Montag, 25. Juli 2011

Kapitel 13.3


Béarisean kam als erster zurück. Der nächste Bach war wirklich nicht weit gewesen. “Hier”, sagte er und reichte Robin die gefüllte Wasserflasche. Dann fing er an, sein schweißbedecktes Pferd abzureiben. Robin wollte es ihm nachtun, aber Béarisean hielt ihn ab. “Behalt den Hang im Auge”, sagte er. “Ich beeile mich, dass die anderen beiden auch versorgt sind.”
“Vielleicht haben sie die Spur verloren. In dieser Nacht ...”
“Woanders wäre das möglich. Unser Pech ist, dass es nur diesen schmalen Landstreifen zwischen der Uibhne und den Bergen gibt. Auch hier sind es erst knappe drei Kilometer.  Sie müssen nur ungefähr die Richtung beibehalten. Erst einen oder zwei Tageritte weiter ändert der Fluß seine Richtung nach Süden. Ich wünschte, wir könnten auf die andere Seite. Aber Dorban hat recht, um diese Jahreszeit ist eine Querung unterhalb des Fenns der sichere Tod. Selbst im Sommer gilt es als Risiko. Wenn es Tag wird, sollten wir es sehen können von hier oben.”

Es wurde allmählich richtig hell. Béarisean hatte die Pferde versorgt und wieder neu aufgesattelt, als Dorban zurückkam. Die Tiere grasten jetzt am Hang in der Nähe. “Kein guter Tag zum Jagen”, sagte er mürrisch im Näherkommen. “Vielleicht wenn wir weiter nach Osten kommen. – O verdamm mich, das seid wirklich Ihr!”
Béarisean lachte. “Ich war gespannt, wann Ihr das merken würdet.”
“Manchmal heute nacht schien mir schon ... Die Stimmen. Aber dann auch wieder nicht. Und nach jenem Scharmützel am Engpaß ...”
“Ist mein Ruf jetzt wieder gerettet?” erkundigte sich Robin amüsiert. Er drehte sich nicht um, hielt den Hang und das Land im Westen weiter im Auge.
“Ihr habt mich ganz schön an der Nase herumgeführt, Herr ... Anno von Arda, war es doch?”
“Das ist mein offizieller Name hier”, stimmte Robin zu und wandte sich nun doch zu ihm um.
Dorban lachte hart auf. “Sei’s drum. Ihr habt Barraid getäuscht. Das war die eigentliche Leistung. - Rotkehlchen!” Robin lächelte nur und drehte sich wieder um.

“Mir scheint, Eure Begeisterung für den Schwarzen Fürsten hat etwas nachgelassen, Lord von Tairg”, bemerkte Béarisean.
“Ihr scheint darüber erstaunlicherweise mehr zu wissen als ich”, knurrte Dorban. “Ich hielt es nur für angebracht, ein wenig auf Distanz zu Barraid zu gehen. Den Teufel wußte ich, daß er mir gleich ganz an den Kragen will.”
“Er ist sehr, sagen wir einmal, partikulär, wenn jemand, der ihm gehört, die Seiten wechseln will”, warf Robin ein.
“Ihm gehört!” rief Dorban aufgebracht. “Ich gehöre niemandem. Mir gehört Tairg. Und eigentlich auch dieses Carraig. Ich habe ihn dort toleriert. Aber ...”
“Er sieht das vermutlich anders”, meinte Béarisean.
“Das würde zu ihm passen! Er führt sich immer auf, als gehöre ihm alles und jedes!”
“Immerhin habt Ihr mit Euren Leuten den Handlanger und Laufburschen für ihn gespielt”, unterbrach ihn Béarisean.
“Wir hatten ein Bündnis!”
“Aha!” sagte Robin trocken.
“Mehr ein Abkommen”, verbesserte Dorban. “Ich hatte einen ... Er wollte mir ... Ich wüsste nicht, was das Euch überhaupt angeht! Ich bin ihm jedenfalls zu nichts verpflichtet!” schloß er brüsk ab.

