Montag, 25. Juli 2011

Kapitel 13.2


Später fragte sich Dorban, was in aller Welt ihn an jenem Abend bewog, dem Fremden jedes Wort zu glauben, von "Alandas" bis "keine Zeit". Wahrscheinlich war es noch der Einfluß seines Alptraums gewesen, der seine sonstige Rationalität zurückgedrängt hatte. Jedenfalls packte er, ohne weiter zu fragen, eilends seine Reitausrüstung zusammen, schnallte das Schwert um, kroch durch die lose Zeltrückwand ins Freie und schlich hinter dem Unbekannten her durch die Nacht, bis sie auf einen weiteren Fremden trafen, der mit drei Pferden auf sie wartete.
Beim Anblick der Pferde stutzte Dorban. ´Halt´, sagte er. ´Das ist doch mein Schimmel! Wie kommt er hierher? Bei den Pferden steht doch eine Wache.´
´Stand´, sagte der andere Fremde leise. ´Zur Zeit vergnügt sich Seamus beim Kartenspielen - in dem Glauben sein Anführer schlafe und bekomme nichts mit.´
´Diesem Hund werde ich das Fell über die Ohren ziehen´, wollte Dorban toben, doch Béariseans Hand legte sich ihm schon beim ersten Laut auf den Mund. ´Still´, flüsterte er dem Lord ins Ohr. ´Der Feind kann schon ganz in der Nähe sein.´

Kaum hatte er ausgesprochen, als es unweit von ihnen im Gebüsch raschelte. Sie hörten leise Fußtritte. Dorban befestigte ohne weiteren Kommentar eilends und vollkommen lautlos seine Satteltaschen am Sattel des Schimmels.  Dann warteten sie ab. Keines der Pferde gab einen Laut von sich. Aber dann sahen sie in den Bäumen vor sich vier schattenhafte Gestalten zu Fuß, und diese erblickten sie und stürzten sofort, ohne auch nur zu stutzen, auf sie zu. Es war unheimlich. Kein Wort hatten sie gewechselt. Wie echte Schatten der Nacht.
´Schnell!´ befahl Béarisean halblaut, das lähmende Schweigen zerbrechend und schon im Aufsitzen. Es wäre nicht nötig gewesen. Die beiden anderen waren nicht langsamer im Sattel als er und trieben die Pferde sofort zum Galopp. Hinter ihnen klangen jetzt Rufe auf. “Ost! Leicht Süd!” zischte Béarisean. Dorban änderte sofort entsprechend die Richtung – er kannte sich hier am besten aus. Mehr Rufe und Schreie hinter ihnen. Jetzt auch Hufschläge, aber bisher nicht in ihre Richtung.
Béarisean verlangsamte nach einer Weile wieder zu Schrittempo. Hielt kurz an. Alles  war still um sie herum.

“Meine Männer!” sagte Dorban gepresst. “Sie sitzen in der Falle!”
“Barraids Leute wollen dich”, entgegnete Béarisean. “Mag sein, die anderen kommen ungeschoren davon, wenn sie dich dort nicht finden.”
“Wir sollten weiter”, drängte Robin.
“Gut”, sagte Béarisean. “Am besten queren wir die Uibhne. Das werden sie am wenigsten erwarten.”
Dorban entrang sich fast ein Aufschrei: ´Um alles in der Welt, laßt uns nicht in den Sumpf reiten. Dort kommen wir nicht mehr lebend heraus!´

