Allmählich wurden Robin die abhaileonischen Namen und Gegebenheiten vertrauter. Leider blieb das für die kommenden Wochen alles, was geschah. Weder ließ der seltsame Kurt von sich hören, noch stießen er oder Béarisean auf weitere Hinweise. Das Wetter war nach dem ersten überraschenden Schneefall im Oktober wieder umgeschlagen. Der November verging grau und regnerisch. Für Robin war es erfreulich, als seine Kusine Isabell einen Besuch ankündigte. Er hoffte, dass sie mit nach Abhaileon gehen würde. Isabell war die einzige, mit der er je auch nur über einen Teil seiner Träume gesprochen hatte. Als Kinder und Jugendliche hatten sie manchmal gemeinsam diskutiert, wie es sein könnte, wenn sie den Weg in solch eine andere Welt fänden. Und es sollten ja drei Ritter sein. Auch in den Sagen war eine von den dreien eine Frau gewesen und nachdem, was Béarisean erzählte, musste sie Isabell sogar ein wenig geähnelt haben, jene Elianna.
Béarisean schien allerdings mehr die Meinung zu hegen, der dritte müsse aus Dalinie stammen, als Robin das Gespräch darauf brachte – natürlich ohne zu erwähnen, dass Isabells Besuch bevorstand und welche Hoffnungen er damit verknüpfte.“Ich vermute selbst der König nimmt auf die Empfindlichkeiten der Dalinianer Rücksicht“, schloss Béarisean mit einem Lachen.
„Und ihr anderen habt nichts dagegen, wenn ein Dalinianer in wichtige Positionen kommt?“ erkundigte Robin sich.
„Im Grunde nicht“, Béarisean lachte wieder. „Sie sind eigensinnig, stolz und, wie ich schon sagte, oft empfindlich, aber sie halten sich gewöhnlich auch für sich und sind nicht in Intrigen um die Macht im Kernland verstrickt. Dadurch haben sie eine gewisse Neutralität gegenüber allen anderen.“
„Und Regent wirst ohnehin du!“ stellte Robin fest.
Béarisean antwortete nicht gleich. „Estohar schien das zu denken“, sagte er schließlich. „Vermutlich würden die meisten das folgern. Besonders wenn sie wissen, wer mein Vorfahre ist. Aber ich persönlich glaube das nicht und es ist auch nicht das, was ich für mich will. Ich denke, es ist der unbekannte Dritte. Es könnte sein, dass wir beide nur dazu mehr im Vordergrund stehen, damit er unbemerkt an seinen Platz gelangen kann.“
„Gewissermaßen fände ich das erfreulich“, räumte Robin ein. „Ich will zwar nach Abhaileon und habe Lust, dort etwas zu erleben, aber für immer dort das Staatsoberhaupt zu sein – das dann doch eher nicht.“ Mit Bedauern stellte er fest, dass das dann auch Isabells Chancen, der dritte Ritter zu sein, gewaltig reduzierte. Aber wer weiß. Vielleicht würde sie sogar eine solche Aufgabe übernehmen wollen?
„Das sind nur Spekulationen“, fügte Béarisean hinzu. „Mein Hauptbeweggrund ist kein besonders überzeugender: es ist nur, dass ich das Saphirschwert will. Damit bleibt das Smaragdschwert für den unbekannten Dritten, denn du scheinst ja auf den Rubin aus zu sein.“
Robin lachte: „Und der Smaragd-Siegelring kann aus ästhetischen Gründen nur zum Smaragdschwert gehören!“
Béarisean zuckte verlegen die Schultern: „Bei Colin traf es immerhin zu! – Warum willst du den Rubin?“
„Es geht nicht so sehr um das Schwert“, sagte Robin leise, „es geht mir mehr um das schwarze Pferd. Ich hoffe, es ist ein ganz bestimmtes. Ich will das nicht erklären. Vielleicht kann ich es auch nicht wirklich. Aber mit diesem Pferd wird alles sein, wie es sollte.“
„Vielleicht kann ich es ein wenig verstehen“, meinte Béarisean. „Das Saphirschwert das bedeutet mir auch mehr, als ich ganz erklären kann. Der Saphir steht für Alandas und dem Fürsten dort begegnen zu können, das ist mein Traum. Weißt du, das Ende aller Zweifel und Ungewissheiten.“
„Das Ende aller Zweifel und Ungewissheiten“, wiederholte Robin. „Ja, ich glaube, das wäre dieses eine schwarze Pferd auch für mich.“
„Hat es eine Bedeutung für Arda?“ erkundigte Béarisean sich. Als Robin ihn verständnislos anblickte, fügte er hinzu: „das schwarze Pferd.“
Robin war amüsiert. „Nein, mit Arda hat das nichts zu tun. Nur mit mir. – Warum fragst du?“
„Weil die Begegnung mit dem Fürsten von Alandas wohl schon den größten Teil der abhaileonischen Probleme lösen könnte. Fast alle bis auf Estohars Parteigänger bezweifeln inzwischen seine Existenz und selbst von denen sind sich wohl viele nicht so ganz sicher. Wir können aber nicht gegen den Feind gewinnen ohne die Hilfe des Fürsten von Alandas, und wer soll diese Hilfe erbitten, wenn niemand ihn mehr für wirklich hält?“
„Du?“ meinte Robin mit einem Lächeln.