Es schien ihm angeraten, das Thema zu wechseln. “Ihr wart in Alandas. Wieso ist der Fürst dort an mir interessiert?”
“Wie kommt es, dass Ihr plötzlich denkt, es gebe ein Alandas?” erkundigte sich Béarisean.
“Weil Ihr gestern behauptetet, jener Fürst schicke Euch, um mich da rauszuholen,” schlug Dorban vor.
“Nun ja, irgendwie musste ich Euch da schließlich zum Mitgehen bewegen. Es könnte nicht stimmen”, sagte Béarisean.
“Na gut”, sagte Dorban. “Durlongs Geschichte. Diese Rüstungen und Schwerter. Euer Auftauchen. Die Tatsache, dass Ihr mir helft, obwohl ich Euch in die Drachenschlucht brachte. Und dann. Als Durlong mir erzählte, was geschah, habe ich nachgedacht. Barraid kommt aus dem Osten. Bevor er auftauchte, wußte keiner, dass dort irgendjemand lebt. Warum eigentlich sollte es kein verborgenes Land im Norden geben. Und Barraid ließ gelegentlich durchblicken, dass er dort irgendeinen Gegner hat. Ein Gegner, der offensichtlich gefährlich ist. Nicht so wie diese Versager  in der Hauptstadt.” Er schnaubte verächtlich.

“Estohar ist ein alter Freund”, sagte Béarisean ruhig. “Der Fürst von Alandas unterstützt seine Arbeit.”
Dorban zuckte die Schultern. “Große Herren machen es sich oft zum Anliegen, ihre schwächeren Verbündeten zu unterstützen. Das ist Politik. Wenn es dann opportun ist ... Es gibt immer viele potentielle Verbündete.” Die Bitterkeit in seiner Stimme war unüberhörbar. Robin nahm sich vor, ihn bei nächster Gelegenheit etwas mehr über seine Erfahrungen in dieser Richtung zu befragen. “Wie stark ist dieser Fürst von Alandas? Hat er viele Männer? Rüstet er zum Krieg?”
Béarisean zog die Brauen hoch. “Rüstet Barraid zum Krieg? Wie viele Männer und Verbündete hat er?”
Dorban verschränkte die Arme vor der Brust. “Was will der Fürst von Alandas von mir? Sollt Ihr mich zu ihm bringen?”

Eine Weile blickten sie sich schweigend an. “Man könnte sagen, der Fürst von Alandas bietet Euch ein Bündnis an”, gab Béarisean dann nach. “Ihr sollt nach Westen zu Estohar in die Hauptstadt, um ihn in diesem Krieg zu unterstützen. Und wir sollen Euch dorthin begleiten.”
“Der Weg nach Tairg ist uns abgeschnitten. Ich kann keine Männer bringen.”
“Abhaileon wird ein Heer haben, das Führer braucht.”
“Na schön. Barraid rüstet auf eine Auseinandersetzung. Bisher sah ich aber nicht mehr als fünfhundert Mann in Waffen. Mehr als genug für einen Lord oder kleinen Fürst, aber wohl kaum ausreichend. Doch hat er Verbindungen zu dem Anführer der Straßenräuber und zu Gearaid von Eannas. Von mehr weiß ich nicht.”
“Die Banditen? Warum dann Eure Geplänkel mit diesen? Kleine Streitigkeit unter Verbündeten?” Béarisean musterte ihn sehr unfreundlich.

Dorban wurde steif vor Zorn. Seine Augen blitzten. Aber er beherrschte sich. “Ich weiß es erst seit meinem letzten Aufenthalt in Carraig. Seit dem Morgen, an dem wir aufbrachen.”
“Lass es gut sein, Béarisean”, sagte Robin, der die gefährliche Spannung spürte, ohne sich umdrehen zu müssen. “Der Lord von Tairg ist kein Lügner, was auch immer ihm sonst vorzuwerfen sein mag.”
Béarisean und Dorban musterten sich eine Weile mit großem Mißfallen. Dorban herausfordernd, Béarisean mißtrauisch. “Ich habe keinen Anlass Euch einer Lüge zu zeihen, Lord von Tairg”, sagte Béarisean schließlich.