Béarisean fragte nicht nach. Er führte Dorbans Besorgnis auf die berüchtigten Moraste rund um die Uibhne zurück, in denen Pferde und Reiter leicht spurlos untergehen konnten. ´Dann übernimm du die Führung´, befahl er Dorban. ´Du kennst dich hier sicher besser aus.´
“Wir versuchen es mit dem Fenn”, sagte Dorban und setzte sein Pferd in Bewegung.
“Wenn der Anführer der Gegner etwas taugt, hat er dort eine Wache hingestellt”, warnte Béarisean. “Aber da wir weder nach Norden, Westen oder Süden können, müssen wir es wohl versuchen.”
Unter der Leitung des Lords von Tairg schwenkten sie sofort nach Nordosten, so daß sie, nach Dorbans Berechnung, gerade noch den Rand des Fenns passieren konnten, ohne jedoch zu weit in die schmalen Täler in den Hügeln weiter im Norden abzukommen. Der nördliche Rand des Fenns wurde nämlich von einer besonders steilen und zerklüfteten Hügelkette flankiert. Dieselbe, die sich Robin und Béarisean am Morgen weiter westlich hinabgequält hatten. Zwischen den Felsen und dem Sumpf gab es auf einer Länge von einer Wegstunde nur einen schmalen passierbaren Streifen.

Langsam rückten die Sümpfe, deren Wasserflächen im fahlen Licht der gerade aufgegangenen Mondsichel zu ihrer Rechten schimmerten, näher heran. Mitunter ließen sie die Pferde in leichten Trab fallen. Dabei versuchten sie das Gelände, so gut es im Dunkeln ging, im Auge zu behalten. Aber die Nacht war sehr dunkel, Wolken verdeckten den ganzen Himmel. Sie querten keine Lichtungen, hielten sich stets im Schatten von Bäumen.
“Wie breit ist die Passage?” fragte Robin leise, während sie gerade über eine weitere freie Fläche spähten, an der sie als nächstes vorbei mussten.
“Eine knappe Meile”,  murmelte Dorban etwas abwesend. “Wieviele Leute hat Barraid geschickt?”
“Wir hatten keine Zeit das herauszufinden”, sagte Béarisean. “Aber wenn das Lager sorgfältig umstellt wurde, hätten nicht viele entkommen dürfen. Ein Posten hier sollte nicht mehr als zehn Mann zählen.”
“Wir waren weniger als vierzig und sie wissen das. Es sollten nicht mehr als fünf oder sechs sein, die hier ein paar Flüchtlinge abpassen. Wie gut seid Ihr mit dem Schwert?”

“Wenn sie genug Leute haben, steht dort vielleicht doch eine größere Gruppe”, meinte Robin nachdenklich. “Ich würde mindestens ein gutes Dutzend ...” Er unterbrach sich. Vor sich hörten sie plötzlich eiligen Hufschlag. Wie aus dem Nichts musste dort ein Reiter aufgetaucht sein. Er ritt nach Osten, aber sie hatten ihn zuvor nicht gehört.
“Langsam weiter”, befahl Béarisean. “Immer am Waldrand entlang.”
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Es waren fünfzehn Reiter, die an der engsten Stelle des wegbaren Landes zwischen Fenn und Gebirge warteten. Das Gelände war unwegsam und unübersichtlich hier. Aber das war es überall im Bereich des Fenns. Daher hatte Asrik sie eine Postenreihe bilden lassen. Alle aus der Besatzung von Cardolan. Er selbst hielt in ihrem Zentrum. Lord Lùg hatte geschickt manövriert, dass er diese Aufgabe erhielt. Lord Asrain hielt es für eine Art Strafkommando, aber Asrik war erleichtert, diesen Fluchtweg abgesichert zu wissen. Lord Akan – nein, er hatte es nicht betont, dass eine Wache hierher müsse. Akan betonte nie etwas. Aber er hatte dieser Aufstellung einen ganzen präzisen Satz gewidmet. Mindestens zwanzig an diese Stelle, hatte er gesagt. Doch es hatte nicht in Asriks Hand gelegen, über die Zahl der Männer zu verhandeln. Wenn Lùg nicht zu ihm gekommen wäre, um sich noch einmal genau Akans Anweisungen darlegen zu lassen, während sie auf die Dämmerung warteten, dann stünde jetzt niemand hier.
Er blickte nach rechts und links. Den Cardolanern war nie ganz zu trauen. Zu disziplinlos. Er hätte das anders aufteilen sollen, als Vierzehnerkette mit einem Adjutanten bei sich, den er zur Kontrolle losschicken konnte. Vielleicht war es noch nicht zu spät, das zu ändern. Wenn ...