„Ich glaube kaum, dass es so einfach wird“, erwiderte Béarisean nüchtern. „Irgendwo kommt noch dein Kampf mit dem Schwarzen Fürsten.“
Das Lächeln verging Robin. „Das ist etwas, das mir ernsthafte Sorgen macht“, gab er zu.
******
Isabell kam wenige Tage später. Es war kurz vor dem dritten Advent. Robin hatte ihren Besuch ohne viele weitere Kommentare angekündigt, daher war Béarisean nicht überrascht, als es zur angekündigten Zeit klingelte. Sonst öffnete er selten die Tür, um nicht unnötig gesehen zu werden. Aber Robin war noch mit einer Besorgung unterwegs und hatte seiner Kusine von ihm erzählt gehabt.
Sie war als auch nicht erstaunt ihn zu sehen, musterte ihn nur mit verhaltener Neugier, als sie sich gegenseitig vorstellten. Robin war am Telefon sehr zurückhaltend mit seinen Informationen gewesen.
Béarisean hatte sich ohnehin nur zögernd damit einverstanden erklärt, sie zumindest teilweise in das Geheimnis einzuweihen, aber entschieden darauf bestanden, das auf jeden Fall nur im persönlichen Gespräch zu tun. „Es ist deine Entscheidung“, hatte er gesagt, „und wir sind in dieser Angelegenheit gleichberechtigte Partner, aber du darfst kein unnötiges Risiko eingehen. Telefone können überwacht werden.“
„Von abhaileonischen Gegnern?“ hatte Robin gescherzt.
„Du weißt, wen ich meine“, hatte Béarisean nur knapp geantwortet. „Er ist auch hier mächtig.“
Robin traf nur wenig später ein und Béarisean wurde Zeuge einer herzlichen Begrüßung, die aber schnell zu Fragen seitens Isabell überging. Eigentlich konnten sie nicht allzu viel verraten, dachte Béarisean, während er Robins Erläuterungen zuhörte. Sie wussten ja selbst fast nichts. Ihm fiel auch auf, dass Robin einige Wörter wie „Anno“ und „schwarzes Pferd“ nicht erwähnte. Isabell interessierte sich für Abhaileon und so ließ sich schließlich auch der Abhaileoner in ein halbwegs neutrales Gespräch über seine Heimat verwickeln.
*****
an einem unbekannten Ort
Sirok sprang auf und verbeugte sich, als Akan überraschend und ohne jede Voranküdigung sein Arbeitszimmer betrat.
“Wo sind sie?” fragte der Lord kurz. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Kleidung zu wechseln. Die dunkle Uniform unter seinem Mantel war in Arda genauso akzeptabel wie in Abhaileon.
“Wir haben sie noch nicht”, sagte Sirok, der genau wusste, um was es seinem Befehlshaber ging und ihn zu gut kannte, um Fragen zu stellen. “Aber gestern kam ich endlich ihrem Helfer auf die Spur. Es ist Roean.”
Akan lachte kurz und hart auf. “Dann dürften wir nicht mehr viele Probleme haben. Wer kümmert sich darum?”
“Lord Ramanok sagte, er werde jemanden schicken.” Besorgt fügte Sirok hinzu: “Er wollte nicht, dass ich beteiligt bin, Herr, sonst ...”
Akan winkte ab. “Darum kümmere ich mich jetzt selbst. Komm mit!”
******
Die unausweichliche Frage kam etwa drei Tage später auf. Das heißt, eigentlich war es keine Frage, Isabell erklärte: „Ich möchte mitkommen nach Abhaileon.“
Béarisean verschränkte die Arme und sah auf Robin; das war dessen Problem.