Dorban gab sich damit zufrieden. “Was ist mit den Truppen aus Alandas?” wiederholte er seine Frage von vorher harsch.
“Es wird vorerst keine geben. Es gibt da alte Abkommen einzuhalten, die der Fürst nicht brechen wird. Aber wenn wir unsere Ziele erreichen, wird er uns ein Heer zu Hilfe schicken, das Euch in Erstaunen setzen wird.”
“In Ordnung”, erklärte sich Dorban einverstanden. “Ich komme nach Croinathír, und stehe auf der Seite des Fürsten von Alandas.” Sie besiegelten es mit einem Handschlag.

“Da sind sie!” rief Robin leise. “Ich sehe Bewegung da unten. Reiter. In schwarz, wie mir scheint. Mindestens zwanzig.”
“Verdammt!” rief Dorban. “So schnell schon.”
Er wollte zu seinem Schimmel laufen. Béarisean legte ihm die Hand auf die Schulter. “Tut mir den Gefallen und hört mit dieser Flucherei auf, solange wir zusammen reiten. Das bringt uns nur noch mehr Ärger ein.” Dorban brummte nur etwas Unverständliches und eilte weiter. Die Pferde waren nun wieder etwas ausgeruhter, so dass sie sie für das erste Stück des Wegs in Trab fallen ließen.

Den ganzen Tag eilten sie weiter. Die Sümpfe lagen nun schon weit hinter ihnen. Gegen abend weitete sich das Gelände nach Süden. Von den Verfolgern hatten sie nichts mehr gesehen oder gehört.
“Wir haben es geschafft”, erklärte Dorban. “Ab hier fließt die Uibhne nach Süden. Sieben Tage flußabwärts liegt Fuacht. Spätestens in den weiten Wäldern hier sollten sie unsere Spur verlieren.”
“Wenn wir keine Zeit verlieren, sollten wir den Vorsprung zumindest halten können”, meinte Béarisean. “Ihre Pferde müssen erschöpfter sein als die unseren. Wie gut kennt Ihr den Weg.”
“Relativ gut. Meistens nehme ich die südliche Route von Tairg nach dort, aber ein paarmal war ich auch hier im Norden. Solange uns keine Streife aus Cardolan begegnet, sollte es keine Schwierigkeiten geben.
“Aus Cardolan?”
“Barraid wollte unbedingt die echten Ritter des Königs in die Hand bekommen. Er wollte, dass sie auch von dort Patrouillen ausschicken. Und dieser Akan, der mich an der Abzweigung nach Daliní traf und mir wahrscheinlich die Angreifer dort hinten auf die Fersen setzte, hat bestimmt auch einen Boten nach Cardolan geschickt mit Nachricht über mich. Er ist Lord dort und wie es scheint ziemlich fähig.”
Béarisean bedachte ihn mit einem grimmigen Blick aber hielt sich damit zurück, ihm auseinanderzusetzen, was er davon dachte, dass Dorban über all diese Dinge Bescheid gewusst und niemanden gewarnt hatte.

Der Himmel hatte sich im Laufe des Tages wieder dichter und dichter mit Wolken bedeckt. Jetzt fing es erneut an zu regnen. “Wir müssen in dieser Nacht rasten”, sagte Robin. “Bringen wir noch ein paar Kilometer hinter uns, am besten schräg nach Südosten, wo es kein wirkliches Ziel gibt. Auch sie werden die Verfolgung im Dunkeln nicht fortführen können.”
´”Wenn der Boden nur nicht überall so feucht wäre”, murrte Béarisean. “Wir hinterlassen fast überall Spuren.”