Dann hörte er den Hufschlag. Blicke nach rechts und links zeigten, dass alle noch still auf den zugewiesenen Posten verharrten. So weit also gut. Der Reiter näherte sich etwas nördlich. Dann wieherte ein Pferd. Der Hufschlag verstummte abrupt. Jemand hatte sich verraten. Auch gut, sollte der andere nur wieder umdrehen. Dann würde er in eine von Lùgs oder Asrains Patrouillen weiter westlich geraten. Doch plötzlich hörte er den Ruf: “Ihm nach, ehe er entkommt!”
“Halten!” schrie er. “Keiner verlässt seinen Posten!” Aber einige der Reiter nördlich und sogar südlich hatten ihre Pferde schon angetrieben und ignorierten seine Befehle. Jetzt sah man den Fremden auch. Seine Silhouette zeichnete sich kurz am Rand der Lichtung vor ihnen ab. Die Cardolaner hatten ihn schon fast erreicht und schrien siegesgewiss.
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Die drei Flüchtenden hörten, dass der andere Reiter in gar nicht großer Entfernung in eine Postenkette geriet. Rufe klangen auf. “Sie haben den ganzen Streifen abgeriegelt”, murmelte Dorban, während sie die Pferde vorsichtig weitergehen ließen.
“Aber es sind nicht sehr viele”, antwortete Béarisean. “Auf mein Zeichen im Galopp.”  Vor sich sah er undeutlich einen der Wachtposten, doch der blickte in Richtung der Rufe. Seine Deckung hatte er verlassen, um besser sehen zu können, was im Norden geschah. Knapp hundert Meter noch. Viel besser würde es nicht werden. Achtzig Meter. “Haltet Euch etwa 40 Meter rechts von ihm”, murmelte er. Sechzig Meter. Der Wachtposten drehte sich um. “Los!”
Schreie. “Nicht alle, ihr Schwachköpfe!” brüllte eine Stimme. “Da könnten noch mehr kommen!”

Robin trieb sein Pferd an. Es war das langsamste der drei. Dorbans Grauschimmel hielt sich mühelos an der Spitze, obwohl er der schwerste der drei Reiter war. Robin riskierte einen Blick über die Schulter. Mindestens fünf, die ihnen folgten. Aber auch ihre Pferde waren nicht alle schnell.. Dennoch, einige holten auf. Mit der rechten Hand tastete er nach dem Schwertknauf; früher oder später würde ein Kampf unvermeidlich sein. Die Übung in Alandas zahlte sich nun sicherlich aus. Je länger er es aber hinauzögern konnte, desto weniger Gegnern würde er auf einmal gegenüber stehen.
Die Distanz zu den beiden anderen vergrößerte sich auch. “Sie sind bald heran!” rief er. Béarisean reagierte sofort, warf einen Blick nach hinten und sah, wie es stand. Er riß sein Pferd herum. “Langsamer”, rief er Dorban zu. “Hier gibt es Arbeit!”
Kurz bevor Robin Béarisean erreichte, riss auch er sein Pferd herum. Einer, der ein hellfarbenes Pferd, vielleicht einen Falben ritt, war dicht hinter ihm. “Ehre dem König!” sagte Robin leise und zog seine Waffe gerade rechtzeitig um einen Schlag zu parieren. Es dauerte nur zwei, drei Schlagwechsel, bis der Gegner fiel. Da waren die nächsten drei schon heran. Dorban hatte nicht mehr viel zu tun, als er den beiden Rittern schließlich zu Hilfe kam.  Der Falbe des ersten war nicht  weit gekommen, sein Zaumzeug hatte sich in einem Busch verfangen. Robin sprang von seinem Braunen, schnitt die Sattelriemen durch und legte dem Falben das zusätzliche Gepäck auf. Dann hetzten sie weiter.
Es schien, dass sie jetzt die schnellsten Pferde hatten. Nach einer Weile verstummten die Geräusche der Verfolger hinter ihnen. Das war gut so, denn auch ihre Pferde waren jetzt erschöpft. Sie ließen sie allmählich in Schritt fallen.

“Absteigen”, befahl Béarisean. “wir müssen sie ein Stück führen.” So wechselten sie mit Trab und Dauerlauf, bis sich der erste fahle Schimmer am Himmel anzudeuten schien. Sie quälten sich gerade im Laufschritt einen nicht sehr steilen, aber langgestreckten Geländeanstieg hinauf.
“Zeit für eine Pause”, keuchte Robin, wütend darüber, dass sein  Atem so heftig ging. Doch Dorbans Zustimmung und schließlich Béariseans Einwilligung hörten sich auch nicht müheloser an. Sie blieben bei einer Baumgruppe stehen und blickten zurück, sobald sie die Anhöhe vor sich erreicht hatten.
“Die Pferde brauchen Wasser”, sagte Dorban. “Es sollte hier genug Bäche geben.”

Béarisean zögerte. “Wir sollten nicht rasten, ohne das Land hinter uns im Auge behalten zu können.”
“Nimm die Pferde und such Wasser”, sagte Robin. “Ich warte hier und halte Wache.”
“Wie geht es dann weiter?” wollte Dorban wissen.
“Wir queren baldmöglichst die Uibhne”, begann Béarisean. “Wir müssen nach Süden und dann zurück nach Westen.”
“Unmöglich. Selbst im Sommer ist die Uibhne so weit im Osten schwer zu queren. Nach diesen Regenfällen ist es absolut ausgeschlossen. Hört Ihr das Rauschen? Es ist ein knapper Kilometer bis dorthin.”
“Also Fuacht. Dort ist eine Brücke.”
“Wieviel Proviant haben wir eigentlich?”
“Nur einiges Trockenfleisch und Käse. Und Hafer für die Pferde. Wenn wir rationieren sollten wir etwa zwei Wochen klarkommen,” sagte Robin.
“Wir sollten jagen. Die Tageszeit ist günstig. Haben wir einen Bogen?”
“Nein”, sagte Béarisean.
“Hier”, sagte Robin. “Barraids Mann hatte Bogen und Köcher am Sattel befestigt.”
“Diese kurzen Doppelbögen”, schnaubte Dorban. “Damit habe ich keine Übung, aber ich versuche es dort drüben. In spätestens einer Stunde bin ich zurück. Oder früher, falls Ihr Alarm gebt.”
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Lùg fand die Postenkette im Osten in Aufruhr, als er mit seinem Trupp heranpreschte.
“Dorban ist also hier durchgekommen”, stellte er fest. “Wieviele folgen ihm?”
“Einer”, sagte Asrik widerwillig. “Sie haben vier außer Gefecht gesetzt und der sechste kam gerade zurück, um Meldung zu erstatten.”
“Sie? Wir haben alle aus dem Lager ausser Dorban.”
“Es waren drei und ein vierter, der kurz vorher durchbrechen wollte, ist zurück nach Westen geflüchtet. Wir haben sein Pferd – eines der unseren.”
“Drei fremde Reiter also”, sagte Lùg. Er schien beunruhigt. “Wir nehmen sofort die Verfolgung auf. Mit etwas Glück geraten sie in eine der anderen Patrouillen.”
“Aber die suchen nicht nach Dorban”, wollte Asrik einwenden. Dann begriff er. “Jetzt also drei Ritter statt zwei. Was ist mit Lord Asrain?”
“Er folgt uns bald”, sagt Lùg und trieb sein Pferd wieder an.
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