„Wir wissen nicht, wie und wann es geschehen wird“, antwortete dieser. „Du bist dann wahrscheinlich längst wieder zu Hause, einige hundert Kilometer entfernt. Und es kann sein, dass es keine Möglichkeit gibt, uns zu folgen. Aber ich könnte dann deine Unterstützung brauchen, wenn ich „verschwunden“ sein sollte. Ich würde dir gerne die Vollmachten dafür geben.“
Isabell war nicht begeistert, aber konnte die Logik dieser Aussagen nicht bestreiten. Béarisean sah ihr dennoch an, dass für sie das letzte Wort in der Sache noch nicht gesprochen war. Er sah es so klar wie bei – Rilan. Sie hätte sich auch nicht damit zufrieden gegeben. Plötzlich überwältigten ihnen einige Ähnlichkeiten mehr, die zwischen seiner Schwester und Robins Kusine bestanden. Wie betäubt blickte er ein paar Augenblicke auf den vertrauten Umgang der beiden anderen und fühlte, dass ihn Erinnerungen überwältigten.
Recht abrupt stand er auf und ging hinaus.
Isabell sah ihm stirnrunzelnd nach.
„Lass ihn“, sagte Robin, der seinen Gast inzwischen einigermaßen kannte und ahnte, was diesen bewegte. „Das ist nichts, was uns angeht.“
Béarisean kam mehrere Stunden lang nicht wieder.
Es war einer jener Regentage, an denen man seine Zeit am liebsten gemütlich neben einem Feuer verbracht hätte und vom Regen selbst nur das leise Trommeln gegen die Fenster oder auf das Dach hören mochte. Es gab zwar kein Feuer in Robins Wohnung, aber angenehm warm war es dort trotzdem. Die Stereoanlage spielte leise ein Mozartstück. Robin hatte es sich in einer Sofaecke bequem gemacht und blickte nachdenklich in die Flammen der drei brennenden Kerzen des Adventskranzes, der auf dem Tisch stand. Obwohl es noch früh am Nachmittag war, lag das Zimmer im Halbdunkel. Ein heftiger Windstoß, der die Regentropfen prasselnd gegen das Fenster jagte, ließ ihn aufblicken.
„ Wirst du mit dem ganzen Papier- und Verwaltungskram fertig werden?“ Die Frage war an seine Kusine Isabell gerichtet, die auf dem Teppich liegend im Licht einer kleinen Lampe in einem Buch las.
„ Hmm?“ Sie schaute Richtung Sofa. Isabell war ganz in das Buch vertieft gewesen und hatte nicht verstanden, was er gesagt hatte. Robin wiederholte die Frage:“ Wirst du mit dem ganzen Papier- und Verwaltungskram fertig werden?“
„ Ach das. Ich denke schon.“ sagte sie. „ Wie kommst du denn gerade jetzt darauf?“
„ Als der Regen gerade so gegen das Fenster peitschte, dachte ich, was für ein Glück es ist, jetzt nicht draußen unterwegs sein zu müssen. Dabei fiel mir wieder ein, dass wohl bald gerade das der Fall sein könnte.“ Robin ging zum Fenster und schaute hinaus aufs Feld. „Ich habe keine besondere Lust, bei einem solchen Wetter auf Abenteuer auszugehen.“
Isabell setzte sich auf. Mit einer entschlossenen Bewegung klappte sie das Buch zu und strich sich die langen flammend roten Haare aus dem Gesicht. „ Sei froh, dass du so eine Gelegenheit bekommst. Mir wäre jedes Wetter recht dafür.“
„Das hätte ich auch einmal gesagt“, gab Robin zu, „nur jetzt, da es ernst wird, bin ich auch beunruhigt und hätte gerne wenigstens einen Anfang, der ein bisschen sagenhaft ist. – Aber besser Regen als gar kein Abhaileon!“
Isabell nickte. „Dann rate mal!“
„Ich weiß“, sagte Robin beschwichtigend. „Vielleicht hätte ich dir nichts davon erzählen sollen. Ein wenig hoffte ich, alles werde sich während deines Besuchs ergeben und du könntest mitkommen. Ich dachte wohl auch, dass du wenigstens ein bisschen was davon abbekommst, wenn ich dich einweihe. Aber wahrscheinlich macht es alles nur schwieriger.“
Isabell nickte. „Vermutlich ja. Ich will jetzt dahin! Ich will auch nicht auf immer hier feststecken! Und vielleicht, dieser dritte Ritter … Damals gab es doch auch diese Elianna, die mir anscheinend sogar ähnlich sah!“
„Darüber hatte ich auch nachgedacht“, gestand Robin, „Nur dann ist mir klar geworden, dass es wohl dieses Mal anders sein wird. Solche Geschichten wiederholen sich nicht einfach. – Es wäre wie ein Plagiat und es gibt noch ein paar andere wichtige Kriterien, die …“
Das Telefon unterbrach das Gespräch. Schon als Robin nach dem Hörer griff, fühlte er die Anspannung. Es war Kurt, ein sehr besorgter Kurt. Robin erkannte ihn trotz der vergangengen Wochen sofort an der Stimme. Der Anrufer wartete nicht einmal ab, dass Robin sich meldete. “Seid ihr beide hier?” fragte er.