******
Rodil war zufrieden mit seinem Erfolg. Nachdem den drei Reitern mit Hilfe seines Ablenkungsmanövers der Durchbruch gelungen war, hatte er das Pferd wieder laufen lassen und war leise zwischen den Resten der Postenkette hindurchgelangt. Dort fand er schon bald wieder ein reiterloses Pferd. Im Laufe der Nacht gelang es ihm auch unbemerkt an dem einzelnen Verfolger vorbei zu kommen. Seitdem hielt er sich in vorsichtigem Abstand auf der Spur der Ritter. Er fühlte, wie die Zahl der Verfolger hinter ihm anwuchs. Zuerst Lùg, später Asrain. Sie holten langsam auf, weil sie die Pferde nicht schonten, aber das würde sich schon bald rächen. Auch er war erleichtert, als sie endlich die enge Passage nördlich des Fenns verließen. Er nutzte die Gelegenheit, ein paar falsche Spuren zu legen, bevor er den Rittern weiter folgte.
******
Dorban weckte sie während seiner, der dritten Wache. Es war kurz nach Mitternacht. “Reiter”, murmelte er. “Auf dem Weg nach Süden.” Sie lauschten angestrengt in die Nacht und brachen noch vor der Dämmerung wieder auf. Nach Osten, um einen Zusammenstoß mit dieser Gruppe zu vermeiden.
Die Tage, die folgten, waren nervenaufreibend. Es schien in diesem Wald von verschiedenen Patouillen nur so zu wimmeln. Immer wieder waren sie gezwungen, die Richtung zu ändern. Robin mutmaßte schon, dass sie sich immer wieder im Kreis bewegten. Kaum wagten sie es einmal aufzuatmen, liefen sie fast in die nächste Gruppe hinein.
An einem Tag saßen sie ganz in einer engen Schlucht fest, weil sie am Morgen entdeckten, dass eine Gruppe der Gegner gar nicht weit weg ein Lager aufgeschlagen hatte. Die Rast konnten sie durchaus gebrauchen, aber die ständige Bedrohung ließ sie wenig Ruhe finden.
Am dritten Tag hörte der Regen wenigstens endgültig auf. Ein leichter Wind setzte ein. Es tat gut, endlich einmal wieder trocken zu sein. Auch die Temperatur war noch deutlich über dem Gefrierpunkt.

Am fünften Tag, als wieder einmal eine Gruppe der Feinde, kurz bevor sie auf sie hätte stoßen müssen, aus rätselhaftem Grund abdrehte, beschlossen sie nur noch genau nach Osten zu reiten. “Dort in der Ostheide ist der Boden felsig”, hatte Dorban erklärt. “Dort können sie kaum noch Spuren von uns folgen. Und es ist unwahrscheinlich, dass sie die Königsritter oder mich soweit im Osten erwarten. Am besten versuchen wir nach Cruagh zu kommen. Damit sollte niemand rechnen. Von Cruagh aus dann direkt Richtung Daliní.”
Béarisean hatte anfangs dagegen argumentiert. “Dort könnte uns der Winter überraschen”, gab er zu bedenken. “Cruagh ist oft völlig abgeschnitten vom Rest der Welt.” Aber als sie, je weiter sie nach Osten kamen, tatsächlich auf immer weniger Patrouillen stießen, stimmte auch er schließlich zu, es mit der Ostheide und Cruagh zu versuchen. Auch wenn es wahrscheinlich war, dass sie ein paar Winterwochen eingeschneit irgendwo in Dalinie zubringen mussten. So weit östlich brach der Verkehr meistens weitgehend zusammen. Während der Zeit der Schneestürme fuhren nicht einmal Schlitten.

“Wo genau liegt eigentlich Cardolan?” wollte er wissen.
Dorban zuckte die Schultern. “Ich war nie weiter als bis zum Wildfluß. Es kann nicht sehr nahe sein von dort. Die Jäger von Cruagh reiten weit im Sommer. Hätten sie etwas gesehen, wäre die Nachricht nach Daliní gegangen und vielleicht sogar weiter bis in die Hauptstadt. Mindestens drei Tageritte weiter nach Osten, meiner Schätzung nach.”
“Aber Ihr wusstet davon.”
“Ja”, sagte Dorban knapp. “Nach einer Weile fügte er hinzu. “Aber mich beunruhigte es nicht. Wenn da jemand in der Wildnis leben wollte, war es seine Sache. Diese Sagen über böse Mächte und schwarze Fürsten – das hatte ich längst hinter mir gelassen. Wie sollte ich ahnen, dass da mehr dran ist.”

