noch trocken schluchzen konnte.
“Es ist wegen meiner Schwester Rilan”, sagte er schließlich, als er die Beherrschung langsam wieder gewann. “Weißt du, wie es ist, wenn man jemanden verliert, den man so sehr liebt?”
“Ich weiß”, antwortete Rodil. Seine grauen Augen suchten Béariseans Blick. “Ich hatte einen Bruder, den ich sehr liebte.”
“Er wurde getötet?” Béarisean war überrascht.
Rodil schüttelte den Kopf. “Er lebt noch. Und das ist um vieles schlimmer. Sein Name war Azarion. Einmal waren seine Lieder wie Licht und Feuer, und seine Stimme zu hören, war schon eine Freude für sich. Jetzt ist da, wo er ist, nur Finsternis, Verderben und Tod.”
“Du liebst ihn immer noch”, stellte Béarisean fest.
“Ja und nein. Denn ich weiß, wer er jetzt ist. Aber ich kann nie vergessen, wer er einmal war. Und er: er hasst so sehr, dass es schwer ist, darin noch zu unterscheiden. Aber mich hasst er mehr als das meiste andere, weil ich immer noch bin, was ich damals war und ihn nicht vergesse. – Bedenke, ob es nicht besser ist, den Tod eines geliebten Menschen zu sehen.”
“Es ist schwer, sich so etwas vorzustellen”, sagte Béarisean. “Aber es muss schrecklich sein. Du erzähltest etwas Ähnliches über Ríochan und Barraid. Seid ihr darum Freunde geworden?”
“Viele andere waren in der gleichen Situation, das war es also nicht. Es ergab sich, dass wir Seite an Seite kämpften in jenem Krieg. Ich habe es immer als eine Gnade des Königs gesehen, noch einmal solche Freundschaft zu finden und die Sicherheit, dass sie dieses Mal nicht verraten wird. – Schau, Ríochan und Robin beginnen ihr Duell.”
Sie gingen näher. Ríochan begann sehr zurückhaltend und verstärkte den Angriff stetig. “Gar nicht schlecht”, bemerkte Rodil freundlich, als Robin fünf Minuten später etwas mühsam aufstand und reichte ihm sein Schwert wieder. Ríochan nickte. “Und wir haben noch etwa eine Woche, um weiterzuarbeiten”, fügte er hinzu.
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