Vorsichtig bewegten sie sich weiter. ´Wir sollten uns überlegen, was wir tun, falls sie uns wirklich bald dicht auf den Fersen sind´, sagte Robin plötzlich. ´Ich meine: Sollen wir zusammen als Gruppe fliehen oder uns lieber teilen, damit wenigstens einer eine Chance hat durchzukommen?´
Sie hatten jetzt fast die Krümmung der Hügelkette erreicht, hinter der sie endgültig außer Sicht der Verfolger sein würden. Die Feinde waren kaum noch zu erkennen, so weit hatten sich die beiden Gruppen schon von einander entfernt.
“Generell ein guter Vorschlag”, sagte Béarisean. “Aber du weißt, was mein Auftrag ist.”
“Das heißt also, ich reite allein”, meinte Robin, “und lenke sie von euch ab. Dorban muß nach Croinathír.”
“Keine gute Idee”, widersprach Béarisean. “Du kennst dich hier überhaupt nicht aus. Wir sollten zusammen bleiben.”
“Ich komme schon durch”, sagte Robin gelassen. “Falls es dazu kommt, wir treffen uns dann in Daliní oder Croinathír oder dort, wo es zum Kampf kommt.
“Wir sollten es wirklich einzeln versuchen”, sagte Dorban. “Ich brauche Eure Gesellschaft nicht, Herr Béarisean.”
“Wer sagt, dass ich auf die Eure erpicht bin?” konterte Béarisean scharf. “Aber ich habe Befehle.”
Sie führten die Pferde kurz darauf um das südliche Ende des Hügelkammes und blieben abrupt stehen. Knapp vierhundert Meter östlich von ihnen befand sich eine weitere Gruppe von Barraids schwarzen Reitern. Sie hatten halt gemacht. Ihre Anführer schienen sich gerade über das weitere Vorgehen zu beraten.
“Geht ihr zurück und dann nach Westen”, zischte Robin, der als erster ging. Noch hatte niemand sie bemerkt.
“Du auch”, flüsterte Béarisean, der sein Pferd schon nach hinten gehen ließ.
“Sobald ihr außer Sicht seid und falls wir dann immer noch unbemerkt sind. Aber wenn ich mich bewege, fällt es wahrscheinlich am ehesten auf.” Er behielt die schwarzen Reiter unverwandt im Auge, ließ sein Pferd nur Zentimeter um Zentimeter nach hinten treten. Fast gelang es. Aber als Béarisean ihm Bescheid gab, dass er und Dorban es geschafft hatten, blickte einer der schwarzen Reiter in seine Richtung und rief etwas. Robin sagte “Bis Daliní dann” und schwang sich auf sein Pferd, das sofort in leichten Trab fiel. Er ritt auf die Feinde zu, als sei er erstaunt sie zu sehen. Vielleicht ließen sie einzelne Reiter in Ruhe. Erst als die anderen ausschwärmten um ihn zu umringen, änderte er die Richtung und ließ den Falben in Galopp fallen. Würden sie ihm folgen und die anderen unbehelligt lassen? Lange wagte er es nicht zurück zu blicken, um keinen Zentimeter Vorsprung zu verschenken.
Er beugte sich tief über den Hals des Falben und spornte ihn zu größtmöglicher Schnelligkeit an. Das Gelände war nicht gut geeignet für einen solch schnellen Ritt. Hoffentlich trat das Tier jetzt nicht in ein Erdloch. Hinter sich hörte er nach einiger Zeit Geschrei. Er drehte sich nicht um. Lauf, Falbe, lauf!
Felsen und Sträucher. Kleine Bäche und große Steine. Alles flog vorüber. Der Falbe begann zu keuchen, der Schaum tropfte ihm von den Nüstern, hing auf Brust und Flanken. Das Gelände wurde noch unregelmäßiger. Eine neue Hügelkette lag vor ihnen. Noch immer hatten ihn die Verfolger nicht errreicht. Vorsichtig wagte er einen Blick nach hinten. Verloren hatten sie ihn auch noch nicht. Der Abstand mochte ein paar hundert Meter zu betragen. Wie groß er genau zu Beginn gewesen war, konnte er nicht sagen, aber die Pferde der anderen schienen zumindest nicht schneller zu sein als das seine. Der Hang kam näher. Noch ein Blick zurück. Der Abstand wurde größer! Die Pferde der anderen waren erschöpft! ´O mein König´, sagte er. ´hilf uns allen, aus dieser Gefahr herauszukommen.´
Der Falbe stolperte. Robin fing die Rhythmusstörung geschickt auf. Hinauf. Ein dritter Blick. Die Gegner fielen zurück. Die Gruppe der Verfolger zog sich auseinander; selbst die schnellsten konnten nicht ganz mithalten. Nun kam es darauf an, wessen Pferde ausdauernder waren. Er hatte den Kamm des Hügels erreicht und jagte ihn entlang. Der Abfall zu beiden Seiten hin wurde etwas steiler. Lauf, Falbe, lauf!