“Nein. Übr...”
Kurt schnitt ihm leise aber eindringlich das Wort ab. “Ihr müsst beide zum Treffpunkt kommen. Sofort.” Bevor Robin auch nur eine Frage stellen konnte, hatte er wieder aufgelegt. Langsam schaltete Robin das Telefon ab. Der Treffpunkt, das konnte nur eine Stelle sein.
Isabell war aufgestanden. „ War er es?“ fragte sie, während sie das Licht anschaltete. Sie war blass geworden.
„ Ja“, gab ihr Cousin Auskunft. „ Ich muss sofort weg, wie es scheint.“
„ Wohin?“ fragte Isabell.
“Zum Treffpunkt. Er sagte, Béarisean und ich müssten sofort kommen.” Er blickte gehetzt um sich. “Ich glaube, es ist besser, ich selbst gehe gleich. Sag du Béarisean Bescheid, sobald er zurückkommt. Er griff nach einer Windjacke mit Kapuze.
“Könnten wir nicht eine Nachricht für ihn da lassen, damit ich wenigstens ...”
Robin schüttelte den Kopf. “Es ist sicherer, du sagst es ihm. Du kannst ja mit ihm kommen.” Er zögerte. “Falls du doch unser dritter Ritter bist, wird sich schon alles entsprechend regeln.” Er griff nach einem Regenschirm, stellte ihn aber wieder zurück und seufzte leise. “Ich bin nicht wirklich vorbereitet, wenn es jetzt losgeht.”
“Lass dir doch noch ein paar Minuten Zeit. Vielleicht kommt Béarisean bis dahin zurück“, schlug Isabell vor.
Robin zögerte kurz. “Nein”, sagte er dann. “Wenn es wirklich eilen sollte ... Ich weiß sowieso nicht, was ich in Abhaileon eigentlich brauchen würde.” Er ging zur Tür, drehte sich aber nochmals um. „Vielleicht ist das jetzt wirklich ein Abschied auf lange Zeit“, sagte er. „ Isabell, ich wünschte, du würdest mit in diese Geschichte gehören. So wie wir das immer wollten.“
„ Ich glaube, ich bin schon darin“, sagte Isabell bemüht fröhlich. „ Ich werde jedenfalls auch auf einen Ruf warten. Halt Ausschau nach mir in Abhaileon.“ Sie ahnten beide, dass es ein leerer Trost war.
„ Das werde ich“, sagte Robin. Sie umarmten sich kurz. Dann ging er hinaus und wählte den kürzesten Weg über die Feldwege der unscheinbaren Quelle. Er ging eilig aber nicht zu schnell. Als er die Weide erreichte, war niemand dort zu sehen. Der Baum gab Schutz vor dem Regen. Er ging zur kleinen Brücke und stellte den Fuß auf die Betonkante des Geländers, um den kleinen Bach hinaufzuschauen, wie er es so oft schon getan hatte. Es sah alles aus wie immer. “Vielleicht hätte ich mir doch ein paar Minuten mehr Zeit lassen sollen”, dachte er, als eine Stimme hinter ihm sagte: „ Du solltest ein bisschen vorsichtiger sein in Zukunft.“
Er drehte sich schnell um und sah zu seiner Erleichterung Kurt vor sich. „Der Regen schluckt die Geräusche”, sagte er. „Was ist passiert?”