Am neunten Tag erreichten sie die Grenze der Ostheide. Ein kleiner namenloser Strom bildete die Grenze zwischen den Wäldern und der vor ihnen liegenden kahlen Fläche voller zerklüfteteter Felszüge. Jetzt im Herbst hatte das Land eine gewisse Schönheit durch die herbstlich verfärbten Moose und Flechten, die auf und zwischen den Felsen wucherten. Das Flüsslein floss nach Südwest, wahrscheinlich kam es vom Idrimsee her.
Béarisean blickte mit Bedauern seinen Lauf hinauf. “Wenn es nur etwas früher wäre im Jahr”, seufzte er. “Zu gern würde ich den Idrim sehen. – Fast jeder in Abhaileon träumt davon”, erklärte er zu Robin gewandt. “Viele Dichter haben seinen Zauber und seine Schönheit besungen.”
“Er liegt hübsch”, gab sogar Dorban zu. “Aber nicht weit davon ist die Carrus. Kein guter Ort. Besonders unter den gegebenen Umständen.”
“Was ist die Carrus?” erkundigte Robin sich.
“Eine schwarze Felsklippe am Rand der Berge”, sagte Béarisean. “Die Sage bringt sie in Zusammenhang mit der Entstehung Cardolans."
„Dort sah ich Barraid zum ersten Mal“, sagte Dorban. „An einem Sommertag. Auf seinem schwarzen Pferd. Er hielt dort wie ein Zeichen des Unheils und einige meiner Männer weigerten sich, mich dort hinauf zu begleiten.“ Mehr wollte er nicht sagen.

Sie ritten noch etwa zwei Stunden auf die Heide hinaus. Ganz in gerader Linie ging es nicht, so zerklüftet war das Gelände. Es war merklich kälter. Sie schrieben es der offeneren Fläche zu. Gegen Abend hatten sie das Glück, auf eine kleine Felsgrotte zu stoßen. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits offensichtlich, dass die Temperatur allgemein weiter im Sinken war. In den frühen Morgenstunden setzte dann von Westen her leichter Schneefall ein.

******
Gearaid drehte seinen Weinkelch in den Händen, bis der Wein darin in Wellen an die Seiten des Goldblechs schlug. Lassalle sagte nichts. Er lehnte sich mit halb geschlossenen Augen in seinem Sessel zurück. Das Essen war ausgezeichnet gewesen. Auch der Wein war ausgezeichnet und verdiente nicht die Behandlung, die Gearaid ihm widerfahren ließ. Nun, der Fürst von Eannas mußte schon selbst das Thema zur Sprache bringen. Lassalle hatte nicht vor, ihm dabei zu Hilfe zu kommen.
„Rechnest du eigentlich nie damit“, begann Gearaid und beobachtete weiterhin intensiv seinen Wein, „jemand könne dich aus dem Weg schaffen wollen?“
Lassalle lächelte träge. „Seit etlichen Jahrzehnten. Dieses Jahr waren es zwölf Versuche, ein leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Ich habe auch gewisse Vermutungen, wer hinter dem meisten davon steckt. Vielleicht ist es an der Zeit, mich für die Aufmerksamkeit zu revanchieren.“

Das war nicht das Thema, das Gearaid auf der Zunge brannte, aber da er es schon angeschnitten hatte, konnte Arnim es durchaus zu seinen Gunsten nutzen.  Wilgos‘ dilettantische Versuche wurden allmählich lästig.
„Hmmm“, Gearaid zuckte die Schultern, „es würde helfen, wenn du mehr mit ihm kooperieren würdest. Er sagt, du verbirgst ständig wichtige Informationen vor ihm.“
„Was für ein Geheimdienst!“ bemerkte Lassalle voller Sarkasmus. „Jemand verbirgt Informationen vor ihm.“
Gearaid hielt den Kelch nun in der linken Hand. Die Finger seiner rechten Hand trommelten unzufrieden auf den Tisch. „Er zeigt gewisse Schwächen.“
„Sollte ich jemals Ambitionen haben, Gift in Wein oder Mahlzeiten zu mischen, würde ich auch Erfolg haben. Aber das ist dilettantisch.“