Wieder vergingen ein paar Minuten. Wie lange das Pferd diesen mörderischen Ritt wohl noch durchstehen würde? Er blickte wieder nach hinten. Seltsam, die nächsten Verfolger zügelten ihre Pferde. Die anderen waren nicht mehr zu sehen. Gaben sie etwa auf? Zu unwahrscheinlich. Jäh scheute sein Falbe und kam zitternd zum Stehen. Robin hielt sich nur mit Mühe im Sattel. Was ..?
Vor ihm gähnte ein kleiner Abgrund. Gut zwanzig Meter Steilabfall. Da war kein Hinunterkommen mit dem Pferd. Gut, daß das Tier die Gefahr bemerkt hatte. Er klopfte ihm beruhigend den Hals. Doch was nun? Sollte er sich verloren geben und warten, bis die nächsten Verfolger herangekommen waren? Er warf einen Blick hinab. Es bestand eine gewisse Chance, mit ein paar Kratzern, Schrammen und Beulen davonzukommen. Doch er kam nicht dazu, es zu versuchen. Die Verfolger, die er schon distanziert gehabt hatte und die die Gegend offenbar besser kannten als er, hatten gesehen, welche Route er einschlug, und ihm den Fluchtweg abgeschnitten.
******
“Aufsitzen”, fauchte Béarisean. “Langsam nach Westen!”
Dorban warf ihm einen schrägen Blick zu. “Er hat Mut, dieser Anno. Wie ist Arda eigentlich? Eine Welt von Helden?”
“Schätze dich glücklich, wenn du es nie siehst!” war alles, was Béarisean antwortete. Er unterließ sogar die höfliche Anrede. Doch Dorban war geneigt es hinzunehmen. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt während der letzten Tage. Béarisean war der letzte Nachkomme aus Colins Familie. Alles sprach dafür, dass er – so es überhaupt dazu kam – einmal Regent von Abhaileon werden würde. Sein Ton war oft so befehlend, als sei er es schon. Und Dorban war bislang nur ein einfacher Lord aus Dalinie. Er legte es nicht darauf an, es mit dem künftigen Herrscher zu verderben.
Immer wieder blickte Béarisean sich um. Sie waren fürs erste unentdeckt geblieben, aber wie lange noch, bis die nächste unerwartete Patrouille auftauchte. Ihm war nach Schreien. Dorban dachte, Robin sei ein Held. Er selbst hatte ernste, sehr ernste Bedenken, dass Robin es jemals bis Daliní schaffen würde und konnte nichts tun, um das zu ändern. Sie hätten in den Wäldern bleiben sollen. Die andern hatten doch schon ihre Spur verloren gehabt.
Es war keine wirkliche Überraschung, als sich nach zehn Minuten von Süden her ein weiterer Trupp der Verfolger näherte. Béarisean und Dorban wechselten kein Wort, spornten nur ihre Pferde an. Dorban übernahm auf seinem Grauschimmel wieder die Führung. Béarisean hatte nichts gegen die Richtung einzuwenden, die er wählte.
Es schien, auch die Pferde der neuen Verfolger waren müde. Jedenfalls konnten sie ihren Vorsprung fürs erste halten. Oder wurden sie auf den nächsten Trupp zugetrieben? Dorban hatte scharfe Augen, er vermied schneegefüllte Senken mit Leichtigkeit, konnte das Gelände gut ausnutzen. Aber ihre Pferde würden das nicht mehr lange durchhalten können. All diese Tage mit Strapazen und knappem Futter hatten ihren Zoll gefordert. Dorbans Vorsprung vergrößerte sich allmählich. Vielleicht wollte er die Gelegenheit nutzen, seinen Begleiter loszuwerden. Aber Béarisean wagte es nicht, seinen Braunen noch mehr anzutreiben.
Das Gelände begann sich in seiner Gesamtheit sanft zu senken. Dann glitzerte etwas vor ihnen auf. Idrim. So sehr Béarisean sich gewünscht hatte, diesen See zu sehen, jetzt versperrte er ihnen den Fluchtweg nach Westen. Seinem nördlichen Ende waren sie recht nahe hier. “Silberner Idrim, Juwel am Fuß der Berge, Zauber schwebt über deinen Wassern, wie Herbstnebel am Morgen.” Die Worte des Gedichtes drängten sich ihm in die Gedanken, wiederholten sich mit dem unregelmäßiger werdenden Hufschlag. sil-ber-ner-i-drim. Die Nordberge kamen hier weit nach Süden, umschlossen den Wildfluß, der seine tosenden Wasser in den See entleerte, bildeten eine malerische Klamm aus schwarzen Felsen. Die Strömung war weit bis in den See hinein noch sichtbar.
Dorban ließ sich nicht beirren, als der See sichtbar wurde. Nur kurz zögerte er, überlegend ob er versuchen solle, den See nach Süden zu umgehen, aber ein Blick zeigte ihm, dass die Verfolger hinter ihnen nach Süden hin einen Viertelkreis gebildet hatten, der solch ein Manöver abfangen würde. Der Weg nach Norden blieb frei und dorthin lenkte er sein Pferd. Béarisean nutzte das ebenere Gelände, um etwas aufzuholen. “Was habt Ihr vor?” rief er.
“Schwimmen”, antwortete Dorban. “Ihr könnt ja schon einmal anfangen zu beten.”
Der See sah nicht gerade einladend für ein solches Manöver aus. Zwar waren nur etwa zweihundert Meter zu überwinden, bevor man einen flachen Strand im Nordwesten erreichen konnte. Aber genau auf diesen zweihundert Metern, strudelten auch die Wasser des Wildflusses. Und das Wasser würde sehr kalt sein. Am Ufer hatten sich bereits dünne Eiskrusten gebildet. Béarisean begann zu beten.
Doch dann stürzte ganz unerwartet Dorbans Pferd, es war mit einem Bein in ein Erdloch getreten. Der Lord wurde aus dem Sattel geschleudert, trug aber, wie es schien, keine ernste Verletzung davon, da er gleich wieder auf die Beine kam. Der Schimmel schrie vor Schmerzen. Dorban fluchte heftig. Béarisean reichte ihm im Vorbeireiten die Hand und der Lord schwang sich hinter ihn auf den erschöpften Braunen. Die Feinde waren nun dicht hinter ihnen. “In den Tobel”, drängte Dorban.
“Es ist eine Sackgasse”, protestierte Béarisean.
“Vielleicht, aber das hinter uns sind nicht viele. Kein Weg für Pferde. Platz nur für zwei nebeneinander. So wie Ihr kämpft, vielleicht halten wir uns gegen sie.”
Es war nicht mehr weit. Vor ihnen türmte sich als chaotisches Felsenmeer – fast wie von einer Muhre hingeschüttet – der Einstieg zur Klamm auf. Schon bald sprangen sie von dem erschöpften Pferd und rannten, stürzten die Wirrnis übereinander getürmter Felsbrocken hinauf in die enge Schlucht hinein, als warte dort die Rettung auf sie. Triumphierende Rufe klangen hinter ihnen auf. Der Pfad, der am oberen Ende der Felsrampe begann, war schmal und gewunden. Spritzer der schäumenden Gischt aus dem Flußbett waren zu Eis darauf gefroren und machten ihn noch gefährlicher. Links unter ihnen, etwa zehn Meter tiefer, tobte der Wildfluß zum See hin.
“Weiter vorn”, keuchte Dorban, der sie anführte. “Gute Stelle.” Béarisean nahm aus den Augenwinkeln war, dass die Felswände, die nun zu beiden Seiten aufragten mehr als hundert Meter hoch sein mußten. Gut, keine Möglichkeit, ihnen irgendwie in den Rücken zu fallen. Ein Pfeil zischte an ihm vorbei. Es folgte ein Schrei und eine wütende Stimme. “Lebend! Er will sie lebend!”
Es war dunkel zwischen den Felsen. Je weiter sie in die Klamm hineinkamen, desto mehr wirbelnde Gischt umgab sie, wurde zum Nebel und auf den Steinen zu Eis. Verfolger und Verfolgte kamen immer öfter ins Stolpern und Rutschen. “Dorban! Wie weit?” keuchte Béarisean.
“Gleich”, stieß Dorban hervor. “Da vorn.” Béarisean wagte es, kurz aufzublicken. Dort vorne weitete sich der Pfad etwas. Vielleicht genug Platz für zwei Schwertkämpfer nebeneinander. Er nahm noch einmal alle Kräfte zusammen, griff schon an den Knauf des Schwertes, um mit gezogener Klinge herumwirbeln zu können. Da hörte er Dorban aufschreien. Erschreckt blickte er auf, sah ihn nicht – und glitt aus. Vergeblich versuchte er den Sturz abzufangen. Dann wurde es dunkel.
******
Seltsam wie ruhig er sich fühlte. Die Luft war kristallklar und fast stand die Zeit still. Etwas wie Freude regte sich in Robin. Irgendwo am Himmel über sich hörte er einen Falkenschrei. Er lächelte. Dort kamen die Feinde, die Pferde schon zum Schritt gezügelt. Sie wussten, dass ihre Beute nicht mehr weiter fliehen konnte. Aber er fühlte sich sicher, als sei alles, wie es sein sollte. Langsam griff er zum Schwert, ließ es aus der Scheide gleiten, fasste den Knauf mit beiden Händen und streckte es grüßend nach oben. “Ehre dir, mein König”, sagte er und das Licht brach sich hell in der glänzenden Klinge.
Die Verfolger hielten an wie auf ein Signal hin. Blicke richteten sich mehr auf die Klinge als auf ihn. Pferde schnaubten unruhig. Licht tanzte um den einsamen Reiter dort oben auf dem Rand der Klippe. “Das ist nicht Dorban”, murmelte einer der Schwarzgekleideten und warf einen besorgten Blick auf seinen Anführer.
Robin nahm langsam das Schwert herunter. Er lächelte immer noch. Mit der linken Hand, in der er die Zügel hielt, tätschelte er sanft den Hals des Falben. Dann ließ er ihn einen Schritt nach vorne gehen. Einige der schwarzen Reiter begannen unwillkürlich zurückzuweichen. Jedoch nicht ihr Anführer. “Steht!” befahl er mit harter Stimme. Er war groß, breitschultrig, mit häßlichem Gesicht. Auf seinem offenen Helm flatterte ein schwarzer Federbusch. Sein Name war Urkha. In der Abwesenheit Lord Akans war er Oberbefehlshaber auf Cardolan.
“Lasst mich vorbei!” befahl Robin ruhig.
“Gerade noch flohst du vor uns”, entgegnete Urkha grob. Er versuchte den Bann zu brechen, der über dem Ort lag. Aber fürs erste glitten seine Worte an dem Strahlenden vor ihnen ab.
“Etwas das seinen Zweck erfüllte”, gab Robin zur Antwort. “Und nun, lasst mich durch!”
Urkha war nicht beeindruckt. Im Gegensatz zu einigen seiner Männer. “Alandas” war ein Wort, das mehrfach leise in der Truppe fiel. “Nicht Alandas!” schrie er laut. “Nur ein Mensch auf einem müden Pferd! Mit einem Schwert, das hier keine Macht hat!” Urkhas Stimme hatte Macht. Die Verzauberung begann zu brechen. Er fühlte es. “Vorwärts, Gewürm! Wer jetzt nicht kämpft, wird teuer zahlen! Der Fürst will ihn lebend! Denkt dran!”
Kurz noch zögerten seine Männer. Aber als Urkha sein eigenes Schwert erhob, brachen sie vor, stürzten sich auf den einzelnen Reiter. Robin ließ sein Pferd tänzeln. Es war nicht Hibhgawl und doch war er auch mit ihm eine Einheit. Es war alles wie vorherbestimmt. Kein Schlag zu überlegen. Mühelos wehrte er ab und konterte, blockte und konterte. Gegner fielen, aber er achtete nicht darauf. Das Pferd – das Schwert – das Licht – die Freude.
Aber Urkhas Stimme schlug wie ein Hammer auf die leuchtende Einheit, in der er stand. “Nur ein Mensch! Hört ihr? Schlagt ihm das Schwert weg! Tötet das Pferd! Nur ein Mensch! Er hat keine Chance! Umringt ihn! Packt ihn endlich!”
Schwerttanz. Leuchtende Funken. Leichtigkeit und Klarheit. Aber Ewigkeit hatte jetzt keinen Ort in Abhaileon. Konturen verwischten. Schatten schwankten. – Robin konnte sich später nie genau erinnern, wie es geendet hatte. Der Falbe war gestürzt. Irgendwann. Aber er hatte weiter sein Schwert geschwungen. Mit tänzerischem Geschick zwischen all den Gegnern ohne Zögern oder Stolpern. Bis ihn ein Schlag von hinten getroffen haben musste. Er hielt sein Schwert fest, noch als ihm die Beine wegbrachen. Und dann war da Dunkel.
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