Kurt gab keine Antwort sondern fragte nur in dringlichem Ton zurück: „ Hat dich unterwegs jemand gesehen?“
„ Ich glaube nicht. Es ist kaum jemand draußen bei dem Wetter.“
“Ihr müsst sofort nach Abhaileon”, sagte Kurt. “Der Weg ...”
Robin unterbrach ihn: “Ich weiß nicht, wann Béarisean kommt. Er ist seit ein paar Stunden fort. Ich konnte ihm nur eine Nachricht hinterlassen.” Isabell erwähnte er lieber nicht.
„Eine Nachricht!“ Kurt schien sehr beunruhigt: “Dann musst du sofort hier weg. Ich bin entdeckt worden. Das heißt, dass sie euch dicht auf der Spur sind. Das mit Béarisean wird sich irgendwie klären. Aber dich kennen sie noch gar nicht. Das sollte noch möglichst lange so bleiben.” Er sah sich besorgt um. Weit und breit lag alles ruhig und friedlich unter dem Regen. Nicht weit entfernt in einer Dorfstraße, die aufs Feld hinausführte, schaltete ein Heimkehrer die Lichter seines Wagens aus. Immer hastiger sprach Kurt weiter: “Merke dir gut, was ich jetzt sage. Wenn du nach Abhaileon kommst, wirst du nicht mehr weit von Croinathír, dem Sitz des Obersten Rates, entfernt sein. Kommt Béarisean nicht bald nach, folge dem Weg nach Nordwesten, bis du zur Stadt gelangst. Vermeide soweit möglich alle Begegnungen. In der Stadt selbst frage nach dem alten Thomas, der in der Kupfergasse wohnt. - Dort wird man dir weiterhelfen. Gib ihm das.“ Er drückte Robin etwas in die Hand. „ Geht auf keinen Fall zu irgendjemand anderen. Dort wird euch Botschaft erreichen, wohin ihr weiter müsst. In der Hauptstadt dürft ihr nicht bleiben. Wenn ...“ Er brach ab.
Robin folgte seinem Blick und sah, dass vom Dorf her zwei Männer langsam auf sie zukamen. Sie waren noch zu weit entfernt, als dass sie genau hätten erkennen können, ob da eine oder mehrere Personen an der Weide standen. Die herabhängenden Zweige und Kurts Regenschirm bildeten eine gute Deckung. Gleich würde eine Baumgruppe ihnen kurzfristig die Sicht auf die Stelle nehmen, an der sie standen. Robin konnte nichts Auffälliges an ihnen sehen, aber Kurt sagte mit so gedämpfter Stimme, als seien sie schon um einiges näher: „ Das sind sie. Geh! Mir allein können sie nichts anhaben.“
Schnell steckte Robin den kleinen Gegenstand, den er erhalten hatte, ein. Er ließ sich schnell über das flache Brückengeländer gleiten, denn der Graben schien das einzige Versteck zu sein, das sich anbot. Der ausbetonierte Boden lag nur knapp zwei Meter tiefer. Der Wasserstand war durch den Regen der vergangenen Tage zwar angestiegen, aber dennoch nur wenige Zentimeter hoch. Robins Lederstiefel würden für kurze Zeit dicht halten. Er hörte Kurts Schritte, die sich entfernten. Hier im Graben war er zwar fürs erste der Sicht der Fremden entzogen, doch er benötigte einen besseren Schutz, sobald sie näher kommen würden. Es boten sich zwei Möglichkeiten: die Betonröhre unter der Brücke oder die dichten Sträucher und Gestrüppe nur ein paar Meter den Graben hinauf. Robin entschied sich für die Sträucher und eilte in geduckter Haltung unter den grünen Torbogen, den ihre Zweige bildeten. So schnell wie möglich drängte er sich zwischen den Ranken mit den verdorrten Blättern hindurch und kletterte nach einigen zehner Metern dann die linke Grabenseite hinauf, um so ganz im Schutz der Gehölze unterzutauchen.
Kaum hatte er dort angehalten, als er bemerkte, dass zusätzlich zum Regen auch noch Nebel aufzukommen schien. Das konnte ihm in der augenblicklichen Lage nur recht sein. Er verhielt sich möglichst ruhig. Die Zeit floss zäh dahin. Robin hörte keinen Laut außer dem Plätschern des Wassers im Graben und dem Fallen der Regentropfen. Der Nebel wurde allmählich dichter, der Regen schwächer. Einen Augenblick lang konnte Robin nicht mehr die Hand vor Augen sehen. Dann spürte er einen Windzug. Der Nebel lichtete sich etwas.
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