Gearaid stellte seinen Kelch auf den Tisch. Mit zusammengekniffenen Augen fixierte er den Lord. „Gib du mir Ceannacht und du kannst die Angelegenheit mit ihm regeln, wie es dir gefällt.“
Lassalle stand auf und ging ans Fenster. „Es liegt Schnee“, sagte er.  „Bestimmt ein halber Meter und harter Frost kommt auf. Hat Wilgos sich schon kalte Füße geholt?“
Gearaid lacht kurz auf. „Man könnte es so nennen. Er hatte nicht mit solchem Wetter gerechnet und seine ...“, Gearaid unterbrach sich.
„Seine Männer finden so schnell keine Möglichkeit, die Tore zu öffnen.“
„Es hätte mich überrascht, wenn diese Sache dir entgangen wäre.“
„Natürlich würde Eannas Roscrea nicht angreifen.“
„Vor der Burg sieht man nur Banditen.“
„Das heißt, auch wenn die Burg fällt, bleibt das Land Roscrea.“
„Notgedrungen“, gab Gearaid mürrisch zu.

„Ich verstehe.“ Arnim drehte sich endlich um und blickte den Fürsten direkt an. „Ihr solltet wissen, Gearaid, dass ich meine Meinung über Fíanael nicht geändert habe.“
„Fíanael“, Gearaid verzog das Gesicht. „Fíanael ist nicht so wichtig. Aber er hat einen Herrn, der mehr als erstaunlich ist. Er drückte seine Verwunderung darüber aus, dass du nicht mit mir in den Norden kamst.“
„Ich habe kein Interesse.“ Lassalle blieb höflich aber abweisend. Gearaid hatte ihm vor ein paar Monaten eine heftige Szene gemacht. Es hatte Lassalle nicht mehr berührt als eine Windbö einen Felsen. Fíanael gegenüber, der ihm schon Monate vorher den Bescheid gegeben hatte, nach Carraig zu reiten, sobald sich Gelegenheit ergab, hatte er nur geschwiegen. Sogar vor sich selbst gestand er es ungern ein, dass er den raubkatzenartigen Lord aus Winian fürchtete. „Ich bin Euch loyal, weil Ihr mir eine neue Heimat gegeben habt. Alles weitere steht nicht zur Diskussion.“

Er sah den Zorn in Gearaid aufsteigen. Den Zorn, dass er es nicht riskieren konnte, Lassalle loszuwerden. Den Zorn, dass der andere ihm weit überlegen war und nicht jederzeit seinen Willen tun würde. Ein Zorn, dass er diesen Zorn mäßigen musste.
„Ich bin ein Bündnis eingegangen und erwarte, dass meine Lords mich darin unterstützen.“
„Ich gehe, wohin Ihr mich schickt, aber ich gehe keine Verpflichtungen gegenüber Euren Verbündeten ein. Was ist mit Ceannacht?“
„Nur wenn Ihr Euch den Befehlshabern dort fügt.“
Lassalle schüttelte nur leicht den Kopf. „Ich bedaure. Aber Reginald wird gehen. Er kann  Wilgos etwas über Kriegsführung in Eis und Schnee beibringen. Und er hat keine Bedenken gegenüber schwarzen Lords.“
„Die beiden hassen sich!“ sagte Gearaid erbittert.
„Sie werden ihre Arbeit tun. Ich werde ein paar Worte mit Reginald reden. Das wird es leichter machen. Wenn Ihr Wilgos entsprechende Anweisung gebt?“
„Ich warne dich dennoch“, sagte der Fürst. „Du spielst mit dem Feuer.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen